Reiseliteratur weltweit

Geschichten rund um den Globus

1637 - Thomas Gage
Unter Seeräubern
Zwischen Cartagena in Kolumbien und Porto Bello in Panama

Wir kamen zwar glücklich aus dem Fluss in die See, aber als wir kaum zwanzig Meilen gesegelt waren, merkten wir, dass zwei fremde Schiffe gerade auf uns zu kamen. Das Herz fing uns an zu zittern, und unser Schiffsparton fürchtete sich genauso wie wir, weil er fürchtete, es möchten englische oder holländische Schiffe sein.
   Weil wir aber weder Stücke [Kanonen] noch andere Waffen außer fünf Musketen und einem halben Dutzend Degen bei uns hatten, schien es uns das Beste, uns auf die Flucht zu begeben in der Hoffnung auf Entkommen, weil unser Schiff leicht war.
   Allein, wir hofften vergebens. Denn ehe wir noch fünf Meilen gegen Porto Bello [in Panama] gesegelt waren, so sahen wir von unseren Mastkörben, dass es holländische Schiffe waren, die viel geschwinder segelten als unser kleines Schifflein. Und kurz darauf kam eines, das ein Kriegsschiff und für uns viel zu stark war, zu uns heran und kommandierte durch einen Kanonenschuss, dass wir die Segel fallen lassen sollten. Und so ergaben wir uns ohne Gegenwehr in der Hoffnung, so besser behandelt zu werden.
   Ich kann die vielfältige Bekümmernis und die traurigen Gedanken, die mein Herz beunruhigten, das weit tiefer sank als die Segel unseres Schiffes, unmöglich benennen.
   Wie oft stellte ich mir da abscheuliche Bilder des Todes vor? Und wenn ich mich auch trösten und mir selbst Mut zusprechen wollte, so sah ich mich doch jeder Hoffnung beraubt, jemals in mein Vaterland zurückzukehren, wonach ich mich doch so lange gesehnt hatte. Ich sah schon unter Wehklagen, wie mein Schatz an Perlen, Edelsteinen, Stücken von Achten und goldenen Münzen, die ich in zwölf Jahren zusammengebracht hatte, nun innerhalb einer halben Stunde verloren sein sollten, und denen er genauso so leicht zur Beute werden sollte, wie er mir in zwölf langen Jahren unter der Musik von Flöten und Orgeln zugefallen war? Nun musste ich der Gewalt weichen und ohnmächtig einem Holländer das übergeben, was mich durch die ebenfalls mit Gewalt erzwungenen Opfer der abergläubischen Indianer von Mixco, Pinola, Amatitlan und Petapa [im heutigen Guatemala und Mexiko] an ihre Heiligen reich gemacht hatte.
   Weitere Gedanken wurden bald unterbrochen von den Holländern, die schneller an Bord unseres Schiffes kamen als gewünscht. Wenn auch ihre Schwerter, Musketen und Pistolen uns nicht wenig Angst einjagten, waren wir doch etwas beruhigt, als wir feststellten, dass ihr Kapitän und Kommandeur unter Spaniern aufgewachsen war. Wir hofften auf mildere Behandlung von ihm als von Holländern, die zu Wohlwollen der spanischen Nation gegenüber nur wenig Ursache haben und von denen wir nur wenig erhoffen konnten. Der Kapitän des holländischen Schiffes war ein Mulatte, geboren und aufgewachsen in Havanna. Seine Mutter habe ich später im Jahr in diesem Hafen getroffen, als die Galeonen sich dort sammelten und auf die restlichen Schiffe aus Veracruz warteten. Dieser Mulatte war von einem Befehlshaber in Havanna übel traktiert worden und wagte sich in einem Boot auf See, wo er sich holländischen Schiffen ergab, die er mit Gottes Hilfe erreichte und die auf Prisen aus waren. Er meinte, bei ihnen besser behandelt zu werden als bei seinen eignen Landsleuten, und versprach den Holländern, ihnen treu gegen seine eigenen Leute zu dienen, die ihn so ungerecht behandelt und sogar ausgepeitscht hatten. Diesem Versprechen kam er nach und diente den Holländern so treu, dass er in gutem Ansehen stand, mit einer Holländerin verheiratet war und zum Kapitän auf einem Schiff unter dem tapferen und Seehelden ernannt wurde, den die Spanier Pie de Palo, Holzbein, nennen und sehr fürchten.
