Reiseliteratur weltweit

Geschichten rund um den Globus

1850 - Andrew Carnegie
Die ersten Stufen der Karriereleiter
Pittsburgh

Wir fuhren von Glasgow mit dem Segelschiff Wiscasset, einem 800-Tonner. Während der siebenwöchigen Reise wurde ich mit den Matrosen gut bekannt, lernte die Bezeichnungen für die Taue und konnte so die anderen Passagiere anleiten, wenn der Bootsmann uns zu Hilfe rief, denn das Schiff war unterbemannt und die Mitarbeit der Passagiere unbedingt nötig. Dafür wurde ich sonntags von den Matrosen eingeladen, an der einzigen Delikatesse der Mannschaftsmesse teilzuhaben, dem Pudding aus getrockneten Pflaumen.
    Die Ankunft in New York war verwirrend. Ich war einmal [von zu Hause in Dunfermline] nach Edinburgh mitgenommen worden, um die Königin [Victoria] zu sehen, und das war vor der Auswanderung meine einzige Reise gewesen. Um uns Glasgow vor der Ausreise anzusehen hatten wir keine Zeit. New York war der erste Bienenstock voll menschlicher Geschäftigkeit, unter dessen Bewohner ich mich mischte, und die lärmende Betriebsamkeit und die Aufregung überwältigten mich.
   Den größten Eindruck während unserer Zeit in New York bekam ich beim Besuch von Castle Garden. Einer der Matrosen von der Wiscasset, Robert Barryman, im üblichen Matrosenanzug für einen Landgang mit blauer Jacke und weißen Hosen, nahm mich unter seine Fittiche. Ich hielt ihn für den schönsten Mann, den ich je gesehen hatte. Er nahm mich mit an einen Stand für Erfrischungen und kaufte mir ein Glas Sassaparille [aus einer bitteren Wurzel], das ich mit so großer Begeisterung trank, als wäre es göttlicher Nektar. Bis auf diesen Tag habe ich nichts gesehen, was der Erinnerung an das reichverzierte Messinggefäß gleichkäme, aus dem der Nektar schäumte. Oftmals, wenn ich später an dieser Stelle vorbeikam, saß die alte Frau an ihrem Stand und fragte mich, was wohl aus dem Matrosen geworden sei. Ich habe vergebens versucht, ihn ausfindig zu machen, denn ich wollte ihm gern seinen Lebensabend verschönern. Es war für mich der ideale Tom Bowling [eine Figur aus einer englischen Ballade], und wenn ich dieses schöne alte Lied höre, sehe ich immer meinen alten Freund Barryman vor mir. Er ist wohl nicht mehr am Leben. Auf jeden Fall hat er sich durch seine Freundlichkeit auf der Überfahrt einen ergebenen Freund und Bewunderer geschaffen.
    In New York kannten wir nur Mr. und Mrs. Sloane. Mrs. Sloane war eine Freundin meiner Mutter aus der Kinderzeit in Dunfermline, und Mr. Sloane und mein Vater hatten zusammen als Weber gearbeitet. Wir besuchten sie und wurden herzlich empfangen. Es war mir eine aufrichtige Freude, als ihr Sohn Willie im Jahr 1900 für seine zwei verheirateten Töchter ein Grundstück gegenüber von unserem Haus kaufte, so daß unsere Enkelkinder Spielkameraden wurden wie schon die Mütter in Schottland.
    Auswanderungsagenten in New York brachten meinen Vater dazu, auf dem Erie-Kanal über Buffalo und den Erie-See nach Cleveland zu fahren, und von da auf dem Kanal nach Beaver. Diese Reise dauerte drei Wochen; heutzutage ist man mit dem Zug zehn Stunden unterwegs. Damals gab es keine Eisenbahnverbindung nach Pittsburgh oder irgendeiner anderen Stadt im Westen. Die Erie-Eisenbahn war im Bau, und wir sahen unterwegs Bautrupps bei der Arbeit. Jugend kommt mit allem zurecht, und ich erinnere mich an die drei Wochen als Passagier auf dem Kanalschiff mit ungetrübtem Vergnügen. Alles Unerfreuliche ist aus meiner Erinnerung verschwunden - nur die Nacht nicht, die wir im Hafen von Beaver verbringen mußten, um auf den Dampfer nach Pittsburgh zu warten. Da lernten wir die Moskitos und ihr Wüten kennen. Meine Mutter hatte so zu leiden, daß sie am nächsten Morgen kaum aus den Augen sehen konnte. Wir sahen alle schauderhaft aus, aber ich kann mich nicht erinnern, daß die stechenden Quälgeister mich um den Schlaf gebracht hätten. Ich habe immer gut geschlafen und habe nie schreckliche schlaflose Nächte kennengelernt.
