Reiseliteratur weltweit

Geschichten rund um den Globus

Um 1650 - Charles de Rochefort
Über die Kariben
Kleine Antillen

Die Kariben sind wohl gestaltet von Leib, ziemlich artig, von lustigen Gebärden, mittlerer Größe, breiten Schultern und Hüften, fast alle gesunder Natur und stärker als die Franzosen. Sie haben ein rundes und großes Gesicht und meistenteils Grübchen in ihren Backen. Ihr Mund ist etwas offen und ihre Zähne sind überaus weiß und stehen eng zusammen. Sie sind von Natur olivenfarbig, und diese Farbe erstreckt sich auch auf das Weiße der Augen. Sie haben schwarze, etwas kleine Augen wie die Chinesen oder Tataren, aber sie sind sehr scharfsichtig. Sie haben auch eine glatte Stirn und Nase, aber nicht von Natur, sondern weil die Mütter sie ihnen bei der Geburt und die ganze Zeit, in der sie gestillt werden, niederdrücken, weil sie meinen, dass sie dann artig und schön aussehen. Sonst hätten sie eine wohl gestaltete Nase und erhabene Stirn wie wir. Sie haben breite Füße, weil sie barfuß gehen, und die sind so verhärtet, dass sie ohne Schaden durch die Wälder und über die Felsen laufen.
   Man findet unter ihnen weder Schielende noch Blinde oder Hinkende oder Bucklige oder Glatzköpfige oder andere, die auch nur im geringsten missgestaltet sind. Sieht man aber doch jemanden ungestalt oder lahm, so kommt das von einem Treffen mit Feinden, und diese Zeichen gelten als rühmlich, weil man daran ihre Tapferkeit ermessen kann. Man sieht auch schöne Frauenzimmer unter den Kariben, wofür die Frau von Rosselan, die mit dem Herrn Gouverneur der Insel St. Lucia verheiratet ist, ein Beispiel ist.
   Alle Kariben haben schwarzes Haar. Es ist nicht kraus wie das der Mohren, sondern gerade und sehr lang. Sie kämmen geschäftig ihr Haar und legen Ehre darein. Sie pflegen es auch mit Öl zu salben und haben etwas gefunden, um es wachsen zu lassen. Die Frauen kämmen ihre Männer und Kinder. Bei Frauen und Männern sind die Haare nach hinten geflochten, sodass sich ein kleines Horn bildet, das oben auf den Kopf gelegt wird. Auf beiden Seiten lassen sie zwei Locken hängen, wie sie von Natur sind. Die Frauen teilen ihre Haare so, dass sie auf beide Seiten des Kopfes fallen, die Männer so, dass sie die eine Hälfte vorn, die andere hinten auf dem Kopf liegt. Das Haar über der Stirn müssen sie abschneiden, sonst würde es ihre Augen bedecken. Das taten sie mit scharfen Gräsern, bevor Scheren in Gebrauch kamen. Man sieht unter den Kariben niemanden mit einem Bart, denn wenn Härchen hervorsprießen, werden sie ausgerissen. Sie wundern sich über uns Europäer, dass wir Bärte tragen, und finden das überaus hässlich.
   Sie gehend ganz nackend wie etliche andere Völker auch, sowohl die Männer wie die Frauen, und wenn einer unter ihnen seine natürliche Scham bedecken wollte, würde er von den anderen ausgelacht. So lange die Christen auch schon mit ihnen Umgang haben, ist es ihnen doch nicht gelungen, die Kariben zu bereden, dass sie sich bedecken. Wenn diese zuweilen die Christen besuchen oder bei ihnen zu Gast sind, bedecken sie sich ihnen zu Gefallen mit einem Hemd und Unterhosen oder Kleidung, die sie bekommen, aber sobald sie wieder nach Haus kommen, ziehen sie alles aus und legen die Kleidung als Zierrat in ihre Kisten. Etliche Franzosen ziehen sich nach ihrem Exempel ganz nackend aus, wenn sie unter ihnen sind. Die Frauen auf den Lucaja-Inseln [Bahamas] pflegten sich zu bedecken, wenn sie sich verheiraten wollten, wobei sie sehr fröhlich waren. Heutzutage gibt es das aber nicht mehr, denn das arme Volk ist von den Spaniern ganz ausgetilgt worden oder zur Arbeit in den Bergwerken weggebracht worden, sodass es von den eigentlichen Einwohnern keinen mehr gibt, sondern nur einige wenige Engländer, die von den Bermudas dahin gebracht worden sind.
