1683 - Franz Daniel Pastorius
Deutsche Siedler in Pennsylvanien
Germanton, Philadelphia
Wiewohl dieser entlegene Weltort aus lauter Wildnis bestand und erst seit kurzer Zeit zu Gebrauch der Christenmenschen angerichtet zu werden beginnt, so muß man sich doch höchlich verwundern, wie schnell er unter Gottes Segen emporsteigt und von Tag zu Tag augenscheinlich zunimmt; denn, obwohl wir zu Anfang unsere Viktualien etwas teuer um unser Geld aus Jersey haben herbei bringen müssen, so können wir doch, Gott Lob, nunmehr anderen Nachbarn dienen.
Mit den meisten und nötigsten Handwerkern sind wir versehen, die Taglöhne auf ein ordentliches eingerichtet, und wir haben das nötige an Mühlen und Ziegelöfen. Unseren Überfluß an Getreide und Vieh verhandeln wir gen Barbados um Branntwein, Sirup, Zucker und Salz; das rare Pelzwerk aber übersenden wir nach England.
Sonst sind wir beflissen, den Weinbau und die Tuchweberei dieser Orte in Schwung zu bringen, um das Geld im Lande zu behalten; weswegen wir auch bereits Jahrmärkte eingerichtet haben, nicht, um leidigen Wuchers und Gewinns willen, sondern um einander dasjenige käuflich zukommen zu lassen, was einer oder der andere zuviel und übrig hat, damit man deswegen nicht auf die benachbarten Inseln fahren und das Geld dorthin tragen muß.
Von den Einwohnern dieser Landschaft sind sind dreierlei befindlich:
1. Die Eingeborenen, sogenannte Wilde.
2. Die aus Europa hierher gekommenen Christen, genannt Alte.
3. Die neulich angekommenen Societäten und Compagnien.
So viel die ersteren Wilden anbelangt, so sind sie insgesamt starke, hurtige und gelenke Leute, schwärzlich vom Leibe; sie gingen anfänglich nackend und hatten nur die Scham mit etwas Tuch bedeckt; nun beginnen sie, Hemden zu tragen. Sie haben allgemein kohlschwarze Haare, scheren das Haupt, schmieren dasselbe mit Fett, und lassen an der rechten Seite einen langen Zopf wachsen. Sie bestreichen auch die Kinder mit Fett und lassen sie an der Sonnenhitze kriechen, damit sie rußfarbig werden, die doch sonst von Natur weiß genug wären. Sie befleißigen sich einer aufrichtigen Redlichkeit, halten genau ihre Versprechen, bekriegen und beleidigen niemanden; sie beherbergen die Leute gerne und sind ihren Gästen dienstfertig und treu. Ihre Hütten sind aus etlichen zusammengeflochtenen oder gebogenen jungen Bäumen gemacht, die sie mit Baumrinden zu bedecken wissen. Sie gebrauchen weder Tische noch Bänke noch anderen Hausrat als etwa einen einzigen Topf, darin sie ihre Speisen sieden.
Ich sah einst ihrer viere in herzlichem Vergnügen miteinander speisen und einen in bloßem Wasser ohne Butter und Gewürz gekochten Kürbis essen. Ihre Tafel und Bank war die liebe Erde, ihre Löffel waren Muscheln, damit sie das warme Wasser aussuppten, ihre Teller waren des nächsten Baumes Blätter, die sie nach der Mahlzeit weder mühsam abspülen noch zu künftigem Gebrauch sorgsam bewahren müssen. Ich dachte bei mir, diese wilden Leute haben die Lehre Jesu von der Mäßigkeit und Genügsamkeit ihrer Lebtag nicht gehört und tun es doch den Christen weit bevor.
Sie sind sonst ernsthaft und von wenigen Worten, verwundern sich, wenn sie bei den Christen ein so überflüssig Geschwätz nebst anderen leichtfertigen Gebärden wahrnehmen.
Es hat ein jeder sein Weib; und sie hassen sehr die Hurerei, das Küssen und das Lügen. Sie wissen von keinen Götzenbildern, sondern verehren einen einigen, allmächtigen und gütigen Gott, der dem Teufel seine Macht beschränkt. Sie glauben auch an die Unsterblichkeit der Seele, welche nach dem geführten Lebenslauf von der allmächtigen Hand Gottes eine gleichmäßige Vergeltung zu erwarten habe.
