1778 - Friederike von Riedesel
Als Kriegsgefangene von Boston nach Virginia
Es war im Monat November 1778, als wir den Befehl bekamen, nach Virginien zu gehen. Mein Mann fand glücklicherweise und kaufte mir einen hübschen englischen Wagen, so daß ich bequemer reiste als vorher. Mein kleines Gustchen hatten einen der Adjudanten meines Mannes, den Kapitän Ermonson, gebeten, uns unterwegs nicht zu verlassen. Das Zutrauen dieses Kindes rührte ihn, er versprach's, und hielt es auch treulich.
Ich reiste immer und oft auf ganz unwegsamen Straßen. Der Kapitän, der sehr stark und immer bei der Hand war, sprang bei jeder gefährlichen Stelle vom Pferde und hielt unseren Wagen. Unser alter Jäger Rockel, der bei mir war und sich bei seiner Hilfe sehr wohl befand, weil er selbst bereits sehr ermüdet war, blieb öfters ruhig auf seinem Bocke sitzen, und rief nur: Kapitän! Gleich war dieser von seinem Pferde herunter. Ich wollte nicht, daß er sich diese Freiheit heraus nähme; den guten Kapitän belustigte es aber so sehr, daß er mich bat, es gut sein zu lassen.
Ich hatte immer Provisionen [Proviant] bei mir, aber in einem zweiten Fuhrwerke. Da dieses nun nicht so geschwind wie wir fortkonnte, so fehlte es mir öfters an allem. Als wir einmal einen Ort namens Herford [Hartford] passierten, wo wir einen Rasttag machten, begegneten wir daselbst dem [französischen General] Lafayette, den mein Mann zum Essen bat, weil derselbe sonst nichts hatte finden können. Dieses setzte mich etwas in Verlegenheit, weil ich wußte, daß er einen guten Tisch liebte; endlich fand ich doch Mittel und Wege, vermittelst aller meiner Provisionen ihm noch ein ganz gutes Mittagessen zusammen zu stoppeln. Er war so höflich und artig, daß er uns allen sehr gefiel. Er hatte viele Amerikaner in seinem Gefolge, die aus der Haut hätten fahren mögen, daß wir immer französisch sprachen. Vielleicht befürchteten sie, da wir auf einem so freundschaftlichen Fuße mit ihm waren, daß wir ihn denselben abspenstig machen könnten, oder er uns Sachen anvertrauen möchte, die wir nicht wissen sollten. Er sprach viel von England und von der Gnade, die der König für ihn gehabt, ihm alles zeigen zu lassen. Ich konnte mich nicht enthalten, ihn zu fragen, wie er es über das Herz bringen könne, so viel Gnadenbezeigungen in dem Augenblick vom König anzunehmen, da er im Begriff gestanden, abzureisen, um gegen ihn zu fechten. Er schien über meine Anmerkung etwas beschämt, und antwortete mir: »Es ist wahr, der Gedanke ging mir durch die Seele, so daß, als mir eines Tages der König anbot, mir seine Flotte zeigen zu lassen, ich erwiderte, daß ich hoffte, sie eines Tages zu sehen, und dann heimlich wegging, um aus der Verlegenheit zu kommen, es noch einmal ablehnen zu müssen.«
Andere gaben ihm schuld, daß er als Spion in England gewesen, von wo er gleich nachher nach Amerika ging.