   Dieser bekannte Mulatte war es also, der mit seinen Seesoldaten zu uns an Bord kam, wo er wenig gefunden hätte, das die Mühe wert gewesen wäre, wenn es nicht die Opfergaben der Indianer gegeben hätte, die ich mit mir führte. An diesem Tag verlor ich Perlen und Edelsteine im Wert von 4.000 Stücken von Achten und fast 3.000 anderen in barem Geld. Die Spanier an Bord verloren jeder einige hundert, was den Holländern eine so reiche Beute war, dass sie die normalen Vorräte an Speck, Mehl und Geflügel verachteten und ihnen das Geld süßer schmeckte als der Honig, den wir mit uns führten.
   Die anderen Dinge, die ich besaß, Bettzeug, einige Bücher, Messingbilder und Kleidung, erbat ich mir vom edlen Mulattenkapitän, der sie mir in Anbetracht meiner Ordenszugehörigkeit bereitwillig überließ. Er sagte mir, ich müsse Fügsamkeit üben, denn mit meinem Geld und den Perlen könne es nicht so sein, und sagte das übliche Sprichwort auf See: Heute mir, morgen dir. Ich dachte dabei auch: Unrecht Gut gedeiht nicht. Ich glaubte, dass es der Wille des himmlischen Vaters war, mir das wieder zu nehmen, was ich, von abergläubischen Indianerscharen als Opfer für Götzen und Heilige gedacht, unrechtmäßig an mich gebracht hatte. Statt dieser Opfergaben bot ich nun Gott an, mich seinem Willen zu unterwerfen und bat ihn, mir die nötige Geduld zu geben, diesen Verlust zu tragen.
   Ich gestehe, dass es mir in Fleisch und Blut sehr hart ankam, aber ich empfand eine innere geistliche Stärkung vom Himmel, und es ist wahr, was Paulus in seinem Brief an die Hebräer schreibt in Kapitel 12, Vers 11, dass nämlich jede Züchtigung keine Freude, sondern Kummer bedeute, aber hernach gebe sie eine friedsame Frucht der Gerechtigkeit denen, die dadurch geprüft wurden. Von nun an befand ich mich innerlich ruhig und gelassen in der Hingabe an Gottes heiligen Willen, den zu geschehen ich wünschte auf Erden und auf dem Meer und in mir, wie er allezeit im Himmel geschieht. Und obwohl das nun mein bester und vornehmster Trost war, hatte ich doch, nach dem Willen des Schöpfers, auch einen weltlichen Trost; das waren ein paar Pistolen, einige einläufig, andere doppelläufig, die ich in mein Bettzeug eingenäht hatte. (Das hatte mir der Kapitän zurückgeben lassen, weil ich ja darin schlief.) Und in dem Wams, das ich trug, steckten noch Geldstücke, die bei der Durchsuchung nicht gefunden worden waren.
   Nachdem der Kapitän und die Mannschaften ihre Prise begutachtet hatten, beschlossen sie, sich an unseren Vorräten zu laben, und luden mich dazu ein. Da der Kapitän wusste, dass ich auf dem Weg nach Havanna war, trank er unter anderem auf die Gesundheit seiner Mutter und forderte mich auf, sie zu besuchen, um ihn bei ihr in Erinnerung zu halten, und um ihretwillen solle ich ihr berichten, dass er mich gut behandelt habe. Weiter sagte er noch bei Tisch, um meinetwillen würde er uns das Schiff zurückgeben, damit wir an Land segeln könnten und ich dann einen sichereren Weg finden möge, nach Porto Bello und dann weiter nach Spanien zurückzukehren.
