Reiseliteratur weltweit

Geschichten rund um den Globus

1839 - Frances Calderón de la Barca, Ehefrau des spanischen Botschafters
Von Veracruz nach Mexico City

Als wir so dahinfuhren, konnte ich kaum glauben, dass es Mitte Dezember war. Die Luft war weich und balsamisch. Die Hitze war nicht drückend, sondern etwa so wie ein Julitag in England. Die Straße führte durch Waldstücke; die Bäume waren bedeckt mit allen Arten von Blüten und beladen mit den delikatesten tropischen Früchten; Blumen jeder Farbe erfüllten die Luft mit ihrem Duft, Parasitenpflanzen rankten sich phantastisch um die Baumäste und ihre bunten Blüten leuchteten von jedem Zweig. Palmen, Kakaobäume, Orangen- und Zitronenbäume folgten aufeinander, und an einer Biegung der Straße auf dem Weg hinunter in ein wunderschönes grünes Tal erhaschten wir einen Blick auf eine langhaarige Indianerin, die sich im Schatten eines hohen Baumes am Ufer des rauschenden Flusses ausruhte - ein Bild wie aus dem Morgenland. Es hätte nicht schöner sein können, wäre nur nicht der Staub und das Gerüttel der Kutsche gewesen. Don Miguel war der bester Reiseführer, den ich je getroffen habe; er hielt den Kopf aus der Kutsche gestreckt und wies mal den Kutscher an, langsamer zu fahren, mal warnte er uns vor einem neuen Satz, den die Kutsche machen würde, mal zeigte er auf etwas Sehenswertes, und er behob alle Schwierigkeiten. Sein Hut war uns ganz neu: ein weißer Biberhut mit Riesenkrempe, mit dickem Silberstoff gefüttert und zwei großen Silberrollen und -quasten drumherum.
   Eins muss sich jeder merken, der in Mexiko reist: Es gibt nichts und niemanden, was nicht ein Bild für sich ist und ein gutes Motiv für den Zeichenstift abgäbe. Die indianischen Frauen mit ihren Zöpfen, mit kleinen Kindern auf dem Rücken, großen Strohhüten und zweifarbigen Röcken – lange Reihen von Maultiertreibern mit ihren beladenen Tieren und wilden, sonnenverbrannten Gesichtern – ab und an ein Reiter in einem bunten Poncho, mit stark verziertem Sattel, mexikanischem Hut, silbernen Steigbügeln und Lederstiefeln – all das ist sehr malerisch.
   Bei La Calera sahen wir das Meer in der Ferne. Hin und wieder hielten wir an und kauften Apfelsinen frisch vom Baum, Ananas und Passionsfrüchte, die wie Stachelbeeren aus dem Land der Riesen aus »Gullivers Reisen« sind; das Fruchtfleisch steckt unter einer sehr dicken gelben oder grünen Schale und ist sehr erfrischend.
   Es war gegen sieben Uhr abends, als wir sehr staubig, ziemlich müde, aber sehr angetan von allem, was wir gesehen hatten, in Plan del Rio ankamen. Hier übernachten üblicherweise die Passagiere der Kutschen; das heißt, sie schlafen ein paar Stunden in einem harten Bett und stehen um Mitternacht wieder auf, um nach Jalapa [Xalapa] weiterzureisen. Gegen dieses Verfahren erhob ich deutlichen Widerspruch und bestand unbedingt darauf, dass es möglich und machbar sei, die Nacht in Jalapa zu verbringen. Don Miguel, der folgsamste aller Dons, erklärte, es würde alles nach dem Befehl der Señora geschehen.
   Und so kam man überein, auf den Mond zu warten, um dann die Reise fortzusetzen. Zunächst machten wir einen kleinen Spaziergang, um uns die Brücke, den Fluss und den Wald anzusehen. Die Brücke besteht aus einem einzigen Bogen, der über den Fluss geschlagen ist; sie gehört zu einer großen Landstraße, die gepflastert, aber jetzt verfallen ist.
   Wir gingen in das Gasthaus zurück, ein Gebäude aus Backstein mit einer langen Reihe von kleinen Zimmern und schön gelegen, nicht weit weg vom Wasser. Hier gab es den Luxus von Seife und Handtüchern, so dass wir uns eines Teiles des Staubes entledigen konnten, bevor wir aßen.
   Die Kutsche von Jalapa hatte gerade am Gasthaus einen Deutschen mit Frau und Kind abgeladen; er sah so entschieden wie ein deutscher Musiker aus, dass wir seinen Beruf sofort errieten. Die drei kamen aus Mexiko-Stadt, das von den feinen Künsten verlassen zu werden scheint, und gaben uns einen jammervollen Bericht über den Weg von hier nach Jalapa.
