1862 - Charles Alexander Eastman
Jugenderinnerungen eines Sioux-Indianers:
Über die Weißen
Gewehre und verschiedene andere Gegenstände, die uns die französischen Kanadier gebracht hatten, hatte ich bereits gesehen, besaß also schon eine geringe Kenntnis von den übernatürlichen Gaben der Weißen; was ich aber an jenem Morgen vernahm, überstieg alle meine bisherigen Begriffe und Kenntnisse von diesem wunderbaren Volk. Man erzählte, sie hätten den Missouri und Mississippi überbrückt, und bauten von Stein und Ziegeln, die sie aufeinander schichteten, mächtige Häuser, die Bergeshöhe erreichten. Wie schwer lasteten alle diese Berichte auf meinem Gemüt! Endlich faßte ich mir ein Herz und fragte meinen Onkel, warum das Große Geheimnis den Uatschitschun und nicht uns Dakota solche Macht gäbe.
»Warum verlieh es Duta, Rot, die Geschicklichkeit, schöne Pfeile und Bogen zu fertigen, und ließ Uatschi-sni, Tanzt-nicht, leer ausgehen an Gaben und Handfertigkeiten? Das Große Geheimnis weiß, warum es so und nicht anders handeln muß«, antwortete er.
»Warum vermehren sich die Langmesser so viel mehr als die Dakota?« fuhr ich fort.
»Man sagt, und ich glaube, daß es wahr ist, daß sie größere Familien als wir haben. Einmal besuchte ich das Haus eines laschitscha, eines Deutschen, und zählte nicht weniger als neun Kinder, von denen das älteste höchstens fünfzehn Jahre alt sein konnte. Als mein Großvater zuerst unten an der Mississippimündung die Weißen aufsuchte, gab es dort verhältnismäßig nur wenige; späterhin besuchte mein Vater ihren Großen Vater, den Präsidenten, in Washington, und da hatten sie sich bereits über das ganze Land verbreitet.
Diese Weißen müssen ein herzloses Volk sein, haben sie doch einen Teil ihrer Mitmenschen zu Dienern gemacht, ja selbst zu Sklaven. Wir konnten früher nicht glauben, daß es wirklich Sklavenhalter gäbe, diese Langmesser scheinen aber doch solche zu sein. Sie haben, wie ich glaube, ihre Dienstboten vor langer Zeit einmal schwarz angemalt, um sie gut unterscheiden zu können, und nun haben ihnen diese Sklaven immer Kinder in derselben Farbe geboren.
Der größte Wunsch ihres Lebens ist wohl, reich zu werden und großen Besitz zu erwerben. Sie hätten am liebsten die ganze Welt zu eigen! Vor etwa dreißig Jahren machten sie den Versuch, uns unser Land abzukaufen. Nun ist es ihnen durch den Aufstand ganz zugefallen, und wir sind aus allen unseren schönen Besitztümern vertrieben.
Es sind merkwürdige Leute. Den Tag haben sie so in Stunden zerlegt, wie man sonst die Monate des Jahres einteilt; sie messen tatsächlich alles und jedes aus. Nicht einer von ihnen würde soviel wie eine Rübe seines Landes hergeben, ohne dafür den vollen Wert zu fordern. Ich kann es wohl verstehen, daß die reichen Leute Feste veranstalten und viele Menschen zu sich laden; ist aber das Fest zu Ende, so müssen die Gäste für das, was sie gegessen und getrunken haben, ehe sie das Haus verlassen, bezahlen. Ich selbst sah am Weißen Fels in St. Paul in Minnesota einen Mann, der mit einer messingnen Trommel und Glocke Leute an seinen Tisch lud; hatte er sie glücklich eingefangen, so mußten sie für das, was sie verzehrten, bezahlen.
Man erzählte mir auch, »sagte mein Onkel, »aber ich kann es kaum glauben, daß ihr größter Häuptling, der Präsident, jedermann zwingt, ihm für das von ihm bewohnte Land, für alle seine persönlichen Güter, ja selbst für seinen eigenen Lebensunterhalt jedes Jahr Geld zu geben. (Dies waren seine Ansichten über Steuern.) Unter solchen Gesetzen könnten wir Indianer nicht leben.
Beim Ausbruch des großen Aufstandes glaubten wir, unsere Zeit sei gekommen, wußten wir doch, daß die Langmesser Streit unter sich wegen ihrer Sklaven hatten. Man sagt, ihr großer Häuptling habe in einem Landesteil die Erlaubnis gegeben, Sklaven zu halten, sie in einem anderen hingegen verweigert. So war einer auf den andern eifersüchtig, und der Krieg brach aus. Die volle Wahrheit und Bedeutung dieser Berichte kannten wir allerdings damals nicht.
Eine Weile vor Ausbruch der Unruhen in Minnesota erschienen einige Gebetsmänner bei uns. Sie feierten jeden siebenten Tag als heiligen Tag, an dem sie in einem eigens zu diesem Zweck erbauten Hause zusammenkamen, sangen, beteten und von ihrem Großen Geheimnis redeten. Ich war nie in einer solchen Versammlung, erfuhr aber, daß sie ein besonderes, großes Buch hatten, aus dem sie lasen. Jedenfalls waren diese Leute sehr verschieden von allen anderen weißen Männern, die wir bis dahin kennengelernt hatten, denn diese hielten keinen Tag heilig, wir sahen sie niemals beten, und sie erzählten uns nichts von ihrem Großen Geheimnis.
»Im Krieg haben sie Anführer und Häuptlinge von verschiedenem Rang. Die gemeinen Soldaten werden dem Feinde wie eine Herde Antilopen entgegengetrieben. Wegen dieser Kampfesweise des Zwanges und Mangels an persönlicher Tapferkeit zählen wir keine Coups bei ihnen. Ein einzelner Krieger von uns kann einem ihrer großen Heere in einem unzugänglichen Lande viel Schaden zufügen.«
Diese Unterredung mit meinem Onkel gab mir die erste klare Vorstellung von einem weißen Mann.
C. A. Eastman
Ohijesa - Jugenderinnerungen eines Sioux-Indianers
Hamburg 1913, 4. Auflage