1680 - Louis Hennepin
Der Mississippi ist schiffbar!
Fort Crèvecoeur, Peoria, Illinois
Als nun den 15. Januar ein starkes Tauwetter einfiel, ward der Fluß unterhalb des Dorfes offen; da bat mich Herr de la Salle, daß ich ihm Gesellschaft leiste und ihn an den Ort, welchen er zu einer kleinen Festung erwählen wollte, auf einem unserer Kähne begleite. Dieser Platz war ein kleiner Hügel, ungefähr zweihundert Schritt vom Ufer des Flusses entfernt, der sich zur Regenzeit bis an den Fuß des Hügels ergießt; zwei tiefe und breite Regenbäche befestigten zwei andere Seiten und einen Teil der vierten Seite; die vierte Seite sicherte man durch einen Graben, welcher die beiden Bäche zusammenführte. An der äußerlichen Abdachung dieser Gräben wurde eine Contrescarpe [Böschung] gemacht; die Höhe selbst wurde von allen Seiten abgedacht und mit Spanischen Reitern [Hindernissen] versehen, und damit die Erde nicht absinken konnte, wurde sie, wo es nötig war, mit starken Hölzern unterstützt; ringsherum aber wurden, damit man nicht plötzlich überfallen werden konnte, Palisaden, deren jede fünfundzwanzig Schuh hoch und einen dick war, gepflanzt. Den obersten Teil des Hügels ließ man in seiner natürlichen Gestalt, einem irregulären Viereck, und umschloß ihn nur mit einem guten Erdwall. Die Quartiere wurden in zwei Winkel gelegt, damit die Leute im Fall eines Überfalls alsbald bei der Hand sein konnten. Der Herr de la Salle und der Herr de Tonty nahmen ihr Quartier mitten im Platze; Pater Gabriel aber, Pater Zenoble und ich machten uns mit Hilfe der Arbeitsleute eine mit Brettern bedeckte Hütte zurecht, in welcher wir alle Morgen und Abend nach vollendeter Arbeit unser ganzes Volk im Gebet versammelten; und weil wir nicht mehr Messe halten konnten, da uns der Wein, den wir von den großen Trauben des Landes gemacht hatten, ausgegangen war, mußten wir an den Sonn- und Festtagen es damit bewenden lassen, daß wir Vesper sangen und nach vollendetem Frühgebet predigten. Die Schmiede wurde an der Waldseite der Kantine eingerichtet, und im Wald wurde Holz gefällt, um daraus zum Gebrauch der Schmiede Kohlen zu brennen.
Indem man aber an diesem Werke arbeitete, dachten wir einzig an unsere Entdeckung, und weil wir sahen, daß wir wegen des Entlaufens unserer Brettschneider wir schwerlich eine Barke würden bauen können, beschlossen wir eines Tages, unsere Leute zu fragen, ob unter ihnen einer wäre, welcher sich in freiem Willen unterfangen wolle, Schiffsdielen zu machen. Man hoffte, es sollte möglich sein, auch wenn es etwas mehr Mühe und Zeit kosten würde; und wenn es auch nicht möglich wäre, wäre es einen Versuch wert. Zwei unserer Leute erboten sich zu solcher Arbeit, und als sie es versuchten, ging es gut genug vonstatten, obwohl sie niemals dergleichen Werk unter Händen gehabt hatten. Hierauf fing man an, eine Barke zu bauen, zweiundvierzig Schuh lang und nur zwölf breit; daran wurde mit solchem Fleiß gearbeitet, daß trotz der Arbeit an der Festung Crèvecoeur die Dielen geschnitten, alles zur Barke gehörige Holzwerk gezimmert und gekrümmt am ersten Tag des März fertig lag.
