Reiseliteratur weltweit

Geschichten rund um den Globus

1652 - Heinrich von Uchteritz
Ein weißer Sklave wird losgekauft
Barbados

Ich wurde von Cromwells Leibregiment gefangen und nebst anderen nach London gebracht, wo uns Cromwell selbst scharf examinierte und uns unter anderem fragte, woher wir wären und was wir uns wohl dabei dächten, einem König zu dienen, der kein Land hätte? Nach vielen anderen Reden sagte er, er sei gesonnen, uns Zucker zu essen zu geben und uns für Zucker einzutauschen, wie es dann auch geschah.
   Denn nachdem wir ein viertel Jahr in London im Gefängnis gehalten worden waren, schickte er Unser 1.300 zu Anfang des Jahres 1652 auf Schiffen nach Westindien auf die Insel Barbados, die den Engländern gehört. Von denen ist, so viel ich weiß, niemand außer mir zurückgekommen. Diese Insel liegt zwischen vielen kleinen Inseln und hat einen Umkreis von 16 Meilen [nach moderner Messung etwa 150 km]. Dort wurden wir jeder für 800 Pfund Zucker verkauft. Mich kaufte ein Graf mit Namen Weitecker mit noch 19 anderen. [Eine Familie namens Whitaker war zu dieser Zeit auf Barbados ansässig.] Dieser Graf war Christ, aus England gebürtig und hatte 100 Christen, 100 Mohren und 100 Wilde als Sklaven.
   Die Häuser auf dieser Insel liegen alle wie in schönen Wiesen; die vornehmen Häuser sind alle aus Zedernholz gebaut und mit Zedernschindeln gedeckt; unten findet man nur ein Gemach und daneben eine Schlafkammer; das Oberteil der Häuser steht auf den Seiten offen, so dass die Luft durchstreichen kann, doch mit Läden, damit der Schlagregen keinen Schaden tue. Um die Höfe stehen der Sklaven Häuschen aus schlechtem Holz, fast wie Hundehütten und mit Blättern von Bäumen, die sie Blandin nennen, gedeckt; diese Blätter sind sehr breit, fast wie Schilf, und dienen gut als Schutz vor dem Regen. Auf den Höhen sieht man eine große Menge Zitronenbäume, und wie bei uns die Dornenhecken am Wegesrand stehen, so wächst dort die Baumwolle in einer Schale, die einer großen Walnuss ähnlich ist; wenn sie reif ist, öffnet sie sich oben und dann zieht man die Baumwolle heraus. Innen ist der Samen, groß wie große Erbsen, der ausgesät wird. Er wächst als Stängel wie der Hanf, ellenhoch und mit Blättern, die Weinblättern nicht ungleich sind. Damit können ganze Äcker besät werden.
   Nahrung und Handel der Einwohner und Engländer besteht nur aus Zucker, Tabak, Ingwer und Baumwolle, die häufig angebaut werden. Geld ist nicht sehr bekannt, sondern sie tauschen, und das eine ist so teuer wie das andere.
   Es müssen die Sklaven alle Arbeit verrichten, Tabak, Ingwer und Zucker pflanzen, hacken, et cetera. Der Zucker wächst auf dem Feld fast wie Schilf oder Spanisches Rohr mit mehr als Daumendicke, und zwar an feuchten Orten. Dieses Rohr wird zunächst zerstoßen, dann in einem Kessel gesotten, das beste wird ausgepresst, das geringe den Schweinen als Futter gegeben. Der Zucker, ausgepresst und geläutert, bleibt an der Sonne oder in der Wärme stehen, sodass die übrige Feuchtigkeit weggeht und der Zucker fertig ist.
   Ich musste den ersten Tag den Hof kehren, am nächsten die Schweine füttern, und dann allerhand Arbeiten verrichten, wie es Sklaven gebührt. Unser Essen war sehr schlecht und bestand nur aus Wurzeln, die eine heißt Batatas, die wenig Gras trägt, in großen Töpfen gekocht wird und fast wie Kastanie schmeckt. Die andere Wurzel heißt Cossabe [Kassava], aus der ein Bäumchen ohne Frucht wächst, und die sehr groß ist. Wenn man sie essen will, so muss man sie vorher auf einem Reibeisen klein reiben und den Saft ausdrücken. Dann wird sie wie ein Kuchen breit gepresst, auf glühende Kohlen gelegt und oben auch mit Kohlen bedeckt, damit sie recht austrocknet, weil das Wasser, das herausläuft, lauter Gift ist. So ist der Sklaven Speise. Fleisch bekommen sie nicht, es gibt auch keines außer Schweinefleisch, davon aber nicht sehr viel, und nur die Vornehmen können es genießen.