   Kariben verändern ihre natürliche Farbe durch eine Röte, mit der sie ihren Leib bestreichen. Da sie an Flüssen und Brunnen wohnen, ist die erste Arbeit, die sie jeden Morgen verrichten, das sie sich den ganzen Leib waschen. Dann gehen sie wieder nach Haus und trocknen sich an einem kleinen Feuer. Wenn sie trocken sind, so nehmen ihre Frauen oder jemand von ihrem Gesinde eine Kalebasse, die mit einer besonderen roten Farbe angefüllt ist, die sie Roucou [Achiotte, Annato] nennen wie den Baum, von dem sie kommt. Mit dieser Farbe, mit Öl vermischt, bestreichen sie dann den ganzen Leib und auch das Gesicht. Dazu gebrauchen sie statt des Pinsels einen Schwamm und nennen diese Malerei roucourieren. Damit sie noch anmutiger erscheinen, malen sie sich mit dem Saft der Junipa-Äpfel [Jenipapo, genipa americana] zuweilen schwarze Kreise um die Augen. Unsere Kariben vergnügen sich allgemein an dieser roten Farbe, die ihnen als Hemd, Kleid, Mantel und Rock dient. An ihren Feiertagen und Freudenfesten kommen zu der roten Farbe noch unterschiedliche andere hinzu, mit denen sie sich das Gesicht und den ganzen Leib bunt bemalen. Sie pflegen sich aber nicht allein mit dieser Malerei zu schmücken, sondern zieren ihren Kopf mit einem kleinen Hütlein, das aus den Federn von Vögeln mancherlei Farbe gemacht ist oder aus einem Strauß Reiherfedern oder anderer Federn. Zuweilen tragen sie auch eine Federkrone, die den ganzen Kopf bedeckt. So sieht man unter ihnen viele gekrönte Häupter, obwohl es keine Könige gibt.
   Die Kariben durchstechen auch zuweilen die Lippen, sodass sie kleine Pfrieme oder Nadeln hineinstecken können, die aus Bein oder Fischgräten gemacht sind. Ja, sie öffnen zuweilen das mittlere Teil zwischen den Nasenlöchern und hängen einen Ring, ein Kristallkorn oder sonst etwas Hübsches daran. Der Hals und die Arme unserer Kariben haben auch ihre Zierde, denn sie legen Hals- oder Armbänder aus Bernstein, Korallen oder einem anderen Material an, das glänzt. Die Männer tragen ihre Armbänder oben am dicken Teil des Armes bei den Schultern, die Frauen aber unten bei den Händen wie bei uns. Sie zieren auch ihre Schenkel mit Ketten anstatt von Kniebändern. Diejenigen, die keine Gemeinschaft mit den Europäern haben, hängen oft Pfeiflein, die aus den Knochen ihrer Feinde, und große Ketten, die aus den Zähnen der Agoutis [Meerschweinchen ähnliche Nagetiere] oder wilden Katzen oder aus durchlöchertem kleinem Muschelwerk gemacht und mit einem roten oder mehrfarbigen Schnürlein aus feiner Baumwolle zusammengebunden sind. Und wenn sie sich ganz besonders putzen wollen, so setzen sie auch noch ein Hütchen auf, binden Armbänder unter die Achseln, hängen Binden und Gürtel aus Federn daran, die durch eine hübsche Mischung sehr kunstvoll gemacht sind, und die sie über die Schultern werfen oder vom Nabel bis auf die Mitte der Schenkel hängen lassen.