Ihren eigenen Gottesdienst verrichten sie mit Gesängen, wobei sie wunderliche Gebärden und Stellungen mit Händen und Füßen bezeugen, und wenn sie sich des Todes ihrer Eltern und Freunde erinnern, fangen sie an, sehr erbärmlich zu heulen und zu weinen.
Sie hören sehr gerne und nicht ohne merkliche Gemütsbewegung reden von dem Schöpfer des Himmels und der Erden und von seinem göttlichen Lichte, welches alle Menschen erleuchtet, die in diese Welt gekommen sind und noch kommen werden, und von Gottes Weisheit und Liebe, aus welcher er seinen eingeborenen allerliebsten Sohn für uns in den Tod gegeben hat. Nur ist zu bedauern, daß wir ihre Sprache noch nicht recht können, und daher ihnen unsere eigentlichen Herzensgedanken und Intention nicht beibringen können, was nämlich Christo Jesu für eine Kraft und großes Heil verborgen liegt. Sie sind in unseren Versammlungen sehr stille und andächtig, daß ich gänzlich glaube, sie werden dermaleinst an jenem großen Gerichtstage mit denen von Tyros und Sidon auftreten und viele tausend falsche Namens- und Maulchristen beschämen.
Ihre Oeconomiam [Landwirtschaft] und Hauswesen betreffend, so warten [betreiben] die Männer ihres Jagens und Fischens. Die Weiber tun ihre Kinder in fleißiger Aufsicht treulich erziehen und von Lastern abmahnen. Sie bauen um ihre Hütten herum indianisches Korn und Bohnen, aber um weitläufigen Feldbau und Viehzucht sind sie unbekümmert, verwundern sich vielmehr, daß wir Christen um des Essens und Trinkens, auch bequemlicher Kleidung und Wohnung willen so vielfältig bemüht und bekümmert sind, als zweifelten wir, daß uns Gott nicht versorgen und ernähren könnte.
Ihre Nationalsprache ist sehr gravitätisch und kommt in der Pronunziation der italienischen fast gleich, doch sind es ganz andere, unbekannte Wörter. Sie pflegen ihre Angesichter mit Farben anzustreichen, trinken gern Tabak, sowohl Manns- als Weibspersonen; ihre Zeit vertreiben sie mit einer Pfeife oder Maultrommel in kontinuierlichem Müßiggang.
Die zweite Art der Einwohner des Landes sind die aus Europa angekommenen alten Christen. Diese haben niemals die aufrichtige Intention gehabt, diesen eingeborenen, hilfsbedürftigen Kreaturen eine Unterweisung in dem lebendigen, wahren Christentum zu tun, sondern haben nur ihr propres Weltinteresse gesucht und die einfältigen Einwohner in Handel und Wandel betrogen; dahero endlich diejenigen Wilden, so mit diesen Christen umgingen, sich mehrenteils auch arglistig, lügenhaft und betrügerisch erwiesen, also daß ich von beiden nicht viel Ruhmwürdiges vermelden kann. Diese verführten Leute pflegen ihre erlangten Felle und Pelzwerk gegen starkes Getränk zu vertauschen, daß sie weder gehen noch stehen können; auch pflegen sie bei geeigneter Gelegenheit allerhand Diebstähle zu begehen.
Also haben sich ihre Könige und Vorgesetzten zum öftern über die durch die Christen eingeführten Laster der Falschheit, des Betruges, der Dieberei und des Vollsaufens beschwert, welche zuvor in diesen Landen ganz unbekannt gewesen sind.
Wenn ein solcher Wilder sich von einem Christen zur Arbeit bereden läßt, tut er solches mit Beschwerde, Scham und Furcht als ein ungewöhnliches Werk, sieht sich stets auf allen Seiten um, ob nicht jemand der Seinigen ihn arbeitend finden möchte, gleichsam als ob ihnen die Arbeit eine Schande und Faulheit zu einem sonderlichen Privilegion des Adels angeboren wäre, die man durch den Schweiß der Arbeit nicht besudeln dürfe.
