1847 - John Palliser
Mississippidampfer nach New Orleans
Am frühen nächsten Morgen legte ein Mississippi-Dampfer an, auf dem ich mir eine Passage nach New Orleans buchte. Die »Great Missouri« war zu jener Zeit vermutlich das großartigste Schiff auf dem Fluß; sie verkehrte regelmäßig zwischen St. Louis und New Orleans. Der Damensalon war prachtvoll ausgestattet und bot Luxus wie Sofas, Schaukelstühle und ein Klavier. Dieser Raum war, wie auf allen Flußdampfern üblich, eigentlich eine Fortsetzung des allgemeinen Speisesaales. Die Damen können ihren Salon abends jederzeit abtrennen, wenn sie sich zurückziehen wollen, indem sie versteckte Schiebetüren bis zur Mitte vorziehen. Die Schlafkabinen liegen an den Seiten des Salons und können von dort aus betreten werden. Jede Kabine verfügt über zwei Betten; wenn nicht zu viele Passagiere an Bord sind, kann man die Kabine gegen einen kleinen Aufpreis ganz für sich allein bekommen.
Außerhalb der Kabinen an Deck befindet sich ein Umgang, so daß sich die Passagiere an der frischen Luft bewegen können, gleichzeitig aber von dem Deck darüber vor der Sonne geschützt sind. Auch von diesem Umgang führen Türen zu den Kabinen; sie liegen den Türen gegenüber, durch die man den Salon betritt. Das Oberdeck wird von Pfosten getragen, die auf dem Passagierdeck aufgeschraubt sind, und auf diesem Deck steht das gläserne Steuerhaus mit einem wasserfesten Holzdach. Von hier aus hat der Lotse gute Sicht auf den Fluß, die er auch sehr braucht, um die zahlreichen Baumstümpfe und seichten Stellen umfahren zu können, die eine ernste Gefahr für die Sicherheit des Schiffes darstellen. Nun sollte ich vielleicht meinen Lesern erklären, was es mit den Baumstämmen im Fluß auf sich hat: Bäume oder Teile von großen Bäumen treiben im Fluß und werden durch Sandbänke oder ähnliches festgehalten, und da sie häufig kaum sichtbar sind, kann nur das erfahrene Auge des Lotsen sie an der Kräuselung des Wassers erkennen. Diese Stellen auszumachen gelingt nur mit großer Aufmerksamkeit und langer Erfahrung; es ist genau wie bei einem Jäger, der den Spuren des Wildes über die Prärie folgt.
Wir kamen mit diesem wunderbaren Schiff sehr schnell voran, im Durchschnitt mit fast 30 km pro Stunde, denn wir wurden vom Strom geschoben. Wir fuhren an riesigen Wäldern auf beiden Ufern vorbei, die aus einer Art Pappeln verschiedenen Alters bestanden, was sehr hübsch
aussah und daher kommt, daß der Fluß mit seinen scharfen Biegungen häufig sein Bett verändert und sich auf den dadurch entstehenden fruchtbaren Sand- und Schlammbänken vom Wind herangetragene Samen der alten Bäume ansiedeln. Die verschiedenen Abstufungen an Miniatur-Wäldern, die so entstehen, bringen eine erfreuliche Abwechslung in die sonst monotone Landschaft, Mir kamen oft Gedanken über die Vergleichbarkeit dieser Wälder mit menschlichen Völkern, die von einem Mutterland aus Kolonien bilden.
Die Bäume werden hauptsächlich als Brennholz für die Dampfer genutzt. Leute werden bezahlt, um sie zu schlagen, zu zerkleinern und am Ufer aufzustapeln; die Matrosen bringen das Holz dann an Bord. Ungefähr drei Mal jeden Tag wird Brennholz eingenommen; das dauert jedes Mal etwa anderthalb Stunden, da die Matrosen das Holz auf den Schultern über die Gangplanken auf das Schiff bringen müssen; so kann man häufig an Land gehen, während das Schiff Holz einnimmt.
Das Leben an Bord eines Flußdampfers ähnelt dem im Hotel, nur ist es noch angenehmer. Kurz nach Sonnenaufgang läutet eine Glocke, man steht auf und geht dann zum Waschraum, wo man für ein paar Cent auch baden kann. Beim Verlassen des Bades begegnet man höchstwahrscheinlich einem fröhlichen schwarzen Friseur, der sich verbeugt und an der Tür seine Messer wetzt. Er wartet nur auf Deine Zustimmung, um gegen eine kleine Summe seine Rasierkunst an Deinem Kinn auszuprobieren.