   Ihr Getränk machen die Vornehmen aus der Wurzel Batatas, die in einen Sack gesteckt, mit Wasser übergossen und ausgedrückt wird; dann wird die Flüssigkeit in steinerne Krüge gegossen, in denen es zu gären anfängt wie andere Getränke auch. Dann fügen sie Zucker und den Saft von ausgedrückten Zitronen hinein, was einen anmutigen und lieblichen Trank ergibt. Zwar werden auch Wein und Bier aus anderen Ländern gebracht, aber diese sind sehr teuer. Die Sklaven aber trinken nur einfaches Wasser, in das Zucker und ausgedrückter Zitronensaft getan wird. So ist der Sklaven Speise und Trank.
   Obwohl die Insel an einem schönen Ort liegt, hört man doch keinen Vogel. Das Erdreich scheint an etlichen Orten vergiftet und gar nicht gesund zu sein. Denn wenn sich jemand nur etwa eine Stunde auf die bloße Erde legt, fängt er geschwind an, aufzuschwellen und anzulaufen. Die Einwohner sind von keiner sonderlichen Schönheit, sondern größtenteils gelblich. Die Christen reden Englisch, die Mohren und Wilden aber haben eine absonderliche Sprache. Die Christen tragen nur leichte Kleider aus Leinwand, die fein und zierlich gemacht sind, die Mohren und die Wilden gehen ganz nackend und haben um die Scham ein Tuch gebunden. Die Christen auf dieser Insel sind alle Calvinscher Religion; es gibt verschiedene Kirchen und Prediger, und der Gottesdienst wird gehalten wie in England. Sie haben auch Schulen. Die Mohren beten den Teufel an; diese armen Leute geben vor, Gott, der im Himmel wohne, sei ein guter, frommer Mann, der niemandem etwas zuleide täte, aber der Teufel sei sehr grimmig und böse und täte großen Schaden. Deshalb müssten sie ihn anbeten, auf dass sie nicht unter ihm leiden müssten. Wenn jemand von ihnen stirbt, so sagen sie, er sei in seine Heimat und zu seinen Freunden gegangen und es gehe ihm sehr wohl.
   Es ist leicht zu glauben, dass ich, als ich nun 16 oder 18 Wochen lang mein elendes Leben in solch schwerer Dienstbarkeit zugebracht hatte, mich mit Verlangen nach meinem lieben Vaterland und der edlen Freiheit sehnte. Und Gott erhörte mein Seufzen und Beten und schickte das Wunder, dass ich über alle Hoffnung erlöst wurde, wie aus folgendem zu ersehen ist.
