Reiseliteratur weltweit

Geschichten rund um den Globus

1767 - Christian Oldendorp
Vom Zuckerrohr und seiner Verarbeitung
St. Thomas, St. John, St. Croix, US-Virgin Islands

Die vornehmste Pflanze in Westindien, welche so viele Menschen dahin gezogen hat, durch deren Anbau so viele reich geworden sind, und deren Produkt die Handlung und Schifffahrt in Flor gebracht hat, ist das Zuckerrohr. Ursprünglich ist sie auf diesen Inseln nicht heimisch, sondern wie andere auch dorthin versetzt worden. Da der Gebrauch des Zuckers so allgemein ist, wird eine kurze deutliche Nachricht von der Pflanze, aus der er bereitet wird, und von der Art, wie dabei verfahren wird, nicht unangenehm sein.
   Es wächst das Zuckerrohr auf den dänischen Inseln ungefähr anderthalb Mannslängen hoch, wovon zwei Drittel das eigentliche Rohr ausmachen, ein Drittel aber aus dem Top oder Ende des Rohrs und den obersten Blättern besteht, und ist ungefähr einen Zoll im Durchmesser dick. Wie jede andere Art Rohr oder wie die Halme des Getreides besteht es aus verschienenen Gliedern, an deren Gelenken die Augen oder Knospen hervorkommen, die die neuen Pflanzen enthalten; die wachsen in der Tat auch daraus hervor, wenn sie in die Erde gelegt werden. Unter der dünnen, holzartigen Rinde ist es ganz mit weißem Mark gefüllt, aus dessen Saft der Zucker bereitet wird. Auch gibt dieses Mark eine angenehme Nahrung für Menschen und Tiere. Neger und alte Einwohner können dessen viel zu sich nehmen, aber Neuankömmlinge müssen sich darin sehr mäßigen, wenn sie sich nicht Durchfall zuziehen wollen.
   Das Zuckerrohr wird gepflanzt wie der Weinstock. In gleicher Entfernung werden reihenweise nach der Schnur gleich große Löcher auf dem Zuckerfelde gemacht. Ihre Länge ist gewöhnlich drei Fuß, die Breite beträgt halb so viel und die Tiefe nur ein Drittel. Anderthalb Schuh sind sie voneinander entfernt, zwischen den Reihen aber bleibt ein Raum von drei Schuhen. Doch treffen diese Abmessungen nicht überall genau so zu, denn man richtet sich darin nach den Umständen. Auf den Bergen in St. Thomas und St. John, wo große Steine in Menge über die Fläche des Bodens hervorragen, kann bei Anlegung der Zuckerlöcher keine Ordnung beobachtet werden. Wird ein Feld aufs Neue bepflanzt, so macht man die Löcher gern im Raum zwischen den Reihen in einer ausgeruhten Erde. Zwei oder drei von reifem Zuckerrohr abgeschnittene Stücke, ungefähr eine Elle lang, werden horizontal so in ein Loch gelegt, dass die Knospen nebeneinander zu liegen kommen, denn wenn sie übereinander lägen, könnten die unteren nicht aufgehen. Dann wird das Loch mit Erde zugeschüttet. Wenn es sich trifft, dass zugleich Zucker gepflanzt und geerntet wird, so wird wohl der Top oder der oberste Teil des Zuckerrohrs eingelegt, der aber wenigstens drei Augen haben muss. Nachdem die Blätter oben abgeschnitten worden sind, wird er so gelegt, dass die Spitze aus der Erde hervorragt. Jede Zeit des Jahres ist zum Pflanzen geeignet, wenn nur der Boden vom Regen genug durchweicht ist, was sonderlich in und nach der großen Regenzeit geschieht. In lehmigem Boden kann auch nach wenig Regen gepflanzt werden. Nach einem Monat ist die junge Zuckerpflanze schon ziemlich weit aus der Erde, worauf das Zuckerfeld von Unkraut gereinigt wird, was von Zeit zu Zeit wiederholt wird. 15 bis 18 Monate braucht das Zuckerrohr, um zu reifen. Die Güte des Erdreichs macht dabei den Unterschied. Ist aber ein Feld einmal bepflanzt, so können sechs, zehn und mehr Ernten davon genommen werden, ohne dass es nötig wäre, von Neuem zu pflanzen, denn die alten Wurzeln treiben immer wieder Nachwuchs oder neue Pflanzen, welche man Ratuhn [englisch: ratoon] nennt und die gewöhnlich in einem Jahr und früher reif werden. Ein Zuckerfeld in St. Croix hatte nach Aussage eines alten Einwohners schon 24 Jahre lang Ratuhn getragen. Es ist also nur nötig, von Jahr zu Jahr die Stellen nachzupflanzen, wo einige Stöcke eingegangen sind.
