Reiseliteratur weltweit

Geschichten rund um den Globus

1853 - Ida Pfeiffer
San Francisco

27. September. Morgens kam der Pilot an Bord und geleitete uns durch das "Goldene Tor' (so wird die Einfahrt genannt) in die Bay von San Francisco. Diese, obwohl so ziemlich denselben Charakter tragend wie die Küste, der wir zuerst ansichtig wurden, ist doch im ganzen schön zu nennen. Sie ist von einer Fülle von Bergen, Hügeln und Felspartien umgeben, die in den mannigfaltigsten Gruppen bald vortreten, bald zurückweichen, ferner besitzt sie viele kleine Eilande und bildet Buchten, Becken und Straßen, so daß der Blick fortwährend gefesselt bleibt. Ihre Länge beträgt 45 Meilen, ihre größte Breite 12. Wir glitten an den Ziegen- und Vogel-Eiländchen  vorüber und warfen endlich Anker vor der Stadt selbst, die zwölf Meilen von der Einfahrt liegt und sich in bedeutendem Umfange auf vielen Sandhügeln ausbreitet.
   Den zerstreut umher liegenden Häuschen gönnt man zwar noch nicht das Recht, zur eigentlichen Stadt gezählt zu werden; allein da die Stadt in so raschem Aufblühen ist und sich gewiß mehrere Meilen nach allen Richtungen ausbreiten wird, so werden sie wohl bald dazu gehören. Die eigentliche Stadt besteht bloß aus den Teilen, welche knapp am Strande liegen, wo sich die hölzernen Quais und die Magazine befinden. Die Bevölkerung des Ganzen (der Stadt und der sogenannten Vorstädte) wird auf einige sechzigtausend Seelen gerechnet.
   Die Häuser in den Vorstädten und in der Umgebung sind sehr klein und von Holz; sie liegen ohne die geringste Regelmäßigkeit und Ordnung, das eine in der Tiefe, das andere auf steilen, spitzen Sandhügeln, was einen höchst erbärmlichen Anblick gewährt. Die Stadt dagegen besitzt schon viele große, zwei bis drei Stock hohe, gemauerte Häuser, die zum Teil auf Plätzen stehen, wo noch vor kurzem die See war, und zwar mit einer Tiefe, daß die größten Schiffe vor Anker gehen konnten. Da nämlich die Sandhügel auf allen Seiten beinahe senkrecht aus dem Meer stiegen, war man gezwungen, sie teilweise abzutragen, mit dem hinuntergeworfenen Sand die See zurückzudrängen und so eine künstliche Fläche für die Geschäftsstadt zu bilden. Diese Arbeiten sowie auch die hölzernen Quais und Werften überraschten mich mehr noch als die großen Häuser. Man kann nicht umhin, beide Unternehmungen als Riesenwerke zu betrachten, wenn man bedenkt, wie kurze Zeit das Land von Amerikanern und Europäern in Besitz genommen ist, wie weit man das Holz für die Quais und Werften zu führen hatte und wie über alle Maßen teuer die Handwerker und die gemeinen Arbeiter waren und noch heutzutage sind. Die ausgedehnten Quais und Werften, in eine Linie nebeneinandergestellt, würden gewiß eine Länge von vielen Meilen betragen. Die See ist an der Küste so tief, daß Schiffe von zwei- bis dreitausend Tonnen an den Quais anlegen können.
   Kalifornien oder Neu-Mexiko gehörte zu dem Staate Mexiko, wurde im Jahre 1846 von den Amerikanern nach einjährigem Krieg erobert und im selben Jahr am 7. Juli zu Monterey den nordamerikanischen Staaten feierlich einverleibt. Die Bevölkerung dieses neuen Staates mochte damals an 150.000 Seelen betragen, von welchen der größte Teil Indianer waren; heutzutage wird sie auf 300.000 geschätzt.