   Das Essen war sehr annehmbar; Suppe, Fisch, Wildgeflügel, gebratenes Fleisch und braune Bohnen, alles kräftig gewürzt mit Knoblauch und Öl. Von dem Wagengeschüttel hatte ich starkes Kopfweh, so dass mir nur nach Kaffee zumute war. Uns wurde dringend geraten, die Nacht über zu bleiben, aber faule Leute wissen zu gut, was es heißt, mitten in der Nacht aufzustehen, besonders, wenn man sehr müde ist. Und als der Mond aufging, packten wir uns einmal mehr in die Kutsche, wach genug, um neuer Müdigkeit entgegenzusehen. Der Mond schien sehr hell, und die meisten unserer Gruppe rückten sich zurecht, um mit der Zigarre im Mund zu schlafen – das war gar nicht so einfach, denn die Straße war schlecht, eine einzige Abfolge von Löchern und Steinen. Mit dem langsamen Aufstieg wurde es kühler und schließlich richtig kalt, und wir suchten nach Mänteln und Schals. Die Vegetation änderte sich und wurde zu einer Mischung aus Bäumen kühlerer und tropischer Klimate, insbesondere mit der mexikanischen Eiche, die von hier an wächst. An einer Stelle des Weges sahen wir zum Glück im Mondschein den Hauptmann der Eskorte fest schlafend am Boden liegen; sein Pferd stand ruhig neben ihm; er war im Schlaf vom Pferd gefallen und schlief einfach weiter. Die Soldaten bekamen ihn mit Mühe wach.
   Bei Corral Falso wechselten wir die Maultiere und fuhren langsam weiter, denn die Straße war schlecht.
   Die Kälte nahm zu und schließlich sahen wir im Schein des Mondes die Spitze des Orizaba mit seiner weißen Schlafmütze (entschuldigt den Vergleich, das kommt von der Müdigkeit); dieses Bild ließ uns vor Kälte schnattern.
   Der Weg nach Jalapa hinein war sehr malerisch. Die Soldaten der Eskorte hatten ihre Ponchos übergezogen, und mit ihren hohen Helmen mit Federn darauf galoppierten sie daher und blitzten durch Büsche und Bäume. Der Orizaba und der Cofre de Perote leuchteten weiß in der Entfernung und ein köstlicher Duft von Blumen, insbesondere Rosen, war ein Gruß des Landes, durch das wir zogen.
   Es war fast zwei Uhr morgens, als wir Jalapa erreichten, todmüde und zitternd vor Kälte. Als wir durch die bergigen Straßen klapperten, ging es uns bald besser, und noch besser, als wir in ein kleines, sauberes Gasthaus kamen; es hatte einen Fußboden aus Ziegeln und vernünftige kleine Betten, und alles war für uns vorbereitet. Der Anblick eines Feuers wäre zu viel des Luxus gewesen; aber es gab heißen Tee, und bald darauf war zumindest ich im Bett und schlief so gut und tief und fest wie seit New York nicht mehr.
   Da wir für den Morgen über die Kutsche bestimmen konnten, standen wir nicht bei Tagesanbruch auf, sondern schliefen bis acht Uhr. Ich wurde bedient von einer so netten, freundlichen, sauberen, kleinen alten Frau, dass ich sie am liebsten mitgenommen hätte. In der Zwischenzeit hatten sich verschiedene Würdenträger der Stadt an der Tür aufgestellt, um Calderón bei seinem Erscheinen zu begrüßen.
   Unser Frühstück war köstlich. So frische Eier, frische Butter, guter Kaffee und wohlgeratene Hühner, dazu gutes Brot und besonders gutes frisches Wasser ließen uns Jalapa schnell ins Herz schließen.
   Nach dem Frühstück machten wir einen Rundgang, begleitet von verschiedenen Herren aus dem Ort. Die Stadt besteht aus wenig mehr als ein paar steilen Straßen, sehr alt, mit ein paar alten und wunderbaren Häusern; die besten gehören, wie gewöhnlich, englischen Kaufleuten, die zum großen Teil aus Veracruz sind und während der Zeit des Gelben Fiebers in Jalapa wohnen. Es gibt einige alte Kirchen, ein sehr altes Franziskanerkloster und einen gut bestückten Markt. Überall gibt es Blumen: Rosen klettern an den alten Mauern hoch, Indianermädchen flechten grüne Girlanden für die Heilige Jungfrau und die Heiligen, Blumen in den Geschäften, Blumen in den Fenstern, und darüber hinaus hat man überall einen der eindruckvollsten Ausblicke der Welt auf die Berge.
   Der Cofre de Perote mit seinen schwarzen Tannenwäldern und riesigem »Kasten« (einem Porphyrfelsen von dieser Form), und der noch duftigere schneeweiße Gipfel des Orizaba überragen alles und wirken wie riesige Wächter des Landes. Die dazwischen liegenden Berge, die dunklen Felsabstürze und fruchtbaren Ebenen, die dichten Wälder von hochragenden Bäumen, die Hügel und Täler bedecken; ein kurzer Blick auf den Ozean in der Entfernung; die Wege in der Umgebung von Obstbäumen beschattet: Aloe, Bananen, Cherimoyas, vermischt mit Amberbäumen, der blühenden Myrte und Hunderten von Pflanzen, Büschen und Blumen jeder Farbe und mit köstlichem Duft bilden eine der abwechslungsreichsten und schönsten Szenerien, die man sich vorstellen kann.
   Und dann ist da Jalapa selbst; so ehrwürdig und grau. Mit Musik aus offenen Türen und Fenstern und bei angenehmer Temperatur gibt es auch bei einem kurzen Aufenthalt so erfreuliche Eindrücke, dass man sie nicht leicht vergisst.
   Jetzt sind wir zu unserem Gasthof zurückgekehrt; es ist fast Mittag, und der Wolkenschleier, der den Orizaba heute früh einhüllte, ist verschwunden; der weiße Gipfel wird umschienen von einer Flut von Licht. Wahrscheinlich habe ich keine Gelegenheit zu schreiben, bevor wir Puebla erreichen.

