Um 1907 - Fritz Kummer
Ankunft in New York
Am Morgen des zehnten Reisetages ließ die Beobachtung der Schiffsordnung viel zu wünschen übrig. Das Glockenzeichen zum Essen ertönte umsonst. Nur vereinzelt und unpünktlich kamen die Gäste zum Frühstück. Die Yankees erschienen frisch rasiert im Sonntagsgewand im Speisesaal, gingen jedoch gleich wieder hinaus zu den andern, auf die Steuerbordseite. Dort drängte sich das ganze Schiffsvolk. Es wurde lebhaft über die Bedeutung der Schattenrisse gestritten, die mit dem Morgengrauen am Himmel aufgetaucht waren. Waren es bloß Wolken oder hatte man es mit Land zu tun?
Zwar weit konnte die Küste nicht mehr sein. Schon am vorhergehenden Abend hatten sich Möwenschwärme gezeigt, der anbrechende Tag ließ in weiter Ferne Dampfer und Segler sehen. Die Schiffsoffiziere ließen durchblicken, wenn alles gut ginge, könnten die Kajütenpassagiere schon gegen Mittag von Bord; die Ausschiffung der Zwischendeckler werde allerdings erst nachmittags oder gar erst am anderen Morgen zu bewerkstelligen sein.
Fünfzehnhundert Augenpaare waren westwärts gerichtet: jedes versuchte die neblige Ungewißheit zu durchbohren; jedes wollte als erstes Land entdecken. Plötzlich ertönte von irgendwo: Land! Land! Gleich drauf hallte das Wort oben und unten, hinten und vorne wider, aus allen Kehlen dröhnte: Amerika! Amerika!
Die Menschen unten auf dem Hauptdeck schrien wie besessen; einige fielen sich vor Freude in die Arme; über manches Gesicht rollte eine Träne. Die vielsprachigen Schreie vereinigten sich zu einem Freudengeheul. Alle Hände winkten unablässig hinüber zum Ufer: der Neuen Welt zum Gruß!
Die Qual des Zwischendecks hatte nun endlich ein Ende: In der Nähe winkte das Goldland Amerika, das Land der Hoffnung. Amerika! Eine Schar hoffender Menschenkinder jubelt dir entgegen! Dir, dem Kanaan der Armen und Unterdrückten. Bei ihnen hat dein Name seine bezaubernde Kraft noch nicht eingebüßt. Dein Ruhm (oder die Überredungskunst eines Werbers) bringt sie an deine Küste. In den langen Tagen der Fron haben sie deinen Namen inbrünstig geflüstert; Träume von dir haben ihren Schlaf versüßt; der Gedanke an dich gab ihrem Streben ein neues, ein schönes Ziel. Sie bauen auf dich, daß du ihnen gebest, was die Heimat versagte: Freiheit und Brot! Jetzt jauchzen sie dir entgegen in der Erwartung, daß du nun erfüllest, was dein Name ihnen versprochen. Wirst du ihre Erwartung erfüllen oder wirst du sie um die Hoffnung ihres Lebens betrügen? Wenn dieses der Fall sein sollte, dann wärest du wert, daß dich das Weltmeer verschlinge.
Die Augen blieben unausgesetzt auf die Küste gerichtet. Mit kindlicher Bewunderung wurde die Landschaft gemustert, jeder auftauchende Gegenstand besprochen. Wie ich mir die amerikanische Landschaft vorgestellt hatte, konnte ich nicht gleich sagen. Immerhin hatte ich etwas Außergewöhnliches, Großartiges erwartet. Statt dessen fand ich ein Gelände von ganz gemeiner Alltäglichkeit. Längs des Ufers lief eine Straße, von Bäumen eingesäumt wie jede andere auch; die Felder gemahnten mich an Flandern, die Häuser an Deutschland.
Die Fidelia fuhr vorsichtig in einer von Pfählen abgesteckten Straße. Allmählich tauchte auch auf der Backbordseite Land auf. Dieses entsprach nun schon mehr meiner Vorstellung von Amerika. In sanften Wellenlinien laufende Hügelketten mit Ziergärten und weißen Häusern wurden sichtbar.