Die dritte Art Einwohner dieser Lande sind die Sozietäten-Christen. Wir Letztangekommene, in ehrlichen Gesellschaften und Kompanien begriffene Christen, haben nach erlangter königlicher englischer Freiheit von Anno 1681 einige gewisse Teile des Landes von dem Gouverneur Penn uns erkauft; der Intention, neue Städte und Kolonien aufzurichten und darin nicht allein unsern zeitlichen Nutzen und Nahrung zu erwerben, sondern auch die wilden Leute mansuet und zahm zu machen und sie in der wahren Erkenntnis Gottes zu informieren; inmassen ich der Hoffnung lebe, binnen kurzer Zeit mehrere Freuden von ihrem Eingang ins Christentum berichten zu können.
Den 16. August 1683 bekamen wir America zu Gesicht, gelangten aber erst den 18. ejusdem [desselben Monats] in dem Delaware-Fluß an. Den 20. ejusdem fuhren wir an Neu-Castle und Upland vorbei und kamen gegen Abend glücklich zu Philadelphia an, allwo ich von dem Gouverneur William Penn mit liebevoller Freundlichkeit empfangen wurde, dessen Sekretär, Johann Lebenmann, vertrauliche Brüderschaft mit mir machte; auch läßt mich nun der Herr Gouverneur des öfteren an seine Tafel berufen und seine erbaulichen Diskurse genießen. Da ich letzthin acht Tage abwesend war, kam er selbst, mich zu besuchen, und hieß mich wöchentlich zweimal zu seiner Tafel kommen und kontestierte seinen Räten, daß er mich und die Hochdeutschen sehr liebe und haben wollte, daß sie dergleichen auch tun.
Nebst dem, daß die hochdeutsche Compania mit wollenem und leinenem Tuch, auch allerlei ersinnlichen Waren, eine Kaufmannschaft in den hiesigen Orten angerichtet und mir die Oberinspektion anvertraut hat, so ist noch ferner zu wissen: Daß wir auch bei 30.000 Morgen Landes, um eine hochdeutsche Kolonie aufzurichten, erkauft haben. Weshalb in meiner neu angelegten Stadt Germanton bereits 64 Haushaltungen im Flor stehen. Solche Einwohner nun, wie auch andere Ankommende, zu ernähren, da müssen die Felder angebaut und Äcker zugerichtet werden. Man wende sich aber hin, wo man wolle, da heißt es: Itur in antiquam silvam [man geht in den alten Forst] und alles ist mit Holz überwachsen, also daß ich mir oft ein paar Dutzend Tiroler gewünscht, welche die dicken Eichenbäume danieder geworfen hätten, so wir aber nach und nach selbst haben verrichten müssen, wobei ich mir eingebildet, daß diejenige Pönitenz [Strafe], mit welcher Gott den Ungehorsam des Adam gestraft hat, nämlich, daß er im Schweiße seines Angesichts sein Brot essen solle, auch uns Nachkömmlingen in diesem Lande diktiert und gegeben sei; denn es heißt hier: Hic opus, hic labor est [hier ist das Werk, hier ist die Arbeit]; und ist nicht genug Geld, sondern auch Geneigtheit zur Arbeit mit hierher zu bringen, und des Kaiser Septimus Severus Wahlspruch in Obacht zu nehmen, der da heißt: Laboremus. Absque labor nihil. Quo major, hoc laboriosior. [Lasset uns arbeiten. Ohne Arbeit gibt es nichts. Was besser ist, kostet mehr Mühe.]
Dann ist derjenige noch am besten dran, den der Teufel nicht müßig findet. Immittelst gebrauchen wir der wilden Leute in Taglohndiensten, erlernen allmählich ihre Sprache und bringen ihnen nach und nach die Lehre von Christo bei, invitieren sie zum Besuch unseres Gottesdienstes und hoffen, in Bälde mit Freude berichten zu können, daß die Barmherzigkeit des höchsten Gottes das Licht seines Heiligen Evangeliums auch in diesen Landen habe aufgehen lassen und zu seines großen Name Ehre hervor leuchten. Dem sei allein der Preis, der Ruhm, der Dank und die Glori ohne Ende.
Pastorius, Franz Daniel
Umständige Geographische Beschreibung der zu allerletzt erfundenen Provinz Pennsylvaniae, in denen Erdgräntzen Americae in der West-Welt gelegen
Frankfurt/Leipzig 1700
Abgedruckt in:
Keller, Ulrike (Hg.)
Reisende in den USA 1541 – 2001
Wien 2002