Reiseliteratur weltweit

Geschichten rund um den Globus

1867 - Agnes zu Salm-Salm
Von Maximilian zu Benito Juárez
Quéretaro und San Louis Potosi

Wir langten endlich in Quéretaro an. Von der Höhe der Cuesta China konnte man die ganze Stadt übersehen; aber man wurde ebenfalls von dort gesehen und meine glänzend gelbe Equipage mit vier Maultieren und Eskorte entging den Kaiserlichen nicht, die mich, wie mir später der Kaiser sagte, für Juárez gehalten hatten. Als ich den Hügel hinunter nach der Hacienda de Hercules fuhr, die Herrn Rubio gehörte, an den ich einen Empfehlungsbrief hatte, erwartete ich stets eine Kugel aus den Batterien der Stadt zu erhalten, denn wir waren überall in Schussweite.
   Das Hauptquartier des Generals Escobedo war auf der anderen, der Nordseite des Rio Blanca am Abhange des Hügels La Cantera. Da ich Briefe an ihn abzugeben hatte und auch wissen wollte, woran ich war, so kleidete ich mich sogleich um und ritt hinüber. Ein Pferd konnte ich leicht haben; allein ein Damensattel war nirgends aufzutreiben und so hatte ich als solchen einen gewöhnlichen, hölzernen mexikanischen Sattel zu reiten, was keineswegs angenehm war und seine Schwierigkeiten hatte.
   Der Herr, der mich von Mexiko begleitet hatte, war mir schon vorausgeeilt und hatte meine Ankunft angemeldet. Als ich bei demselben ankam und General Escobedo meine Karte hineinschickte, trat aus der Gruppe von dort versammelten Offizieren ein blonder Kapitän hervor, der mich als alte Bekannte aus den Vereinigten Staaten begrüßte, dessen ich mich aber nicht erinnerte. Es war ein Hauptmann Enking, welcher Artillerie-Leutnant in Generals Blenkers Division gewesen war und der einst, als ich dessen Lager besuchte, als Eskorte gedient haben wollte.
   Dieser junge Mensch hatte sich, wie ich später hörte, gerühmt, dass er mich sehr genau kenne, und ich konnte mich nicht einmal seines Gesichts erinnern. Er benahm sich auch später in der verächtlichsten Weise und schien sowohl bei seinen Kameraden als bei seinem General in sehr geringer Achtung zu stehen; denn als er sich erbot, ihnen als Dolmetscher zu dienen, lehnte es der General ziemlich kühl ab und ließ zu diesem Ende einen Mexikaner rufen, der Englisch verstand. Herr Enking stand bei der amerikanischen Legion of honor, und als Quéretaro genommen wurde, brach er mit seinen Leuten in Privatwohnungen ein und vergriff sich an den Privateigentum von Offizieren, weshalb er von General Escobedo mehrere Tage in Arrest geschickt wurde.
   Bei einer späteren Gelegenheit, als ich den General ersuchte, mir einen Offizier als Begleiter mitzugeben, ließ er diesen Hauptmann Enking holen, dessen Bemerkungen in Bezug auf mich mir mitgeteilt waren. Ich wies diese Begleitung mit Entrüstung zurück und drückte mein Erstaunen aus, dass der General mir die Gesellschaft eines solchen Menschen, den er als einen Schurken kenne, zumute. Hauptmann Enking zog sich sehr verwirrt zurück und Escobedo entschuldigte sich. Er schien eine besondere Absicht gehabt zu haben, diesen Herrn mir gegenüberzustellen und zu erwarten, dass ich ihn refüsieren würde.
   General Escobedo empfing mich in einem sehr kleinen, ganz außerordentlich elenden Zelt, welches überall mit Stöcken gestützt und aus Brettern und Leinwand in sehr dürftiger Weise zusammengeflickt war. Es stand darin ein von rohen Brettern zusammengeschlagener Tisch und einen hölzerne Kiste diente als Sitz. Der General trug eine Uniform ähnlich der von Porfirio Díaz, nur dass etwas mehr Tressen und Knöpfe daran waren.
