Reiseliteratur weltweit

Geschichten rund um den Globus

1864 - Eliza Andrews
Auf den Straßen des Bürgerkrieges
Georgia

Samstag, 24. Dezember 1864. Endlich in Macon; die erste Möglichkeit, Tagebuch zu schreiben, seit wir letzten Montag von zu Hause abgereist sind. Vater ging mit uns zu Barnett und übergab uns dann an Fred, der von Augusta gekommen war, um uns abzuholen und bis nach Mayfield zu begleiten. In Camack stiegen wir um und der Wagen war buchstäblich gestopft voll Leuten, die die gleiche Reise machten wie wir. Seit der Zerstörung von Eisenbahnlinien durch Shermans Armee bewegen sich alle Verkehrsströme zwischen den westlichen und östlichen Teilen unserer armen kleinen Konföderation zwischen Mayfield und Gordon. Mett und ich und noch zwei Damen, die wir im Zug in Camack getroffen hatten, waren die ersten, die sich über das Nichts wagten - fünfundsechzig Meilen schlechter Straße und noch schlechterer Fahrzeuge, durch ein Land verwüstet von der grausamsten und bösesten Invasion der modernen Zeit.
   Als wir den überfüllten Wagen bestiegen, überließen uns zwei junge Offiziere ihre Sitzplätze und sorgten dafür, daß wir es möglichst bequem hatten, während Fred sich um das Gepäck kümmerte. Nicht weit von uns saß ein gutaussehender Mann mittleren Alters in der Uniform eines Obersten, neben sich ein hüsches junges Mädchen, von der gleich klar war, daß sie seine junge Frau war. Sie waren von einer Zahl Offiziere umgeben; wir hörten Teile ihrer Unterhaltung mit und die neunmalkluge junge Frau amüsierte uns sehr - sie hatte offensichtlich gerade erst die Schule verlassen. Die einzige andere Dame im Wagen war ganz damit beschäftigt, sich um ihren Mann zu kümmern, einen verwundeten Offizier der Könförderierten, von dem wir später hörten, es sei Major Bonham aus Süd-Carolina.
   Von Camack nach Mayfield sind es nur elf Meilen, aber der Weg war so schlecht und der Wagen so schwer, daß wir fast zwei Stunden brauchten. Manche Sitze hatten keine Rückenlehne und manche keine richtige Sitzfläche, und die Straße war so uneben, daß an manchen Stellen der Wagen seitwärts kippte, als ob er umfallen und uns alle ausspucken wollte. Wir aßen im Wagen - das heißt, Fred aß und Metta und ich beobachteten die Leute. Es war sehr heiß und ich schwitzte wie eine Dampfmaschine unter meiner doppelten Ladung an Kleidern, die ich angezogen hatte, um Platz im Koffer zu sparen. Um drei Uhr nachmittags kamen wir nach Mayfield, einem einsamen Schuppen am derzeitigen Bahnhof. Fred hatte Mr. Belisle, einen seiner Männer, vorausgeschickt, um ein Transportmittel zu besorgen, und er begrüßte uns mit einem kleinen gefederten Wagen, der uns am gleichen Abend für vierzig Dollar nach Sparta bringen sollte. Er hatte kein Verdeck, war aber das beste verfügbare Vehikel, denn er war gefedert, und alle anderen nicht. Es gab das Postfach, das über ein Dach verfügte, aber dahinein paßten unsere Koffer nicht, und es sah eigentlich sogar zu schwächlich aus, um Postsäcke darin zu transportieren. Wir bestiegen unseren kleinen Wagen, und alle anderen waren bald so voll, daß sie aussahen wie eine Abordnung von der Frau, die in einem Schuh lebte; Schwärme von Leuten, die keinen Platz auf Deichsel oder Achse fanden, mühten sich zu Fuß ab. Der Oberst und seine Frau waren gerade dabei, einen alten, groben Plantagenwagen zu besteigen, der schon überladen war; Fred sagte, sie sei zu hübsch, um in einer solchen Klapperkiste zu fahren, und bot ihr einen Platz in unserem Wagen an, der mit Freuden angenommen wurde. Wir machten auch noch Platz für Dr. Shine, einen Offizier ihrer Gruppe, von dem wir hinterher erfuhren, daß er ein Freund von Belle Randolph war.