Die beiden Landseiten näherten sich. Der Dampfer bewegte sich sacht, oder stand er überhaupt still? Die Ferngläser der Kommandobrücke richteten sich auf einen kleinen Dampfer, der stracks auf uns zu steuerte, als ob er ein Loch in unsere Bordwand rennen wollte. Der Kapitän schrie durch ein Sprachrohr auf die Ankommenden ein. Eine Strickleiter flog über Bord. Unten suchten sechs Hände das schlenkernde Ende zu erhaschen. Einige Minuten später kam ein Mann an der baumelnden Leiter über die Reling gekrochen. Er hatte es sehr eilig. Spornstreichs kletterte er auf die Kommandobrücke: der Lotse.
Langsam schob sich die Fidelia in die Narrows, in den eigentlichen Hafeneingang. Die beiden Festungen - Fort Hamilton und Fort Tompkins -, die wie zwei Wachtposten den Hafen beschützten, wurden sichtbar. Wir waren mit dem Austausch unserer Ansichten über die Einnehmbarkeit dieser Befestigungen noch nicht zu Ende, als das Schiff schon wieder stoppte. Zwei Boote näherten sich in großem Bogen. Vornehm gekleidete Herren standen auf dem schwankenden Deck und suchten sich durch Schreie und Gebärden mit der Kommandobrücke zu verständigen. Nach einigem Mühen gelang es, die beiden Boote an unsre Schiffsflanke festzumachen. Bald kamen mehrere Herren über den Reling gekrochen. "Zollbeamte und Ärzte!" raunten uns die Stewards zu.
Auf einem der Boote blieb ein glattrasierter Gentleman zurück. Er musterte die Gäste mit scharfem Blick. Da er der erste Bürger des großen Freistaates war, der sich uns ruhig zum Beschauen stellte, waren natürlich alle Augen auf ihn gerichtet. Einige Passagiere glaubten sich durch freundliche Zurufe bei dem mit kalter Gleichgültigkeit dreinschauenden Mitbürger von morgen einschmeicheln zu sollen. Mit einer verächtlichen Handbewegung wies er jede Annäherung ab. Der Lümmel war gemein genug, uns in nicht mißverständlicher Weise zu bedeuten, wir möchten wieder dahin zurückkehren, woher wir kamen. Und das mußte denen geschehen, die einige Stunden vorher dem Land mit aller Begeisterung, deren sie fähig waren, entgegengejauchzt hatten. Allgemeine Entrüstung über diese Nichtswürdigkeit.
Ein Ruf brachte uns in den Speisesaal. Dort saß einer der angekommenen Zollbeamten hinter einem Haufen Papiere. Er fragte einen nach dem andern, ob er etwas Zollpflichtiges im Koffer habe. Auf die verneinende Antwort schob er ein Papier zum Unterschreiben hin. Allem Anschein nach sollte durch die Unterschrift die mündliche Angabe noch ausdrücklich bestätigt werden. Nachdem so die Zollerklärung erledigt war, verlangte der Arzt die zukünftigen Hausgenossen des Onkel Sam zu besichtigen. Für die amerikanischen Bürger genügte die Vorweisung ihres Bürgerpapieres. Er interessierte sich für unsere Körperbeschaffenheit im allgemeinen und für unsere Augen im besonderen. Jeden einzelnen musterte er von oben bis unten, zog ihm dann die Augenlider sperrweit auseinander, und wenn es auch hier nichts zu beanstanden gab, wies er den Mann an einen dritten Beamten, der zwei kleine Karten verabreichte: die Eintrittskarten für die neue Welt.
So glimpflich kommen die Zwischendeckpassagiere nicht davon. Ihnen winkt eine viel gründlichere Untersuchung auf der Einwandererinsel Ellis Island.