   Das erste Goldlager wurde bei Coloma im Distrikt Eldorado durch General Sutter bei Ziehung eines Mühlgrabens im Juli 1848 entdeckt. Man stieß mit der Schaufel auf einen harten Gegenstand, den man im ersten Augenblick beinahe ununtersucht beiseite geworfen hätte. Doch die besondere Schwere erregte Aufmerksamkeit, und bei genauerer Untersuchung ergab sich, daß es ein reiner Goldklumpen war. Die Goldausfuhr betrug bis Ende 1849 ungefähr zwanzig Millionen Dollars, im Jahre 1850 vierzig Millionen. Seitdem rechnet man sie durchschnittlich per Monat auf fünf Millionen, welche Schätze alle nach den Vereinigten Staaten und Europa gehen.
   ...
   Einen äußerst drückenden und beängstigenden Eindruck machten anfänglich auf mich die engen, niedrigen Wohnungen, in welchen die Leute hier leben. Die größten Gemächer sind so winzig, daß man in den meisten Wohnungen gewiß in Verlegenheit käme, wenn zehn bis zwölf Personen zur Tafel eingeladen wären. Von den Kämmerchen und Nebengemächern will ich schon gar nicht reden, die sind alle wie für Liliputaner. Mir fiel dies natürlich um so mehr auf, da ich gerade aus Batavia kam, wo jeder Empfangssaal so groß ist daß man ganze hiesige Häuser hineinstellen könnte. Solche Grillenhäuser, aus welchen jetzt noch die Hälfte der Stadt besteht, besitzen gewöhnlich fünf bis sechs Behältnisse, die man mit großem Unrecht "Zimmer" nennt. Die Einrichtung ist reich, meistens überreich, so daß die vielen schönen Möbel dem armen Bewohner beinahe den ganzen Raum stehlen. Die Fußböden sind mit kostbaren Teppichen belegt, die Wände mit Tapeten und Spiegeln bedeckt.
   Auch in den neugebauten großen Ziegelhäusern sind die meisten Gemächer sehr klein, besonders die Schlafkammern; man sagte mir, dies sei amerikanische Sitte.
   Ausgezeichnet groß und schön fand ich dagegen die Verkaufslokale: Viele können mit jenen der größten europäischen Städte in die Schranken treten, so reich an Waren, so zierlich arrangiert und so prachtvoll sind sie. Die größten und schönsten Warenlager findet man in der Sacramento-Kle-MontgomeryStraße und auf der Plaza. An Spiel-, Kaffee-, Wein- und Tanzhäusern ist die Stadt überfüllt. Theater gibt es bereits sechs, in welchen Englisch, Französisch, Deutsch und Spanisch gespielt wird. Zeitungen erscheinen dreizehn, große Buchdruckereien bestehen achtzehn, außerdem noch viele kleine, die heute entstehen und morgen wieder verlöschen. Kirchen von allen denkbaren Sekten sind sechsundzwanzig erbaut, die meisten davon ganz unbedeutend.
   Das gesellschaftliche Leben ist sehr großartig. Wer sich darin gefällt, findet gewiß jeden Abend in häuslichen und öffentlichen Zirkeln mehr Unterhaltung, als er wünschen kann. Bei Einladungen wird in Hülle und Fülle aufgetischt. Was nur bei den Diners auffiel, war, daß es nirgends Servietten gab, oder so kleine wie für Puppen. Dies kommt von dem hohen Preis, der für das Waschen verlangt wird: Man zahlt per Dutzend Stücke, groß oder klein, drei Dollars (ein Dollar à vier Schilling englisches oder zwei fl. österreichisches Geld); man gibt daher in den meisten Familien nur die größeren Stücke außer Haus und sucht allen überflüssigen Aufwand an Wäsche so viel wie möglich zu vermeiden. Überhaupt findet man hier, infolge der übertrieben hohen Preise vieler Gegenstände, die höchste Ökonomie an der Seite der größten Verschwendung. Manche Familien mit vier bis sechs Kindern halten nur eine Magd, während es an prächtiger Hauseinrichtung, Garderobe, Gesellschaften und Unterhaltungen nicht fehlt.

Pfeiffer, Ida
Reise in die Neue Welt
Amerika im Jahre 1853
Hrg. von Gabriele Habinger
Wien 1994

Reiseliteratur weltweit - Geschichten rund um den Globus. Erlebtes und Überliefertes aus allen Teilen der Welt. Entdecker – Forscher – Abenteurer. Augenzeugenberichte aus drei Jahrtausenden. Die Sammlung wird laufend erweitert – Lesen Sie mal wieder rein!