1880 - Friedrich Bodenstedt
Die Rauchstadt Pittsburgh
Nach einer schlaflosen Nacht in einem überfüllten Schlafwagen, worin es sehr unruhevoll zuging, kam ich morgens halb neun Uhr in Pittsburg an, ganz voll von den Eindrücken des letzten Teils der Reise, welche Bilder vor mir entrollten, die ich nie vergessen werde.
Es erschien meinen Augen, als ob ein von allerlei Geflimmer durchbrochener Urnebel die Welt verhüllte, der sich allmählich löste, um hohe Abhänge hinaufkletternde Häuser zu entschleiern und dann unten einen mächtigen Strom, zu dessen beiden Seiten Hunderte von Flammen aus schwarzen Schloten zum Himmel aufloderten, die im Wasserspiegel ebenso viele Feuersäuen bildeten. Je weiter ich kam, desto mehr schienen die Flammen an Zahl und Größe zu wachsen, und ich glaubte sie zuletzt auf der Erde und im Wasser nach Tausenden zählen zu können. Schwarze Rauchwolken stiegen von ihnen auf, die bald hier, bald da die Aussicht verhüllten und in beständigem Wechsel immer neue Bilderfluten erzeugten. In der Nähe sah ich alles ziemlich klar, in der Ferne aber alles verschwommen, mit nur gelegentlich klaren Durchblicken.
Solchergestalt waren meine ersten Eindrücke von Pittsburg, wie sie mir in der Erinnerung geblieben sind.
Auf dem Bahnhof wurde ich von verschiedenen Herren empfangen und hatte in ihrer Begleitung noch eine ansehnliche Strecke zu fahren, bis ich in die freundlich für mich hergerichtete Wohnung gelangte. Dieser fehlte nichts, als was auch draußen nicht zu finden war, nämlich Tageslicht. Der Sonnenaufgang hatte mir, ehe ich in die rauchige Atmosphäre der großen Fabrikstadt gekommen war, einen reinen Himmel gezeigt und einen schönen Tag verkündet, aber dieser wollte sich nicht zeigen.
Als ich mich umgekleidet, gefrühstückt und einige Besuche empfangen hatte, war es Mittag geworden, aber immer noch nicht Tag, und so blieb es vom ersten Tag an bis zum letzten. Ich sollte während meines ganzen Aufenthaltes in Pittsburg die Sonne nicht scheinen sehen, oder nur wie durch ein geschwärztes Glas. Es herrschte eine beständige, mehr oder minder trübe Dämmerung, welche die Gegenstände nur in der Nähe mit einiger Deutlichkeit erkennen ließ und sich dem Neuling beängstigend auf Auge und Brust legte, so daß es mir immer eine Wohltat war, wenn mich ortskundige Bekannte zu einem Ausflug ins Freie abholten, wo ich reine, frische Luft atmen konnte und wo sich meinen Augen die herrlichsten Ausblicke erschlossen. Denn die Stadt liegt in überaus reizvoller Umgebung zwischen steilen, hohen Felswänden, die gegen Norden und Süden ein weites Tal begrenzen, wo zwei große Ströme, der Alleghany und der Monogahela, sich vereinigen, um einen noch größeren Strom, den Ohio, zu erzeugen. Auf der durch jene Vereinigung gebildeten Landzunge liegt Pittsburg, die größte Stadt in Westpennsylvanien und erste große Stadt des Mississippi-Beckens. Der Alleghany trennt sie von ihrer am andern Ufer sich ausbreitenden Schwesterstadt, welche nach dem Strom Alleghany-City benannt wird. Prächtige Kettenbrücken erleichtern den Verkehr zwischen den beiden Städten, welche in ähnlichem Verhältnis zueinander stehen wie Pest und Ofen.