Inzwischen war die Fidelia schon weit in den Hafen vorgedrungen. Vor uns lag wie eingebleit ein riesiger schwarzer Kasten, der aus irgend einem Grunde nicht an seine Anlegestelle konnte. In der vorhergehenden Nacht hatte er uns überholt. Nun mußte er erfahren, daß seine Hetze umsonst gewesen war. Die Zahl der Schiffe mehrte sich derart, daß wir nur noch einen Wald von Masten erblickten. Prächtige mehrstöckige, mit Menschen und Fuhrwerken beladene Fährboote kreuzten den Hafen in einem fort. Ihre Dampfpfeifen verursachten einen Höllenlärm. Von der Backbordseite erscholl lautes Geschrei. Die Passagiere begrüßten die Freiheitsgöttin. Die metallene Dame muß sich längst an solche Auftritte gewöhnt haben. Mit ruhig lächelnder Miene, die mit einer Fackel bewehrte Hand hoch emporhaltend, stand sie vor uns als das Wahrzeichen des die Welt erleuchtenden Amerika. Wieviel Millionen hoffnungsvoll jubelnder Menschen hat sie nicht schon kommen, und wieviel Millionen enttäuschter nicht schon davonfleuchen sehen?
Amerika erleuchtet die Welt! Mag sein, aber bitte, mit was?
Links tauchte Hoboken mit seinen weit ins Fahrwasser geschobenen Landungsdämmen auf; rechts New York. Ein verräuchertes Häusergewirr, woraus in unregelmäßigen Abständen graue schlanke Steinkisten, Wolkenkratzer, emporschießen. Der Stadtteil, der von Bord zu sehen war, kam mir bekannt vor. Auf vielen Abbildungen hatte ich ihn schon gesehen. Das Urbild deuchte mich weniger schön, weniger einladend. Übrigens, viel war von der Viermillionenstadt nicht zu sehen. Die hohen Häuser an der Wasserkante hemmten den Blick. Ob die Stadt innen schöner oder häßlicher war, als sie sich jetzt zeigte, würde ich bald herausfinden, denn lange konnte die Fahrt ja nicht mehr dauern.
Zwei kleine Dampfer drehten unser Schiff. Unter Stoßen und Schreien schob es sich langsam zwischen zwei Landungsstege, an deren Giebeln in riesiger Schrift North German Lloyd zu lesen ist. Auf der Rampenspitze des einen Landungsgebäudes preßte sich eine zahlreiche Menschenmenge, die uns mit Schreien und Tücherschwanken geziemend begrüßte. Vom Schiff aus wurden die Grüße mit gleicher Lebhaftigkeit erwidert. Freundliche Worte flogen herüber. Daß mir keines galt und daß niemand erschienen war, mich abzuholen, stand fest. Die paar Bekannte, die ich in New York hatte, wußten hoffentlich nichts von meiner Ankunft. Ich wollte so unbemerkt wie möglich meinen Einzug in die neue Welt machen, wollte von Anfang an meinen Weg allein wählen und mich den Landsleuten erst dann bemerkbar machen, wenn ich festen Fuß gefaßt hatte. So hoffte ich, ihnen den Schrecken über die Ankunft eines neuen Grünhorns und mir das Anhören unmaßgeblicher Ratschläge zu ersparen. Die Laufplanke ward gelegt und damit eine feste Verbindung mit dem amerikanischen Erdteil hergestellt. Ein Troß Männer rannte wie besessen auf uns zu. Ich hatte jetzt keine Lust, mich in irgendeine Unterhaltung einzulassen, sondern ging mit meinem Köfferchen hinüber. Am Ende des Laufbrettes verlangte ein Mann die beiden Karten, die uns eine Stunde vorher die Beamten eingehändigt hatten. Sein Wunsch wurde erfüllt. Aber damit war die Bahn noch nicht frei. Einige Burschen umringten mich, in einem fort schreiend: Keebel! Keebel! dabei Bleistifte schreibbereit auf Kabeltelegrammbogen haltend. So sehr eilte bei mir die Benachrichtigung nicht. Meine Bekannten daheim im Vaterland würden die Kunde von meiner Abreise und von meiner Ankunft am Vordertor des Onkel Sam auch mittels einer Postkarte noch früh genug erhalten. Ich eilte durch eine ungeheuer geräumige Halle dem Ausgang zu. Das stolze Gefühl, als der erste der Passagiere amerikanischen Erdboden zu betreten, trieb mich vorwärts. Leider stellte sich dem Ziel meines Ehrgeizes ein Hindernis in den Weg. Am Ausgang hielt mich ein Kerl an. Alle Überredungskunst half nichts, ich mußte wieder zurück: erst müsse mein Gepäck untersucht werden.