   Etwa eine Meile hinter Mayfield hielten wir an einer gottvergessenen Landkneipe, wo Fred uns an Mr. Belisle übergab, um dort zu übernachten und am nächsten Tag nach Augusta zurückzukehren. Nach dem Abschied fühlte ich mich sehr traurig, aber wir kamen bald mit dem Oberst und seiner jungen Frau ins Gespräch; die Herren zu Fuß kamen dazu, und dann sangen wir Rebellenlieder und waren eine sehr nette Gesellschaft.
   Wir waren noch nicht weit gekommen, als große Regentropfen aus einer großen dräuenden Wolke fielen, die langsam von Nordwest über uns aufgezogen war. Die junge Frau spannte einen feinen kleinen Sonnenschirm aus Seide auf, über den wir alle lachen mußten; Metta und ich nahmen unsere Hüte ab und setzten Kapuzen auf und legten Schals um, und ein junger Hauptmann, der zu Fuß hinter uns her zog, beeilte sich, seinen Überzieher anzubieten. Als wir merkten, daß er von einer Yankee-Kugel am Arm verwundet war, versuchten wir, für ihn noch einen Platz im Wagen zu schaffen, aber es war unmöglich, noch jemanden hineinzuquetschen. Ralph, der Kutscher, mußte zu Fuß gehen, damit es Platz für Dr. Shine gab, und ging als Führer in der Dunkelheit voraus.
   Kurz nach Einbruch der Nacht kamen wir zu einem Gasthof fünf Meilen vor Sparta, wo der alte Mann lebt, der der Vermieter unserer Wagen war, und wir hielten an, um ihn zu bezahlen und zu essen, falls jemand das wollte. Es heißt, er sei märchenhaft reich, und alles Land meilenweit in der Runde gehöre ihm, aber wie ein Reicher lebt er nicht. Er ist gelähmt und ans Bett gefesselt, aber so hinter dem Geld her, daß Gäste zu ihm ans Bett geführt werden, um ihn in seine Hand zu bezahlen. Metta und ich blieben im Wagen; wir schickten Mr. Belisle hinein, um die Rechnung zu begleichen, aber die Herren aus unserer Gruppe, die hineingingen, sagten, es wäre schrecklich anzusehen, wie seine zittrigen Finger die Scheine umkrallten, die sie ihm gegeben hatten, und die mißtrauischen Blicke, die er um sich warf, damit ihn auch keiner betrüge. Nachdem sie wieder draußen waren, konnten sie lange Zeit über nichts anderes reden. Wir machten hier fast eine Stunde Rast; die Pferde wurden gewechselt und die Kutscher bekamen zu essen. Um das Haus gab es einen schönen Hain von Bäumen, aber der Wind machte ein gräßliches Geheul in den Kronen, und unheilverkündende ferne Donnergeräusche ließen uns unruhig werden. Vor den Ställen brannten große Feuer und warfen unheimliche Schatten auf die Gruppen von Soldaten, die drumherum versammelt waren und ihre Pfeifen rauchten und ihre schmalen Rationen kochten; die blitzenden Uniformen der konföderierten Offiziere, die aus und ein eilten, machten die Szene sehr lebendig. Viele kamen zu uns an den Wagen, um zu fragen, ob sie etwas für uns tun könnten, und die Anwesenheit dieser tapferen Jungs gab mir ein angenehmes Gefühl von Sicherheit und Schutz. Dr. Shine brachte uns einen Grog, und der Oberst und der Hauptmann hätten uns unter Mänteln und Decken begraben, wenn wir sie nur gelassen hätten.
   Als die Pferde bereit waren, ging es weiter in Richtung Sparta, das sich so zu entfernen schien, wie wir ihm näher kamen. Dr. Shine als Kutscher kannte den Weg nicht, und mußte die Pferde nach Ralphs Anweisungen lenken, der vorneweg marschierte und kommandierte »Nu nach rechts! Nu geradeaus! Achtun, Meister, da is ein tiefes Loch links!« und so weiter, bis auf einmal der langgefürchtete Regen einsetzte und alles durcheinanderbrachte. Jemand rief in der Dunkelheit: »Verwünschtes Sparta! Kommen wir denn nie hin?« und Ralph brachte alle zum Lachen mit seiner Antwort: »Yessir, yessir, wir sind ja schon in den Vororten!« Und siehe da, bei der nächsten Straßenbiegung sahen wir die Lichter des Dorfes vor uns leuchten. Wir fuhren direkt zu Mr William Simpson, und als Metta und ich ausgestiegen waren, fuhr der Wagen mit seinen anderen Passagieren weiter zum Hotel. Wir wurden so herzlich von Belle und ihrer Mutter empfangen, daß wir für den Moment all unseren Kummer vergaßen.