Kaum ist er damit fertig, hörst Du auch schon den Barkeeper rufen: »Also Gentlemen, treten Sie näher, treten Sie näher, was darf es denn sein?« Und mit diesen Worten beginnt die Reihe der Brandy Smashes, Mint Juleps, Gin Slings und Whisky Cocktails. Gewisse Herren kann man dann beobachten, wie sie sich mit tränenden Augen an den Frühstückstisch setzen, hervorgerufen durch einen allzugroßen Schluck Whisky oder Wermut, der allerdings sehr elegant als Hustensaft bezeichnet wird.
Eine Glocke ruft zum Frühstück, doch kann man schon vorher Männer beobachten, die jeweils hinter ihrem Stuhle stehen, die Hände fest um die Lehne gespannt und bereit, sich auf den Sitz zu werfen, sobald der schwarze Arm des weiß gekleideten Kellners den Klöppel und damit die Gäste in Bewegung setzt.
Der Kapitän sitzt am oberen Ende des Tisches, sein Leutnant ihm gegenüber am unteren Ende. Vor sie werden große Platten mit brutzelnden Beefsteaks gesetzt; sie stehen auf Wärmebecken aus Zinn, deren Wasser mit Spritbrennern kochendheiß gehalten wird. Die Gäste werden von schwarzen Kellnern bedient, die Kaffee, Tee und anderes servieren. Nach dem ersten Frühstück wird das zweite serviert, diesmal für die Offiziere des Schiffes und für diejenigen, die nicht zahlende Passagiere sind, und darauf folgt das dritte Frühstück für alle Farbigen. Während dieser Zeit sitzen die Passagiere, nun gesättigt, an Deck, rauchen und lesen Zeitung; die neuesten Zeitungen kommen in den verschiedenen Städten, die das Schiff anläuft, an Bord.
Man verbringt den Tag mit großem Behagen in dem Bewußtsein, daß man sich mit großer Geschwindigkeit seinem Ziele nähert, daß man je nach Laune schreiben oder lesen kann und dazu noch immer genügend Zeit zum Essen, Trinken und Rauchen hat und das Leben ganz allgemein genießen kann. Bevor das Abendessen angekündigt wird, scharen sich die Passagiere noch einmal um die Bar, deren Keeper mächtig damit zu tun hat, mit den Bestellungen seiner Kunden Schritt zu halten; einige beschäftigen ihn, bis das Essen serviert wird; dann stürzen sie wie schon zum Frühstück an den Tisch. Zum Essen selber wird nur sehr selten etwas anderes als Wasser getrunken, und wenn der Tisch erst abgeräumt ist, löst sich auch die Gesellschaft auf, ohne daß auch nur ein Glas Wein verlangt worden wäre. Es gelang mir nie, jemanden zu finden, der mit mir das Vergnügen einer Flasche Madeira geteilt hätte; alle meine Einladungen dazu wurden nur mit: »Danke, aber ich habe gegessen!« beantwortet.
Die Gewohnheit, die anregenden Getränke vor dem Essen zu genießen, kann vermutlich mit dem Einfluß des schlaff machenden Klimas der südlichen Staaten erklärt werden. Der Körper verlangt hier eine Art Tonikum, um den Appetit anzuregen und um die Verdauung zu fördern. Ich halte diese Gewohnheit nicht für gut und stellte in heißem Klima immer wieder fest, daß Stimulanzien, die den Appetit anregen sollen, mehr schaden als nützen. Am besten ist es, einfach zu warten, bis sich der Hunger einstellt, oder, wenn irgend möglich, vor dem Essen ein Nickerchen von einer halben Stunde zu machen. Später fand ich, daß die Gewohnheit, Wein nach englischer Art zu trinken - das heißt langsam und genießerisch in gutem Gespräch nach dem Essen -, sich in den größeren Städten unter den wohlhabenden und einflußreichen Geschäftsleuten langsam verbreitet.
Ab und zu, wenn auch nicht sehr oft, begegnet man an Bord der großen Flußdampfer der feinen Gesellschaft. Das ist meistens dann der Fall, wenn der heiße Sommer viele Angehörige dieses Teils der Gesellschaft dazu bringt, nach Norden zu reisen. Sie bilden dann oft Gruppen und sind zusammen unterwegs. Wenn das geschieht und ganz besonders, wenn eine Gruppe attraktiv ist, weil viele junge und liebenswürdige Damen dazu gehören, konnte ich oft beobachten, daß auch junge Männer, die möglicherweise schon länger mit ihnen bekannt sind, sich diesen Gruppen anschließen; einzig und allein für die Flußreise und für das Vergnügen, mit diesen jungen Damen zusammen zu sein, mit ihnen viel Musik zu hören und um im großen Damensalon zu tanzen, der dann für diesen Zweck hergerichtet wird.