Puebla, 24. Dezember
Gestern haben wir uns von den Jalapeños verabschiedet, und dann waren wieder unterwegs. Was für ein Blick auf die Berge, als wir die steile Straße hinauffuhren! Und welche Blumen und blühenden Bäume überall! Große, leuchtend rote Blüten, hängende purpurne und weiße Blumen, die Bäume bedeckt mit duftenden Glockenblumen, Lilien ähnlich, die man hier Floripundio nennt, und dazu eine Mischung von gefüllten rosa Rosen, die die Luft aromatisieren; hier und da eine Kirche oder ein Kloster in Ruinen oder eine weiße Hacienda. Wir hatten Glück, dass das Wetter klar war; das ist nicht immer so in Jalapa, besonders, wenn der Nordwind von Veracruz Stadt und Umgebung in dichten Nebel hüllt.
   Wir hielten in einem kleinen Dorf um die Pferde zu wechseln (bei der Abreise von Jalapa waren unsere Maultiere durch acht starke weiße Pferde ersetzt worden), und Don Miguel ließ uns in ein sehr schönes Haus gehen, das Freundinnen von ihm gehört; eine von ihnen sah sehr gut aus und trug einen geschmackvollen weißen Turban. Die Sehenswürdigkeit dieses Ortes ist ein Felsen hinter dem Haus, der mit Rosen, Nelken und jeder Art von Blütenbaum sowie Orangen, Zitronen, Limonen und Cedrats [großen Zitronen] bedeckt ist, die alle aus dem Felsen wachsen. Die Damen waren sehr höflich und, glaube ich, ein bisschen überrascht über unsere Bewunderung ihrer Blütenpracht im Dezember. Sie gaben uns Orangeade und Kuchen und dazu große Cedrats und Orangen von den Bäumen; dazu noch wunderbare Sträuße von Nelken und Rosen. Zusammen mit den unbekannten roten und purpurnen Blumen, die der Hauptmann der Eskorte für mich gepflückt hatte, glich das Innere der Kutsche einem Garten.
   Wir setzten unsere Reise fort; die Straße stieg zur Ebene an, und an einem besonders guten Aussichtspunkt verließen wir die Kutsche und sahen zurück nach Jalapa und rundum auf das Panorama der Berge. Langsam veränderte sich die Vegetation; feines, frisch aussehendes Gebüsch, Gräser und Bäume folgten auf die eher schütteren, aber leuchtenderen Bäume und Blumen der Tropen; die Bananen und Cherimoyas machten der starken Eiche Platz, und noch weiter oben kam das dunkle Grün der Kiefern dazu.
   In San Miguel de los Soldados hielten wir, um Erfrischungen zu uns zu nehmen. Die Gegend wurde langsam kahler und noch vor der Ankunft im Dorf Las Vigas waren alle Bäume verschwunden bis auf die widerstandsfähige Tanne, die zwischen den Felsen gedeiht. Für etwa zwei Leguas war der Boden mit Lava und großen Massen schwarzen kalkigen Felsens bedeckt; es sah aus, als ob wir durch den Krater eines Vulkans führen. Dieser Teil des Landes heißt zu Recht Mal Pais, und die ab und zu auftauchenden Kreuze mit ihren verwelkten Girlanden, die in der öden vulkanischen Region leuchten, legen Zeichen davon ab, dass es noch andere Namen geben könnte für dieses »Böse Land«. Die Rosen und Nelken aus Jalapa waren noch nicht verwelkt, so dass wir in wenigen Stunden durch die ganze Abfolge von Vegetation gekommen waren.
   Die Straße wurde steil und mühselig, und nachdem wir durch Cruz Blanca gekommen waren, gab es außer dem einen oder anderen Maisfeld und dunklen Tannenwäldern nichts mehr, was interessant genug gewesen wäre, um uns wach zu halten. Die Sonne ging unter, es wurde dunkel, und als wir Perote erreichten, wo wir über Nacht bleiben sollten, waren die meisten von uns in einen unbequemen Schlaf gefallen; wir waren ausgekühlt und benommen und zu müde um hungrig zu sein, obwohl für uns ein großes Essen vorbereitet war.
   Das Gasthaus war, ganz anders als das in Jalapa, schmutzig, die Betten miserabel, und so waren wir froh, als wir beim Licht eines armen kleinen Talglichts, das uns der Wirt an die Tür gestellt hatte, um zwei Uhr früh aufstanden.
   Es gibt Szenen, die nie aus unserer Erinnerung verschwinden; so etwas sahen wir heute früh um zwei Uhr in Perote; Mond und Sterne schienen hell und kalt.
   Als ich angezogen war, ging ich in die Küche, wo Calderón, die Schiffsoffiziere, Don Miguel und der Hauptmann der Eskorte von letzter Nacht um das trübe Licht einer schiefen Kerze versammelt waren; dabei war auch der verdächtig aussehende Wirt und ein paar verschlafene, barfüßige Indianerfrauen mit zerzaustem Haar, kupferfarbigen Gesichtern und Reboso [Umschlagtuch]. Sie kochten für uns Schokolade aus Ziegenmilch - einfach scheußlich und dazu noch ranzig.
   Es stellte sich heraus, dass es nicht mehr weiter ging – wegen irgendeines Versehens mit den Befehlen war die neue Eskorte nicht erschienen und die von letzter Nacht durfte uns nicht weiter begleiten. Don Miguel mit seinem braunen Gesicht und seinem großen Poncho stolzierte herum, ziemlich schlecht gelaunt, während der Hauptmann sehr höflich und ruhigen Gesichts, das arabisch und ausdruckslos wirkte, bedauerte, dass seine Eskorte nicht weiter marschieren würde. Er hielte es für sehr wahrscheinlich, dass wir ausgeraubt würden – die Vermutung würde auch bestätigt durch die Mitteilung, die er gerade erhalten hätte, dass nämlich ein Trupp Ladrones [Räuber] uns auflauerte; er bedauere, dass er uns nicht helfen könne, obwohl er uns immer zu Diensten sei, und empfahl, auf die nächste Eskorte zu warten.