   Denn als zu einer Zeit etliche Schiffe aus Deutschland kamen, um nach ihrer Gewohnheit mit Kaufmannswaren zu handeln oder zu tauschen, bat ich den Grafen Weitecker ganz flehentlich, mich wieder loszugeben, damit ich meine lieben Eltern und mein Vaterland wiedersehen könne. Da fragte er mich, wer ich denn wäre? Von welchem Stamm und Geschlecht meine Eltern wären? Darauf antwortete ich, dass er mir meine Abkunft wohl doch nicht glauben würde, aber es gäbe einen Kapitänleutnant (dessen Name mir entfallen ist, ich meine aber, sein Taufname sei Johann Christoph und er sei eines Gastwirts Sohn aus Borna bei Meissen gewesen), der würde schon berichten, zu wem ich gehörte. Darauf schickte der Graf nach diesem Kapitänleutnant und ließ ihn holen. Der sagte nun, dass meine Eltern adligen Standes seien, und er glaube gewiss, dass, wenn sie wüssten, wo ihr Sohn sei und dass er losgekauft werden könne, sie nicht säumen würden, es möge auch kosten, was es wolle. Als mein Herr, der Graf Weitecker, das gehört hatte, ging er selbst zu den neu angekommenen Kaufleuten und berichtete ihnen, wie er einen Gefangenen gekauft hätte, der ein Deutscher und von vornehmem Stand sei und gebeten hätte, dass er wieder frei und nach Deutschland käme. Er für seine Person sei bereit, mich ziehen zu lassen, wenn er die 800 Pfund Zucker, für die er mich gekauft habe, vergütet bekäme. Nun wollten die Kaufleute meinen Namen wissen, weil der aber noch unbekannt war, kam der Graf wieder nach Hause und wollte, dass ich ihm meinen Namen sagte. Da antwortete ich nun, dass ich Heinrich von Uchteritz hieße, er verstand mich aber nicht richtig und schrieb Heinrich von Lüder und übermittelte diesen Namen den Kaufleuten. Nun hieß aber einer von ihnen Hans Lüder und war aus Husum in Holstein; der wollte, dass ich zu ihm käme. Als ich nun bei den Kaufleuten war und sie das eine und andere mit mir geredet hatten, hörten sie von mir, dass ich nicht Heinrich von Lüder, sondern Heinrich von Uchteritz hieße. Bei Nennung dieses Namens erinnerten sie sich meines lieben Vetters Hans Christopher von Uchteritz und fragten mich, ob ich den kenne und ob ich von seiner orientalischen Reise etwas wisse? Ich antworte darauf ja, er wäre mir nicht unbekannt, denn er sei mein leiblicher Bruder und ich wüsste auch, dass er mit einer Legation aus Holstein nach Persien gezogen sei, Zeit und Jahr wäre mir aber wegen meiner damaligen Jugend entfallen. Diesen Bericht wollten die Kaufleute anfangs nicht glauben und sagten, das könne nicht sein. Ich möge wohl sein Diener gewesen sein, aber deswegen wäre ich nicht sein leiblicher Bruder. Obwohl nun Herr Johann Christoph von Uchteritz, jetzt ältester Kammerjunker bei Ihro Fürstlichen Durchlaucht am Gottorfschen Hof in Holstein, nicht mein leiblicher Bruder, sondern nur Stammvetter war, wollte ich doch, um mich ihnen angenehm zu machen, vorgeben, er sei mein leiblicher Bruder, weil ich gemerkt hatte, dass sie ihnen kannten und viel von ihm hielten. Nach vielen Wortwechseln brachten sie die erste Ausgabe der orientalischen Reisebeschreibung des Herrn Olearius, die sie bei sich hatten, und in der etliche Porträts der Mitreisenden am Anfang standen. Und nachdem sie die Namen an den Kupferstichen mit Papier zugeklebt hatten, übergaben sie mir das Buch und wollten, dass ich darin meinen Bruder suchen und ihn ihnen zeigen sollte, dann wollten sie meinen Worten glauben. Dabei war mir aber gar nicht sehr wohl, denn ich hatte den Herrn Vetter nur in meiner Kindheit gesehen und seine Physiognomie ziemlich vergessen; also sah ich die Kupferstiche mit Fleiß, aber traurig an. Endlich dünkte mir aber doch, welcher es sein müsste, weil die Kleidung und die Stellung darauf hinwies, und zeigte ihn den Kaufleuten; darauf nahmen sie das Papier weg und zeigten mir den Namen und sagten, ich hätte ihn erraten und sie glaubten nun, dass er mein Bruder wäre.
   Nachdem das geschehen war, verhandelten sie mit dem Grafen wegen meiner Freilassung und vergüteten ihm die 800 Pfund Zucker durch andere Waren; ich aber sollte ihnen den Gegenwert des Zuckers in Deutschland erstatten, womit ich wohl zufrieden war. Und weil ich schlecht gekleidet war, bat ich die Kaufleute, sie möchten mir doch ein paar gute Kleider machen lassen, womit sie einverstanden waren. Sie ließen mir von ihren Waren zwei schöne Kleider zurichten, wie sie einem freien Adligen zu tragen wohl anstanden. Darauf berechneten wir, was ich ihnen schuldig wäre, und der Zucker und die Kleider wurden in Geld geschätzt und auch, was es wohl noch kosten würde, bis sie mich wieder in meine Vaterland geschafft hätten, und das betrug alles zusammen 450 Reichstaler; darüber gab ich ihnen einen Schuldschein.
