1854 - Balduin Möllhausen
(Teilnehmer der Whipple-Expedition entlang des 35. Breitengrades )
In der Salzwüste
Am 2. März verließen wir das Tal und die freundliche Quelle wieder, folgten der Schlucht immer tiefer ins Gebirge und erreichten deren Ende vor einem steilen Bergrücken. Langsam kletterte unsere Expedition aufwärts, bis wir am Gipfel der Höhe anlangten, auf welcher wir durch eine weite Aussicht, die sich uns gegen Westen darbot, überrascht wurden. Eine Ebene. leblos und öde, lag vor uns ausgebreitet, selbst die gegen Westen bedrängter stehenden Yuccas vermochten nicht die Einförmigkeit wesentlich zu unterbrechen. Was indessen die ganze Naturszene hob, das waren die fern im Westen aufsteigenden Bergketten und die hinter diesen uns entgegenschimmern hohen Gebirgskuppen, welche wir für die südliche Spitze der Sierra Nevada hielten. Von dem Bergrücken stiegen wir hinab in die Ebene, wo wir eine verhältnismäßig gute Straße fanden, und unseren Führern folgend, in südöstlicher Richtung weiter zogen. Wieder mussten wir in der dürren Wüste übernachten und uns mit dem kleinen mitgenommenen Wasservorrat behelfen, doch konnten wir uns mit dem Gedanken trösten, dass wir unserem Ziele um 20 Meilen näher gerückt waren.
Am 3. März gelangten wir nach einem kurzen Marsche über hügeliges, aber ebenfalls unfruchtbares, wüstes Land an die zweite Quelle, die uns von den Indianern versprochen war. Sie befand sich in einer Schlucht, die von Granitgerölle und Felsblöcken gebildet wurde, und rieselte nur sehr spärlich aus den Spalten des Gesteins. Ehe wir zum Tränken der Tiere schreiten konnten, mussten die Adern der Quelle mehr bloßgelegt und eine Vertiefung, in welcher sich dann das Wasser sammeln konnte, vor derselben gegraben werden; dann erst konnten wir die Tiere einzeln oder zu zweien an dieselbe bringen, wodurch der übrige Teil des Tages in Anspruch genommen wurde.
Nach den letzten scharfen Märschen schien ein Ruhetag für unsere Tiere fast unerlässlich; es wurde also beschlossen, den 4. März gemeinsam an der Quelle zu verbringen, besonders auch, da eine andere Anordnung für unsere Reise von nun ab begonnen und die dazu nötigen Vorkehrungen getroffen werden mussten. Die Indianer hatten uns nämlich auf scharfsinnige Weise darauf aufmerksam gemacht, dass die nächste Quelle, die wir erreichen würden, nur eine kleine Wasserhöhle sei, an welcher eine so große Anzahl von Menschen und Tieren, wie sie unsere Expedition aufzuweisen hatte, nicht zu gleicher Zeit ihren Durst stillen könne, sondern höchstens der dritte Teil derselben. Diese Mitteilung wurde natürlich nicht unberücksichtig gelassen, und die Expedition deshalb in drei ziemlich gleich starke Abteilungen geteilt, von denen die erste am 5. aufbrechen sollte, die zweite in der Frühe und die dritte in der Nacht des 6. März. Auf diese Weise konnten wir hoffen, dass die jedes Mal 16 bis 20 Stunden später bei der erwähnten kleinen Quelle eintreffende Abteilung dieselbe wieder gefüllt finden würde, und um dieses eher zu ermöglichen, erhielt die erste den Auftrag, die Quelle zu reinigen und die Höhle vor derselben zu vergrößern. Ich schloss mich der zuerst aufbrechenden Gesellschaft an. Wir nahmen in aller Frühe Abschied von unseren Gefährten und folgten dem einen unserer Führer, der, wie gewöhnlich, schweigsam voranschritt. Der andere Indianer blieb zurück, um das zweite Kommando zu begleiten. In der äußeren Erscheinung dieser beiden Indianer war seit der Zeit, wo sie ihre Heimat verlassen, eine bedeutende und nicht eben vorteilhafte Veränderung vorgegangen; als schöne, muskulöse, nackte Gestalten hatten sie sich am Tage unserer Abreise vom Colorado zu uns gesellt , doch nunmehr waren ihre kräftigen Glieder unter einem Haufen von Kleidungsstücken und Decken nicht mehr zu erkennen , denn fast jeder, der nur noch irgend etwas von seinen Sachen entbehren konnte, hatte es mit Freuden den beiden Führern hingegeben, die alles, was ihnen zuteil wurde, mit stoischer Ruhe auf ihren Körper zogen und dadurch nicht wenig einem wandelnden Kleiderladen glichen.
