Um 1760 - Joseph Och S. J.
Aus dem Missionsleben
San Ignacio, Baja California
In ihren Gebräuchen sind die Indianer geheimnisvoll gegenüber dem Missionar. Auch denen, die sonst gute Christen sind, klebt allezeit etwas von dem alten Sauerteig des Unglaubens an. Aus Furcht, deswegen bestraft zu werden, halten sie die Sache geheim, und nur bei Abwesenheit des Paters halten sie ihre heimlichen Zusammenkünfte, wo allezeit etliche von ihren Voreltern vererbte, teils lächerliche, teils abergläubische Gebräuche vorkommen, die von etlichen verstockten Alten beibehalten und von Mund zu Mund den Nachkömmlingen beigebracht werden. Gar oft, wenn sie nächtliche Tänze und Schwärmerei vorhaben, wissen sie mit allerhand Lügen und Vorwand den Pater vom Dorfe wegzuschaffen, damit sie allein und frei sind, oder sie erdichten einen Kranken, dessen Umstände sie sehr gefährlich machen, damit der Pater vom Dorfe abreise, um ihm Beichte zu hören. So oft ich zu einer Beichte ritt, fragte man mich sorgfältig: »Pater! Wann kommst Du wieder? Wie lange bleibst Du aus?« Den größten Tort konnte ich ihnen antun, wenn ich sie zu meiner Bedeckung als Schildwache mit auf die Reise nahm, indem sie, nachdem sie mich in das andere Dorf geliefert, wieder zurücklaufen mussten, um sich bei ihren Festivitäten einzufinden.
Sie haben der Gebräuche so viel, dass ich sie nicht alle erfahren konnte, so gute Worte ich auch gab.
Die Kinder sind nicht übel gestaltet, sie kommen sehr groß und stark auf die Welt, mit gliedlangen Haaren auf dem Kopf, sind am ganzen Leibe vollkommen und von roter Farbe, man kann wohl sagen: A matre rubet [von der Mutter rot]. Bei der Taufe hätte ich sie eher für Mulattenkinder angesehen und diese für Indianer gehalten, weil sie viel ungestalteter und brauner waren. Die rote Farbe verändert sich in einem Jahr nach und nach in eine braune Kastanienfarbe, oder dem in Wasser eingetauchten Sohlenleder gleich. Diese noch ganz zarten Kinder müssen nach sechs oder zwölf Monaten eine grausame Marter ausstehen. Sie reißen dem Kind alle Haare aus den Augenbrauen und erweitern mit einem spitzigen Dorn alle diese Löchlein oder Poren, streuen gestoßene Kohlen darauf, und reiben sie in diese blutigen Öffnungen; die oberen und unteren Lefzen wenden sie ihnen, so weit sie können, um, und stechen mit spitzigen Dornen mit viel hundert Stichen das zarte Fleisch, welches sie ebenfalls mit Kohlen, oder mit Visachen (dies ist eine unseren Phaselenbohnen gleiche Schote, die anstatt der Galläpfel zur besten Tinte dient) bestreichen, wodurch die Lefze lebenslänglich schwarzblau, wie bei den Kindern, die viel Heidelbeeren gegessen, auch geschwollen bleibt. Schläfe, Backen, das ganze Kinn, den ganzen obern Leib, Brust, Arme und den Rücken durchschneiden sie mit vielen tausend unterschiedlichen Stichen und Figuren, wie Rädern, Sternen, Rosen, allerhand Tieren und Schlangen, was auf der braunen Haut, nebst den langen, starken, vom Kopfe hängenden Haaren eine fürchterliche Gestalt macht. Zu dieser hässlichen Zeremonie erwählen sie nebst dem Stecher einen Gevatter und Gevatterin, die das in solcher Marter sich drehende, weinende und blutende Kind halten müssen. Dieser teuflische Brauch, der die Leute völlig entstellt und viele Kinder das Leben kostet, hat mir so missfallen, dass ich ihn unter schwerer Strafe verboten habe. Der Erste, der dawider handelte, und sein Kind so teuflisch zeichnen ließ, wurde mir durch einen getreuen