   Da ich nun sah, dass diese Summe sehr hoch war, wurde ich sehr bekümmert, da ich nicht wusste, was meine lieben Eltern dazu sagen würden, ich aber der schweren Dienstbarkeit gern ledig geworden wäre; ich ging also betrübt und traurig herum. Es trösteten mich aber die Kaufleute (wie Hans Lüder und Curt Hermann Riemer aus Tönning und beide aus Holstein, die meines Erachtens die vornehmsten auf dem Schiff waren, die anderen sind mir entfallen), ich sollte mich nicht so sehr bekümmern, sondern Gott herzlich danken, dass ich wieder frei sei und nach Deutschland kommen sollte. Sie wollten sich mit den anderen Kaufleuten bereden, ob sie es so weit bringen könnten, dass mir das Geld erlassen würde, wie es auch geschah, und sie alle sagten mir, sie wollten mir hiermit die ganze Forderung von 450 Reichstalern wegen meines Bruders, des Herrn Johann Christoph von Uchteritz, verehren. Darauf wurde mein Schuldschein zerrissen und meine Traurigkeit alsbald in die gewünschte Freude verwandelt. Sie begehrten von mir nicht mehr, als dass ich, wenn ich nach Deutschland zurückgekommen sei, alsbald meinen Weg nach Gottorf in Holstein nehmen und meinem Bruder referieren sollte, was sie seinetwegen für meine Person in Barbados getan hätten. Ihro Fürstliche Durchlaucht der Herzog zu Holstein wäre ihr gnädigster Landesherr und sie wüssten wohl, dass mein Herr Bruder bei ihm in besonderer Gnade stünde und ihnen bei Gelegenheit dereinst, wenn sie es benötigten, mit guter Empfehlung zur Hand gehen und das, was sie an mir jetzt täten, wohl wieder einbringen werde. Diesem Begehren konnte ich leichter zustimmen als die Summe Geldes zu bezahlen.
   Unterdessen waren einige Schiffe aus Brasilien gekommen, die nach Amsterdam fahren wollten; da brachten mich die Kaufleute auf einem Schiff unter, entrichteten die Fracht für mich und gaben mir noch einen Wechsel, dass ich in Amsterdam zehn Reichstaler abheben und damit zu meinem Bruder nach Holstein reisen sollte. Sie blieben wegen ihres Handels noch in Westindien. Ich aber ging an Bord, nachdem ich ihnen Dank für die mir erwiesenen großen Wohltaten gesagt hatte. Und wie wir bei gutem Wind die Reise von England nach Barbados in 18 Wochen zurückgelegt hatten, so kamen wir nun innerhalb dieser Zeit bei gutem Wind nach Amsterdam. Dort empfing ich die zehn Reichstaler und reiste darauf nach Gottorf zu meinem Herrn Vetter, dem ich alles, wie es sich zugetragen hatte, erzählte, auch, wie seine Autorität und sein renommierter Name an so fernen und barbarischen Orten zu meiner Wohlfahrt gedient und mich aus der Sklaverei unter den wilden Leuten (wo ich wie andere Gefangene und dorthin Verkaufte in harter Dienstbarkeit mein Leben hätte zubringen und dort sterben müssen) errettet haben. Ich habe ihm nicht nur dafür Dank gesagt, sondern auch, weil er mich eine Zeitlang bei sich frei gehalten hat, mich auf seine Kosten zu meinem nunmehr seligen Vater geschafft und auch dem Kaufmann Lüders aus Dankbarkeit etliches Geld ausgezahlt hat. Noch immer, wenn ich dessen täglich in meinem Herzen gedenke, weiß ich hohen Dank und bitte Gott, dass er ihm die hohe mir erwiesene Wohltat mit aller Wohlfahrt vergelte.

Uchteritz, Heinrich von
Kurtze Reise-Beschreibung Hrn. Heinrich von Uchteritz …
Weissenfels 1712

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