Wir reisten am Morgen des ersten Tages fast fortwährend durch wilde Schluchten, die hin und wieder mit vereinzelten Zedern und Yuccas bewachsen waren; in einigen derselben fanden wir sogar noch die Überreste eines früheren Schneefalles. Am Nachmittag führte unser Weg durch ein weites kesselförmiges Tal, welches ringsum von Gebirgsmassen eingeschlossen war und einen recht entmutigenden Anblick gewährte. Wir glaubten in diesem Tale das trockene Bette eines Flusses zu erkennen, doch war in der unregelmäßigen Bildung des sich hebenden und senkenden Tales nicht genau zu bestimmen, nach welcher Richtung hin sich bei vorkommenden Regengüssen das Wasser verlaufe. Ohne nur irgendwo zu halten oder zu rasten setzten wir unsere Reise bis gegen Abend fort, sattelten unsere Maultiere ab und bereiteten unser Nachtlager, wo wir uns gerade befanden, nämlich eine Meile vor einer aufstrebenden Felsenkette.
Am folgenden Morgen führte uns der Indianer in gerader Richtung auf den ersten Berg und zeigte uns in einer kleinen Schlucht die verborgene Quelle; auch hier fanden wir die Schildkrötenschalen und sonstige Spuren von Indianern, doch keineswegs bestellte Äcker, denn selbst dicht bei der Quelle war der Boden so unfruchtbar und steinig, dass nicht das Geringste auf demselben gedeihen konnte. Es war genau so wie uns die Indianer vorhergesagt hatten; der Wasservorrat, der sich in einer tonnenähnlichen Vertiefung im Boden befand, reichte nur gerade so weit, dass unsere Tiere notdürftig getränkt werden konnten; wir sorgten aber dafür, dass die Quelle gereinigt wurde, und nachdem wir uns überzeugt hatten, dass frisches Wasser zulief, begaben wir uns wieder auf den Weg. Nur noch wenige Meilen zogen wir in dem vor uns liegenden Hochland weiter, als der Boden, der so lange im Steigen gewesen war, sich plötzlich vor uns senkte und dadurch eine weite Aussicht über das vor uns liegende wüste Gebirgsland eröffnete. Nach unserer Vermutung musste sich der Mohave River oder vielmehr sein Bett in einem weiten Bogen nordwestlich von uns herum- und dann gegen Osten ziehen. Nach den trockenen Betten der Gießbäche zu urteilen, in denen das Regenwasser seinen Weg gegen Osten dem Colorado oder gegen Nordwest dem Mohave River zu gesucht hatte, befanden wir uns auf der Wasserscheide zwischen diesen beiden FIüssen; zugleich dieses aber auch der höchste Punkt, den wir auf dem letzten Teil unserer Reise berührten. Die ganze Entfernung von Fort Smith bis hierher betrug 1647, von Albuquerque 813 und vom Rio Colorado des Westens 97 Meilen. Da, wo wir den Colorado verließen, befanden wir uns 368 Fuss über dem Meeresspiegel, auf der eben bezeichneten Wasserscheide dagegen, die unter 35° 11' nördlicher Breite und 113° 21' westlicher Länge von Greenwich liegt, 5262 Fuß hoch, waren also auf den letzten 97 Meilen unserer Reise 4894 Fuß gestiegen. Die Senkung des Landes von dort aus gegen Westen war so stark. dass wir bis zum Mittage des folgenden Tages uns nach Zurücklegung jeder einzelnen Meile durchschnittlich um 101 Fuß niedriger befanden.