   Escobedo empfing mich sehr freundlich. Ich sagte ihm, ich hätte gehört, dass mein Mann verwundet sei und bat ihn um Erlaubnis, in die Stadt zu gehen und ihn zu pflegen. Der General erwiderte, dass er nichts von einer Verwundung meines Mannes wisse und mir die gewünschte Erlaubnis nicht geben könne. Alles was er tun könne, sei mir einen Brief an Präsident Juárez nach San Luis Potosí zu geben, der vielleicht meinen Wunsch erfüllen werde.
   Er äußerte, dass er meinen Mann sehr wohl kenne, machte mir viele Komplimente in Bezug auf ihn und sagte, derselbe sei ein außerordentlich tapferer und kühner Offizier, wie er zu seinem Schaden erfahren habe. Es versprach, ihn freundlich zu behandeln, wenn er in seine Hände fallen sollte und mir zu gestatten, ihn im Fall einer Verwundung zu pflegen.
   Der General überließ es mir, ob ich mit der am anderen Morgen nach San Luis Potosí abgehenden Diligence reisen oder bis zum Abzug der nächsten bei Herr Rubio bleiben wolle. Ich entschied mich für das Erstere, da mein Bleiben vor Quéretaro gar keinen Zweck hatte. Herr Parra, der mich von Mexiko-Stadt begleitete, bot sich an, mich auch bis San Luis zu eskortieren; allein ich lehnte sein Anerbieten dankbar ab und ersuchte General Escobedo, mir einen seiner Offiziere mitzugeben, worin er freundlich willigte.
   Die Diligence ging von einem einige Leguas von Quéretaro entfernten Ort ab, und als mich dort am nächsten Morgen um drei Uhr einfand, stellt sich mir Oberstleutnant Aspirez als derjenige vor, welchem der General aufgetragen habe, mich nach San Luis und zum Präsidenten zu begleiten. Er hatte bereits Billets für uns alle genommen und um drei Uhr reisten wir ab.
   Ohne Unfall kamen wir nach drei Tagen in San Luis an und ich gab einen Brief des Generals Baz an den Militärgouverneur der Stadt ab, welcher mich in sehr schönen Zimmern einquartierte, die in einem Hause lagen, das einem Herrn gehörte, der ein Anhänger des Kaisers war.
   Oberstleutnant Aspirez begleitete mich zum Präsidenten. Wir fanden hier einen seiner Adjutanten, der mich an der Hand, wie zu einem Contretanz, in einem großen Empfangssaal führte. Hier machte der zeremoniöse Adjutant eine akrobatisch tiefe Verbeugung und ließ mich mit Aspirez allein.
   Nach einigen Augenblicken trat Präsident Juárez herein, begleitet von seinem Justizminister, Herrn Iglesia, welcher trefflich englisch sprach und als Dolmetscher diente.
   Juárez ist ein Mann unter Mittelgröße mit einem sehr dunklen und indianischen Gesichte, welches durch eine große Narbe weniger entstellt als interessant gemacht ist. Er hat sehr schwarze, durchdringenden Augen und macht den Eindruck eines Mannes, der viel nachdenkt und lange und sorgfältig überlegt, ehe er handelt. Er trug hohe so genannte Vatermörder, ein schwarzes Halstuch und schwarze Tuchkleidung.
   Der Präsident gab mir die Hand und führte mich zum Sofa und sagte, er sei bereit zu hören, was ich ihm mitzuteilen habe. Herr Iglesia, welcher den Dolmetscher machte, glich mehr einem dunkelhaarigen Deutschen mit einer Brille als einem Mexikaner. In seiner äußeren Erscheinung sowohl als in seinem Benehmen war er durchaus Gentleman und sein wohlwollendes Gesicht zeigte ein große Teilnahme.