   Ein großes, lustiges Feuer brannte hell im Wohnzimmer, und als ich in einen weichen Sessel sank, fühlte ich mich zum ersten Mal müde.
   Am nächsten Morgen war der Himmel bedeckt, draußen war alles kalt und tropfte und ein kalter Wind war aufgekommen, der die nackten, regenschweren Zweige einer großen Ulme gegen unser Fenster schlug. Sobald der Hausdiener das Feuer in Gang gebracht hatte, kam Mrs. Simpson's Zofe, um uns beim Ankleiden zu helfen; sie brachte einen Grog aus feinem alten Pfirsichschnaps, mit weißem Zucker gesüßt. Ich ließ Metta einen großen Schluck davon nehmen, um sie für die Reise zu stärken, denn sie schien sehr schwach zu sein; aber da sie an geistige Getränke nicht gewöhnt ist, brachte es sie so durcheinander, daß nicht mehr geradeaus gehen konnte. Ich war zu Tode erschrocken, aber bald ging es ihr wieder gut und sie fühlte sich dann durch diese unbeabsichtigte Zecherei gestärkt; darüber mußten wir lachen.
   Es gab ein königliches Frühstück, und während wir es aßen, kam Mr Belisle, der die Nacht im Hotel verbracht hatte, mit einem Wagen mit vier Maultieren vorgefahren. In diesem Wagen hatte er Plätze für uns und unser Gepäck nach Milledgeville bekommen, zu siebenundfünzig Dollar das Stück. Es war ein normaler Plantagenwagen, ohne Verdeck oder Federung, und ich sah, wie Mr. Simpson voll schlechter Vorahnungen seinen Kopf schüttelte, als wir davonklapperten, um am Hotel die anderen Passagiere aufzunehmen. Es gab weitere ähnliche Gefährte, die bereits überladen vor der Tür des Hotels standen; und sobald wir hielten, stürzte eine Reihe Reisender vom Bürgersteig auf uns los, um einen Platz in unserem Wagen zu ergattern. Der erste, der den Wagen erklomm, war ein armer kranker Soldat, von dem keine Bezahlung verlangt wurde. Der nächste war ein Hauptmann der Texas Rangers, dann ein junger Leutnant in einer schäbigen Uniform, die offenbar harte Zeiten hinter sich hatte, und dann unser Hauptmann von gestern abend. Er brummte ein bißchen über das Aussehen unseres Gefährtes, aber als er herausfand, daß wir damit reisen würden, beeilte er sich, einen Platz zu bekommen.
   Wir freundeten uns bald mit unseren neuen Reisegefährten an, obwohl wir einander nicht bei Namen kannten. Metta und ich merkten, daß sie vor Neugier über uns fast platzten und wir hatten Spaß daran, sie im Dunkeln zu lassen. Der Hauptmann sagte, er sei aus Baltimore, und es war eine ausreichende Einführung, als wir darauf kamen, daß er die Elzeys und die Irwins kannte, und den gutaussehenden Ed Carey, den ich letzten Winter in Montgomery kennengelernt hatte, und der mir immer erzählte, ich erinnere ihn so an seine Kusine »Connie«.
    Etwa drei Meilen außerhalb von Sparta kamen wir in das »Verbrannte Land«, wie es die Einheimischen so treffend nennen. Nun konnte ich den Zorn und die Verzweiflung dieser armen Leute verstehen. Fast wäre ich imstande gewesen, einen Yankee mit eigenen Händen aufzuhängen. Kaum ein Zaun war stehengeblieben an der ganzen Strecke zwischen Sparta und Gordon. Die Felder waren niedergetrampelt und die Straße gesäumt mit Kadavern von Pferden, Schweinen und Rindern, die die Eindringlinge mutwillig erschossen hatten, weil sie sie selber nicht essen oder mitnehmen konnten; die Leute sollten hungern und die nächste Ernte verhindert werden. Der Gestank war an manchen Stellen unerträglich; alle paar hundert Meter mußten wir uns die Nasen zuhalten oder mit dem Eau de Cologne betäuben, das Mrs. Elzey uns mitgegeben hatte und das uns nun sehr gute Dienste leistete. Die Häuser, die noch standen, zeigten alle Zeichen von Plünderung, und auf jeder Plantage sahen wir die zerstörten Reste von Wirtschaftsgebäuden und hier und da waren einsame Schornsteine, »Sherman's Schildwachen«, Zeugen von Heimstätten, die jetzt in Schutt und Asche lagen. Diese infamen Lumpen! Jetzt