   Das nun wollte unser Führer nicht hören. Er wollte jede Verspätung vermeiden, aber ihm war auch klar, dass es zu unsicher war weiterzureisen. Er hatte versprochen, uns sicher und innerhalb von vier Tagen nach Mexico City zu befördern, und musste sein Wort halten. Jemand schlug vor, zwei seiner Männer sollten die Kutsche auf Maultieren begleiten, denn zwei Tiere würde man wohl schon auftreiben können. Der Hauptmann meinte, er sei zwar ganz zu unseren Diensten, aber zwei Mann würden uns nichts nützen, denn im Falle eines Angriffs wäre Widerstand schlimmer als unnütz, es sei denn, man hätte eine große Eskorte. Nichtsdestotrotz meinte ein ganz Kluger, dass die Räuber bei Anblick von zwei Soldaten denken könnten, es gäbe noch mehr davon. Kurz und gut - es gab die verschiedensten Meinungen. Eine war, die Soldaten sollten oben auf der Kutsche, eine andere, sie sollten in der Kutsche sitzen. Aber hier schritt ich ein; meinetwegen konnten sie reiten oder auf der Kutsche mitfahren, aber unter keinen Umständen drinnen. Wie üblich geschah es, wie die Señora wünschte.
   Schließlich und endlich versammelten wir uns vor dem Gasthaus; einen seltsamen Anblick müssen wir im Mondlicht gegeben haben; unser Freund G. hätte von uns eine hübsche Karikatur gemacht, wenn er nur dabei gewesen wäre.
   Da war die Kutsche mit acht weißen Pferden und einem amerikanischen Kutscher, der eigentlich Brown hieß, aber hier auf den besser klingenden Namen Bruno hörte, A. mit ihrer französischen Haube, beladen mit allen möglichen geheimnisvollen Körben; ich in Hut und Mantel; Calderón mit griechischer Mütze, Mantel und Zigarre; der Hauptmann vom Schiff auch mit Mantel und Zigarre, und sehr gelassen; der Leutnant, der gelassen zu bleiben versuchte, in seiner Marineuniform; Don Miguel mit seinem großen Poncho und silbernen Hut: sechs Leute aus fünf verschiedenen Ländern. Dazu der mexikanische Hauptmann mit seinem bleichen, unbewegten Gesicht, mit Schnurrbart, eingehüllt in einen sehr schönen Poncho und umgeben von der schläfrigen Eskorte der vergangenen Nacht; schmutzige Soldaten, die auf dem Boden herumlümmelten, und das alles beschienen von einem leuchtenden Mond und einem sternenübersäten Himmel; die Menschen im Vordergrund, die hohen, schneebedeckten Berge und die schäbigen alten Gebäude von Perote, die grau und unfreundlich über die frühe Störung schienen, die alte Festung von St. Carlos, und die kalte, öde Ebene.
   Inzwischen waren zwei Soldaten mit Mantel und Waffen auf die Kutsche geklettert. Der Hauptmann sagte, dort könnten sie nicht bleiben. Bruno gab eine Antwort, die den Hauptmann veranlasste, kühlen Blutes sein Schwert zu ziehen; fast hätte er unserer Reise ein entscheidendes Hindernis in Form eines erstochenen Kutschers beschert, aber Don Miguel, Augen und Zigarre gleichermaßen glühend vor Ärger, ging zwischen die beiden.
   Laute Worte zwischen ihm und dem Hauptmann waren die Folge; und die Kälte und Schärfe, mit der der Hauptmann sprach, war höchst amüsant. Es war, als ob er einen Teil eines Bühnenstückes rezitierte. »Ich spreche immer offen«, sagte Don Miguel ärgerlich. »Und ich«, sagte der Hauptmann in höflichem, gemessenem Ton, »bin auch gewöhnt, meine Meinung ganz klar darzustellen. Ich bedaure aber, dass ich nicht bemerkt habe, dass die Señora an der Tür steht, sonst ...«
   Zum guten Schluss erklommen wir die Kutsche, nachdem zwei kleine Männer, die in ihren Ponchos und mit den Gewehren aussahen wie zwei Bündel Munition und die zunächst von jemand Übereifrigem (wahrscheinlich unserem Freund Bruno) halb im Schlaf wie Pakete auf die Kutsche gehievt worden waren, wieder heruntergerollt waren und mühsam zwei Maultiere erklettert hatten. Don Miguel streckte seinen Kopf zum Fenster hinaus – er fühlte sich gar nicht wohl in seiner Haut –, rief die zwei Bündel an und gab ihnen Befehle in einer Art von Bühnenflüstern; sie zogen los, von Tapferkeit beseelt; uns dagegen war kalt und (mir wenigstens) ängstlich zumute. Und so ging die Reise weiter.
   Die frühe Stunde hat uns möglicherweise gerettet, denn wir waren zwei Stunden vor der üblichen Zeit aufgebrochen und hatten somit einen Vorsprung vor den Herren der Landstraße.