   Ihre allertrefflichste Zierde aber sind besondere Stücke von feinem Kupfer, die überaus glänzend und wie der zunehmende Mond gestaltet und in ein festes und kostbares Holz eingefasst sind. Diese nennen sie Caracolis; sie sind von unterschiedlicher Größe. Manche sind so klein, dass sie als Ohrgehänge verwendet werden, andere sind breit wie eine Hand. Die hängen sie um den Hals, dass sie vorn an der Brust liegen. Sie schätzen diese Caracolis sehr hoch, weil ihr Material nicht rostet und wie Gold glänzt, und weil es die seltenste und kostbarste Beute ist, die sie von ihren Einfällen und Plünderungen mitbringen, die sie jedes Jahr im Land der Arovager [Arawak], ihrer Feinde, tun, und weil es das Zeichen ist, das die Hauptleute und deren Kinder vom gemeinen Volk unterscheidet. Ja, sie schätzen sie so hoch, dass sie ihren Kindern und vertrautesten Freunden nach dem Tod nichts anderes zur Erbschaft hinterlassen als diese Kleinodien. Es gibt Etliche, die Caracolis noch von ihren Großvätern haben, und die sie nur an den größten Freudenfesten zu tragen pflegen.
   Die Frauen bemalen sich den ganzen Leib und putzen sich fast wie die Männer, tragen aber keine Kronen auf dem Kopf. Sie haben als Besonderheit, dass sie halbe Stiefel tragen, die nur bis an die Fußknöchel gehen. Diese Stiefel sind sehr hübsch gearbeitet und oben und unten mit einem kleinen runden Gewebe von Binsen und Baumwolle umgeben, das an den Fuß anschließt und ihn fülliger erscheinen lässt.
   Die Kariben sind von Natur aus traurig und schwermütig, wozu die Fischerei, der Müßiggang und die Beschaffenheit der Luft viel tut. Weil sie aber aus eigener Erfahrung gemerkt haben, dass diese verdrießliche Eigenschaft ihrer Gesundheit schadet und ein betrübter Mut das Gebein vertrocknet, so tun sie oft ihrer natürlichen Neigung solche Gewalt an, dass sie sich bei ihren Gesellschaften lustig und angenehm zeigen, besonders, wenn sie ein wenig Wein im Kopfe haben.
   Ihre Gespräche untereinander handeln sich meistens um die Jagd, die Fischerei, die Gartenarbeit oder andere einfache Sachen. Wenn sie in Gesellschaft der Fremden sind, erzürnen sie sich niemals, wenn man in ihrer Gegenwart lacht, und deuten das nicht als Spott. Aber sie werden sehr unwillig, wenn man sie Wilde nennt, denn sie verstehen dieses Wort und sagen, dass es nur den Tieren in den Wäldern zukomme. Sie wollen auch nicht Kannibalen genannt werden, obwohl sie das Fleisch ihrer Feinde fressen. Das tun sie, um ihre Wut und ihre Rachgier zu stillen und nicht, weil es ein besonderer Leckerbissen wäre.
   Sonst sind sie still und sanftmütig und hassen Strenge so sehr, dass sie, wenn fremde Völker sie als Leibeigene halten (wie die Engländer, die mit List viele aus ihrer Heimat genommen haben) und scharf mit ihnen umgehen, oft vor Unmut sterben. Durch Milde kann man alles von ihnen haben, während man dagegen die Mohren hart halten muss, sonst werden sie trotzig, faul und untreu.