   Wenn das Zuckerrohr reif ist, so geht der Crop oder die Ernte an, die auf großen Plantagen mit dem Jahr ihren Anfang nimmt und sechs Monate, oft noch länger, andauert. Es schadet dem reifen Zuckerrohr nicht, wenn es nicht gleich abgeschnitten wird. Wenn keine zu große Dürre einfällt, kann es noch Monate lang stehen und gibt dann mehr Zucker und weniger Melasse oder Sirup. Das reife Rohr wird erst oben, vom dritten oder vierten Glied an, gekappt, danach unten dicht am Boden. Die Blätter, die zum größten Teil dürr sind, werden abgestreift und dann gesammelt, um Negerhütten und andere Wirtschaftsgebäude damit zu decken. Wird der Top nicht zum Pflanzen gebraucht, so werden Pferde, Esel und Maultiere damit gefüttert und Schweine gemästet. Das gekappte Rohr wird in Bündel gebunden und durch Esel zur Zuckermühle gebracht.
   Der Hauptteil einer Zuckermühle sind drei Walzen, die auf einem horizontalen, zwei Fuß breitem und dickem Stück Holz, das Brücke heißt, senkrecht dicht aneinander in einer Reihe stehen. Mit Zähnen greifen sie ineinander, sodass sich alle zugleich auf eisernen Zapfen drehen, wenn die mittlere durch Windflügel oder Lasttiere oder Wasser gedreht wird. Alle drei haben einen Durchmesser von einer Elle, sie sind unten von einem glatten eisernen Zylinder eingefasst, der über eine Elle hoch ist und Casse heißt. Die mittlere Walze wird König genannt und ist 23 Fuß hoch, weil oben das Triebwerk angebracht ist. Die beiden anderen, die nur kurz sind, heißen Zuckerroller und Macassroller, weil zwischen König und Zuckerroller das Zuckerrohr zum ersten Mal und zwischen König und Macassroller zum zweiten Mal hindurchgeht. Da diese Walzen sehr dicht zusammenstehen, wird durch die zweimalige Quetschung aller Saft aus dem Rohr gepresst. Der Saft fließt in eine Rinne unter der Brücke, von der er in einen Behälter und von diesem durch Röhren ins Kochhaus geleitet wird.
   Wenn nun Zucker gepresst wird, so steht ein Sklave hinter und einer vor dem König. Dieser steckt eine Handvoll Rohr nach der anderen zwischen den Zuckerroller und den König, das schnell hineingezogen und zerquetscht wird. Jener empfängt auf der anderen Seite das einmal ausgepresste Rohr, dass jetzt Macass heißt, und steckt es zwischen König und Macassroller. Der Macass wird von ein paar Negerkindern aus der Mühle geworfen, getrocknet, in Bündel gebunden und als Feuerung unter dem Zuckerkessel benutzt. So wird der Zucker mit seinem eigenen Holz gekocht, und nichts geht von dieser köstlichen Pflanze verloren.
   Die Walzen ziehen, wenn sie geschwind gedreht werden, alles mit solcher Kraft durch, dass ein Sklave sogleich unaufhaltsam hineingezogen wird, wenn er nur mit Spitze eines Fingers oder mit einem Zipfel seiner Kleidung an die Stelle kommt, wo sie sich berühren. Ganz erbärmlich wird er zermalmt, wenn nicht augenblicklich mit einem scharfen Beil die gepackte Hand oder der Arm abgehauen wird. Eine Pferdemühle kann bei einem solchen unglücklichen Vorfall gleich angehalten werden, eine Windmühle aber nicht. Darum ist in diesen immer ein scharfes Beil bei der Hand, womit der sogenannte Bootsmann, der die Aufsicht bei dieser Arbeit hat, dem Unglücklichen mit Verlust eines Armes das Leben zu retten sucht.
   Das Zuckerwasser, das angenehm zu trinken ist, muss bald gekocht werden. Denn nach zwei Tagen wird es säuerlich, und dann kann kein Zucker mehr daraus bereitet werden. Im Kochhaus sind meistens acht große Kessel, in einigen mehr, in anderen weniger. Das Zuckerwasser wird aus seinem Behältnis von dem Zuckerkoch, einem Neger, in den ersten Kessel gelassen, aus diesem nach einer Weile in den zweiten geschöpft und in beiden so lange gekocht, bis es etwas dick zu werden anfängt; dann kommt es in den Batteriekessel und wird vollends zu Zucker gekocht. In den ersten Kessel werden ein paar Hände voll ungelöschten Kalks getan, der die Unreinheiten in die Höhe treibt, die beizeiten abgeschöpft werden müssen. Von allen Kesseln, insbesondere den zwei ersten, die am meisten schäumen, wird beständig mit einem Schaumlöffel der Schaum abgenommen und in einem Gefäße gesammelt. Wenn der Zucker zu stark kocht und überlaufen will, so werden ein paar Tropfen Rizinusöl hineingespritzt oder sonst etwas Fettes hineingeworfen; sodass er sich gleich wieder setzt. Wenn die Batterie zu lange kocht, verbindet sich die Melasse mit dem Zucker und macht ihn schwarz.