   Später saß ich mit dem Kapitän allein zusammen und teilte ihm mit, dass ich kein Spanier, sondern Engländer wäre, zeigte ihm die Erlaubnis aus Rom, nach England zu gehen, und gab meiner Hoffnung Ausdruck, dass mir mein Eigentum zurückerstattet würde, da ich doch keiner den Holländern feindlichen Nation angehörte. Mein Ansuchen war vergebens; er hatte alles in Besitz genommen und meinte, ich müsse leiden mit denen, bei denen ich gefunden worden sei, sonst könne ich ja auch alle deren Güter wieder einfordern. Dann bat ich ihn, er möge mich mit nach Holland nehmen, sodass ich von dort nach England kommen könnte, aber auch das verweigerte er; er meinte, er führe von einem Ort zum anderen und wisse nicht, wann er nach Holland käme, und wenn es zum Kampf mit den Spaniern käme, solange ich auf dem Schiff sei, könnte die Mannschaft in ihrem hitzigen Blut mir übel mitspielen, weil sie dächten, ich würde ihnen Böses antun, wenn die Spanier sie überwältigten.
   Aus diesen Antworten ersah ich wohl, dass es keine Hoffnung gab, mein verlorenes Gut wiederzubekommen. Darum ergab ich mich wiederum in die Hand Gottes und seiner Vorsehung.
   Die Soldaten und Matrosen des holländischen Schiffes legten nun große Eile an den Tag, die Güter von unserem Schiff auf das ihre umzuladen. Das dauerte den ganzen Nachmittag und den nächsten Morgen, während wir als ihre Gefangenen bald hierhin, bald dorthin trieben.
   Wir hatten geglaubt, dass sie sich mit unserem Geld begnügen würden, merkten aber am nächsten Tag, dass ihnen auch nach unserem Geflügel und Speck zumute war und sie aus unserem Mehl Brot backen, ihren Mund mit unserem Honig versüßen und aus unserem Leder Schuhe und Stiefel machen wollten. Das alles nahmen sie uns weg, ließen mir aber mein Bettzeug, meine Bücher und Messingbilder und dem Kapitän unseres Schiffes einen kleinen Vorrat, der ausreichen sollte, uns bis zum Land zu versorgen, das nicht weit entfernt war. Dann dankten sie für die gute Bewirtung verließen uns. Wir waren diese Gäste herzlich leid, und manche beteten, dass diese Bewirtung nie wieder vorkäme, andere verfluchten sie alle, insbesondere aber den Mulattenkapitän, den sie einen Renegaten nannten. Und manche dankten Gott, dass ihr Leben nicht noch den Piraten zur Beute geworden war.
   Wir kehrten dahin zurück, wo wir losgefahren waren, und als wir den Fluss hinauf fuhren, fühlten wir uns wie Schiffbrüchige, die ihr Leben verloren gaben, nachdem wir schon unseres Besitzes verlustig gegangen waren.
   Als wir an Land kamen, dauerten wir die Spanier; sie veranstalteten eine Sammlung und halfen uns mit Almosen. Die drei Spanier in meiner Gesellschaft hatten all ihr Geld und die meiste Kleidung verloren. Sie hatten aber noch Wechselbriefe, die in Porto Bello bezahlt werden sollten; ich wünschte, ich hätte mein Geld auch dafür eingetauscht.
   Nun wussten wir nicht, wie es weitergehen sollte. Man sagte uns, dass die Schiffe [nach Havanna und weiter nach Spanien] wahrscheinlich schon unterwegs seien, zumindest aber nicht mehr anzutreffen wären, bis wir sie erreichen könnten. Und wenn sie trotz der Neuigkeit, dass die holländische Schiffe in der Gegend wären, ausgelaufen waren, würden sie bereits jetzt oder doch sehr bald zur Prise wie es auch uns geschehen war. Also beschlossen wir, nach Cartagena zurückzukehren.

Gage, Thomas
Neue merkwürdige Reisebeschreibung nach Neu-Spanien
Leipzig 1693

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