wunderte ich mich nicht mehr, daß die armen Leute einen Strick um den Hals jeden Teufels legen wollten, den sie erwischen konnten. Heuschober und Getreidescheunen waren zerstört, Futterkrippen leer, und jeden Ballen Baumwolle, den sie finden konnten, hatten die Wilden in Brand gesteckt. Ich sah kein Korn Getreide, gleich welcher Art, außer wenigen Überresten dort, wo sie ihre Pferde gefüttert hatten; jetzt gab es nicht mal mehr ein Huhn, um sie aufzupicken. Ein Sack Hafer hätte irgendwo am Straßenrand liegen können, ohne Gefahr, daß Vieh sich darüber hätte hermachen können; hungrige Leute schon eher. Trupps von Soldaten waren unterwegs in beiden Richtungen; den ganzen Tag war es wie in den belebten Straßen einer Stadt. Die meisten waren zu Fuß, und ich sah viele am Straßenrand sitzen, gierig rohe Rüben verschlingend, Fleischschwarten, trockene Maiskörner - alles, was sie finden konnten, sogar die Körner, die Sherman's Pferde übrig gelassen hatten. Ich war versucht, anzuhalten und unsere Körbe mit Lebensmitteln in ihren Schoß zu leeren, aber die schrecklichen Erzählungen von dem, was noch vor uns lag, ließen Klugheit über Großzügigkeit siegen.
   Die Landstraßen aber waren in besserem Zustand als man hätte erwarten können, und wir kamen ziemlich schnell vorwärts, denn unsere vier Maultiere waren kräftig und in guter Verfassung.
   Etwa auf halbem Weg nach Milledgeville fing es an zu regnen. Die Herren schnitten Äste ab, bogen sie über den Wagen und spannten die Armeedecke des Leutnants darüber, so daß sie einen guten Schutz abgab. Unser nächster Halt war ein altes verkommenes Haus, wo es einen schönen Brunnen gab. Den hatten die Yankees in Ruhe gelassen, vermutlich, weil er nicht tragbar war.
   Vor der Überquerung des Oconee bei Milledgeville kamen wir einen großen Hügel hinauf, von dem aus man einen schönen Blick auf die Stadt hat; Gouverneur Browns Befestigungen waren im Vordergrund zu sehen und der Fluß zu unseren Füßen. Die Yankees hatten die Brücke verbrannt, deshalb mußten wir auf einer Fähre hinüber. Es gab eine lange Schlange von Fahrzeugen vor uns, und es dauerte fast eine Stunde, bevor wir an die Reihe kamen, so daß wir reichlich Zeit hatten, uns umzusehen. Zu unserer Linken war ein Feld, auf dem 30.000 Yankees vor kaum drei Wochen gelagert hatten. Es war übersät mit Abfall und Überresten, die sie hinterlassen hatten, und die armen Leute aus der Nachbarschaft gingen darüber auf der Suche nach irgendetwas Eßbarem; sie sammelten sogar das verstreute Korn auf, das beim Füttern der Pferde verstreut worden war. Man sagte uns, zuerst wären eine Menge Kostbarkeiten gefunden worden - Beutegut, das die Eindringlinge zurückgelassen hatten -, aber diese Stelle war nun so oft durchsucht worden, daß nicht mehr viel übrig geblieben war als ein paar Baumwollflocken, halbverschimmeltes Getreide und die Kadaver von geschlachteten Tieren, die fürchterlich stanken. An einem Ende des Feldes wurde gepflügt als Vorbereitung für die Ernte im nächsten Jahr.
   Beim Hotel von Milledgeville ging es nicht mehr weiter. Gruppen von Männern in Uniform gingen rastlos die Galerien auf und ab wie eingesperrte Tiere im Zoo. Sobald unser Wagen herankam, stürzten sie sich darauf, aber unsere Herren behielten die Kontrolle und hießen Mett und mich im Wagen sitzen bleiben, während sie sich drinnen nach einer Unterkunft erkundigten.

Andrews, Eliza Frances
The War-Time Journal of a Georgia Girl 1864 -1865
New York 1908
Übersetzung: U. Keller

Abgedruckt in:
Keller, Ulrike (Hg.)
Reisende in den USA 1541 – 2001
Wien 2002

Reiseliteratur weltweit - Geschichten rund um den Globus. Erlebtes und Überliefertes aus allen Teilen der Welt. Entdecker – Forscher – Abenteurer. Augenzeugenberichte aus drei Jahrtausenden. Die Sammlung wird laufend erweitert – Lesen Sie mal wieder rein!