Es war ein alter Pfad, auf welchem der Indianer uns führte, ein Zeichen, dass selbst in dieser Wüste menschliche Wesen zu wandern pflegten, ja sogar lebten und wohnten, denn wir erblickten auf unserem Wege einen kleinen Aschenhaufen, unter welchem noch einige Kohlen glimmten und um den herum im Sande die Spuren von Männern, Weibern und Kindern abgedrückt waren. Ich wüsste nicht. wie ich die trostlose Wildnis, welche wir in diesen Tagen. durchreisten, angemessen beschreiben könnte. Fortwährend zogen wir bergab, bald allmählich dem Lauf felsiger Schluchten folgend, bald an schaurigen Abgründen uns hinwindend oder an steilen Abhängen hinunterkletternd, wo uns bei jedem Schritte loses Gestein nachrollte. Es war ein schrecklich ermüdender Marsch. was ich um so mehr empfand, als ich mein Maultier, um es zu schonen, frei, nur mit dem Sattel und den von den Indianern eingetauschten Gegenständen beladen, mit den Herden hatte laufen lassen. Der Indianer schien indessen Muskeln und Sehnen zu besitzen, die unempfindlich gegen Anstrengungen waren, denn ohne nur seine Gangart, die in einem langen wiegenden Schritte bestand, zu ändern, verfolgte er anscheinend gleichgültig die Straße. Die Gebirgszüge, über welche wir von der Höhe aus hinweggesehen hatten, türmten sich immer höher zu beiden Seiten auf, je tiefer wir hinabgeführt wurden, so dass wir uns gegen Abend in einem Felsenkessel befanden und in demselben einer sich allmählich erweiternden Schlucht folgten. Nach einer kurzen Biegung derselben hielten wir plötzlich unvermutet am Rande eines weiten sich von Süden nach Norden erstreckenden Tales. Doch welcher Art war dieses Tal! Hatten wir auf den Höhen die felsige Wüste kennen gelernt, so lag nunmehr eine Sandsteppe in ihrer ganzen Schrecken erregenden Wirklichkeit vor uns. Die Breite derselben von dem Punkte aus, wo wir uns befanden. bis zu den Felsen, welche die Ebene uns gegenüber begrenzten, mochte wohl 20 Meilen betragen. In der Mitte des Thales zog sich von Süden herauf gegen Norden eine Reihe von vulkanischen Felsen und Sanddünen, die gerade westlich von uns ihr Ende erreichten und gewiss keinen freundlicheren Anblick boten als der trockene Sand, der sie von allen Seiten umgab. Durch diese Wüste, erklärte uns der Indianer, müssten wir ziehen, um auf Wasser zu stoßen, und er zeigte uns, in welcher Richtung es sich befand. Wir sahen, wie die untergehende Sonne, uns gleichsam ermutigend, sich in den Wellen eines Sees oder Flusses spiegelte und feuerähnliche Strahlen von demselben ausgehen ließ. Wir erblickten einen weißen Streifen, der sich wie ein Schneefeld am Ende des Tales hinzog, doch war es noch weit, sehr weit bis dahin, und da Ruhe den Menschen und Tieren nötiger als Nahrung war, so streckten wir uns auf dem Sande hin, um den folgenden Tag zu erwarten.
Am 7. März in aller Frühe schon begaben wir uns auf den Weg, der durch den losen Sand, in welchem unsere schwer beladenen Tiere bei jedem Schritte bis über die Hufe einsanken. zu einem der beschwerlichsten wurde, umso mehr, als die Sonne mit voller Kraft den Boden erwärmte und kein kühlender Luftzug die Atmosphäre erfrischte. Als wir bei den vulkanischen Hügeln und Sanddünen vorbeikamen, sahen wir hin und wieder feine Grashalme aus dem Boden hervorragen, wodurch wir veranlasst wurden, der Tiere wegen eine kurze Zeit zu halten. Von diesem Punkte nun hatten wir eine Aussicht über den zweiten Teil des sandigen Tales. welches wie ein weites Schneefeld vor uns lag. Im Anfang glaubten wir, dass die Luftspiegelung uns alles weiß erscheinen ließe, doch erkannten wir bald, dass wir uns am Rande eines umfangreichen Seebettes befanden, in welchem jeder Tropfen Wasser aufgetrocknet war. Als eine weiße fingerdicke Kruste war indessen das Salz, mit welchem das Wasser vermischt gewesen, zurückgeblieben und lag nun auf loser Erde, so dass wir bis über die Knöchel durchbrachen und dadurch, dass wir hinter einander her schritten oder ritten, ein tiefer Pfad entstand. Wir zogen in südwestlicher Richtung durch die weiße Ebene, die von uns Soda Lake genannt wurde. Ungefähr in der Mitte des Seebettes trat ich aus der Reihe, die ich an mir vorüberziehen ließ, um mit Muße nach allen Seiten hinzublicken und den Anblick dieser eigentümlichen Szenerie dem Gedächtnis recht einzuprägen, da sie zu einförmig war, als dass sie sich zu einem Bilde geeignet hätte. Gegen Osten, Süden und Westen war das Ende des Sees abzusehen, denn gelbe Sandstreifen zogen sich zwischen der weißen Fläche und den angrenzenden Felsenreihen hin, gegen Norden aber war die Aussicht so interessant. so ganz verschieden von allem, was ich früher gesehen, dass ich mich lange nicht von dem Anblick zu trennen vermochte. Durch ein weites Tor, welches von den näher zusammenrückenden Felsen gebildet wurde, sah ich in weiter Ferne den See sich mit dem Horizont verbinden; wie Obelisken ragten hin und wieder abgesonderte Felsmassen empor, Inseln bildend in dem trockenen Salzsee. Ob ich das Ende des Sees überblickte oder ob derselbe sich noch weit gegen Norden erstreckte, konnte ich nicht erraten, denn da die Basis der Felseninselchen eben so abgerundet war wie deren Gipfel und die Atmosphäre über dem See leise zitterte, so konnte ich nicht im Zweifel darüber sein, dass eine merkwürdige Strahlenbrechung die Gegenstände in veränderter Gestalt erscheinen ließ; doch so lange ich diese Gegend zu überschauen vermochte, was bis zum Vormittag des folgenden Tages möglich war, hatte ich immer dasselbe Phänomen vor Augen.