    Unsere Freunde in Pittsburgh hatten uns schon erwartet, und ihr warmes Willkommen und ihre Freundlichkeit ließen uns unsere Sorgen vergessen. Wir zogen zu ihnen nach Allegheny City. Ein Bruder meines Onkels Hogan hatte eine kleine Weberei in einem Hinterhof an der Rebecca Street eingerichtet. Im zweiten Stock gab es zwei kleine Zimmer, und darin wohnten wir nun, ohne Miete zu zahlen, denn sie gehörten meiner Tante Aitken. Mein Onkel hörte mit der Weberei bald auf, und mein Vater trat an seine Stelle und webte Tischtücher; die mußte er nicht nur herstellen, sondern auch selber verkaufen, denn es gab niemanden, der sie ihm in größeren Mengen abgenommen hätte. Er war gezwungen, sie an Haustüren zu verkaufen. Der Verdienst war ausgesprochen mager.
    Wie üblich, sprang meine Mutter in die Bresche. Sie gab niemals klein bei. Als junges Mädchen hatte sie gelernt, Schuhe zu bearbeiten, um sich ein Taschengeld zu verdienen; und dieses Können setzte sie nun zum Nutzen ihrer Familie ein. Mr. Phipps, der Vater meines Freundes und Partners Henry Phipps, war wie mein Großvater Schuhmachermeister und unser Nachbar. Von ihm bekam meine Mutter Arbeit, und zusätzlich zu ihrer Hausarbeit - denn natürlich konnten wir uns keine Dienstboten leisten - arbeitete diese wunderbare Frau an Schuhen und verdiente vier Dollar die Woche. Bis um Mitternacht saß sie häufig über ihrer Arbeit. Wann immer die Hausarbeit es zuließ, saß mein kleiner Bruder bei ihr und fädelte Nadeln ein, und sie sang schottische Lieder oder erzählte lehrreiche Geschichten, wie sie es auch schon für mich getan hatte.
Das ist der wertvollste Vorteil, den Kinder rechtschaffener armer Leute vor denen der reichen haben: Die Mutter als Pflegerin, Köchin, Kindermädchen, Lehrerin, Heilige in einer Person. Der Vater als Vorbild, Führer, Berater und Freund! So wuchsen mein Bruder und ich auf. Was hat das Kind eines Millionärs oder eines Adligen dem entgegenzusetzen?
    Meine Mutter war immer beschäftigt, aber das hinderte unsere Nachbarn nicht daran, schnell festzustellen, daß sie sich in Notzeiten auf ihre Hilfe verlassen konnten. Viele haben mir erzählt, wie sie ihnen geholfen hat. Es war auch später so, wo immer wir wohnten. Reich und arm kamen zu ihr mit ihren Problemen und fanden guten Rat. Sie zeichnete sich in ihrer Umgebung aus, wo immer sie war.
    Nun stellte sich die Frage, was aus mir werden sollte. Ich war gerade dreizehn Jahre alt geworden und sehnte mich nach einer Arbeit, die der Familie den Start in der neuen Heimat leichter machte. Mangel war mir eine Schreckensvision. Zu dieser Zeit war ich wild entschlossen, daß wir genug verdienen und sparen müßten, um auf 300 Dollar im Jahr zu kommen - 25 Dollar im Monat; ich nahm an, daß diese Summe ausreichte, daß wir uns selbst ohne Hilfe anderer durchbringen könnten. Die täglichen Dinge des Lebens waren damals billig.
    Der Bruder meines Onkels Hogan fragte oft, was meine Eltern mit mir vorhätten, und eines Tages ereignete sich die dramatischste Szene, die ich jemals erlebt habe. Ich werde sie nie vergessen. Er sagte zu meiner Mutter - in der besten Absicht -, daß ich ein netter und fähiger Junge sei; und wenn man mir einen Korb mit diesem und jenem ausstattete, das ich
dann verkaufen würde, könnte ich an den Kais ein gutes Auskommen finden. Bis dahin hatte ich nie eine Frau außer Fassung erlebt. Meine Mutter hatte dagesessen und genäht, nun sprang sie plötzlich hoch und fuchtelte mit ausgestreckten Armen vor seinem Gesicht herum: »Wie! Mein Sohn ein Hausierer? Unter dem Pack am Kai? Eher werfe ich ihn in den Fluß! Hinaus mit Ihnen!« rief sie und zeigte auf die Tür. Mr. Logan verschwand.