   Ich erzählte Herrn Juárez alles, was in Mexiko vorgefallen war und was ich versucht hatte, um dem Blutvergießen ein Ende zu machen und bat ihn endlich, mir zu gestatten, nach Quéretaro hineinzugehen. Der Präsident erwiderte, dass er von Porfirio Díaz noch keinen detaillierten Bericht darüber erhalten habe, was ihn bewogen, mit solcher Strenge gegen mich zu verfahren, doch müsse er wohl gute Gründe haben, mich als gefährlich zu betrachten. Ehe er nicht besser unterrichtet sei, könne er mir keine Antwort geben. Wenn ich mit Oberstleutnant Aspirez zurückkehren und bei Herrn Rubio seine Antwort abwarten wolle, so möge ich das tun, oder auch in San Luis bleiben.
   Ich antwortete, dass ich es mir überlegen und morgen eine Antwort geben würde. Der Präsident gab mir seinen Arm und führte mich durch die Zimmer bis an die Treppe, wo er mich mit einem tiefen Kompliment entließ.
   Da ich nicht die Erlaubnis erhalten konnte, nach Quéretaro hinein zu gehen, so hielt ich es für besser, in der Nähe des Präsidenten zu bleiben, wo ich stets die frühesten Nachrichten zu hören hoffte und auf dem Platze war, ihnen gemäß zu handeln. Als jedoch Oberstleutnant Aspirez abgereist war und der Tag heranrückte, da die Diligence wieder abging, änderte ich meinen Entschluss und wollte zu Herrn Rubio zurückkehren. Ich ging daher zum Präsidenten und teilte ihm das mit; allein er ersuchte mich zu bleiben, da er den Fall von Quéretaro jeden Tag erwarte.
   Ich blieb daher ruhig in San Luis Potosi und hörte wenig Neues bis zum 15. Mai, als alle Glocken und das Abfeuern aller Geschütze ein großes Ereignis verkündeten; doch erfuhr ich erst am nächsten Morgen von einem Herrn, der mich besuchte, dass Quéretaro von einem gewissen Oberst Lopez für dreitausend Unzen an die Liberalen verkauft worden, dass der Kaiser und mein Mann gefangen und der letztere verwundet sei.
   Es war natürlich, dass mich diese Nachrichten in die größte Aufregung versetzten und ich ging sogleich zum Präsidenten, um ihn zu bitten, mir die Reise nach Quéretaro zu gestatten. Er war indessen bei einem Diner und ich konnte ihn nicht sehen, hielt es daher für das Beste, ohne seine Erlaubnis abzureisen. Das tat ich dann auch und kam am 19. Mai, vier Tage nach dem Fall der Stadt, in Quéretaro an. Ich stieg im Hotel de Diligencias ab, wo man meinen Mann sehr wohl kannte. Es war zwischen sechs und sieben Uhr abends und zu spät, General Escobedo aufzusuchen, dessen Hauptquartier in der Hacienda de Hercules war, welche in einiger Entfernung von der Stadt liegt.
   Da ich keinen Wagen auftreiben konnte, so hatte ich am nächsten Morgen dorthin zu reiten; allein ein Damensattel war auch nicht zu finden, und so bestieg ich ein gesattelt vor der Tür stehendes Pferd eines feindlichen Obersten, welches mir freundlichst angeboten wurde, und ritt, natürlich auf Damenart, und gefolgt von einem indianischen Diener, nach der Hacienda.
   Der General empfing mich sehr liebenswürdig; er gab mir die Hand und sagte, er freue sich, mich wieder zu sehen. Ich ersuchte ihn um die Erlaubnis, den Kaiser und meinen Mann zu besuchen zu dürfen, und er sandte nach Oberst Villanueva von seinem Stab, der mich in das Gefängnis begleiten sollte.