Einen Abend kamen wir an einen hübschen Ort, unserer Beiwagen aber hatten uns nicht folgen können, und wir konnten es vor Hunger nicht mehr aushalten. Da ich sehr viel Fleischwerk in dem Hause bemerkte, in welchem wir eingekehrt waren, so bat ich die Wirtin, mir etwas zu überlassen. »Ich habe vielerlei«, antwortete sie mir; »da ist Rindfleisch, Kalbfleisch und Hammelfleisch.« Der Mund lief mir schon voll Wasser. »Gebe sie her«, sagte ich, »ich werde es ihr gut bezahlen«. Sie schlug mir hierauf ein Schnippchen fast unter der Nase und sagte mir: »Nichts sollt ihr haben! Warum seid ihr aus Eurem Land gekommen, um uns tot zu machen, und unser Hab und Gut aufzuzehren? Nun ihr unsere Gefangene seid, so ist nun die Reihe an uns, euch zu quälen.« »Seht«, antwortete ich, »diese armen Kinder, sie kommen fast um vor Hunger!« Sie blieb unbeweglich. Als aber endlich mein dritthalbjähriges Töchterchen Caroline an sie herankam, sie bei der Hand ergriff und ihr auf englisch sagte: »Gute Frau, ich bin sehr hungrig!« So konnte sie nicht länger widerstehen, nahm sie mit in die Stube und gab ihr ein Ei. »Nein«, sagte die gute Kleine, »ich habe noch zwei Schwestern!« Da ward die Frau gerührt, und gab ihr drei Eier, und sagte: »Ich ärgere mich über mich selbst, ich kann aber dem Kinde nicht widerstehen!« Nun ward sie auch sanfter, und bot mir Brot und Milch an. Ich machte für uns Tee. Die Frau sah uns lüstern zu, denn die Amerikaner liebten ihn sehr, hatten aber beschlossen, ihn nicht mehr zu trinken, da bekanntermaßen die Auflage auf den Tee den Krieg veranlaßt hatte. Ich bot ihr eine Tasse an, und schenkte ihr noch dazu ein Tütchen Tee. Dieses erweichte sie vollends, und sie bat mich, ihr in die Küche zu folgen, wo ich den Mann fand, der an einem Schweineschwanz kaute, während die Frau mir zu meinem großen Vergnügen einen Korb Kartoffeln aus dem Keller holte. Als sie wiederkam, reichte er ihr seinen Leckerbissen, sie lutschte auch daran, und gab ihm denselben hernach wieder, worauf er wieder anfing, davon zu schmausen. Ich sah dieser sonderbaren wechselseitigen Traktierung mit Verwunderung und Ekel zu; er aber glaubte, daß mich der Hunger ihn beneiden machte, und reichte mir das bereits ganz abgenagte Stück hin. Was sollte ich tun? Schlage ich es aus, dachte ich, so wird er beleidigt, und ich komme um meinen lieben Korb Kartoffeln. Ich nahm es also an, tat, als wenn ich davon äße, und praktizierte es hernach sachte ins Feuer. Nun war unser Frieden völlig gemacht. Man gab mir meine Kartoffeln, und ich machte eine gute Suppe davon mit guter Butter. Überdies räumte man uns auch nun drei hübsche Stuben mit guten Betten ein.
Den anderen Morgen reisten wir weiter, und zogen überall die Neugierde der Einwohner auf uns. Als wir das Ufer des Hudsonflusses erreicht hatten, wurden wir bei einem Schiffer untergebracht, wo man uns, und noch dazu aus Gnaden, eine halb ausgebaute Stube ohne Fenster gab; wir hingen die Nacht Decken davor, und schliefen auf einer Streu, weil unser Baggagewagen zerbrochen war, und wir also keine Betten hatten, wie auch leider weder Kaffee noch Tee noch Zucker, welches oft auf dieser Reise unsere ganze Labung ausmachte.
Unsere Wirtin, eine wahre Furie, erlaubte uns endlich am anderen Morgen, als unsere Sachen angekommen waren, in ihrer Stube zu frühstücken, da es im Monat Dezember war, und wir in unserer Stube kein Feuer machen konnten. Wir konnten sie aber nicht dazu bewegen, uns einen Tisch für uns allein zu geben; und nicht einmal durften wir uns eher an den ihrigen setzen, bis sie mit ihren Kindern und Leuten mit dem Frühstück fertig war, welches in Überbleibseln vom Abendessen, Kohl, Schinken und dergleichen, und Kaffee mit grobem Zucker bestand; wonach sie uns ihren ganzen Schmutz hinterließ, so daß wir erst alles rein machen mußten, ehe wir was gebrauchen konnten. Und doch verlangte sie, daß wir alles wieder in Ordnung brächten, und ihr Teller und Tassen rein überbrächten. Bei der geringsten Einwendung wies sie uns die Tür. Sie tat dies alles, um uns zu quälen, denn sie war eine Erz-Anti-Royalistin.