    Sie stand da wie eine tragische Königin. Im nächsten Augenblick wäre sie zusammengebrochen, aber nur einen Moment lang flössen Tränen, und man hörte nur ein paar Schluchzer. Dann nahm sie ihre beiden Jungen in den Arm und sagte uns, wir sollten uns nicht um ihr dummes Verhalten kümmern. Es gäbe viel in der Welt für uns zu tun, und wir würden tüchtige Männer werden, geehrt und geachtet, wenn wir immer nur das täten, was recht sei. Sie war wie Helen Macgregor [eine schottische Legendengestalt], die Osbaldistone damit droht, die Gefangenen »in so viele Teile zu schneiden, wie der Schottenstoff Karos hat«. Aber der Grund für diesen Ausbruch war ein anderer. Es ging nicht um eine geruhsame Arbeit - Faulheit galt in unserer Familie als verachtenswert -, sondern darum, daß diese Arbeit etwas von Landstreicherei an sich hatte und keine respektable Beschäftigung war. Lieber sterben! Meine Mutter hätte tatsächlich eher ihre zwei Jungen, einen unter jedem Arm, mit in den Tod genommen, als sie in frühester Jugend in zweifelhafter Gesellschaft zu wissen.
    Wenn ich auf diese alten Mühseligkeiten zurückblicke, so muß ich sagen: Es gab keine stolzere Familie als uns. Wir hatten ein ausgeprägtes Gefühl für Ehre, Unabhängigkeit und Selbstachtung. Walter Scott hat über Burns gesagt, er habe die seltsamsten Augen gehabt, die er je an einem Menschen bemerkt hätte. Das kann ich auch von meiner Mutter sagen. Wie Burns ausdrückt: »Selbst wenn ihr Aug' ins Leere blickt, zeigt sich ein Strahl von Stolz.« Alles, was niedrig und gemein, betrügerisch, unehrlich, grob oder tratschig war, lag ihrer hohen Seele fern. Mit diesem Vater und dieser Mutter mußten Tom und ich ganz einfach als respektable Menschen aufwachsen; auch mein Vater hatte natürlichen Adel, er war geliebt von allen und ein Heiliger.
    Nicht lange nach diesem Zwischenfall beschloß mein Vater, die Handweberei aufzugeben und in die Baumwollfabrik von Mr. Blackstone einzutreten, einem alten Schotten, der in Allegheny lebte. Dort bekam er für mich eine Anstellung als Spulenjunge, und in meiner ersten Woche dort habe ich einen Dollar und dreißig Cent verdient.
    Es war ein hartes Leben. Im Winter mußten Vater und ich im Dunkeln aufstehen und frühstücken, noch im Dunkeln in der Fabrik sein und arbeiten, bis es schon wieder dunkel war; es gab nur eine kurze Mittagspause. Die Zeit verging nur langsam, und die Arbeit machte keinen Spaß. Aber es gab einen Silberstreif am Horizont - das Gefühl, daß ich etwas für meine Welt, und das war meine Familie, tat. Ich habe seitdem Millionen verdient, aber keine dieser Millionen hat mich so glücklich gemacht wie mein erster Wochenlohn. Jetzt konnte ich der Familie beistehen, war ein Verdiener und nicht länger nur eine Last für meine Eltern.
    Nicht lange danach suchte ein Mr. John Hay, auch ein schottischer Fabrikant, der in Allegheny City Spulen herstellte, einen Jungen und fragte, ob ich für ihn arbeiten wolle. Ich nahm an und bekam zwei Dollar die Woche; zunächst aber war diese Arbeit noch mühsamer als in der Fabrik. Ich mußte ein kleine Dampfmaschine in Gang halten und den Kessel im Keller der Spulenfabrik heizen. Es war zu viel für mich. Jede Nacht im Bett träumte ich von Ventilen, in der Furcht, der Druck wäre zu niedrig und die Arbeiter würden sich beschweren, daß die Maschine nicht genug Leistung gab, oder daß der Druck zu hoch sei und der Kessel platzte.
