Reiseliteratur weltweit

Geschichten rund um den Globus

1874 - Charles A. Siringo
Rinder für Kansas

Im Frühjahr 1874 verdingte ich mich an Leander Ward aus Jackson County, um eine Herde junger Stiere für die Gebrüder Muckleroy zusammenzubringen, die sie nach Kansas treiben wollten. Ich hatte auch mit Tom Merril, dem Boss von Muckleroy, abgesprochen, daß ich mit auf den Trail gehen würde. Deshalb sagte ich meinen Freunden Good-bye, denn ich erwartete sie nicht vor dem Herbst wiederzusehen. Mein Gehalt betrug fünfundreißig Dollar im Monat plus Spesen, einschließlich der Eisenbahnfahrt zurück nach Hause.
   Nach einem Monat harter Arbeit hatten wir elfhundert wilde und wollige Tiere zusammen für die Übergabe am Thirteen Mile Point am Mustang, wo die Muckleroy-Gruppe auf sie wartete. Ihre Herde bestand überwiegend aus Shorthorns, die sie im Jahr vorher mitgebracht hatten.
   Es war ein kalter, regnerischer Abend, als das Vieh gezählt und an Tom Merril übergeben wurde. Henry Coats, Geo Gifford und ich waren die einzigen, die weiter mit der Herde gingen, das heißt, direkt übernommen wurden. Wir waren hundemüde nach einem Monat mit Wachegehen die halbe Nacht; und nun mit einer ganz frischen Gruppe von neuem loszuziehen, erschien uns recht mühsam.
   In dieser Nacht setzte ein fürchterlicher Sturm ein. Die Herde begann zu wandern und um Mitternacht waren wir fünf oder sechs Meilen weit vom Lager. Die Rinder zeigten Anzeichen, durchgehen zu wollen, aber wir beruhigten sie und sangen melodische Lieder, so daß sie ruhig blieben. Aber um ein Uhr kam eine große Stampede in Gang. Ein Cowboy von den Shorthorns, ein langbeiniger Kerl namens Saint Clair, war von der Herde abgekommen und als er das Singen hörte, jagte er in vollem Galopp durch die Herde schrie immer wieder: »Laßt sie laufen, wir bleiben dran!«
   Am Laufen waren sie, und wie, aber das Dranbleiben war nicht so einfach. Gegen Morgen fand ihn einer der Jungs fest schlafend im Gras. Als er durch die Herde gesprengt kam, ging die Stampede los. Die Herde teilte sich in ein Dutzend verschiedene Gruppen auf, jede in eine andere Richtung. Ich fand mich allein mit ungefähr dreihundert ängstlichen Rinderviechern. Natürlich konnte ich nichts tun, als zu versuchen, vorneweg zu reiten und sie unter Kontrolle zu bekommen. Schließlich, gegen drei Uhr, brachte ich sie zur Ruhe, und nachdem ich ein paar Schlafliedchen gesungen hatte, legten sie sich hin und fingen an zu schnarchen.
   Als das letzte Tier lag, beschloß ich, auch eine Runde zu schlafen; und so klammerte ich beide Beine um das Sattelhorn, legte mich auf dem Hals des müden Ponys, mit dem linken Arm als Kissen, während der rechte die Zügel hielt, und schlief ein. Ich hatte noch nicht lange geschlafen, als aus irgendeinem unerklärlichen Grund alle Tiere im gleichen Augenblick aufsprangen und wie der Blitz verschwanden. Mein Pony, das auch tief geschlafen hatte, bekam es mit der Angst zu tun und galoppierte mit höchster Geschwindigkeit in die entgegengesetzte Richtung. Ich hatte natürlich auch Angst und hing mit eisernem Griff am Sattel. Ich konnte mich nicht aufrichten, weil das Pony so schnell lief, und mußte deshalb so bleiben wie ich war, bis ich es nach ungefähr einer Meile beruhigt hatte.
   Sobald ich mich von dem Schreck erholt hatte, galoppierte ich in die Richtung, von der ich meinte, daß die Rinder dort zu finden seien, aber es gelang mit nicht, sie zu überholen. Gegen neun Uhr am nächsten Morgen kam ich völlig erledigt ins Lager zurück. Die anderen Jungs waren alle da und frühstückten gerade. Tom Merril und Henry Coats hatten es geschafft, etwa die halbe Herde zu halten, aber der Rest war über zwanzig Meilen im Umkreis verstreut und unter anderes Vieh geraten.
