1801 - John Riland
Mit dem Sklavenschiff nach Jamaika
Im Jahr 1801 ging ich in Liverpool an Bord eines für Westafrika bestimmten Schiffes, das reichlich mit all den Dingen ausgestattet war, die man für Gefangenschaft und menschliches Elend braucht. Gentlemen, die eine ähnliche Erziehung durchlaufen haben wie ich, können den Umschwung der Gefühle nachempfinden, der mir den Sinn belastete, als ich so plötzlich die Gesellschaft – das heißt meine mir eng verbundene Gruppe von Freunden – und den Luxus von Oxford aufgab für Kapitän, Mannschaft, Kabine und Ausstattung der Liberty; denn so hieß das Schiff, eine merkwürdige Illustration dafür, dass Gegensätze sich anziehen. Sie war in einem Jahr vom Stapel gelassen worden, in dem viele unserer Landsleute im Freudentaumel waren infolge der viel versprechenden Entwicklung in Frankreich; und es war eine der Widersprüchlichkeiten eines Sklavenhändlers, diesen Namen einem der mächtigsten Hilfsmittel der Unterjochung zu geben. Wie dem auch sei, mein Frohsinn gewann wieder die Oberhand gegenüber dem Ekel, und ich genoss die Reise nach Afrika in der Tat, wenn ich auch mit bitterem Schmerz der Jahre in [der Privatschule] Ravenswood gedachte, als ich das letzte britische Land hinter dem Horizont versinken sah. Dulces moriens reminiscitur Argos! [Im Sterben erinnert man sich an das süße Argos!]
Während der Fahrt [nach Afrika] tat Kapitän Y... alles, was in seiner Macht stand, um die empörenden Umstände, von denen er erwartete, dass sie sich mit der Ankunft zeigten, in besserem Licht erscheinen zu lassen, ebenso wie während des Aufenthaltes an der Küste und auch bei der Weiterreise nach Jamaika. Er versuchte es mit Beschönigung, als das aber nicht viel fruchtete, verlegte er sich auf logische Erklärung. Er bewies mir Nacht um Nacht, wenn wir bei dem trüben Licht der Kabinenlampen saßen, dass Trauer und Schmerz, Gefangenheit und Tod nur für Menschen europäischer Herkunft ein großes Übel seien; dass diese Übel Bitterkeit und Bösartigkeit verlören und sogar gemildert und unschädlich gemacht würden, wenn von der Hand Japhets an die Kinder Hams verteilt; dass die Neger, befreit von der Tyrannei ihrer eigenen Fürsten und ihrem eigenen liederlichen Lebenswandel, letzten Endes gewönnen, sobald sie die Plantagen in Westindien erreichten.
Der Kapitän übernahm seine Ladung mit sonst nicht üblicher Hast, während ich an Land blieb und die Wunder einer neuen Welt in mich aufsog und insbesondere praktische Studien in Naturgeschichte betrieb, für die die Gegend viel Anregung bot. Ich hatte das Glück, eine lebende Boa zu sehen, die mir aber im dichten Busch entkam; kein Schuss meinerseits brachte sie ans Licht. Dann war ich entzückt von der Gefangennahme eines voll ausgewachsenen Schimpansen und hörte kaum die abfälligen Bemerkungen der Mannschaft über meine Begeisterung über diesen nicht so weit entfernten Verwandten der Neger, denn sie betrachteten meinen Gefangenen als nur eine oder zwei Stufen unter den Schwarzen stehend. Ich füllte mehrere Kisten mit Vögeln, Insekten und Samen und dem massigen Exemplar eines Termitenbaus. Es gehörte zu Kapitäns Y…s Politik, mich mit solchen Dingen voll zu beschäftigen, denn er wollte unter keinen Umständen, dass ich Zeuge wurde, wie es auf dem Sklavenmarkt zuging oder wie die Sklaven an Bord gebracht wurden.