    Aber es war Ehrensache, daß meine Eltern davon nichts erfuhren. Sie hatten ihre eigenen Sorgen, mit denen sie fertig werden mußten. Ich mußte erwachsen sein und mit den meinen auch selbst fertig werden. Ich war voller Erwartungen und hoffte jeden Tag auf eine Veränderung. Wie sie aussehen würde, war mir nicht klar, aber ich wußte, daß sie kommen würde; ich mußte nur warten können und durfte nicht aufgeben.
    Und die Gelegenheit kam. Mr. Hay mußte Rechnungen stellen, aber er hatte keinen Bürogehilfen und war selber kein Mann der Feder. Er fragte mich, wie gut meine Handschrift sei, und gab mir etwas zu schreiben. Mit dem Ergebnis war er sehr zufrieden, und von da an ließ er mich seine Rechnungen schreiben. Ich konnte auch gut rechnen; und er fand, es sei in seinem Interesse, wenn er mich weitere Aufgaben erledigen ließe; der nette alte Mann hegte, glaube ich, freundliche Gefühle gegenüber mir blondem Jungen, denn er hatte ein gutes schottisches Herz und wollte mich von der Dampfmaschine befreien. So kam ich zu neuen Arbeiten, die weniger unerfreulich waren - mit einer Ausnahme.
    Ich hatte nun die Pflicht, die gerade produzierten Spulen in Ölfässer zu tunken. Zum Glück fand das in einem dafür vorgesehenen Raum statt, in dem ich allein war, aber ich brachte es einfach nicht über mich, auch nicht, wenn ich mich selbst wegen meiner Schwäche beschimpfte, meinen Magen unter Kontrolle zu halten; er benahm sich ganz unnatürlich. Ich konnte den Brechreiz nicht unterdrücken, den das Öl auslöste. Wenn ich auch Frühstück und Mittagessen wieder von mir gab, so hatte ich doch um so besseren Appetit am Abend, wenn das Tagewerk vorbei war. Ein richtiger Nachfolger von schottischen Helden wie Wallace und Bruce konnte doch nicht einfach aufgeben! Lieber sterben!
    Die Arbeit bei Mr. Hay war ein entschiedener Fortschritt gegenüber der Baumwollfabrik, und ich hatte es mit einem freundlichen Chef zu tun. Mr. Hay hatte eine einfache Buchführung, und damit wurde ich gut fertig. Aber als ich hörte, daß alle großen Firmen doppelte Buchführung benutzten, und nachdem ich mit meinen Freunden über die Sache gesprochen hatte, entschlossen wir uns, im Winter in die Abendschule zu gehen und das neue System zu erlernen. Also gingen wir vier zu einem Mr. Williams in Pittsburgh und lernten doppelte Buchführung.
    Eines Abends zu Anfang des Jahres 1850, als ich von der Arbeit nach Hause kam, wurde mir gesagt, daß Mr. Brooks, der Leiter des Telegraphenamtes, meinen Onkel Hogan gefragt hatte, ob er nicht einen geeigneten Jungen als Boten wüßte. Mr. Brooks und mein Onkel waren begeisterte Damespieler, und über einem Damespiel wurde diese wichtige Frage diskutiert. Aus solchen Nebensächlichkeiten ergeben sich oft entscheidende Folgen. Ein Wort, ein Blick, ein besonderer Ausdruck können nicht nur über das Schicksal eines einzelnen, sondern ganzer Nationen entscheiden. Wer etwas eine Kleinigkeit nennt, ist ein vermessener Mensch. Wer hat doch gleich auf die Aufforderung, sich nicht um Kleinigkeiten zu kümmern, gesagt, das wolle er ja gern tun, nur wüßte er nicht, was eine Kleinigkeit sei? Die Jugend sollte bedenken, daß Nebensächlichkeiten oft die besten Gaben der Götter mit sich bringen.