   Es kam uns gar nicht ungelegen, dass wir an unserem ersten Haltepunkt beim Pferdewechseln eine Kompanie Lanzenreiter entdeckten, die im vollen Galopp mit einem sehr gut aussehenden Offizier an der Spitze die Straße entlang kamen. Als ich den Hufschlag hörte und im dämmrigen Licht und in den Staubwolken die Reiter sah, hielt ich sie zunächst für einen Trupp Räuber. Der Hauptmann entschuldigte sich vielmals für die Verspätung und teilte uns mit, dass die Alcalden von Tepeyagualco, La Ventilla und einigen anderen Dörfern, an deren Namen ich mich nicht erinnern kann, seit zwanzig Tagen in Erwartung der Ankunft Seiner Exzellenz Frühstück vorbereitet hätten; ob es zwanzig verschiedene waren oder immer wieder das gleiche kalt oder wieder aufgewärmt, blieb im Dunkeln.
   Der Hauptmann hatte ein sehr schönes Pferd; er ritt an der Seite der Kutsche und verbeugte sich jedes Mal tief, wenn ich hinaussah, um zu zeigen, dass er mir zu Diensten sei. Er unterhielt sich mit Calderón über Räuber und Krieg und über die Gegenden, die diese Herren unsicher machen, und erzählte, dass seine erste Frau in seiner Begleitung erschossen worden sei, dass aber seine zweite Frau auch immer bei ihm sei.
   Nach einer Fahrt über eine Folge von öden flachen Landstrichen, bedeckt mit schütterem Pflanzenwuchs, kamen wir nach Tepeyagualco und wurden dort vom Alcalden begrüßt. Er bot Calderón die oben schon erwähnte zwanzigtägige Bewirtung an, die Calderón aber mit herzlichem Dank ablehnte. Den Esser dieses Frühstücks bedeckt der Mantel der Geschichte. Ob der Alcalde erleichtert oder beleidigt war, war nicht zu erkennen. Er verschwand unter vielen Verbeugungen, und ihm folgte eine große, gut aussehende indianische Frau, die hinter ihm gestanden hatte, als er seinen Auftritt zelebrierte. Vielleicht haben die zwei das lange vorbereitete Festessen vertilgt. Dieses Frühstück war zumindest einer der zahlreichen Tribute an den ersten friedlichen Abgesandten des Mutterlandes.
   Wie dem auch sei, in La Ventilla stiegen wir mit gutem Appetit aus der Kutsche und fanden mehrere Würdenträger vor, die Calderón willkommen heißen wollten. Wir bekamen köstliche Cherimoyas, einen natürlichen Pudding, den wir auf Anhieb mochten, Passionsfrüchte, Bananen, Sapotes u.s.w. Hier probierte ich auch meinen ersten Pulque. Und mein erster Eindruck ist, dass, wie Nektar zum Olymp gehörte, Pluto die Agave in seinem Reich der Finsternis entwickelt haben muss. Von Geschmack und Geruch war ich so überrascht, dass zu befürchten steht, dass den ehrenwerten Alcalde der Ausdruck des Schreckens auf meinem Gesicht zutiefst beleidigt hat – der hält es nämlich für das köstlichste Getränk der Welt. Es heißt, wenn man den ersten Schock hinter sich hat, schmeckt es recht gut. Die Schwierigkeit besteht also darin, über diesen Schock hinwegzukommen.
   Nach einem annehmbaren Frühstück – der Hunger ließ uns Chili und Knoblauch ertragen – ging es weiter. Uns wurde mitgeteilt, dass wegen der immer frecher werdenden Räuber die kommende Strecke besonders gefährlich sei und deshalb die Eskorte verdoppelt würde. Seit wir Perote verlassen hatten, war die Gegend nach und nach immer düsterer geworden, und wir waren wieder im »mal pais«, wo es nichts zu sehen gibt als ein paar dunkle und kümmerliche Tannen und Fichten, schwarze Lavamassen und hier und da ein weißes Kreuz, das die Stelle markiert, wo entweder ein Mord begangen worden war oder ein berüchtigter Räuber begraben liegt. Jedes Mal gab uns Don Miguel eine kurze Erklärung. Einige Zeilen aus »Childe Harold« [von Lord Byron] passen zu dieser Szene wie extra dafür geschrieben:
Und hier und dort, wo ihr am Felsen saht
Manch roh geschnitztes Kreuz den Weg beschatten
Wähnt nicht, dies sei der Andacht fromme Tat -
Ein Denkmal ist's, dass Mord befleckt die Matten.
Wo Meuchler ihre Wollust daran hatten,
Ein bebend Opfer ihrem Dolch zu weihn,
Setzt fromme Hand ein modernd Kreuz aus Latten:
An Tausend schaun ins blutige Land hinein,
Wo die Gesetze nicht dem Leben Schutz verleihn.
Die Landschaft war wild und großartig, aber auch düster und monoton; es gab einen riesigen Unterschied zu unserer ersten Tagesreise. Die einzigen Zeichen von Leben waren die langen Reihen von Maultiertreibern mit ihren Tieren und ab und an eine indianische Hütte mit ein paar elenden, halbnackten Frauen und Kindern.