Indianer verraten. Dem Vater ließ ich fünfundzwanzig, der Mutter zwölf, dem Gevattermann ebenfalls fünfundzwanzig, der Gevatterin zwölf, und dem Zeremonienmeister fünfundzwanzig wohl gemessene Streiche auf den bloßen Rücken mit einer von Leder geflochtenen Peitsche durch einen kräftigen Indianer aufzählen. So oft ein Kind verstorben und in einen Palmteppich eingenäht mir zum Begräbnis gebracht wurde, schnitt ich allezeit auf dem Kirchhof den Teppich auf und sah nach, ob das Kind vom Stechen oder eines natürlichen Todes gestorben war. Sobald ich fand, dass es der Marter unterlegen war, mussten die Eltern und Mithelfer ihre Grausamkeit auf der Stelle bezahlen. Diese Schläge machten mehr Eindruck als meine Predigten. Nachdem etliche für ihre Mühen so übel Zahlung bekommen, unterließen sie diese barbarische Zeremonie, und die Kinder wuchsen mit ihren nicht übel gestalteten Gesichtern frisch und gesund auf. Wenn in Deutschland sich ein solcher einem Teufel mehr als einem Menschen gleichender Pima blicken lassen sollte, würde auch der herzhafteste Mann sich darüber entsetzen. Ja, beim Anblick der Weiber, die mit tausenderlei Figuren die Brust und den ganzen oberen Leib zerstochen haben, würde er gewiss gern die Flucht ergreifen. Richtig ist, dass keinem Menschen beim Anblick dieser Kreaturen ein fleischlicher oder unzüchtiger Gedanke kommen kann. Es kostet keine geringe Überwindung, mit solchen abenteuerlichen Gesichtern umzugehen, zu reden, bei ihnen zu wohnen, und sie als Kinder zu lieben, da sie nach äußerlicher Gestalt ein Gegenstand des Abscheus sein können.
Ihren Brauch, sich zu schminken, musste ich frei passieren lassen. Sie haben unterschiedliche, schöne Erdfarben, wie rot, grün, blau, gelb, blau, weiß. Aus diesen machen sie unterschiedliche Ballen, gleich unseren Lackkugeln. Um nun in rechter Pracht vor anderen zu erscheinen, legen sie die Kugeln neben sich, tauchen sie in eine Schüssel Wasser und fangen an, sich vom Hals bis unten am Bauch zu tupfen, in unterschiedlichen Reihen von abwechselnden Farben, die auf der Haut in Taler großen Flecken artig spielen; oder sie rühren die Farben in Wasser an, tunken die Finger hinein, und machen entweder gerade oder gezackte Linien auf den Leib, so dass man von weitem schwören könnte, sie wären in bunte Stoffe gekleidet. Ein Schenkel ist rot, der andere gelb, eine Wade weiß, die andere blau, die Füße kohlschwarz, die Stirn gelb, um die Augen schwarze Ringe, die Nase blau, die Backen grün, das Kinn weiß. In die Haare flechten sie kleine Hörner und bestecken sie mit Hahnenfedern. Sie brauchen viel Zeit und Geduld dazu, schminken sich aber nur zu ihren vornehmsten Festen. Ich machte mit guten Worten ihnen diese Schminke gehässig. Sie selbst erkannten, dass sie Toren wären, indem sie so viel Zeit brauchten, sich anzumalen und doch gleich darauf wieder in einem Bach abwuschen. Doch gibt es Nationen, die sich niemals ihre tägliche Schminke nehmen lassen werden.
Herrn P. Joseph Och, Glaubenspredigers der Gesellschaft Jesu in der Provinz Sonora in Neu-Navarra, im Gouvernement Neu-Mexico, Nachrichten von seinen Reisen nach dem spanischen Nord-Amerika, dessen dortigen Aufenthalte, vom Jahr 1757 bis 1767, und Rückkehr nach Europa. Aus dessen eigenhändigen Aufsätzen.
In: Murr, Christoph Gottlieb von (Hg.)
Nachrichten von den verschiedenen Ländern des Spanischen Amerika
Halle 1809
Abgedruckt in:
Keller, Ulrike (Hg.)
Reisende in Mexiko
Wien 2003