    Mein Onkel nannte meinen Namen und sagte, er wolle sich erkundigen, ob ich die Stelle annehmen würde. Ich erinnere mich noch ganz genau, wie der Familienrat zusammentrat. Ich war natürlich Feuer und Flamme. Kein Vogel im Käfig konnte sich mehr nach Freiheit sehnen als ich. Mutter war dafür, Vater aber neigte dazu, mir mein Verlangen abzuschlagen. Es wäre zu viel für mich, meinte er; ich sei zu jung und zu klein. Für die zweieinhalb Dollar Gehalt erwarte man selbstverständlich einen größeren Jungen. Spät in der Nacht müßte ich womöglich mit einem Telegramm bis hinaus aufs Land, und das könnte gefährlich werden. Ich solle bei meiner jetzigen Arbeit bleiben. Dann gab er aber nach und ließ mich die neue Arbeit ausprobieren; ich glaube, er hat deswegen Mr. Hay besucht und mit ihm über mich gesprochen. Mr. Hay meinte, die neue Arbeit wäre gut für mich, und obwohl es für ihn ungünstig sei, solle ich doch probehalber gehen, und wenn es nichts für mich wäre, wäre mein alter Arbeitsplatz immer noch für mich frei.
    Nachdem die Entscheidung gefallen war, sollte ich über den Fluß nach Pittsburgh und Mr. Brooks aufsuchen. Mein Vater wollte mitgehen, und wir kamen überein, daß er mich bis zum Telegraphenamt begleitete. Es war ein heller, sonniger Morgen, und das war ein gutes Vorzeichen. Vater und ich gingen zu Fuß, es waren fast zwei Meilen von zu Hause. Als wir vor der Tür standen, bat ich meinen Vater, draußen zu warten. Ich bestand darauf, allein hineinzugehen; auf der zweiten Etage, wo sich das Telegraphenbüro befand, wollte ich allein den großen Mann treffen und hören, was das Schicksal für mich bereithielt. Der Grund war vermutlich, daß ich anfing, mich als Amerikaner zu betrachten. Ursprünglich hatten die Jungs mich »Scotchie« genannt, und ich hatte geantwortet: »Ja, ich bin ein Schotte und stolz darauf!« Aber inzwischen war mein schottischer Akzent weitgehend verschwunden, und ich dachte, ich könnte besser allein auftreten als mit meinem schottischen Vater, der mich vielleicht nicht für voll nehmen würde.
    Ich trug mein einziges weißes Hemd, das normalerweise für den heiligen Sonntag aufgehoben wurde, eine blaue Jacke und meinen Sonntagsanzug. Zu der Zeit und noch ein paar Wochen, nachdem ich meine Stelle beim Telegraphenamt angetreten hatte, besaß ich nur einen einzigen Sommeranzug aus Leinen. Jeden Samstag abend, auch wenn ich Spätdienst hatte und erst um Mitternacht nach Hause kam, wusch meine Mutter diesen Anzug und bügelte ihn, und am Sonntagmorgen zog ich ihn frisch wieder an. Es gab nichts, was diese heldenhafte Frau nicht getan hätte, um uns unseren Platz in der Neuen Welt zu erobern. Vaters lange Arbeitszeiten in der Fabrik waren ihm fast zu viel, aber auch er kämpfte wie ein Held und sprach mir immer Mut zu.
   Das Anstellungsgespräch endete erfolgreich. Mit Absicht wies ich darauf hin, daß ich Pittsburgh nicht kannte und daß ich vielleicht nicht stark genug wäre, aber daß ich es gern versuchen würde. Er fragte mich, wann ich anfangen könne, und ich sagte, ich könne gleich bleiben, wenn ihm das recht sei. Wenn ich so zurückdenke, meine ich, diese Antwort sollten junge Leute sich zu Herzen nehmen. Es ist ein großer Fehler, eine gute Gelegenheit nicht zu ergreifen. Die Stellung war mir angeboten worden - es konnte etwas dazwischenkommen, ein anderer Junge könnte eingestellt werden. Nachdem ich einmal so weit war, wollte ich, wenn möglich, gleich dabeibleiben. Mr. Brooks war sehr freundlich und rief den anderen Jungen - denn einen ersten Boten gab es schon -, damit er mir alles zeige und mich mitnähme, damit ich lernte, wie alles ablief. Schnell ergab sich die Gelegenheit, hinunter an die Straßenecke zu sausen und meinem Vater zu erzählen, daß alles in Ordnung war, damit er nach Hause gehen und meiner Mutter erzählen konnte, daß ich den Posten bekommen hatte.
Und so begann im Jahr 1850 mein eigentliches Leben.

Carnegie, Andrew
Autobiography
Boston/New York 1920
Übersetzung: U. Keller

Abgedruckt in:
Keller, Ulrike (Hg.)
Reisende in den USA 1541 – 2001
Wien 2002

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