Ich kann hier nicht unterlassen anzumerken, daß sonst der Winter in dem Lande der Illinosen nicht länger und härter zu sein pflegt als er gewöhnlich in der Provence in Frankreich ist. Diesmal aber währte der Schnee länger als zwanzig Tage; worüber sich die Wilden heftig verwunderten, die noch nie einen so harten Winter ausgestanden hatten. Der Herr de la Salle aber und ich hatten aber neue Sorge und Bekümmernis, welches vielleicht denjenigen, welche sich nie auf weiten Reisen und in Entdeckungen unbekannter Länder versucht haben, unglaublich sein wird. Die Festung Crèvecoeur war nun fast ausgebaut, alles Holz zum Bau einer Barke lag fertig in Bereitschaft da, wir hatten aber weder Taue noch Segel noch Eisen genug. Von unserer Barke, die wir auf dem See Dauphin [Michigan-See] gelassen hatten, wie auch von denjenigen, welche man ausgeschickt hatte, sich zu erkundigen, wo sie hingekommen wäre, hörte man nicht das geringste. Indessen sah der Herr de la Salle, daß der Sommer herbei rückte und daß, sofern er noch den einen und den anderen Monat umsonst wartete, unsere Reise um ein ganzes Jahr, und vielleicht gar um zwei oder drei verzögert wurde. Denn weil er so weit von Canada entfernt war, konnte er in dieser Angelegenheit keine Anordnung tun, noch verschaffen, daß ihm, was er vonnöten hatte, zugeführt würde.
In dieser äußersten Not faßten wir beiderseits einen Schluß, der nicht weniger ungewöhnlich als schwer zu vollziehen war. Ich, daß ich mit zwei Gefährten in unbekannte Lande, wo man alle Augenblick in Lebensgefahr ist, gehen, er , daß er zu Fuß mehr als fünfhundert Meilen nach der Festung Frontenac [am Ontariosee] reisen wolle. Der Winter war, wie vorher gemeldet, diesmal so hart in Amerika wie in Frankreich gewesen; er ging nun zu Ende; das Land war noch mit Schnee bedeckt, der weder zerschmolz noch so hart war, daß ein Mensch auf Raqueten darüber gehen konnte. Gleichwohl mußte er sich mit dem bei einer solchen Reiseart nötigen Gerät beladen, nämlich mit einem Mantel, einem Kessel, einer Axt, einem Rohr, Pulver und Blei, mit bereitetem Leder, Fußsohlen nach der Wilden Art, welche öfters kaum einen Tag währen, davon zu machen (denn diese, derer man sich in Frankreich bedient, sind in diesen Abendländern nicht gebräuchlich). Er mußte überdies sich entschließen, mitten durch Hecken und Sträucher zu kriechen, durch Moräste und geschmolzenen Schnee zu waten, und zwar zuweilen bis an den Gürtel ganze Tagereisen lang, öfters auch ohne Essen; weil er und drei andere, die mit ihm gehen sollten, nichts von Speise mit sich tragen konnten, sondern allein von dem leben sollten, was sie mit ihren Rohren schießen würden, und endlich dasjenige Wasser, was und so gut sie es unterwegs finden würden, zu trinken. Endlich mußte er stets und sonderlich nachts der Gefahr gewärtig sein, von vier oder fünf Nationen, die untereinander Krieg führen, überfallen zu werden. Diesen einen Vorteil hatte er aber, daß die Völker, durch deren Land er reisen mußte, die Franzosen kennen; hingegen hatten die, zu welchen ich ging, noch nie einen Europäer gesehen. Nichts desto weniger erschreckten ihn alle diese Schwierigkeiten so wenig wie mich; unser einziger Kummer war nur, unter unseren Leuten einige zu finden, welche stark genug wären, uns zu begleiten, und wie man verhüten konnte, daß die anderen, die bereits voller Furcht waren, nach unserer Abreise nicht alle davonliefen.
