1907 - Kurt Faber
San Francisco nach dem Beben
Vor Jahresfrist war das Erdbeben und darauf das vernichtende Feuer darüber hingegangen, und es war kaum mehr übriggeblieben als ein ungeheurer Schutthaufen. So weit das Auge reichte, war nicht mehr viel zu sehen als Schutt und Trümmer und darüber die von der Hitze phantastisch verbogenen Eisengerippe der ehemaligen Wolkenkratzer. Es roch nach Kalk und Mörtel. Eine dicke gelbe Staubwolke lag schwer über dem Trümmerfelde. In den Straßen, die nun alle so entsetzlich breit aussahen, zogen langsam die endlosen Wagenreihen, die Steine, Zement und andere Baumaterialien nach den zahllosen Bauplätzen schafften und auf der anderen Seite der Straßen in ebenso langen Schlangenlinien den Schutt nach dem Hafen transportierten. Dort, wo einst prunkvolle Geschäftsgebäude standen und elegante Läden mit blitzenden Spiegelscheiben zum Kaufen einluden, erhoben sich nun grell angemalte Bretterbuden, in denen die Abenteurer aus aller Herren Ländern lärmten, nicht anders als in irgendeinem mining camp im wildesten Westen. Irgendwo, an einer besonders belebten Ecke, gähnte weithin unter den Trümmern eine große Kelleröffnung, durch die es ein- und ausging wie in einen Bienenstock. An der Öffnung wehte ein mächtiges Sternenbanner an einer hohen Fahnenstange. An einem weithin sichtbaren Schild stand zu lesen:
First National Bank
Entrance Here!
Bei näherem Hinsehen waren noch zahllose andere derartige Höhlenwohnungen zu entdecken. Banken, Zeitungsredaktionen, Restaurationen hatten sich alle in ihre Keller zurückgezogen, wo sie nach Möglichkeit den Betrieb so fortsetzten wie gewöhnlich. Über jeder Höhlenwohnung aber wehte eine Fahne als Wahrzeichen des wieder in Gang gesetzten Betriebs. Das brachte eine freundliche und hoffnungsvolle Note, die gar keine traurige Stimmung aufkommen ließ, in dies Bild der Zerstörung, und man war wohl geneigt, jenem Spaßvogel zuzustimmen, der da an dem stehengebliebenen Eisengerüst eines Wolkenkratzers ein weithin sichtbares Schild mit den Worten anbringen ließ:
Crashed brut not crushed
Down but not out!
Noch nie war in San Francisco der Optimismus so zu Hause gewesen wie damals, in den Zeiten des Unglücks. Von allen Enden der Erde kam das unruhige Volk der Abenteurer, das überall dabei sein muß, wo etwas los ist, sei es nun eine neu entdeckte Goldmine, oder eine Weltausstellung, oder nur eine Feuersbrunst oder ein Erdbeben; die Schar der beutelustigen Habenichts, die bei jeder Störung des Gleichgewichts der sozialen Ordnung noch immer aus dem Boden schießen wie das Unkraut unter den Hexenfüßen. Jeder „box car“, der aus dem Osten kam, spie neue Scharen aus. Von Australien, von Neuseeland, von Europa selbst kam eine Schiffsladung nach der anderen. San Francisco war abgebrannt. Da gab es Dollars zu verdienen beim Wiederaufbau. Da brauchte man Handwerksleute und musste sie bezahlen! Der Buchhalter kaufte sich eine Säge und nannte sich Zimmermann. Tanzmeister gingen unter die Maurer. Es gab eine große Umgruppierung aller Berufe. Zwischen den Ruinen baute sich ein Zeltlager von nie gesehener Größe auf. Nicht einmal zu Sutters Zeiten hatte der Name San Francisco einen solchen Klang! Die ganze Welt war lebendig von San-Francisco-Fahrern; von solchen, die geschwellt mit tausend Hoffnungen, zum Goldenen Tor zogen, und anderen, die mit leerem Geldbeutel, aber um eine Erfahrung reicher, von dorther kamen. Denn dieser Wiederaufbau wollte nicht so schnell und reibungslos vonstatten gehen, wie man das damals schon mit amerikanischem Überschwang in die Welt hinausschrie, während noch das Feuer in den Straßen wütete. Erdbeben oder Feuer – das war hier die Frage. Schon seit Jahresfrist rauften sich die Advokaten hierüber vor den verschiedenen Gerichtshöfen. Je nach dem Ausfall der verschiedenen Entscheidungen gaben die Banken Kredit auf die zu erwartenden Versicherungssummen oder entzogen ihn wieder. Und dementsprechend war es tot oder lebendig auf den Baustellen. Es war ein Generalstreik mit Unterbrechungen.
Faber, Kurt
Rund um die Erde. Irrfahrten und Abenteuer eines Grünhorns
Ludwigshafen 1924