Am 6. Mai ging ich an Bord der Liberty. Der Kommandant empfing mich so, dass ich seiner Meinung nach mit den Schrecken der Middle Passage versöhnt würde. Sobald ich an Deck auftauchte, erklärte er mir, dass ich schon merken würde, dass ein Sklavenschiff ganz anders sei als es immer dargestellt würde. Ich würde feststellen, dass die Sklaven sich glücklich fühlten. Sie waren alle unter Deck gebracht worden, aber er war entschlossen, mir die Wahrheit seiner Aussage zu beweisen. Er rief ein paar dementsprechende Worte den Frauen zu, worauf sie mit drei Hochrufen und lautem Lachen antworteten. Er ging auf dem Hauptdeck nach vorn und sagte den Männern das gleiche und bekam die gleiche Antwort. Dann sagte er: »Sind Sie jetzt nicht überzeugt, dass Mr. Wilberforce sich sehr unpassend über Sklavenschiffe geäußert hat?« Diese Schlussfolgerung war zweifelsohne richtig. Der Kapitän hatte schon mal eine Meuterei und Aufruhr unter den Sklaven gehabt. Aber er meinte, ich brauchte mir jetzt keine Sorgen zu machen, denn die Sklaven würden so bewacht, dass alle Versuche vereitelt würden, wenn sie sich erheben wollten. Er zeigte mir, wo ich meine Hängematte platzieren sollte und meinte, ich hätte hoffentlich nichts dagegen, dass ein paar kleine Sklaven darunter schliefen. »Der Geruch ist für ein paar Tage unangenehm. Aber wenn wir erst in die Passatzone kommen, merkt man ihn nicht mehr.« Der Gestank, der ganze Anblick und die Unterhaltungen trugen nicht dazu bei, die Reise angenehm zu finden.
Um zwei Uhr nachmittags lichtete das Schiff die Anker und zog mit günstigem Wind davon. Die Sklaven sahen sehr ungesund aus, sie waren mager, schmutzig und ohne Ausnahme vom Skorbut befallen. Es gab insgesamt 240 an Bord, 170 männliche und 70 weibliche. Vier Sklaven waren bereits gestorben.
Am 7. Mai bemerkte ich, dass eine Frau Handschellen trug, und fragte nach dem Grund. Ich stellte fest, dass sie versucht hatte, sich zu ertränken, und gerade noch an einem Bein gepackt werden konnte, als sie sich über die Seite warf. Für dieses Missverhalten wurde sie streng bestraft und war als Mahnung für die anderen immer noch gefesselt.
Am 8. wurden die männlichen Sklaven zum ersten Mal seit unserer Abfahrt an Deck gebracht. Sie schienen völlig teilnahmslos zu sein und wirkten sehr abgehärmt. Manche sahen schwerkrank aus und waren es auch, wie sich herausstellte. Bei Manchen bemerkte man stillen Trübsinn, der Kapitän führte das darauf zurück, dass sie mehrere Tage unter Deck eingesperrt gewesen waren und kein Land mehr in Sicht war. Sowohl er wie auch die Offiziere schienen zu denken, dass sie auf Aufruhr aus seien. Als das Schiff noch vor der Küste lag, hatten sie einen erfolglosen Versuch gemacht, es in Besitz zu nehmen.
15. Mai. Eine Frau, die vor kurzem ein Kind geboren hatte, starb. Sie war vorher bis auf die Knochen abgemagert gewesen. Ein Sklavenschiff bietet für eine Frau in diesem Zustand wenig oder besser keinen Komfort. Das blanke Deck war ihre einzige Liegestatt und eine zu kleine Decke ihre einzige Hülle. Das Kind hatte noch nicht seiner Mutter Milch geschmeckt, sondern war mit Mehl gefüttert worden. Es überlebte die Mutter nur um zwei Tage.
23. Mai. Heute, wie auch schon bei früheren Gelegenheiten, beobachtete ich, wie einige der Sklaven ihr Essen zurückwiesen. Der wachhabenden Offizier stieß diesen Leuten gegenüber Drohungen aus und schwang seine Peitsche. Einer seiner Reden war, dass sie, wenn sie nicht äßen, bald ins Meer geworfen würden. Das hätte wahrscheinlich nichts bewirkt, hätte er nicht Anstalten gemacht, sie Peitsche zu benutzen. Da taten die Sklaven so, als ob sie äßen, und nahmen ein bisschen Reis in den Mund. Aber wann immer er ihnen den Rücken zuwandte, warfen sie den Reis über Bord.
24. Mai. Wieder einmal wollte der Kapitän, dass die Sklaven tanzten. Aber ihnen schien nicht danach zumute zu sein, seinem Wunsch zu entsprechen. Er fing selber an zu tanzen, um ein Beispiel zu geben, aber sie zeigten keine Neigung, ihm zu folgen, bis nach der Peitsche gerufen wurde. Dann aber begannen sie zu singen und zu hüpfen. Einige wenige jedoch ließen sich die Peitsche einige Male kräftig über die Schultern ziehen, bevor sie ihrem Gefühl so zuwiderhandelten und sich lustig gaben, obwohl ihnen doch so traurig zumute war.
Schließlich gingen wir im Hafen von Port Royal [auf Jamaika] vor Anker, und ich verließ sehr bald die Liberty und ging an Land. Bevor ich sie aber für immer verlasse, will ich noch eine Beschreibung geben, wie es auf diesem Sklavenschiff zuging und welche Beobachtungen ich in Bezug auf den Zustand der Sklaven und deren Sterblichkeit machen konnte.