   Wenn der kochende Zucker nicht mehr spritzt, sondern große Blasen macht und körnig am Schöpflöffel hängen bleibt, so ist er gar. Dann wird er durch einen hölzernen Trichter in das Kühlfass gegossen, um sich abzukühlen. Milchwarm wird er in die Oxhofte oder großen Zuckerfässer getan, durch die ein paar Zuckerrohre gesteckt werden, damit die Melasse oder der Sirup herauslaufen kann. Die Melasse sammelt sich in der Malassiesback, einem gemauerten Gewölbe, über dem sowohl die Zuckerfässer wie auch das Kühlfass stehen.
  Der so gekochte Zucker ist der rohe, so genannte Thomaszucker, körnig und braungelb, sehr kräftig und von gutem Geschmack, der auf den Inseln von den meisten so gebraucht wird. In Kopenhagen, Amsterdam, London, Philadelphia und anderen Orten wird er raffiniert oder geläutert und weiß und fest gemacht. Dazu wird ein weißer Ton gebraucht, der, mit Wasser vermischt, fast einen Zoll dick auf den in Formen gegossenen Zucker getan wird und ihn so durchdringt und reinigt, dass er, wenn es zu wiederholten Malen geschieht, so weiß wird wie Schnee. In St. Croix sind einige Raffinerien. Es wird aber nur Raffinat, kein Canarienzucker [der höchsten Qualitätsstufe] darin gemacht.
   Von dem beim Zuckerkochen gesammelten Schaum schäumt der Branntweinbrenner wieder eine schwarze Materie ab, die für viele Tiere Nahrung ist, wie Pferde und Esel, Schweine, Hunde, Hühner, Kalkunen [Truthähne].
   Aus dem Übrigen und der Melasse wird im Destillierhaus Rum oder Zuckerbranntwein destilliert, der jung Killdevil [Mordteufel] heißt und sehr hitzig und ungesund ist; wenn er aber ein Jahr und länger gelegen hat, diese schädliche Eigenschaft verliert, und wenn er mehrere Jahre alt ist, zur heilsamen Arznei wird. Unter Rum muss solcher alter Zuckerbranntwein verstanden werden, den man aber außerhalb Westindiens selten antrifft. Was man dafür ausgibt, ist meistens Killdevil mit Wasser vermischt.
  In St. Croix sehen auf den englischen Plantagen die ebenen Zuckerfelder sehr nett aus. Die Blätter an den äußeren Reihen solcher Felder sind zusammengebunden, woraus schnurgerade grüne Wände entstehen. Der Zweck ist nicht nur das gute Aussehen; sondern es dient auch dazu, dass man gleich gewahr werden kann, ob ein Dieb oder Maronneger [spanisch Cimarrones, englisch Maroons, entkommene Sklaven, die in der Wildnis ihr Leben fristeten oder auch auf eigenen Gehöften lebten] hineingegangen ist.
   Das Zuckerrohr ist mancher Gefahr unterworfen. Es hat, wie andere Pflanzen, seine eigenen Insekten, denen es zur Nahrung dient. Wenn sie überhand nehmen, ist es am besten, ein solches Feld, aus dem doch nichts wird, abzuschneiden oder abzubrennen, damit aus den Wurzeln bald neue Pflanzen aufschießen können. Die Ratzen sind auf das Zuckerrohr sehr begierig, und was sie angefressen haben, das bricht oder wird sauer und taugt nur zu Rum. Das reife Rohr fängt leicht Feuer und brennt wie eine Fackel, sodass ein Neger Tag und Nacht dabei Wache halten muss. Trotzdem kommt doch bisweilen Feuer hinein. In St. John fiel im Jahr 1767 ein alter angezündeter Baum weit vom Zucker um. Er zündete das bei der großen Dürre sehr trockene lange Gras an; das Feuer griff immer weiter um sich, bis es endlich ein großes Zuckerfeld in Brand brachte.In drei Stunden hatte das Feuer für 6.000 Stücke von Achten Zucker verzehrt. Sonst sagt man auch in Westindien, dass der Zucker bei einer zu lange anhaltenden Dürre brenne, wenn nämlich die Wurzeln vertrocknen, das Rohr rötlich und sein Saft sauer und unbrauchbar wird.
   Dass das Pflanzen, Pressen, Kochen und Wegschaffen des Zuckers für die Sklaven nicht nur eine mühsame, sondern oft lebensgefährliche Arbeit ist, davon habe ich jetzt nicht mehr nötig, viel mehr zu sagen. Da die Arbeit beim Zuckerpressen und Kochen Tag und Nacht fortgehen muss, wie leicht verunglückt da ein ermüdeter und schläfiger Neger, dass er entweder zwischen die Walzen kommt, oder in einen siedenden Zuckerkessel stürzt? Ich habe mehr als einen gesehen, der eine Hand zwischen den Walzen verloren hatte. Auch wird mancher beim Herunterschaffen der Zuckerfässer von den steilen Bergen erdrückt oder zum Krüppel gemacht.

Oldendorp, Christian G. A.
Geschichte der Mission der evangelischen Brüder …
Leipzig 1777; Nachdruck Berlin 2002

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