   Nach dem Frühstück stiegen wir auf andere Pferde und ritten los, um die verlorengegangenen Rinder zusammenzutreiben. Wir konnten sie von dem hier weidenden Vieh durch das frische Brandzeichen unterscheiden, das erst vor ein paar Tagen eingebrannt worden war. Und so hatten wir gegen vier Uhr nachmittags bis auf hundert Stück wieder alle beim Lager. Diese hundert kaufte Leander Ward zum halben Preis zurück - das heißt, er bekam alles Vieh mit dem neuen Zeichen, das zurückblieb.
   Bei der Rückkehr ins Lager fingen wir uns alle frische Pferde und aßen dann ein frühes Abendbrot. Das Pony, das ich gefangen hatte, war wild und als ich im Lager eingeritten und abgesessen war, riß es sich los und flog mit meinem sternenbesetzten Sattel davon. Mit einem Pony, das einem anderen Cowboy gehörte, nahm ich die Verfolgung auf. Einmal kam ich ihm nahe genug, um ein Seil darüber zu werfen, und das war es. Nach fünfzehn Meilen gab ich auf und ließ ihn weiter in Richtung Rio Grande laufen.
   Als es dunkel wurde, kam ich ins Lager zurück. Es regnete immer noch, wie schon den ganzen Tag. Jim Muckleroy hatte einen extra Sattel dabei, den ich mir borgte, bis ich mir einen anderen kaufen konnte.
   Nach einer kalten Mahlzeit - denn der Regen hatte das Feuer verlöschen lassen - stieg ich aufs Pferd und trat meine Wache an; die erste Nachtwache bis ein Uhr früh war meine gewöhnliche Zeit, während die Ablösung im Lager blieb und schlief.
   Gegen zehn Uhr begann es zu donnern und zu blitzen; dadurch wurde die Herde unruhig. Bei jedem kräftigen Donnerschlag ging die Herde durch und rannte für eine Meile oder zwei, bevor wir sie stoppen konnten. So ging das die ganze Nacht, so daß uns noch eine Nachtruhe fehlte; aber diesmal gelang es uns, dranzubleiben, und wir verloren nicht ein einziges Stück.
   Am Morgen ging es auf den Trail nach Kansas. Alles ging glatt mit Ausnahme einer gelegentlichen Stampede und ab und zu Ärger mit Jim Muckleroy, der ein richtiger alter Miesepeter war. Sein Bruder Charly war in Ordnung. Der Ärger fing damit an, daß er wollte, daß Coates und ich als einzige, die Wildpferde reiten konnten oder besser wollten, umsonst wilde Pferde zureiten sollten. Schließlich machten wir nicht mehr mit uns erklärten ihm, daß wir außer unserem eigenen Pferd kein wildes reiten würden, wenn er nicht extra bezahlte. Er erwartete nämlich, daß wir ein Pferd ein paarmal ritten, bis es zahm wurde, um es dann an seine Lieblinge weiterzugeben, während wir wieder mit einem neuen Pferd anfingen.
   Bei High Hill in Fayette County schmiß Jim mich raus, und ein bißchen weiter ging es Coats genauso; nahe der Staatsgrenze im Norden wurden Geo Gifford und Tom Merril, der Boss, gefeuert. Damit war Jim der alleinige Herr. Er heuerte andere Männer an unserer Stelle an. Von den elfhundert Tieren, mit denen wir losgezogen waren, kam er mit achthundert Tieren in Wichita, Kansas, an.

Siringo, Charles A.
A Texas Cowboy or: Fifteen Years on the Hurricane Deck of a Spanish Pony -Taken from Real Life
Originalausgabe Chicago 1886; Nachdruck der University of Nebraska Press, 1966
Übersetzung: U. Keller

Abgedruckt in:
Keller, Ulrike (Hg.)
Reisende in den USA 1541 – 2001
Wien 2002

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