   Ich kehrte zuerst nach meinem Gasthof zurück, um mein Reitkleid mit einem andern zu vertauschen und ging dann mit dem Obersten zu dem Kloster Santa Teresita. Wir kamen dort zwischen zehn und elf Uhr an, durchschritten einen Hof und gingen eine sehr schmutzige Treppe hinauf, wo ein abscheulicher Geruch herrschte. Dies und der wüste Soldatenlärm im ganzen Kloster machten mich ganz schwindlig. Wir traten in ein kleines, schmutziges Zimmer, in welchem mehrere Offiziere auf Kokosmatten auf der Erde lagen. Alle sahen sehr schmutzig und vernachlässigt aus. Ich fragte nach meinem Manne, und ein kleiner, höflicher Herr, Herr Balsio, sagte mir, dass er sich im nächsten Zimmer beim Kaiser befinde und gleich kommen werde.
   Er hatte kaum ausgesprochen, als mein Mann kam. Er war nicht rasiert, trug einen mehrere Tage alten Kragen und sah aus, als käme er aus dem Kehrichtfass, obwohl nicht schmutziger als seine anderen Kameraden. Ihn so und unter solchen Umständen zu sehen, ergriff mich sehr; ich weinte und fiel in seinen Armen fast in Ohnmacht.
   Er ging sogleich zum Kaiser, um diesem meine Ankunft zu melden und kam bald mit der Nachricht zurück, dass der Kaiser sich freuen würde, mich zu empfangen. Er war zwar krank und im Bett; allein in solchen Lagen hören alle Zeremonien auf, mit denen wir unser gesellschaftliches Leben unbequem machen. Salm warnte mich, von dem Tode des Generals Mendez zu reden, der erst vor wenigen Stunden erschossen worden war.
   Ich werde diese erste Unterredung mit dem Kaiser nie vergessen. Ich hatte ihn niemals vorher gesehen, da er zufällig stets von Mexiko abwesend war, wenn ich mich dort aufhielt.
   Ich fand ihn in einem elenden, kahlen Zimmer im Bette; er sah blass und krank aus. Er drückte meine Hand, küsste sie und sage, wie sehr er sich freue, dass ich gekommen sei.
   Da er noch gar nichts Zuverlässiges von Mexiko oder von Marquez gehört hatte, so interessierte ihn alles, was ich ihm erzählte, auf das lebhafteste. Er war sehr entrüstet über das Benehmen seines Generals, der in einer Weise auftrat und sich Rechte anmaßte, die keinem Untertan gestattet werden konnten. Er verteilte Dekorationen und Titel, als ob er der Kaiser selbst wäre.
   Ich berichtete auch über meine Unterhandlungen mit Porfirio Díaz und den Obersten in Mexiko und über meine Zusammenkunft mit Juárez in San Luis Potosí, was den Kaiser alles sehr interessierte.
   Der Zustand und die Umgebung, in welcher ich den Kaiser fand, bewog mich, Se. Majestät zu fragen, ob noch keine Schritte geschehen seien, diese unangenehme Lage zu ändern und überhaupt zu erfahren, was die Liberalen eigentlich beabsichtigten. Ich erfuhr, dass General Escobedo den Kaiser zwar besucht, allein keine Andeutungen über die Zukunft gemacht hatte.
   Ich schlug daher vor, dass ich im Namen des Kaisers mit diesem General reden und versuchen wolle, ob ich ihn zur Annahme vernünftiger Bedingungen bringen könne. Ich wollte ihn veranlassen, zu Sr. Majestät zu kommen, oder, wenn der Kaiser sich wohl genug fühlte auszugehen, denselben an irgendeinem anständigen Platze zu empfangen.
   Das Wichtigste schien mir jedoch, den Kaiser und meinen Mann etwas komfortabler zu machen und namentlich einige Wäsche zu kaufen, welche beide sehr nötig brauchten und sehr entbehrten. Ich ging sogleich wieder zu Escobedo, den ich in sehr guter Laune fand, da er seine Schwestern erwartete, die er seit Jahren nicht gesehen hatte. Er sage mir, dass er heute nicht ausgehen könne, dass er aber den Kaiser gern empfangen werde, wenn ihn derselbe in der Begleitung von mir und meinem Mann besuchen wolle.
   Während Oberst Villanueva ausging, um einen Wagen zu diesem Besuche anzuschaffen, besorgte ich einige Wäsche und kehrte damit nach San Teresita zurück.