Unglücklicherweise bekamen wir einen Sturm und widrigen Wind und konnten also den Fluß ohne Gefahr nicht passieren, wie uns der Schiffer selbst versicherte. Die böse Frau bestand darauf, daß wir fort sollten, und nur mit vielen Bitten konnten wir erlangen, noch zwei Tage bleiben zu dürfen. Den dritten Tag kam der Mann mit verlegener Miene, um anzukündigen, daß wir fort müßten. Ich bat ihn, unsere Gefahr zu bedenken, und uns wenigstens zu begleiten, da ich dann mehr Mut haben würde, die Überfahrt zu wagen. Er versprach, uns selbst hinüber zu bringen, und wir schifften uns auf einem kleinen Fahrzeuge mit einem Segel ein; wie wir aber vom Lande abstießen, springt unser Mann hinaus und davon, und läßt uns einen einzigen Schiffsknecht, der sich noch dazu nicht recht darauf verstand, das Steuerruder zu führen; so daß wir wegen seiner Unwissenheit und wegen des widrigen Windes länger als fünf Stunden den Fluß immer bald hinauf, bald hinunter fuhren, bis wir endlich nach tausend Ängsten an das jenseitige Ufer anlandeten; wir mußten noch bis an die Knie durch Morast waten, ehe wir an das Haus des Obersten Hoxborn kamen, eines sehr reichen Mannes, wo wir logieren sollten.
Dort erhielt ich eine zwar kleine, aber gute Stube für mich, meinen Mann, unsere Kinder und meine beiden Frauensleute, in welcher wir aber auch mit den Adjudanten frühstücken und zu Mittag und Abend essen mußten. Da ich wegen ganz durchnäßter Füße die Strümpfe zu wechseln wünschte, so bat ich unsere Offiziere, so lange hinauszugehen. Sie wollten sich inzwischen in der Küche etwas wärmen, als auf einmal der Wirt hereinkam, sie beim Arm nahm und mit den Worten hinauswies: » Wie, ihr garstigen Royalisten! Ist es nicht genug, daß ich euch beherberge, könnt ihr mich nicht einmal in Ruhe lassen!« Er kam eben wieder vom Felde, und sah in seinem groben tuchenen Kleide, seinem langen Bart und seiner schmutzigen Wäsche wie ein Bär aus, so daß uns vor ihm graute. Seine Frau aber war gut. Sie bat mich den folgenden Tag, der ein Sonntag war, nach Tisch bei ihr Kaffee zu trinken. Kaum hatte ich mich hingesetzt, als der Mann hereintrat, der nun ein besseres Ansehen hatte, nachdem er sich barbiert und seine Sonntagswäsche angezogen hatte. Da ich den Auftritt des vorigen Tages noch nicht vergessen konnte, so stand ich auf und wollte weggehen. Er machte aber die Tür zu und fragte mich: »Fürchten sie sich vor mir?" »Nein«, antwortete ich, »vor keinem, und nicht einmal vor dem Teufel, dem sie doch gestern so ähnlich sahen. « »Aber heute sehe ich doch besser aus« erwiderte er. »Ja«, sagte ich, doch suche ich Unhöflichkeiten aus dem Wege zu gehen.« Mein Benehmen, anstatt ihn zu verdrießen, gefiel ihm; er nahm mich bei der Hand, und drang in mich, daß ich meinen Platz wieder einnehmen sollte. »Ich bin nicht so böse, wie sie glauben«, sagte er, »Sie gefallen mir, und wenn ich keine Frau hätte, so würde ich sie heiraten.« » Aber wissen sie denn, ob ich sie nehmen würde?« erwiderte ich. »Das würde sich dann schon finden«, antwortete er, »ich bin sehr reich, diese ganze Landschaft ist mein, meine Frau ist schon alt, ich dächte, sie blieben gleich hier«. Von diesem Augenblick an konnte ich alles im Hause bekommen, denn die gute Frau war es gern zufrieden, mir von allem mitzuteilen, was sie für gewöhnlich hatten.
Wir mußten hier acht Tage bleiben, um unseren Truppen Zeit zu lassen, den Fluß zu passieren.
Riedesel, Friederike Charlotte Louise von
Berufsreisen nach Amerika: Briefe von 1776 – 1783
Berlin 1801 (2. Auflage)
Abgedruckt in:
Keller, Ulrike (Hg.)
Reisende in den USA 1541 – 2001
Wien 2002