Auffallend ist die Verschiedenartigkeit in der Färbung der beiden Ströme, zwischen welchen Pittsburg sich ausbreitet. Der aus dem Staat New York kommende Alleghany hat ein klares, blaues Wasser, wonach er auch seinen indianischen Namen führen soll; der Monogahela dagegen, aus den Bergen West-Virginias kommend, ist gelblich trübe gefärbt. Sein indianischer Name soll bedeuten: "Fluß der sinkenden Ufer". Der gewaltige Strom aber, in dem sie sich beide vereinen, der Ohio, bedeutet indianisch: "Der schön Anzuschauende". Er ist der größte östliche Nebenstrom des Mississippi, dem er die ungeheuren Wassermassen der Alleghany-Ketten zuführt.
An beiden Ufern dieser Ströme ziehen sich nun in ununterbrochener Reihenfolge, weiter, als die Augen reichen, Gießereien, Stahl- und Eisenwerke mit hohen schwarzen Schloten hin, aus welchen die Flammen Tag und Nacht emporlodern und sich im Wasser widerspiegeln, genährt von den zahllosen Kohlenwerften, denen das Material nie ausgeht, da Pittsburg im Mittelpunkt der größten Kohlenregion Amerikas liegt.
Für die fortwährend anwachsenden Schwesterstädte reichte das weite Tal der Landzunge schon seit langem nicht mehr aus, und so sind ihre Straßen allmählich bis zu den höchsten Gipfeln des Bergrahmens emporgestiegen, durch eine steil aufsteigende Drahtseilbahn mit der unteren Stadt verbunden.
Daher die wundersame, phantastisch bewegte Bilderflut, die sich bei der Einfahrt am Morgen zwischen Rauch, Feuer und Wasser vor meinen staunenden Blicken enthüllte. Da Tag und Nacht gearbeitet wird, so kann man zu jeder Stunde das großartige Schauspiel sehen, welches sich bei Nacht noch imposanter ausnimmt als bei Tage, da dann auch die Anhöhen ringsum von Lichtern flimmern bis zu Mount Washington hinauf, ihrer höchsten Spitze, während unten die Feuersäulen an den Stromrändern im Dunkel an Mächtigkeit gewinnen.
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Das Tal, in welchem Pittsburg liegt, gilt als eines der schönsten des amerikanischen Kontinents. Der überaus fruchtbare Boden wird sorgfältig bebaut, und die Hügel sind mit herrlichen Waldungen bedeckt. Aber der Hauptreichtum des Landes liegt unter der Oberfläche. Mächtige Kohlenlager umgeben die Stadt von allen Seiten. In Westpennsylvanien ist die bituminöse Kohle vorherrschend, während auf der anderen Seite der Alleghanyberge die Anthrazit- oder Hartkohle gewonnen wird, welche reinlicher brennt als jene; daher kommt es, daß in Philadelphia, trotz seiner vielen Fabriken, alle Häuser blank und sauber aussehen, während in Pittsburg der fette Qualm weder Häuser noch Menschen verschont und unbarmherzig alles schwärzt, was in seinen Bereich kommt.
Wenn Justus von Liebig recht hat mit seiner Behauptung, daß die Kultur der Menschen zu bemessen sei nach der Menge von Seife, die sie gebrauchen, so stehen die Pittsburger unzweifelhaft auf der höchsten Kulturstufe, denn nirgends braucht der Mensch so viel Seife wie hier, um sich immer sauber zu erhalten.
Hellere und freundlichere Bilder entfalten sich, wenn man aus der Altstadt nach Osten zu fährt, wo inmitten herrlicher Gartenanlagen die schmucken Villen und zum Teil palastartigen Wohnungen der Pittsburger Fabrikanten und Handelsherren aufragen. Allein die schwarze Kohle ist die eigentliche Erzeugerin und Nährerin des Wohlstandes und Glanzes, der sich hier offenbart.
Viele Hochöfen sind so günstig gelegen, daß die Kohlen direkt aus der nahen Mine auf einer Schiefebenebahn in den Schmelzofen befördert werden. Auch die Wagen, welche auf Schienenbahnen das Eisenerz aus dem Westen herbeischaffen, laufen direkt in die Höfe der Fabriken ein.
Bodenstedt, Friedrich
Vom Atlantischen zum Stillen Ozean
Leipzig 1882