   Bei einem kleinen schiefen Gasthaus hielten wir an, kalt und elend wie wir waren, und man servierte uns heißen Wein, der uns gut tat. Der Wirt oder Verkäufer, denn eigentlich war es nur ein Schnapsladen, sah zumindest wie ein Räuber aus, wenn er nicht sogar einer war: wild, melancholisch und mit dem allerfinstersten Gesichtsausdruck, eine Banditengestalt, wie sie im Buche steht, mit seinem Umhang und dem auf die Stirn gedrückten Hut, mit Messer im Gürtel, groß, schlank und kräftig, mit bleichem Gesicht, traurigen Augen mit stechendem Blick. Wie dem auch sei, er zeigte uns Spuren an der Tür von zwanzig Räubern, die eines Nachts eingebrochen waren und einige Gäste, die dort übernachteten, um eine große Summe Geldes erleichtert hatten.
   Calderón fragte ihn, wie die Räuber mit den Frauen umgingen, die ihnen in die Hände fielen. »Sie begrüßen sie«, sagte er, »und nehmen sie manchmal mit in die Berge, aber nur sehr selten und wenn sie glauben, dass die Frauen etwas über sie erzählen würden.«
   In Ojo de Aguas wechselten wir die Pferde und sahen, mit welcher Unterkunft die Reisenden mit eigener Kutsche oder Sänfte vorlieb nehmen müssen, es sei denn, sie brächten ihre eigenen Betten und Lebensmittel mit: ein einziger großer Raum, einer Scheune ähnlich, in der sich alle zusammendrängen müssen. Und es gibt weder Stuhl noch Tisch noch etwas zu essen. Das Haus steht einsam in der Ebene, in der Nähe weideten ein paar Schafe und kauten lustlos an braunem Gras. Eine schöne Quelle, nach der es benannt ist, und der Orizaba, der näher gekommen zu sein schien und in klarer Silhouette gegen den saphirblauen Himmel stand, waren das einzig Bemerkenswerte.
   Die Pferde wurden gewechselt in Nopaluca, Acagete und Amosoque, alles kleine Dörfer, die aus wenig mehr als dem Gasthaus und einigen wenigen ärmlichen Häusern bestanden, die alle sehr schmutzig waren. Der Boden aber nimmt an Fruchtbarkeit zu und wird mehr bewirtschaftet, wenn auch die düsteren Kiefern die überwiegende Baumart sind.
   Immer noch von unseren zwei Eskorten begleitet, was einen sehr prahlerischen Eindruck machte, kamen wir um vier Uhr nachmittags in Puebla de los Angeles an, nach Guadalajara eine wichtige Stadt der Republik, wo wir im Gasthaus schöne Zimmer für uns bereit fanden und wo wir, nach kurzer Ruhepause und nachdem wir uns frisch gemacht hatten, ausgingen, um noch möglichst viel von der Stadt zu sehen, bevor die Dämmerung und damit der Weihnachtsabend begann.
   Man muss sich an den Stil der Bauten in den spanischen Kolonien erst gewöhnen. Zunächst wirken sie völlig unbewohnt mit den großen hölzernen Türen, riesig wie Scheunentore, den großen Fenstern mit Eisengittern, den schlecht gepflasterten Höfen und den flachen Dächern. Und dann die Straßen, auf denen selbst heute, an einem Festtag, nur Gruppen von Bauern oder Bettlern zu sehen sind - das alles wirkt höchst ungemütlich. Aber die Straßen von Puebla sind sauber und regelmäßig angelegt, die Häuser groß, die Kathedrale prächtig, und die Plaza ist großzügig und angenehm anzusehen.
   Die Kathedrale war verschlossen, um erst zur Mitternachtsmesse geöffnet zu werden, was ich nicht sehr bedauerte, denn wir werden wahrscheinlich irgendwann wiederkommen.
   Die Kleidung der Leute von Puebla ist sehr hübsch, besonders an Festtagen: ein weißes Hemd aus Musselin, an Saum, Halsausschnitt und den sorgfältig gefältelten Ärmeln mit Spitze besetzt, ein Rock, kürzer als das Hemd, in zwei Farben, der untere Teil in scharlachrot und schwarz aus einem einheimischen Stoff und der obere Teil aus gelbem Satin, dazu eine Satinweste in einer kräftigen Farbe und mit Gold oder Silber bestickt, vorn offen und zurückgeschlagen. Diese Weste kann man tragen oder auch nicht, wie es einem gefällt. Sie hat keine Ärmel, aber Schnüre. Das Haar ist hinten in zwei Zöpfe geflochten und hochgesteckt und mit einem Diamantring zusammengehalten. Lange Ohrringe und alle Arten von Ketten und Anhängern und anderen Klimpersachen hängen um den Hals. Eine lange bunte, breite Schärpe, etwa wie ein Offiziersgürtel, wird zwei-, dreimal um den Leib geschlungen; da hinein wird ein silbernes Zigarrenetui gesteckt. Ein kleines buntes Tuch oder breites Band wird am den Hals gelegt und vorn mit einer Brosche befestigt. Die Enden sind mit Silber besetzt und werden in die Schärpe gesteckt. Über all dem wird der Reboso getragen, nicht über dem Kopf, sondern wie ein Schal; und sie tragen Seidenstrümpfe, oder häufiger gar keine Strümpfe, und weiße, mit Silber besetzte Satinschuhe.
   So ist es an Festtagen. An normalen Tagen ist die Kleidung ähnlich, aber die Stoffe sind einfacher und zumindest die Silberweste wird nicht getragen. Aber das Hemd ist auch dann mit Spitzen besetzt, und die Schuhe sind aus Satin.
   Weihnachtsabend in Puebla! Das Zimmer ist voller Leute, die Calderón zu seiner Ankunft beglückwünschen, und man muss gerechterweise sagen, dass es ein wunderschönes Zimmer ist, mit Stühlen und Sofas aus scharlachrotem Stoff.