Wir kamen rasch nach Süden, vorbei an vielen Baumwollplantagen, die den Schwarzen fast das ganze Jahr über leichte Arbeit bieten, vom Unkraut) jäten bis zur Ernte; bis das abwechslungsreiche Panorama an den Ufern von Missouri und Arkansas schließlich aus unserem Blickfeld verschwand und wir Louisiana und seine Zuckerplantagen sehen konnten.
Mit der Annäherung an New Orleans wird die Landschaft sehr interessant, und das Auge erblickt nun den fremdartigen Gegensatz von luxuriösen Plantagen mit Orangenbäumen, wohlriechenden Sträuchern und seltenen Pflanzen, die oft auf die zarte Hand und den ausgezeichneten Geschmack einer vornehmen kreolischen Dame zurückzuführen sind und die finsteren Wald, düstere Sümpfe und unzugängliches Schilfdickicht langsam verdrängen.
New Orleans muß in jedem Besucher starke Gefühle des Vergnügens und der Verwunderung hervorrufen. Man kann mit Recht behaupten, daß die Stadt dem Fluß abgerungen worden ist, und zwar mit Hilfe von Dämmen, den sogenannten Levees, ungefähr so, wie das auch in Holland der Fall ist.
Die Stadt ist in mehrere Bezirke aufgeteilt, und obwohl diese oft nur durch eine einzige Straße voneinander getrennt sind, glaubt man auf der einen Seite in England zu sein, und auf der anderen vergißt man, daß man nicht in Frankreich ist - so ausgeprägt sind die Unterschiede, die überall zum Ausdruck kommen: in den Gebäuden, in den Gewohnheiten der Bewohner und sogar auf den Schildern über den Türen der Läden und Werkstätten, die in den Bezirken in unterschiedlichen Sprachen geschrieben sind. Diese Unterschiede zeigen sich ebenso deutlich an den Bewohnern der Stadt. Der Amerikaner ist im wesentlichen englisch - obwohl er das Gegenteil möchte -, er ist es in seinen Geschäftsgewohnheiten, in seinem Gespräch, in seiner Vorliebe, seine Abende zu Hause bei seiner Familie zu verbringen statt bei öffentlichen Vergnügungen. Dem Kreolen hingegen, obwohl auch er Geschäftsmann sein kann, mangelt es an der kühnen Spekulation und an der unermüdlichen Arbeitswut des Anglo-Sachsen, und er trachtet sich mit Sparsamkeit und dem Abschluß von vorteilhaften Geschäften über Wasser zu halten, während der Amerikaner immer darauf aus ist, seinen Profit durch eine Vergrößerung seines Geschäftes zu vermehren. Der Kreole geht vor allem, wie schon angedeutet, mit seiner Zeit sparsam um und nicht in erster Linie mit seinem Geld. Im Gegenteil, mit dem Dollar ist er oft großzügig und manchmal sogar ein wenig verschwenderisch. Der Kreole hat auch die Fähigkeit, Geschäft Geschäft sein zu lassen, wenn die Stunde dazu kommt, und verbringt seine ziellosen Abende mit einer Zeitung, im Théatre Français oder ganz einfach bei einer Tasse Kaffee. Der Amerikaner dagegen arbeitet bis mitten in die Nacht, wenn die Geschäfte es erfordern, und ist sogar um zwei Uhr morgens noch im Büro zu finden, wenn es darum geht, Arbeit bis zur Abfahrt des wöchentlichen Dampfers nach England zu erledigen.
Nach meiner Ankunft in New Orleans ging ich ins »St. Charles Hotel«, ein riesiges Gebäude in griechischem Stil mit einem schönen Dom wie der von St. Paul; es sieht mehr nach einer Kathedrale als einem Hotel aus und macht vom Flusse aus einen ganz gewaltigen Eindruck. Ich blieb aber nicht lange dort, denn nachdem ich meine Empfehlungsschreiben herumgereicht hatte und mit einigen neuen Freunden gegessen hatte, überredeten mich diese sehr freundschaftlich, bei ihnen zu Hause zu wohnen.
New Orleans ist von großem Charme: Die alte spanische Architektur hüllt die Stadt in ein romantisches Fluidum, das leider sonst in der amerikanischen Zivilisation mit Absicht unterdrückt wird.