   Sie werfen den Fremden oft den Geiz vor und die unmäßige Sorge, die sie sich machen, um große Güter für sich und ihre Kinder zu schaffen, obwohl die Erde so reichlich allen Menschen Speise gibt, wenn sie nur ein wenig Mühe aufwenden, um sie zu bebauen. Sie sind ganz unbekümmert wegen ihres Lebensunterhaltes und werden dabei fetter und munterer als die Fremden. Mit einem Wort, sie leben ohne Ehrgeiz, ohne Sorgen, ohne Unruhe, da sie kein Verlangen tragen, hohe Ehre zu erlangen oder große Schätze zu sammeln. Sie verachten Gold und Silber wie die alten Spartaner oder die Einwohner von Peru und begnügen sich mit dem Stand, in dem sie geboren sind und mit dem, was die Erde zu ihrem Unterhalt hervorbringt. Und wenn sie zum Fischen oder auf die Jagd gehen oder Bäume fällen oder einen Garten anlegen oder Häuser bauen, was ihre übliche Beschäftigung ist, die mit der Natur des Menschen wohl übereinkommt, so verrichten sie das alles ohne Mühe zu Lust und Freude und gleichsam spielend.
   Besonders aber wundern sie sich, wenn sie sehen, dass die Fremden das Gold so hoch schätzen, obwohl die doch Glas und Kristall haben, das ihrer Meinung nach viel schöner und viel mehr zu schätzen ist. So berichtet Benzoni, ein Historienschreiber aus Mailand, in seiner Historie von der Neuen Welt, dass die Inder vor dem unmäßigen Geiz der Spanier, die sie unter das Joch gebracht haben, Abscheu hatten, ein Stück Gold nahmen und sagten: »Seht, das ist der der Christen Gott. Diesem zu Gefallen kommen sie aus Kastilien in unser Land, deswegen haben sie uns zu Leibeigenen gemacht und grausame Taten gegen uns begangen. Deswegen bekriegen sie sich untereinander; deswegen schlagen sie einander tot, deswegen leben sie in steter Unruhe, zanken, stehlen, fluchen und lästern Gott, deswegen ist ihnen keine Schande und kein Laster zu viel, dessen sie sich nicht unterstünden«.
   Was unsere Kariben betrifft: Wenn sie sehen, dass die Christen betrübt und voller Unmut sind, pflegen sie ihnen Folgendes freundlich vorzuhalten und sagen. »Du bist wohl arm, dass Du Dich auf so lange und gefährliche Reisen wagst und Dich von so viel Sorgen und Ängsten fressen lässt. Die Gier nach Großem macht, dass Du alle diese Beschwerlichkeiten leidest und Dir alle diese verdrießlichen Sorgen verursachst. Und Du bist nicht weniger unruhig wegen der Güter, die Du bereits erworben hast als wegen derjenigen, denen Du noch nachstellst. Du fürchtest stets, es könnte Dich jemand in Deinem Land oder auf dem Meer berauben oder mit Deinen Waren Schiffbruch erleiden und vom Wasser verschlungen werden. Also wirst Du vor der Zeit alt, Deine Haare werden grau, Deine Stirn verrunzelt, Du wirst von tausenderlei Beschwerden geplagt, tausenderlei Sorgen nagen Dir das Herz an und Du rennst spornstreichs in Dein Grab. Warum vergnügst Du Dich nicht mit den Gütern Deines Landes? Warum verachtest Du nicht den Reichtum wie wir?«
   Die Kariben wissen auch sehr wohl und nachdenkenswert den Europäern die Einnahme des Landes, in dem sie geboren sind, als eine offenbare Ungerechtigkeit vorzuwerfen. »Du hast mich vertrieben«, sagt dieses arme Volk, »von den Inseln St. Christopher [St. Kitts], Nevis, Montserrat, Martinique, Antigua, Guadeloupe, Barbados, S. Eustatius und anderen, die Dir nicht gehören und auf die Du keinen Anspruch hattest. Und Du drohst alle Tage, mir das wenige Land, so mir geblieben ist, auch noch wegzunehmen. Wo soll der armselige Karibe noch hin? Soll er bei den Fischen im Meer seine Wohnung suchen? Dein Land muss ohne Zweifel ein sehr böses Land sein, weil Du es verlässt und mir das meine wegnimmst. Oder Du magst ein boshafter Mensch sein, dass Du so fröhlichen Sinnes daherkommst und mich verfolgst.« Diese Klage klingt gewiss nicht gar so wild.

Rochefort, Charles de
Historische Beschreibung der Antillen Inseln
Frankfurt 1668

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