Einige Tage hernach fanden wir zu allem Glück ein Mittel, unseren Leuten die falschen Eindrücke, die die Illinosen auf Befehl des miamisischen Häuptlings Monso erweckt hatten, zu nehmen. Denn es kamen etliche Wilde von den entlegenen Nationen in die Dörfer der Illinosen; einer von ihnen bestätigte uns wegen die Schönheit des großen Flusses Colbert oder Meschasipi [Mississippi]; viele andere Wilde bekräftigten dies mit ihren Erzählungen, besonders ein Illinose, welcher uns bei unserer Ankunft insgeheim anvertraute, daß er schiffbar wäre. Allein diese Nachricht war nicht genug, unsere Leute zu überzeugen; deswegen wollten wir die Illinosen dahin bringen, daß sie es bekannt machten, obwohl wir Nachricht hatten, daß sie beschlossen hätten, uns etwas anderes zu erzählen; es ereignete sich aber, unsern Zweck zu erreichen, nachfolgende gute Gelegenheit. Ein junger Soldat von den Illinosen, welcher im Süden etliche Gefangene gemacht hatte und vor seinen Kameraden nach Hause gekommen war, ging an unserem Zimmerplatz vorüber. Man gab ihm indianisches Korn zu essen, und weil er von unten den Fluß Colbert heraufgekommen war, über den wir Nachrichten haben wollten, malte er uns mit Kohle eine ziemlich richtige Karte seines Laufes und versicherte uns, daß er überall mit seiner Piroge oder seinem Schifflein selbst gewesen sei, und daß es bis an das Meer, welches die Wilden den großen See nennen, weder Wasserfall noch Stromschnellen gäbe, sondern daß, weil der Fluß sehr breit werde, es an etlichen Orten Sandbänke und Sümpfe gäbe, die einen Teil des Flusses ausmachten. Er nannte uns auch die Völker, die an seinen Ufern wohnen, und die kleineren Flüsse, die er in sich schluckt. Ich habe diese alle aufgeschrieben, und sie können später in einem zweiten Teil unseres Entdeckungsberichtes von mir gemeldet werden. Wir dankten ihm mit einem kleinen Geschenk, daß er uns die Wahrheit, welche uns die Vornehmsten seiner Nation mit Lügen verstellt hatten, offenbart hatte. Er bat uns, ihn nicht zu verraten; und wir schenkten ihm eine Axt, um ihm nach der Wilden Gewohnheit, wenn sie jemand ein Geheimnis anvertrauen, zu belohnen.
Am folgenden Morgen, nach öffentlichen Gebet, gingen wir in den Flecken und trafen alle Illinosen in der Hütte eines der Angesehensten unter ihnen beisammen an; der gab ihnen einen Bären, welcher bei ihnen ein gar wertgeschätztes Wildbret ist. Sie machten uns gleich mitten unter sich Platz und wir ließen uns auf einer schönen Bastmatte nieder. Wir ließen ihnen durch einen unserer Leute, der ihre Sprache konnte, sagen, daß wir ihnen zu bekannt machen wollten, daß derjenige, der alles gemacht hat, welchen wir den großen Herrn des Lebens nennen, ganz sonderlich für die Franzosen sorge. Dieser habe uns gnädiglich die wahren Beschaffenheit des großen Flusses, welchen wir Colbert nennen, wissen lassen, weil er bekümmert gewesen sein, daß ihre Angabe, daß man auf demselben nicht schiffen könne, nicht richtig sei. Worauf wir ihnen alles das erzählten, was wir den Tag vorher erfahren hatten. Die Barbaren glaubten nicht anders, als daß wir dieses alles durch einen ganz außerordentlichen Weg erfahren hätten; und nachdem sie die Hand auf den Mund gelegt hatten, womit sie ihre Verwunderung zu verstehen geben, sagten sie, daß allein das Verlangen, unseren Kapitän und die Grauröcke oder Barfüsser (mit welchem Namen alle Wilden in Amerika die Geistlichen vom Orden S. Francisci belegen) bei sich zu behalten, Ursache sei, daß sie uns die Wahrheit vorenthalten hätten; sie gaben hierauf alles das zu, was wir von dem jungen Kriegsmann erfahren hatten, und blieben auch später allezeit bei dieser Aussage.
Hennepin, Louis
Beschreibung der Landschafft Louisiana
Nürnberg 1689
Abgedruckt in:
Keller, Ulrike
Reisende in den USA 1541 – 2001
Wien 2002