Reiseliteratur weltweit

Geschichten rund um den Globus

Um 1845 - Ferdinand Römer
Auf einer Plantage in Texas

Da wir mehrere Stunden vor Sonnenuntergang von Rutersville fortritten, so hoffen wir die von dort nur dreizehn englische Meilen entfernte Plantage Nassau noch an demselben Tage zu erreichen. Allein diese Erwartung sollte getäuscht werden, denn bald nachdem die Dunkelheit eingebrochen war und wir der Berechnung nach nur noch wenige Meilen von der Plantage entfernt sein konnten, kamen wir vom rechten Wege ab; nachdem wir mehrere Stunden in Wiesen und Gebüschen umhergeirrt waren, nötigte uns endlich die eigene Ermüdung und noch mehr diejenige unserer Pferde, das Vorhaben, noch an diesem Tage das Ziel unserer Reise zu erreichen, aufzugeben. Wir sattelten unsere Pferde ab, banden sie mit einem langen, von jedem Reisenden zu diesem Zweck stets mitgeführten Stricke (rope), der ihnen reichlich Spielraum zum Abweiden des Grases gewährte, an einige einzeln stehende Lebenseichen und streckten uns selbst in das Gras nieder, bei dem prachtvollen Sternenhimmel und der milden Nachtluft viel weniger ein Obdach, als nach dem langen Ritte ein kräftiges Nachtessen, welches wir auf der Plantage zu finden gehofft hatten, vermissend. Doch auch der letztere Übelstand wurde durch den sich bald einstellenden Schlaf überwunden.
   Während des Umherreitens in der Irre wurden wir durch ein Schauspiel unterhalten, welches in gleicher Lebhaftigkeit ich niemals in Texas gehabt zu haben erinnere. Leuchtkäfer flogen nämlich über dem langen Grase der Prärie in so ungeheurer Menge und einen so lebhaften Glanz ausstrahlend umher, daß das Auge im eigentlichen Sinne dadurch geblendet oder verwirrt wurde und man in einem Feuerregen sich zu befinden glaubte.
   Am folgenden Morgen wurden wir schon früh durch Hahnenschrei geweckt und, als wir den Schlaf aus den Augen reibend, um uns blickten, da lag, wie zu Verhöhnung, in ganz geringer, kaum mehr als einen Büchsenschuß betragenden Entfernung das Herrenhaus der gesuchten Plantage auf einem Hügel vor uns.
   Wir überraschten die ganze Bewohnerschaft des Hauses noch im Schlafe, und zwar nicht im Innern desselben, sondern auf der das Haus umgebenden Vorhalle oder Galerie (porch). Bald nachher ließ ein kräftiges, aus Kaffee, gebratenem Schinken mit Eiern und Maisbrot bestehendes Frühstück, bei welchem ein barfüßiges kleines Negermädchen mit dem romantischen Namen »Amanda« aufwartete, die Entbehrungen des vorigen Tages vergessen.
   Im Laufe des Tages nahmen wir Gelegenheit, uns Lage und Einrichtung der Plantage näher anzusehen.
   Die Plantage Nassau wurde im Jahre 1843 von dem Grafen von Boos-Waldeck, der in Gesellschaft des Fürsten von Leiningen längere Zeit in Texas zur Untersuchung der auf eine deutsche Kolonisation bezüglichen Verhältnisse verweilte, für Rechnung eines Teils der später zu dem Mainzer Verein zusammengetretenen Personen angelegt.
   Es gehören zu derselben 4440 acres [1.800 km²] Land, d.i. eine sogenannte League oder Quadrat-Legua. Der größere Teil davon ist offene Prärie, ein geringerer Teil bewaldet. Vortreffliche Eichenstämme zum Hausbau und für Fencen sind in Menge vorhanden und besonders reich ist die Plantage an dem für viele Zwecke so wertvollen Zedernholze.
   Das Wohn- oder Herrenhaus ist aus behauenen und sorgfältig ineinander gefügten, horizontal übereinander liegenden Eichenstämmen gebaut. Es zerfällt nach landesüblicher Weise in zwei Hälften, so daß in der Mitte ein offener, bedeckter Durchgang bleibt, der im Sommer den Bewohnern einen vorzugsweisen kühlen und angenehmen Aufenthalt gewährt. Die beiden längeren Seiten des Hauses sind gegen Norden und Süden gewendet, so daß der im Sommer herrschende Südwind durch jenen mittleren Raum freien Durchzug hat. An diesen beiden Seiten springt auch das vorn durch hölzerne Pfeiler gestützte Dach etwa 10 Fuß weit vor und bildet die schon erwähnten Vorhallen, deren Boden etwa 2 Fuß über der Erde liegt. An den beiden Enden des Hauses stehen zwei aus Bruchstein erbaute, die Firste des Daches mehrere Fuß überragende Kamine, welche dem Ganzen besonders ein stattliches Aussehen geben, da bei der Mehrzahl der ländlichen Wohnungen in Texas diese Kamine nur aus dünnen, im Gevierte übereinander gelegten Holzscheiten, deren Zwischenräume mit Erde oder Ton ausgefüllt sind, erbaut zu sein pflegen.