An den Wänden der Ankunftshalle sind alle Buchstaben des Alphabets zu lesen. Unter einigen hatten sich schon Menschen und Gepäckstücke gehäuft. Ich pflanzte mich breitspurig vor dem Buchstaben K auf, damit die Zollbeamten sehen konnten, daß hier Geschäft blühe. Aber keiner ließ sich blicken. Ladearbeiter, Stewards und Matrosen schleppten Kisten und Kasten herein. Das Leben der Halle glich dem eines Jahrmarktes. Alles wirtschaftete, hetzte; besonders die Passagiere zeigten sich unbegreiflich stark aufgeregt. Während der Reise hatten wir uns wiederholt heilig versprochen, die Bekanntschaft weiter zu pflegen, fleißig Nachrichten auszutauschen, in der neuen Welt treue Freundschaft zu halten. Und jetzt, nachdem sie kaum den Fuß aufs Land gesetzt hatten, schienen sie schon ihr Versprechen vergessen zu haben. Wortlos, ohne aufzublicken, rannten sie, ihre Verlegenheit schlecht verbergend, an mir vorüber, als ob sie mich niemals gesehen hätten. Ganz unbegreiflich deuchte mich dieses Gehaben. Und dennoch, der plötzliche Wandel war schließlich zu verstehen.
Mit dem Verlassen des Schiffes waren die Bande der Landsmannschaft, der Kitt, den die Muttersprache bildet, verschwunden. Die Zeit der Muße, der ungestörten Pflege der Gefühle, war vorbei. Die Forderungen des Alltagslebens heischten alle Aufmerksamkeit: der Kampf ums Dasein begann wieder. Das Tun und Denken der Passagiere, allesamt Kleinbürger oder Proletarier, wurde jetzt, nach den kurzen Tagen des Versorgtseins, in verstärkten Maße von den Sorgen ums tägliche Brot beansprucht. Der Taglöhner des Weltgetriebes muß eben erst den Magen befriedigen, ehe er den Neigungen des Herzens folgen kann.
Das Warten auf die Zollabfertigung fing an, langweilig zu werden. Ich fragte einen auf mich zukommenden Steward, wo denn die Zollbeamten eigentlich seien. Statt zu antworten forschte er, wem ich das Trinkgeld übergeben habe. Der sanfte Wink nach meinem Geldbeutel wurde verstanden. Einige Markstücke brachten den Fechtbruder von dannen. Von der feinen Tugend Verschwiegenheit mußte der seefahrende Jüngling wenig haben. Anstatt das Trinkgeld als Schweigegeld zu betrachten, plärrte er meine Freigebigkeit aus. Die Wirkung ließ sich gleich sehen. Sechs seiner Kollegen schoben sich verlegen vor mich hin und stellten Fragen von gleicher Durchsichtigkeit. Schließlich kam auch noch der Obersteward gemessenen Schrittes heran - um sich zu erkundigen, ob ich mit der Bedienung nicht zufrieden gewesen sei. Mit einem Fünfmarkstück schloß ich ihm Frageklappe und Hand.
Das Lauern auf die Zolluntersuchung hatte mich 26 Mark gekostet. An diesem Verlust war bloß der dämliche Kerl am Ausgang schuld. Hätte er mich ziehen lassen, das Geld wäre mir nicht abgeknöpft worden. Der letzte Tag hatte ohnedies den Inhalt meines Beutels stark vermindert. Gerade als die Begeisterung über das Auftauchen des Goldlandes Amerika am höchsten war, wurden die Rechnungen für Getränke usw. verteilt. Die Begleichung kostete mich beinahe 50 Mark. Wie konnte man nur in ein paar Tagen dermaßen in die Kreide kommen! Durch diese Ausgabe war meine Barschaft auf 200 Reichsmark zusammengeschmolzen. Sicherlich nicht sehr viel, na, schließlich aber doch noch mehr als genug, in der Neuen Welt Fuß zu fassen.