Die Sklaven waren folgendermaßen untergebracht: Der Raum der Männer lag direkt unter dem Hauptdeck und erstreckte sich vom Bug bis zum Großmast. Seine Höhe unter den Decksbalken betrug nur 1,4 Meter. Oben lag ein großes Holzgitter; durch dieses Gitter kann im allgemeinen auf See genügend frische Luft zugeführt werden; aber im Hafen oder vor der Küste, wo häufig kein Wind weht, müssen die Sklaven oft die ungesundeste und stickigste Luft eingeatmet haben. In den Seitenwänden waren zwei oder drei kleine Löcher, die hin und wieder geöffnet wurden, um Luft hereinzulassen. In diesem Raum waren 140 Männer untergebracht. Und natürlich hatte jeder zu wenig Platz und es war weder bequem noch gesund. Ich konnte am zweiten Tag nach unserer Abfahrt sehen, wie bleiern, gespenstisch, düster und niedergeschlagen sie aussahen, nachdem sie fünf Tage unter Deck zugebracht hatten.
Die Männer waren immer zu zweit mit eisernen Fesseln aneinander gekettet, rechtes Bein und rechter Arm des einen an linkem Bein und linkem Arm des anderen. Wenn das Wetter es zuließ, wurden sie gegen 8 Uhr morgens an Deck gelassen. Nur zwei durften jeweils den Niedergang heraufkommen, das nächste Paar durfte erst aufsteigen, wenn das erste an einer Kette festgemacht war, die sich über die gesamte Länge des Decks erstreckte und die durch einen Ring in den Beineisen gezogen und dann an einem Ringbolzen festgemacht wurde. Wenn alle an Deck waren, wurde ihnen Reis in Wannen vorgesetzt, je eine Wanne für 10 Sklaven. Auf ein Signal hin klatschten sie alle in die Hände und brachten drei Hochs aus und begannen dann zu essen. Nach dem Essen wurde ihnen ein Trunk Wasser gegeben. Der Erste Maat und der Bootmann, beide mit einer Peitsche bewaffnet, führten während dieser Zeit auf Deck das Kommando.
Manchmal wurde eine Trommel an Deck gebracht, zu deren Rhythmus die Männer sangen und tanzten. Durch die besagte Kette auf einen Fleck beschränkt, bestand das Tanzen nur daraus, mit dem freien Fuß heftig auf das Deck zu stampfen. Sie bekamen zwei Mahlzeiten pro Tag, die erste zwischen 9 und 10 Uhr, die zweite, die genauso war wie die erste, gegen 16 Uhr. Vor Sonnenuntergang wurden alle wieder nach unten geschickt und die Luken versperrt. Während sie an Deck waren, wurde ihr Quartier gereinigt, aber gegen Morgen wurde der Gestank natürlich sehr stark, und noch stärker, wenn sie wegen des Wetters nicht an Deck gelassen werden konnten.
Das vordere Hauptdeck war von dem Teil hinter dem Großmast ganz durch eine Barrikade von etwa 3 Meter Höhe abgetrennt, die mehr als einen halben Meter seitwärts über das Schiff hinausragte. In dieser Barrikade war eine kleine Tür, durch die ein Mann passte. Hier wurden zwei Wachen postiert, wenn die Sklaven an Deck waren. Vier weitere standen mit geladenen Donnerbüchsen auf der Barrikade über den Köpfen der Sklaven. Und zwei Kanonen, mit Schrot geladen, waren durch ausgeschnittene Löcher in der Barrikade auf das vordere Deck gerichtet.
Ein sehr stark gebauter Verschlag, der aber die Luft durchziehen ließ, lag am hinteren Teil des Männerquartiers. Hier war ein Raum von etwa 3 Meter Breite als Zugang, auf der anderen Seite lag der Frauenraum, der sich bis zum Besanmast erstreckte. Dieser war verhältnismäßig geräumiger als der der Männer, denn es schliefen dort normalerweise nicht mehr als 45 Personen. Die Frauen waren nicht angekettet, mit einer Ausnahme; sie war diejenige, die versucht hatte, sich zu ertränken. Ein Holzgitter [als Decke des Frauenraums] lag etwa einen Meter über dem Deck und ließ eine Menge Luft durch. Die Frauen wurden jeden Morgen auf das Halbverdeck gebracht. Aber mit ihnen traf man keine der Vorkehrungen, die man für die Männer für nötig hielt. Sie, wie auch die Jungen und Mädchen wurden vom zweiten Bootsmann mit seiner Peitsche unter Kontrolle gehalten. Oft wurde ihnen befohlen, zu tanzen und zu singen, und da sie mehr Bewegungsfreiheit hatten und sich scheinbar weniger Sorgen um ihr Dasein machten als die Männer, erzeugten sie eine Menge mehr Lärm bei dieser Übung, obwohl es manchmal mühsam war, sie dazu zu bringen. Gegen Sonnenuntergang wurden auch sie wieder nach unten befohlen und die Luken geschlossen.