Die Veranden, Portes Cochères, und die kleinen kreolischen Häuser - ganz aus Holz gebaut, einstöckig und auf die Straße schauend - sind alle sehr malerisch. Ich genoß meinen Aufenthalt sehr und werde die Freundlichkeit und die Gastlichkeit nie vergessen, die ich von allen Seiten erfuhr. Unter den Kreolen herrscht eine Einfachheit, eine herzliche Wärme, die den Fremden sich bei ihnen schnell zu Hause fühlen läßt, ganz besonders, wenn dieser Fremde von »La Grande Bretagne« kommt und dadurch des Willkommens überall sicher ist.
Ich sollte meinen Lesern an dieser Stelle die genaue Bedeutung des Begriffes »kreolisch« erläutern, zumindest seine Bedeutung in Amerika. Es heißt »im Lande geboren« und bezieht sich auf alle, die von den französischen und spanischen Gründern der Kolonie abstammen. Nichts würde die Gefühle und den Stolz eines kreolischen Gentleman oder einer kreolischen Dame mehr verletzen als eine Andeutung, daß das Wort Kreole irgend etwas mit der Abstammung von Farbigen zu tun hat.
Die deutlichen Unterschiede zwischen den französischen und englischen Bezirken der Stadt, wie ich sie oben beschrieben habe, zeigen sich auch an den Bewohnern.
Den Kreolen, ob arm oder reich, erkennt man leicht am französischen Schnitt seiner Kleidung und an der Form seines Hutes und vielleicht auch an seinem Bart nach französischer Mode. Möglicherweise ist er schmuddelig und unrasiert und eher sparsam mit der Zurschaustellung von zu viel oder zu sauberem Weiß. Jetzt aber sieh Dir den Amerikaner an, der auf der anderen Straßenseite daherkommt! Seine Kleidung wurde nicht von einem »verdammten französischen Schnippschnapp« angefertigt, sondern in einem Kleiderladen fertig gekauft. Sein Gesicht ist glatt rasiert, und auch wenn er einen Bart trägt, wird er es diesem nie erlauben, sich bis auf sein Kinn vorzuwagen. Er trägt keine Handschuhe, aber seine Hände sind immer sauber, und so ist auch sein makellos weißes Hemd, das er oft überdeutlich zur Schau stellt, denn er trägt selten eine Weste, und sein weiter Rock ist immer aufgeknöpft. Auf der Brust trägt er eine große Nadel - vielleicht einen Diamanten, vielleicht ein Stück Glas: Ist schon recht, mach nur so weiter, Jonathan, trotz all Deiner Fehler (und wer von uns hat keine) bist Du doch ein nobler Kerl.
Wie schwierig es doch ist, etwas zu schätzen und zu bewundern, ohne es mit etwas anderem zu vergleichen. Vergleiche sind fehl am Platz, aber vermeiden kann man sie nicht, weil die Kontraste zwischen einer amerikanischen und einer kreolischen Dame dem Fremden so ausdrücklich vor Augen geführt werden, wenn er in die Gesellschaft von New Orleans eingeführt wird. Die arme Amerikanerin ist wie eine exotische Pflanze. Schon das Klima liegt ihr nicht, sie fühlt sich matt in der Hitze, und ihr auch noch so gutes Aussehen schwindet sehr schnell. Dazu zieht sie sich sehr unkleidsam an, wenn auch teuer. Ihre Auswahl an Farben ist weit gefächert, aber nicht gut, und wenn sie erst angezogen ist, hängen die Kleider um sie herum, als ob sie ins Wasser gefallen und wieder herausgefischt worden wäre. Wenn sie tanzt, tut sie es sehr unbeholfen und ist schon nach ein oder zwei Quadrillen - nur selten wagt sie sich an etwas Lebendigeres heran - müde.
Die Kreolin dagegen vereint die »Naiveté« des spanischen Mädchens mit der polierten Eleganz der französischen Dame, deren Toilette sie denn auch bis ins letzte Detail kopiert. Wenn auch nicht sehr teuer gekleidet, so ist ihre herrlich gerundete Figur mit einer exquisiten Sorgfalt herausgeputzt, so daß sie zum Schmuck für die Oper und zum Licht und Leben jedes Ballsaales gereicht. Sie tanzt leidenschaftlich gern und ist dabei nicht nur lieblich anzusehen, sondern auch unermüdlich.
Palliser, John
Solitary Rambles and Adventures of a Hunter in the Prairies
London 1853
Übersetzung: U. Keller
Abgedruckt in:
Keller, Ulrike (Hg.)
Reisende in den USA 1541 – 2001
Wien 2002