Auf der andern Seite der Halle behandelten zwei Kerle mit Brecheisen und Hammer die bunt bemalte Lade einer böhmischen Maid. Ihre Amtsmützen deuteten auf eine Verbindung mit dem Zollgeschäft hin. Ich stellte mich ihnen mit meinem Köfferchen vor. Sie schütteten den Inhalt auf den Boden, ich las die Brocken wieder zusammen, sie händigten mir einen Zettel ein: die Zolluntersuchung war erledigt. Der vermaledeite Bursche an der Pforte grinste hämisch: jetzt sei ich allright (sprich: ohlrait = in Ordnung). Bei dem Schalter zur Linken ließ ich das Gepäck zurück und eilte hinaus.
Auf der Straße empfing mich schreiendes, knarrendes Leben. Der Fahrdamm war mit Fuhrwerken vollständig bedeckt. Tiere, Menschen und Wagen ordneten sich, wie auf höheren Befehl, in eine Linie und schoben sich in innigem Einklang vorwärts. Weiter unten bog der geräuschvolle Zug links ab. Den Ruf der Heilsarmee: 'Folgt der Menge!' beherzigend, trabte ich nebenher. Es ging unter einem Holzschuppen durch auf ein Fährboot. Die Fuhrwerke reihten sich unten eng neben- und hintereinander, die Fußgänger stiegen die Treppe hinauf und gingen in einen Seitenraum, der mit Polstersesseln ausgestattet war. Hier ließ ich mich nieder und wartete mit einem Dollarzettel in der Hand auf den Fahrgeldeinnehmer. Das auffällig gehaltene Papiergeld hatte eine Wirkung, die ich nicht ahnen konnte. Drei Negerjungen stürzten mit Wichskasten und Fußschemel herzu. Einer lag sofort auf den Knien, krempelte meine Hose auf, setzte meinen Fuß auf den Schemel und begann mein Schuhzeug einzuschmieren. Ich winkte wiederholt ab, aber ohne Erfolg. Der schwarze Bengel grinste nur verständnislos. Daß er sich durch das Herausziehen des Dollarscheines für bestellt halten konnte, bedachte ich in diesem Augenblick nicht. Sein Geschäft verstand er sicherlich.
In wenigen Minuten hatte er mit Bürste und Poliertuch meinem Schuhzeug das Aussehen nagelneuer Lackschuhe gegeben. Nachdem er sein glänzendes Werk mit einem selbstzufriedenen Lächeln gestreift hatte, erhob er sich schnell, nahm mir den Dollarzettel aus der Hand, gab 90 Cents zurück und zog wortlos von dannen.
Das Boot setzte sich in Bewegung, wir erreichten das andere Ufer, aber noch niemand war gekommen, mir Fahrgeld abzuverlangen. Die kommenden Fahrgäste lösten sich vor Betreten des Schiffes eine Karte. Demnach hätte ich auf der anderen Seite die 5 Cents (= 20 Pfg.) entrichten müssen. Nun hätte ich gewiß, um die Gesellschaft nicht zu schädigen, noch nachträglich eine Karte lösen können. Allein eine solche Gewissenhaftigkeit wäre im Lande der unbegrenzten Möglichkeiten ja doch bloß als das Zeichen einer weit fortgeschrittenen Geistesschwäche gedeutet worden. Diese Unannehmlichkeit war durch stilles Weggehen leicht zu verhüten. So betrat ich mit nicht ganz reinem Gewissen das Pflaster New Yorks.
Kummer, Fritz
Eines Arbeiters Weltreise
Stuttgart 1913; Nachdruck Weimar und Leipzig 1986