   Zwischen vier und fünf Uhr morgens verließen wir Puebla, mit Absicht so spät, damit wir nicht zu früh in Mexico City ankamen. Das geschah gegen den Rat von Don Miguel, der in solchen Dingen normalerweise Recht behielt. Die Gegend war nun eben und fruchtbar und sah einer europäischen Landschaft ähnlicher als alles, was wir bisher gesehen hatten.
   In Rio Prete, einem kleinen Dorf, wo die Pferde gewechselt wurden, stellte ich fest, dass ich höchst gemütlich mit den Füssen in einem Korb mit Chirimoyas gesessen hatte und dass Knöpfstiefel, weißes Kleid und Umhang mit dem milchigen Saft durchtränkt und durch den Boden der Kutsche schwarz geworden waren.
   Nicht ohne Schwierigkeiten wurde ein großer Koffer heruntergeholt und ein anderes Kleid ausgepackt, zum großen Vergnügen der indianischen Frauen, die wissen wollten, ob es die letzte Mode sei, und meinten, es sei sehr hübsch. Hier gab es guten heißen Kaffee, und weil Weihnachten war, waren alle sauber und für die Messe angezogen.
   In Rio Frío, das etwa 13 Wegstunden von Mexico City entfernt ist und wo es ein recht gutes Gasthaus in einem von Bäumen umstandenen Tal gibt, hielten wir an, um zu essen. Das Gasthaus wird von einer Frau aus Bordeaux und ihrem Mann geführt, die sich jeden Tag zwanzig Mal nach Hause zurückwünschen. Vor dem Haus spielten einige Indianer ein merkwürdiges und sehr altes Spiel: eine Art von Schaukel, das Spiel der Flieger, das bei den alten Mexikanern sehr beliebt war. Unsere französische Gastgeberin servierte uns ein gutes Essen - besonders die Kartoffeln waren ausgezeichnet - und Gelees verschiedener Sorten, und sie bewirtete uns auch die ganze Zeit mit einer Vielzahl von Geschichten von Räubern und Überfällen und schrecklichen Mordtaten. Nach dem Verlassen von Rio Frío wurde die Gegend hügelig und mit Wald bedeckt, und dann kamen wir bald in den so genannten Schwarzwald, wo es viele Räuber gibt. Er ist ein schönes Beispiel von Waldlandschaft, luftige Eichen, Kiefern und Zedern und wilde Blumen, die das dunkle Grün aufhellen. Ich muss aber zugeben, dass nun die Ungeduld, Mexico City zu erreichen, und das Wissen, dass es nun in ein paar Stunden tatsächlich so weit sein sollte, mich davon abhielten, die Landschaft zu genießen, und die Strecke kam mir endlos vor.
   Aber schließlich erreichten wir die Höhen, die auf das große Tal hinabblicken, bekannt in der ganzen Welt, mit seinem Kranz von ewigen Bergen, seinen mit Schnee bedeckten Vulkanen, großen Seen und fruchtbaren Ebenen, die die Stadt Moctezumas umgeben, der Stolz seines Eroberers, einst die funkelndste Krone unter den vielen, die Spanien besaß. Aber der Himmel war bedeckt, und wir waren auch nicht auf dem besten Weg, der nach Mexico City hineinführt. Die unzähligen Türme der noch weit entfernten Stadt waren kaum zu sehen. Die Vulkane waren in Wolken gehüllt außer den beschneiten Gipfeln, die wie Marmordome in den Himmel strebten. Als wir unsere Augen anstrengten, um etwas im Tal zu erkennen, kam es mir eher wie eine Vision der Vergangenheit denn wie lebendige Gegenwart vor. Der Vorhang der Zeit schien sich zu heben und schien uns das große Panorama zu enthüllen, das Cortés bei seinem ersten Anblick der Ebene gesehen haben muss: der seinem König zugetane und gottesfürchtige Eroberer, dessen Ergebenheit und Glaube so auf die alte spanische Weise verwoben waren, dass man kaum entscheiden kann, was stärker in ihm war. Die Stadt Tenochtitlán, mitten in fünf Seen auf grünen und blumenbesäten Inseln gelegen, ein Venedig des Westens mit Tausenden von Booten, die elegant durch die Kanäle gleiten, lange Reihen niedriger Häuser die sich abwechselten mit einer großen Anzahl von Pyramidentempeln den Teocalli oder Gotteshäusern, Kanus auf den spiegelnden Seen, die luftigen Bäume, die Blüten und das viele Wasser, das der Landschaft nun fehlt - das ganze fruchtbare Tal eingeschlossen von den ewigen Bergen und mit Schnee gekrönten Vulkanen: Welche Szenen von Wunder und Schönheit trafen auf den Blick dieser weit gereisten Männer!
   Dann die wunderschönen Gärten um die Stadt herum, der Überfluss an Blumen, Früchten, Vögeln - der hell bronzefarbene Herrscher selbst in der Mitte seiner indianischen Noblen erscheinend, reich gekleidet und mit bloßen Füssen, um den ungebetenen und nicht willkommenen Gast zu empfangen - die Sklaven, das Gold und die flauschigen Federn, alles, um der Allerheiligsten Majestät zu Füßen gelegt zu werden: Welche Bilder erweckt die einfache Erzählung von Cortés, und wie stark kommt sie einem in den Sinn, wenn man dreihundert Jahre später diese Stadt der Paläste auf den Ruinen der alten Hauptstadt erblickt. Es schien fast unglaublich, dass wir nun dem Ende unserer Reise so nah und in einer so anderen Umgebung waren, und dass gerade zwei Monate weniger zwei Tagen seit der Abreise aus New York und der Einschiffung auf der Norma vergangen waren. Wie viel Land und Meer hatten wir überquert! Wie viel hatten wir gesehen! Wie viele Klimazonen, sogar innerhalb der letzten vier Tage!