   Der Kaiser, welcher sich stark genug fühlte auszugehen, gab mir seinen Arm, und gefolgt von Oberst Villanueva und meinem Manne gingen wir die Treppe hinunter und auf die Straße, wo wir eine schöne Equipage des Herrn Rubio und eine Eskorte fanden.
   Auf unserem Weg bis an die Tür hatten sich die aus ihren Zellen herbeieilenden Gefangenen aufgestellt und alle grüßten den Kaiser mit dem Ausdruck der größten Verehrung und Liebe.
   Wir fuhren nach der Hacienda de Hercules und traten in einen schönen, großen Garten mit einem Springbrunnen und Wasserbassin, in dessen Nähe eine große Menge von liberalen Offizieren und andere Personen versammelt war, die den Kaiser alle ehrerbietig grüßten, der mich am Arm hatte.
   General Escobedo kam uns entgegen und reichte dem Kaiser die Hand. Er ging dann mit uns in eine rechts gelegene, breite Allee, wo Stühle für unsere Gesellschaft hingestellt waren. Wir redeten anfangs über gleichgültige Gegenstände, allein unsere Unterhaltung wurde sehr erschwert durch zwei Militär-Musikchöre, welche einen entsetzlichen musikalischen Lärm machten, der unsere Stimmen übertönte.
   Allmählich kam man zum Zweck der Zusammenkunft und der Kaiser sagte General Escobedo, dass er meinen Mann instruiert habe, in seinem Namen einige Vorschläge zu machen und er und Oberst Villanueva zogen sich zur Arrangierung dieses Geschäfts zurück. Wir blieben bis zur Dämmerung im Hauptquartier von Escobedo, der uns Erfrischungen anbot, welche jedoch abgelehnt wurden, und kehrten dann nach Santa Teresita in derselben Weise zurück, in welcher wir gekommen waren.
   Der Kaiser war außerordentlich niedergeschlagen, was wohl dem Zustand seiner Gesundheit und der im Kloster herrschenden Unruhe zuzuschreiben war, die ihn am Schlaf hinderte, und die ihm den sehnlichen Wunsch einflößte, für sich und seine nähere Umgebung ein besonderes Haus zu haben.
   Ich war besorgt, diesen Wunsch des Kaisers zu erfüllen, und fuhr sogleich zu Escobedo, der sehr bereitwillig darauf einging und auch wirklich am nächsten Morgen für ein schön möbliertes Haus sorgte, in dessen einer Hälfte der Kaiser mit seinem Haushalt wohnen und dessen anderer Hälfte die Generale gefangen gehalten werden sollten.
   Diese guten Absichten Escobedos wurden indes durch General Refugio Gonzales hintertrieben, einen früheren Banditenchef, der mit der Wache über die Gefangenen beauftragt war. Dieser machte Escobedo Vorwürfe, dass er Maximilian wie einen Fürsten behandelte, dass dies gegen die Instruktionen der Regierung sei und dass er für die Sicherheit der Gefangenen nicht stehen könne, wenn sie in einem Privathaus einquartiert würden. Escobedo konnte diese Vorhaltungen nicht unberücksichtigt lassen, teils wegen der Stimmung unter seinen Truppen, teils weil er aus nur zu guter Quelle wusste, dass die Regierung entschlossen war, die äußerste Strenge gegen seinen kaiserlichen Gefangenen walten zu lassen. Es überließ es daher Refugio Gonzales, andere Quartiere für den Kaiser und die Generale zu besorgen, und es wurde ihnen angekündigt, dass sie nach dem Kapuzinerkloster verlegt werden sollten.
   Der Kaiser wünschte, dass ich ihn auf diesem Wege begleitete und Oberst Villanueva ging aus, um Herrn Rubio nochmals um einen Wagen zu bitten, den er auch nach einigen Stunden erhielt.
