Reiseliteratur weltweit

Geschichten rund um den Globus

1858 - Balduin Möllhausen
Bis hierher und nicht weiter - Mit dem Raddampfer auf dem Colorado
Black Canyon, heute Hoover-Dam
 
Hell beschien uns noch die Sonne; ein kühler, feuchter Luftzug strömte uns aus der schattigen Schlucht entgegen und kräuselte die Fluten, welche durch die Spiegelung der schwarzen Felswände eine dunkle Farbe angenommen hatten. Immer neues trockenes Holz wurde in den Ofen geschoben, der Dampf zischte, und mit voller Gewalt wälzte er das Rad um, welches im Kampf gegen die heftige Strömung den gelben Schaum hoch empor spritzte. Wir erreichten endlich das Tor; eine Stromschnelle hemmte dort den Lauf des Explorers, doch auf den tiefen Stellen sich hin und her windend, unterstützt von der vereinten Kraft unserer Leute auf den seichten, überwand er glücklich dieses Hindernis, und gleich darauf vernahmen wir von dem Mann mit der Meßstange die Worte: »Kein Boden!« »Bravo!« hieß es von allen Seiten; das Boot glitt weiter. »Kein Boden!« erschallte es wieder; die Schatten der hohen Felswand bedeckten uns, weithin vermochten wir die Stromesfläche zu überblicken und uns zur Fahrt durch den Canyon Glück wünschend, beobachteten wir mit festem Vertrauen den Mann, der vorn auf dem Rand des Bootes stand und unablässig die Tiefe des Wassers untersuchte. »Kein Boden!« hieß es nochmals, doch kaum war das letzte Wort verhallt, als ein furchtbarer Stoß das in all seinen Fugen krachende Dampfboot erschütterte, und zugleich die grenzenloseste Verwirrung folgte.
    Von dem, was in den nächsten Augenblicken vorging, sah ich nichts, und erzähle hier nur das, was ich den Mitteilungen jedes Einzelnen entnahm. Das Boot war mit voller Gewalt auf einen verborgenen Felsen gerannt, und der Mann mit der Meßstange durch den Stoß über Bord geschleudert worden. Die Leute neben dem Dampfzylinder hatte die Erschütterung samt dem Brennholz übereinander geworfen; der Heizer, eben im Begriff, die Glut zu schüren, war mit dem Kopf ins Ofenloch gefahren, Dr. Newberry, Leutnant Ives und ich, die wir nebeneinander saßen, hatten unsere Stellung in soweit verändert, daß wir uns in ähnlicher Ordnung wie oben, aber mit dem Kopf nach unten und den Kisten auf uns, an dem Boden des Fahrzeugs wiederfanden; Egloffstein und Bielawski waren vom Radkasten hinunter auf die Plattform geschleudert worden, und in ihrer Mitte lag der ebenfalls niedergestürzte Kapitän Robinson.
    »Rette sich, wer kann!« hieß es jetzt, denn einzelne Teile der Maschinen hatten sich verbogen, heißer Dampf entströmte den geöffneten Fugen, drohte die beschädigten Röhren vollständig zu sprengen und alle sich in der Nähe Befindlichen aufs Gräßlichste zu verbrühen. Wir Drei, die wir von oben heruntergestürzt waren, lagen gerade unterhalb der gefährlichsten Stellen; doch schnell wie ein Gedanke sprangen wir unter Kisten und Koffern hervor, kletterten an der Außenseite des Bootes herum, und kaum fünf Sekunden nach dem Stoß befanden wir uns wieder auf der Plattform und suchten von unseren Sachen so viel wie möglich zu retten, weil wir jeden Augenblick erwarteten, das Fahrzeug in die Tiefe sinken zu sehen. Kapitän Robinson hatte indessen seine Kaltblütigkeit nicht verloren, und nachdem er sich durch einen Blick überzeugt hatte, daß das Boot nicht sogleich sinken würde, versuchte er dasselbe nach einer etwa fünfundzwanzig Schritte weit entfernten Sandbank hinüber zu steuern, die in Verbindung mit dem felsigen Ufer stand. Die Maschinerie war indessen in Unordnung geraten, denn als Carrol die zischenden Dampfröhren öffnete, drohte das aus seiner Lage gerissene Rad die ganze Kajüte zu zerschmettern. Dem Dampf wurde daher schleunigst ein Weg ins Freie gebahnt, und die ganze Aufmerksamkeit dem Ruderboot zugewendet, in welchem auf den Befehl des Kapitäns ein Teil der Bemannung mit Stricken ans Ufer geeilt war, um das Dampfboot in seichteres Wasser und, wenn möglich, ganz in Sicherheit zu bugsieren. Langsam folgte der Explorer den vereinten Anstrengungen der Leute, und während der Kahn zwischen dem Ufer und dem Dampfer hin und her flog, um die des Schwimmens unkundigen Leute zuerst zu retten, trafen wir auf der Plattform schnell Vorkehrungen, um dem gänzlichen Verlust unserer Sammlungen vorzubeugen. Wir schnürten nämlich Fischleinen mit dem einen Ende an die gefüllten Kisten und versahen das andere Ende mit einem leicht schwimmenden Stückchen Holz, um dadurch Mittel an der Hand zu haben, die etwa versinkenden Gegenstände wieder auffinden zu können. Tagebücher und Zeichnungen befestigten wir an unserem Körper, etwas Munition wurde unter den Hut geschoben, und mit der Büchse in der Hand standen wir am Rande der Plattform, um im entscheidenden Augenblick das Weite zu suchen. Doch der Explorer hielt sich über Wasser; Zoll für Zoll näherte er sich dem Ufer, und mit einem gewissen Wonnegefühl hörten wir endlich den Sand unter den eisernen Planken knirschen. Mochte das Boot auch zur ferneren Reise unbrauchbar geworden sein, so hatten wir doch keinen Verlust an Menschenleben oder an unseren Sammlungen erlitten, und noch im Besitz von Lebensmitteln, waren wir im Stande, die Ankunft des Trains [der begleitenden Landexpedition] zu erwarten. Anders würde es für uns ausgesehen haben, wenn das Boot in 16 oder 20 Fuß Wasser gesunken oder der Unfall uns tiefer in der Schlucht zugestoßen wäre, wo sich schwerlich eine rettende Sandbank zu unserer Aufnahme gezeigt hätte. Für den Augenblick hatten wir nur den Doktor zu beklagen, der mit der Brust auf die Dampfröhre gefallen war, und eine starke innere Verletzung befürchtete. Glücklicherweise bestätigten sich unsere Besorgnisse nicht, und nach einigen Tagen hatten wir die Freude, unseren Doktor wieder von den schmerzhaften Folgen des Sturzes befreit zu sehen.

Möllhausen, Balduin
Reisen in die Felsengebirge Nord-Amerikas
Band 1, Leipzig 1861; Nachdruck 1975

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