   Neben dem Herrenhaus steht noch ein gewöhnliches Blockhaus, welches die Negerfamilie, der die Bedienung obliegt, bewohnt. Das Haupt dieser Familie war ein sehr wertvoller Neger, der außer andern Fertigkeiten das Schmiedehandwerk gründlich verstand und leicht drei Dollars täglich mit der Ausübung dieses Gewerbes verdienen konnte. Mehrere Male war Gelegenheit gewesen, ihn für 2.000 Dollars zu verkaufen. Da er sich stets als ein ordentlicher Mann betragen hatte, so wurde er auch immer mit einer gewissen Rücksicht behandelt und er rühmte sich, während dreißig Jahren keinen Schlag von seinem Herrn bekommen zu haben. Ein in der Behandlung der Neger noch unerfahrener deutscher Aufseher der Plantage hatte ihn einmal wegen eines angeblichen Ungehorsams gleich den gewöhnlichen Feldnegern mit Schlägen bestrafen wollen; allein dieser Zumutung hatte er sich widersetzt, war dann entlaufen und hatte nur durch Zusicherung der Straflosigkeit zur Rückkehr bewogen werden können.
   Freilich darf man sich auch nicht wundern, daß bei solchen Negern, die es an Fähigkeiten und sittlicher Entwicklung den Weißen gleich tun, das Bewußtsein der Menschenwürde erwacht. Mit Beziehung auf den zuletzt erwähnten Vorfall soll hier beiläufig bemerkt werden, daß Deutsche selten verstehen, mit einer größeren Anzahl von Negern richtig umzugehen. Es erfordert dies die Vereinigung großer Entschiedenheit mit einer gewissen milden Nachsicht, und das richtige Maß von beiden zu treffen, ist nur bei einer näheren Kenntnis der Gemütsart des Negers möglich.
   Die zu der Plantage gehörigen Wirtschaftsgebäude liegen etwa einen Büchsenschuß weit vom Wohnhause entfernt am Fuße des Hügels. Es sind Stallungen, Vorratshäuser, Negerwohnungen und ein Haus für den Aufseher (overseer). Alle sind rohe, aus halbbehauenen Stämmen erbaute, mit Schindeln gedeckte Blockhäuser, die, wie meistens Gebäude der Art auf amerikanischen Pflanzungen, keinen besonders freundlichen Anblick gewähren und an Nettigkeit und Solidität sich mit den Wirtschaftsgebäuden eines größeren deutschen Landgutes gar nicht vergleichen lassen.
   Es befanden sich damals neunzehn Neger, Männer und Weiber, auf dem Gute, was eine verhältnismäßig nur unbedeutende Zahl ist, denn auf den Zucker- und Baumwollplantagen am Brazos sind deren nicht selten fünfzig vorhanden und auf den großen Zuckerplantagen in Louisiana steigt ihre Zahl häufig auf hundert und mehr.
   Von den 4440 Ackern waren 420 »eingefencet« (wie es im amerikanischen Deutsch heißt), d.h. mit einer festen Umzäunung versehen und 200 davon waren unter Kultur. In den früheren Jahren war besonders Baumwolle gebaut, in diesem Jahr hatte man es für vorteilhafter gehalten, besonders Mais, Tabak und Kartoffeln zu pflanzen. Der Einertrag der Plantage war übrigens seit der Anlage niemals sehr groß gewesen, was schon deshalb erklärlich ist, weil keiner der Eigentümer sich dauernd hier aufgehalten und deshalb die Sorge für das Ganze dem Aufseher oder Verwalter, in dessen Person außerdem mehrfacher Wechsel eintrat, überlassen blieb.
   Die Gegend, in welcher die Plantage Nassau liegt, ist, wie überhaupt der Strich zwischen La Grange und San Felippe, ein ziemlich charakterloses Hügelland, in welchem offene Prärie und Eichenwaldung abwechseln, und durch welches mehrere kleine, träge fließende und wasserarme Bäche sich durchwinden. Die eigentümlichen Pflanzenformen des westlichen und südlichen Texas, die Yuccas, Cactus und Mezquitabäume fehlen hier und nichts erinnert daran, daß man sich in einem halbtropischen Land befindet; plötzlich hierher versetzt, könnte man sich vielmehr in manchen Gegenden Deutschlands, z.B. in gewissen Teilen des bergischen Landes am Rhein glauben. An landschaftlicher Anmut und Freundlichkeit steht dieser Landstrich den Gegenden des westlichen Texas entschieden nach; auch die Weiden sind dort besser, denn wenn auch Gras im Überfluß vorhanden, so ist es nicht das zarte und und nahrhafte Mezquita-Gras der Prärien zwischen Guadelupe und dem San-Antonio-Flusse. Dagegen hat diese Gegend den Vorteil einer größeren Nähe der Seeküste und leichterer Verbindung mit den Stapelplätzen des Landes sowie auch im Durchschnitt einen größeren Reichtum an Bauholz vor den genannten Teilen des westlichen Texas voraus.

Römer, Ferdinand
Texas
Bonn 1849

Abgedruckt in:
Keller, Ulrike (Hg.)
Reisende in den USA 1541 – 2001
Wien 2002

Reiseliteratur weltweit - Geschichten rund um den Globus. Erlebtes und Überliefertes aus allen Teilen der Welt. Entdecker – Forscher – Abenteurer. Augenzeugenberichte aus drei Jahrtausenden. Die Sammlung wird laufend erweitert – Lesen Sie mal wieder rein!