   Als der Kaiser in dem Kapuzinerkloster ankam und ihm sein Zimmer gezeigt wurde, blieb er auf der Schwelle stehen und sagte mit bewegter Stimme: »In der Tat, das kann nicht mein Zimmer sein Das ist ja ein Totengewölbe! Das ist ein böses Omen!«
   Es war in der Tat wie der Kaiser sagte; es war das Pantheon, der Begräbnisplatz der Kapuziner. Oberst Villanueva war ebenso entrüstet wie wir alle und ging sogleich zu General Refugio Gonzales, um ihm Vorhaltungen über diese rohe Rücksichtslosigkeit zu machen; allein der würdige Räuberchef sagte: »Ja, das ist sein Zimmer und hier soll er wenigstens diese Nacht schlafen, um ihn daran zu erinnern, dass seine Zeit bald abgelaufen ist.«
   Escobedo wurde von der Unwürdigkeit unterrichtet und am nächsten Tag erhielt der Kaiser ein anderes Zimmer, von dem aus er in einen kleinen Hof gehen konnte. Drei Tage später begann sein Prozess und er wurde von den übrigen Gefangenen abgesondert. Oberst Villanueva sagte zu mir bedeutungsvoll: »Die Sache naht sich nun ihrem Ende, nichts als Flucht kann den Kaiser retten. «
   Ich ging sehr betrübt nach Hause und traf Herrn Bahnsen von San Luis, dessen klägliches Gesicht nicht eben geeignet war, mich in eine bessere Stimmung zu versetzen. Ich schlief die Nacht fast gar nicht, sondern wälzte in meinen Gedanken unaufhörlich die Frage umher: »Was kann geschehen, um den Kaiser zu retten?« Ich überlegte den ganzen folgenden Tag, und als mich Herr Bahnsen und Oberst Villanueva gegen Abend besuchten, hatte ich gefunden, was ich wollte und fragte sie: »Wer will nach San Luis Potosí gehen und Juárez um Aufschub bitten? «
   Herr Bahnsen zuckte die Achseln und sagte: »Niemand will hingehen! Um Aufschub bitten! Das ist gänzlich unnütz. Sie kennen Juárez nicht. Ich kenne ihn besser. Daran ist gar nicht zu denken!«
   »Nun, Oberst, « erwiderte ich, »Ihnen kann ich es nicht zumuten; allein ich, ein Weib, will gehen.«
   »Sie!«, rief Herr Bahnsen mit einem nicht eben artigen, sarkastischen Lachen; allein all sein Zweifeln und Spotten brachte mich nicht von meinem Entschluss ab und ich fragte den Obersten: »Wollen Sie mich zu Aspirez geleiten und ihn um Erlaubnis bitten, dass ich den Kaiser noch in dieser Nacht sehen darf?«
   Der Oberst war bereit. Mein früherer Reisegefährte, Oberstleutnant Aspirez, war nämlich zum Fiskal in der Sache des Kaisers ernannt worden und seit Beginn des Prozesses stand dieser unter des Obersten besonderer Aufsicht.
   Es war nachts halb zwölf, als wir in Aspirez' Wohnung anlangten, und er war bereits zu Bett gegangen; aber Oberst Villanueva weckte ihn. Ich sagte dem erstaunten Offizier, dass ich nochmals nach San Luis Potosí gehen wolle und ihn um Erlaubnis bäte, mich vorher, in Gegenwart des Obersten Villanueva, mit dem Kaiser sprechen zu dürfen; diese Erlaubnis wurde nicht nur freundlich, sondern mit ganz besonderer Bereitwilligkeit gegeben.
   Mitternacht war längst vorüber, als wir im Kapuzinerkloster ankamen. Mein Mann schlief; aber er war angekleidet und über mein plötzliches Erscheinen nicht wenig erschrocken, da er nur annehmen konnte, dass mich irgendeine schreckliche Nachricht so mitten in der Nacht ins Gefängnis führte; als er jedoch meine Absicht erfuhr, fand er sie ganz vortrefflich und ging sogleich mit mir zum Kaiser, der, seit er von den übrigen Gefangenen getrennt worden war, niemand als seinen Leibarzt gesehen hatte.
