Reiseliteratur weltweit

Geschichten rund um den Globus

1692 - Emmanuel Heath
Das Sündenbabel geht unter: Das Erdbeben von Port Royal
Jamaika

19. Juni, an Bord der Grenada im Hafen von Port Royal. Sehr geehrter Mr. Dean, dieses Schiff ist meine traurige Unterkunft seit dem unglückseligen 7. Juni, als Port Royal von einem Erdbeben schrecklich zerstört wurde und das Meer darüber hinbrach. Der Untergang war plötzlich, unvorhersehbar und nach vier Minuten schon wieder vorbei. Mengen kamen um beim Einsturz von Häusern, Mengen von Menschen und Gebäuden wurden von der aufreißenden Erde verschlungen, und viele andere wurden von der Überschwemmung davon getragen. Man schätzt allgemein, dass 1.500 Menschen umgekommen sind. Gott steh‘ mir bei, niemals in meinem ganzen Leben habe ich so einen Schreckenstag wie diesen erlebt.
   Fast auf der ganzen Insel sind die Kirchen und sonstigen Gebäude zu Trümmern zerfallen, Felsen und ganze Berge sind herabgestürzt, Zuckermühlen und alles andere sind zerstört. Eigentlich kann man nicht glauben, dass so viel Schaden in so kurzer Zeit angerichtet werden kann.
   Der unglückselige Tag begann mit ruhigem und schönem Wetter und blieb auch so. Es gab weder Wind noch irgendetwas am Himmel, das verdächtig ausgesehen hätte. Ich war in der Gebetsstunde gewesen wie jeden Tag und dann zum Handelshof in der Nähe gegangen, wo wir uns üblicherweise mit den Honoratioren der Stadt treffen, und wo ich den Vorsitzenden des Rates traf, der mir immer ein guter Freund war. Wie immer, rauchte er vor dem Essen eine Pfeife; deshalb blieb ich länger als eigentlich geplant, denn ich war zu einem Kapitän Ruden nach Hause eingeladen. Aber es war gut, dass ich blieb. Denn als ich dann aufbrechen wollte, waren der, sein Frau, seine Familie und ein großes und stattliches Anwesen innerhalb einer Minute im Meer versunken und alle und alles war verloren.
   Als ich begann, das Erdbeben zu spüren, fragte ich mich, was das wohl sei. Ich hörte ein summendes Geräusch und stellte fest, dass der Boden unter meinen Füßen verrückt spielte. Ich fragte den Vorsitzenden, der neben mir saß, was denn hier vorginge. Er sagte mir sorglos, das wäre ein Erdbeben, aber nach ein bisschen Gerumpel wäre es wieder vorbei. Aber als wir feststellten, dass die Wände einstürzten, rannte jeder los, um sich zu retten. Ich lief zum Fort Morgan, wo ein weiter Platz ist, auf dem normalerweise die Soldaten exerzieren. Ich dachte, dort wäre ich sicher vor zusammenstürzenden Gebäuden, aber unterwegs öffnete sich die Erde und verschlang vor meinen Augen viele Menschen und die See toste über die Mauern. Da dachte ich, dass ein Entkommen nicht möglich sei und entschloss ich mich, dem Tod auf die bestmögliche Art entgegenzutreten. Ich rannte in die Jerves Street, um nach Hause zu kommen; da brachen die Synagoge und die Häuser auf beiden Seiten zusammen, ich aber blieb unversehrt. Als ich zu Hause ankam, war der große Erdstoß vorbei. Ich beschloss, das Ende meiner Tage im Gebet zuzubringen und dazu so viele Nachbarn wie möglich um mich zu versammeln. Als ich mein Zimmer betrat, fand ich es so ordentlich vor, wie ich es verlassen hatte, Bilder und Spiegel waren an ihrem gewohnten Platz. Ich begab mich auf meinen Balkon; Hunderte von Leuten auf der Straße riefen, ich solle doch herunterkommen und mit ihnen auf der Straße beten, was ich auch tat. Wir knieten am Rinnstein, während sich die Erde unter uns mit immer neuen Erschütterungen und Stößen bewegte, wie die Wogen des Meeres. Als ich ganz schwach und matt vor lauter Beten und  Ermahnungen an meine Gemeinde war, kam ein Kaufmann vorbei und rief mir zu, er hätte ein Boot, das sie an Bord eines Schiffes bringen würde, wo ich viel sicherer wäre als hier, denn die Beben gingen immer weiter, und immer wieder fiel ein Haus ein, und die See verschlang den größten Teil dieses verdorbenen und sündigen Ortes und würde ihn bald ganz bedecken. Meine Errettung war ein Wunder und ganz unerwartet, denn ich hatte schon aufgegeben, auf ein Entkommen zu hoffen.
   Man möchte nicht, dass ich das Land verlasse, aber ich bin es leid. Sie sind so gottlos, ich fürchte, es stehen ihnen noch schlimmere Dinge bevor; Gott wird sie bald vernichten. Ich habe mich deshalb entschieden, über London nach Hause zurückzukehren. Wenn ich dort angekommen bin, lasse ich von mir hören. Viele Leute verlassen die Gegend aus Angst vor dem schauerlichen Strafgericht. In der Tat gibt es nichts als Blitz und Donner und merkwürdiges Wetter und dauernde Erdstöße seit dem unglückseligen 7. Juni.
   Nur etwa eine halbe Minute vor dem Erdbeben sah ein Herr, dem man Glauben schenken kann, einen Feuerball vom Himmel in den Hafen fallen. Gegen zwei Uhr am Morgen nach dem Erdbeben sahen mehrere Leute einen Stern mit roten und blauen Strahlen, der ebenfalls wie ein Feuerball in den Hafen fiel. Alle Menschen dringen in mich, nicht von hier fort zu gehen,  und sie wollen für mich sammeln, um mir ein Einkommen von 250 Pfund pro Jahr zu garantieren, aber sie sind so wankelmütig, dass ich nicht weiß, ob ich mich darauf verlassen soll. Wenn Sie nicht mit dem nächsten Geleitzug von mir hören, können Sie davon ausgehen, dass ich nicht komme, aber dann gebe ich Nachricht mit an Sie oder einen anderen Freund. Der Hafen, sein Wasser bedeckt mit schwimmenden Leichen, bietet ein überaus trauriges Bild, auch die Häuserruinen und überall zerstreute Gegenstände, aber der Gestank ist noch schlimmer. Sie werden gemerkt haben, dass ich in großer Eile und in großem Durcheinander an Sie schreibe, denn ich habe ein Blatt dieses Briefes verkehrt herum benutzt, aber ich hoffe, das werden Sie, geehrter Herr, nachsehen Ihrem sehr verbundenen und unglücklichen Freund und Diener
   Emmanuel Heath.

Der Originalbrief von Emmanuel Heath ist einsehbar unter
Sephardim.org.jamaica/100/port_royal1.jpg
Übersetzung: U. Keller

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