Wir erreichten in den Nachmittagsstunden das Ende des Soda Lake, doch befanden wir uns daselbst kaum erst in der Mitte des Tales, welches sich noch weithin gegen Süden verlängerte. Dort nun, wo der Sandboden wieder etwas zu steigen begann, deutete unser Indianer auf die Erde und gab uns zu verstehen, dass viel Wasser in derselben sei. Wir erblickten auch in der Tat einige Vertiefungen, die kristallklares Wasser enthielten. Wir bückten uns zu demselben nieder, um unseren peinigenden Durst mit dem einladenden Trank zu löschen, doch kaum berührten die Lippen den kleinen Wasserspiegel, als jeder erschreckt zurückfuhr vor dem widerlich bitteren Geschmack. Es war ein wenigstens für Menschen untrinkbares Wasser, auf welches wir gleichwohl ganz allein angewiesen waren, denn der kleine Vorrat, den wir mit uns geführt hatten, war schon am frühen Morgen ausgegangen, und wir daher genötigt, unsere Speisen mit dem widerlich schmeckenden Wasser zuzubereiten. Wir gruben an verschiedenen Stellen neue Vertiefungen, in welchen sich bald Wasser ansammelte, doch war nur wenig oder gar kein Unterschied in der Beschaffenheit desselben zu bemerken und selbst unsere Maultiere wendeten sich mehrmals ab, ehe sie sieh entschließen konnten davon zu trinken. Nachdem sie indessen gekostet, begann das Salz in ihrem Inneren zu wirken, und ihr Durst wurde immer stärker. sodass sie sich gar nicht weit von den Lachen entfernen mochten, sondern immer wieder zurückkehrten, um aufs Neue von dem bitteren, aber dennoch für den ersten Augenblick kühlenden Wasser zu schlürfen.
Uns allen war es aufgefallen, dass wir, seitdem wir den Colorado verlassen hatten, außer einigen gehörnten Eidechsen auf kein einziges lebendes Wesen gestoßen waren; nur einen toten Kolibri hatte ich gefunden, der der mit ausgebreiteten Schwingen und gänzlich von der Luft ausgetrocknet auf dem Sande lag, als sei er im Fluge vom Tode ereilt worden. Ich hob das reizende Tierchen auf und legte es später in einen Brief, den ich von Kalifornien nach Europe sandte. Der gänzliche Mangel an Tieren jeglicher Art in diesen Regionen, die auf so stiefmütterliche Weise von der Natur bedacht waren, konnte uns nicht überraschen; eher noch die Spuren von Eingeborenen, die in verschiedenen Richtungen über die Sandebene geeilt waren, und uns vielleicht aus nicht allzu großer Entfernung beobachteten , wo sie sich alsdann im Sande eingescharrt (eine Gewohnheit der dortigen Eingebornen, wenn sie unbemerkt bleiben wollten), um ähnlich den Wölfen über das eine oder das andere zurückbleibende Maultier herfallen, dasselbe zerreißen und verschlingen zu können, und die sich deshalb scheuten, offen in unserem Lager, wenn auch nur bettelnd, zu erscheinen. Wovon die dortigen Eingeborenen, die unsere Mohave-Indianer mit Verachtung Pah-Utahs nannten, lebten, blieb uns lange ein Rätsel, bis unser Führer uns mitteilte, dass diese Menschen ihr elendes Dasein mit Grassamen, Wurzeln, Schlangen, Fröschen und Eidechsen fristen.
Möllhausen, Balduin
Tagebuch einer Reise vom Mississippi nach den Küsten der Südsee
Leipzig 1858