   Der Kaiser dankte mir sehr und war mit meinem Vorhaben vollkommen einverstanden. Villanueva riet ihm, einige Zeilen an Juárez zu richten und ihn um vierzehn Tage Aufschub zu ersuchen, um seine Verteidigung vorzubereiten und mit Advokaten von Mexiko zu beraten. Der Kaiser willigte ein und unterschrieb einen auf sein Ersuchen von Villanueva aufgesetzten Brief. Ich erhielt die Weisung, diesen Brief nur in Juárez' eigene Hände zu geben, und wenn mit das nicht möglich sein sollte, ihn gar nicht abzugeben.
   Da ich meine Reise augenblicklich antreten wollte, so sagte ich dem Kaiser Lebewohl, der Tränen in den Augen hatte. Ich war gleichfalls sehr ergriffen, denn es war mir, als sähe ich sein Gesicht zum letzten Mal.
   Da ich versprochen hatte, den Brief in Juárez' eigene Hände zu geben und befürchtete, dass man Schwierigkeiten in meinen Weg legen möchte, zu ihm zu gelangen, so hielt ich es für zweckmäßig, mir von Escobedo einen Autorisationsbrief zu verschaffen.
   Es war zwischen ein und zwei Uhr morgens, als ich mich mit Villanueva und meinem Mädchen zu Escobedo begab. Ich traf es glücklich. Der General kam mit Oberst Doria eben von irgendeinem Vergnügungsplatz und war in ausgezeichnet guter Laune. Er gab mir nicht nur den gewünschten Brief für Juárez, sondern auch die erbetene Ordre für die Benützung der Postmaultiere zwischen Quéretaro und San Luis, womit ich sehr froh zu meinem Hotel zurückkehrte, um mich zur Reise fertig zu machen, für die mir Herr Bahnsen seinen leichten Wagen zu geben versprochen hatte.
   Als es jedoch zum Halten [des Versprechens] kam, zog Herr Bahnsen, den ich im Hotel fand, sein Versprechen zurück. Er war besorgt, dass sein Wagen in Stücke brechen würde; er nannte meinen Plan einen Weibereinfall und erklärte die ganze Geschichte für töricht und nutzlos. Ich war außer mir und versuchte alles Mögliche, den Wagen von Herrn Bahnsen zu erhalten, was mir auch endlich nach vieler Mühe und unter der Bedingung gelang, dass einer seiner mexikanischen Associés mich begleiten sollte.
   Es war bereits fünf Uhr morgens, als wir endlich mit fünf Maultieren und zwei dazu gehörigen Kutschern abfuhren. Die starken Tiere waren gewohnt, die schwere Diligence den Berg hinauf zu schleppen und wurden ganz übermütig, als sie eine so leichte Last hinter sich fühlten. Sie schienen es ausdrücklich darauf abgesehen zu haben, Herrn Bahnsens schlimme Ahnungen zur Erfüllung zu bringen, denn wir hatten kaum einige Leguas zurückgelegt, als sie einen Sturm gegen eine steinerne Mauer unternahmen, bei dem die Deichsel zerbrach.
   Mein mexikanischer Beschützer war außer sich, und nach vielem Geschrei und zwecklosem Lamentieren wurde die Deichsel mit Stricken zusammengebunden, bis man in San Michael eine neue beschaffen konnte.
   So reisten wie den ganzen Tag so schnell wie möglich und kamen ohne weiteren Unfall zu einer Hacienda, die halbwegs zwischen San Luis und Quéretaro liegt. Es war Mitternacht. Ich wollte sogleich weiter, allein der mexikanische Strohmann, den mir Bahnsen mitgegeben hatte, sagte, er sei müde, er müsse seinen Schlaf haben und überdies sei die Straße voll von Räubern; kurz, er wolle die Nacht nicht mehr weiterreisen.
   Ich gab dem Jammermann endlich nach unter der Bedingung, dass wir um drei Uhr aufbrechen sollten. Ich war zu dieser Zeit fertig, ebenso die Kutscher und die Maultiere, aber meine schläfrige Eskorte war nirgends zu sehen, und alles Donnern gegen seine Tür blieb gänzlich unbeachtet.