   Aber meine Gedanken, die dreihundert Jahre in die Vergangenheit gewandert waren, wurden schnell in die Wirklichkeit zurückgeholt durch die Ankunft eines Offiziers in Paradeuniform, der seiner Truppe vorausritt und uns auf Anweisung der Regierung als Friedensboten aus dem alten Spanien willkommen zu heißen hatte. Er war schon seit gestern in Erwartung unserer Ankunft zu Pferd unterwegs, um uns zu empfangen. Da es begonnen hatte zu regen, nahm der Offizier, Oberst Miguel Andrade, unser Angebot an, in der Kutsche Schutz zu suchen. Nun galoppierte eine große Truppe mit uns, und wir waren noch nicht weit gekommen, als wir trotz des Regens und der einsetzenden Dämmerung bemerkten, dass unzählige Wagen und Reiter zu unserem Empfang aus der Stadt kamen. Kurz darauf hielt unser Wagen an, und wir wurden in eine sehr prächtige Kutsche gebeten, ganz in Rot und Gold, mit dem Wappen der Republik, Adler und Nopal-Kaktus, auf den Wagenhimmel gestickt, und von vier schönen Schimmeln gezogen. Inmitten dieser ungeheuren Prozession von Truppen, Wagen und Reitern hielten wir Einzug in die Stadt des Moctezuma.
   Die Umgebung der Stadt ist auf dieser Seite trocken und flach, und wo einst die Wasser der Seen, bedeckt mit schönen Kanus, die Stadt umgaben und Kanäle bildeten, sieht man nun nur trauriges Marschland, kaum belebt durch große Schwärme von wilden Enten und anderen Wasservögeln. Aber die Kälte der Umgebung trat hinter der fröhlichen Erscheinung der Prozession zurück: die scharlachroten und goldenen Uniformen, die leuchtend bunten Ponchos, die Kleidung der Herren, von denen die meisten, glaube ich, Spanier waren, und ihre gut gebauten Pferden, hohe mexikanische Sättel, goldbestickte Satteldecken mit schwarzem Pelz, die mexikanischen Hüte mit Goldbesatz, Jacken reichlich mit Pelz besetzt, Hosen mit Silberknöpfen, geprägte Lederstiefel, silberne Steigbügel und anmutige Umhänge mit schwarzen oder bunten Samtkragen.
   An den Toren der Stadt hielten die Truppen an, und drei enthusiastische Hurras wurden ausgebracht, als die Kutsche einfuhr. Es war jetzt fast dunkel, und der Regen strömte vom Himmel, aber es kamen immer noch mehr Kutschen voller Damen und Herren dazu. Es stellte sich heraus, dass ein Haus in der Vorstadt bei Buenavista vorläufig für uns bereitstand dank der Freundlichkeit der Spanier und insbesondere eines reichen Kaufmanns, Don ..., der bei uns in der Kutsche war. Deshalb fuhren wir durch die ganze Stadt, bevor wir dort ankamen, immer von der Menge umgeben; wegen dieser Menge und der schlecht gepflasterten Straßen ging es nur langsam vorwärts. Durch Regen und Dunkelheit hindurch hatten wir hin und wieder einen undeutlichen Eindruck von hohen Gebäuden, Kirchen und Klöstern. Als wir schließlich im strömenden Regen am Ziel waren, verließ Calderón die Kutsche, bedankte sich für den Empfang und gab dem Feldwebel einige Silberstücke für die Soldaten. Dann betraten wir das Haus, begleitet von dem mexikanischen Offizier und einer großen Gruppe Spanier.
   Uns gefiel das Haus sehr gut, insbesondere wenn man bedenkt, dass es innerhalb von 48 Stunden für uns hergerichtet worden war, und auf dem Esstisch dampfte ein ausgezeichnetes Mahl. Nachdem wir dem Essen Gerechtigkeit hatten angedeihen lassen, verabschiedeten wir uns von unseren Freunden und wollten zu Bett gehen.
   Diener und Gepäck kamen aber erst spät an. Sie waren bei der Kutsche unter dem wachsamen Auge von Don Miguel geblieben, denn offenbar hatten sich Räuber unter die Menge gemischt und zogen in der Hoffnung auf Beute mit. Deshalb hatte er sich genötigt gesehen, zwei Kutschen zu besorgen, eine für die Diener, eine für das Gepäck, auf der er mitfuhr. Rechtschaffen müde war der arme Mann, vom Regen völlig durchweicht. Wir stellten fest, dass viel an Aufregung und Durcheinander auf Regen and Dunkelheit zurückzuführen war und hätte vermieden werden können, wären wir nur ein paar Stunden früher von Puebla abgefahren.
Wie dem auch sei, Ende gut, alles gut!
   
Calderón de la Barca, Frances
Life in Mexico
London 1843
Übersetzung aus »Childe Harold« von Lord Byron: Adolf Böttger, Leipzig 1845
Übersetzung des übrigen Textes: U. Keller

Abgedruckt in:
Keller, Ulrike (Hg.)
Reisende in Mexiko
Wien 2003

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