Das Halbverdeck erhob sich etwa zwei Meter über dem Hauptdeck und reichte so weit, dass es zwei Räume ergab. Der hinterste war die Kabine. Hier hingen des Kapitäns und meine Hängematte, und darunter, auf dem Fußboden, lagen nachts 25 kleine Mädchen. Vor der Kabine lag der zweite Raum, auf der Vorderseite weitgehend offen, wo der erste Maat und der Arzt ihre Hängematten aufhängten und wo während der Nacht 29 Jungen lagen. Die Besatzung hängte ihre Hängematten auf dem Hauptdeck unter dem großen Beiboot auf, auf dessen Seiten eine Art Schutzdach gespannt war, um den Tau abzuhalten.
Die Mahlzeiten der Sklaven bestanden aus gekochtem Reis, über die die sogenannte Schlabbersauce gegossen wurde, die aus aufgelesenem Fisch und vielleicht ein paar Rinderknochen mit Wasser gekocht wurde. Es war die Aufgabe des Arztes, sich darum zu kümmern, dass der Reis richtig gekocht, gleich an alle und nicht zu heiß verteilt wurde. Den Sklaven, die nicht genug zu sich nahmen, wurde befohlen zu essen und sie wurden mit Strafe bedroht. Aber die Nahrungsverweigerer schienen krank zu sein. Kranke, insbesondere die mit Durchfall, wurden von den anderen getrennt gehalten, und zwar die Männer im großen Beiboot, über das eine Plane gespannt war, die Frauen unter dem Halbverdeck. Keinem Sklaven waren irgendwelche Kleidungsstücke gestattet, und alle schliefen auf den nackten Holzplanken. Wie schmerzhaft solch ein Bett sein muss, weil das Schiff sich dauernd und manchmal sehr heftig bewegt, kann man sich leicht vorstellen. Ich habe es selbst auch erfahren. Als ich mich eines Tages nicht wohl fühlte, legte ich mich auf einen niedrigen Schrank in der Kabine, ohne eine Matratze unter mir zu haben. Noch vor dem war Abend die Haut von meinen Hüften gescheuert, und ich hatte viele blaue Flecken. Ich nehme an, dass die Sklaven an harte Betten besser gewöhnt sind als ich, aber die Bewegungen des Schiffes müssen für sie genau so ungewohnt gewesen sein wie für mich, und es war sehr unbequem.
Aus meiner bisherigen Erzählung kann man ersehen, dass ich mich nicht gerade in einer angenehmen Umgebung befand. Nachts hing ich in meiner Hängematte über einer Gruppe von Sklaven, die zusammengewürfelt auf dem Boden schliefen und deren Gestank manchmal fast nicht auszuhalten war. Während des Tages hatte ich zwar die Kabine oft für mich allein, aber der Lärm der Sklaven an Deck war ohrenbetäubend, besonders dann, wenn sie tanzten. Es gab keine Möglichkeit für mich, mich körperlich zu betätigen, da das Halbverdeck tagsüber so mit Sklaven belegt war, dass ich mich kaum unter ihnen bewegen konnte, ohne auf sie zu treten. Wenn nun aber die Lage schon dann unerfreulich war, wenn es mir gut ging, war es noch schlimmer, wenn ich mich unwohl fühlte, wie es häufig der Fall war. Aber meine Unzufriedenheit hielt sich dann in Grenzen, weil ich dachte, dass es mir vergleichsweise gut ging; ich freute mich, bald liebe Freunde wiederzutreffen, ich konnte mich geistig beschäftigen und meine Leiden lindern, in Gedanken an meinen Glauben, der mich stützte und mich beruhigte. Wenn ich mich also unter all diesen günstigen Umständen so unbehaglich fühlte, wie musste es denen gehen, die mich umgaben, nackt auf den Decksplanken, in Eisen gelegt, ohne jede Möglichkeit, die Düsternis ihres Gefangenendaseins aufzuhellen oder ihre Krankheiten kund zu tun; ohne jede Hoffnung, die doch aus einem Sklaven einen freien Mann machen kann, unwissend, was ihr weiteres Schicksal sein würde, voller Furcht vor schrecklichem Tod oder grausamem Dienst. Und ohne die geringste Aussicht, jemals ihr Heimatland oder das Gesicht von Freunden oder Verwandten wiederzusehen, von deren Seite sie mit Gewalt weggerissen worden waren.
Riland, John
Memoirs of a West-India planter
London 1827
Übersetzung: U. Keller