   Ich hatte bereits den Entschluss gefasst, die mexikanische Schlafmütze im Stich zu lassen und allein zu reisen, als der Herr gegen sechs Uhr, vollständig geschniegelt und gebügelt mit Glacéhandschuhen erschien und nach einer Tasse Schokolade flötete. Ich war so böse wie nur möglich und hätte ihn erschießen können; da das aber selbst in Mexiko nicht erlaubt ist, so begnügte ich mich damit, ihn mit Worten moralisch umzubringen.
   Zwischen sechs und sieben Uhr kamen wir endlich in San Louis an und stiegen in Herrn Bannens Haus ab, dessen liebenswürdige Schwestern mich mit herzlicher Freundlichkeit empfingen.
   Ich hatte stets vor den Augen meiner Seele das blasse, melancholische Gesicht des Kaisers, der mit so dankbaren Blicken von seinem Krankenlager zu mir aufsah, als ich von ihm Abschied nahm und war stets von der Angst getrieben, dass jeder Augenblick, den ich versäumte, ihn das Leben kosten könne. Ich kümmerte mich darum nicht um meine Toilette und eilte sogleich in die Wohnung von Juárez; aber der war in einer Sitzung des Kabinetts und konnte mich nicht empfangen. Er ließ mich ersuchen, ihm den Brief des Kaisers hineinzugeben, was ich jedoch ablehnte, da ich versprochen habe, ihn selbst in seine Hände zu geben; jedoch schickte ich ihm den Brief von Escobedo, und der Präsident ließ mir sagen dass er mich am nächsten Morgen um neun Uhr empfangen wolle.
   Zu dieser festgesetzten Zeit begleitete mich der Bruder das Herrn Bahnsen zum Präsidenten, der mich wieder in Begleitung des Justizministers, Herrn Iglesia, empfing. Er nahm meinen Brief, las ihn, reichte ihn dem Minister und sagte, dass die Zeit für den Prozess gegen Maximilian durch das Gesetz auf drei Tage bestimmt sein und dass er nach reiflicher Überlegung des Falles zu seinem Bedauern zu dem Beschluss gekommen sei, den gewünschten Aufschub nicht zu bewilligen.
   Ich wandte mich nun an Herrn Iglesia und redete für den Kaiser, so gut ich konnte. Ich sagte, dass es barbarisch sei, einen Gefangenen zu erschießen, ohne ihm einmal Zeit für seine Verteidigung zu geben und ihn als einen Verräter zu behandeln, der in dem ehrlichen Glauben gekommen sei, dass ihn das mexikanische Volk erwählt und gerufen habe. Einige Tage mehr oder weniger könnten unmöglich für die Regierung einen Unterschied machen, und selbst die Klugheit mache es ratsam, nicht solche schreckliche Eile zu zeigen. Sie möchten die Folgen bedenken und dass nicht nur Europa, sondern die ganze zivilisierte Welt gegen Mexiko empört sein werde darüber, dass es in solcher hastigen, grausamen Weise verfahre.
   »Nun, Herr Juárez«, fuhr ich fort, »reservieren Sie Ihre Entscheidung wenigstens bis fünf Uhr nachmittags; bleiben sie dann noch bei derselben, dann will ich, Gott weiß mit welch traurigem Herzen, nach Quéretaro zurückkehren.«
   Herr Iglesia begleitete mich hinaus und ich sagte ihm noch alles, was mein Herz mir eingab, um ihn zu bewegen. Er antwortete nicht, drückte mir aber beim Abschied die Hand in einer Weise, die seinen Beistand zu versprechen schien.
   Als ich um fünf Uhr zurückkehrte, kam er mir mit einem strahlenden Gesicht entgegen und händigte mir, ohne ein Wort zu sagen, die kostbare Ordre ein, durch die der gewünschte Aufschub gewährt wurde. Ich war außer mir vor Freude und konnte mich nur mit Mühen enthalten, dem braven Minister um den Hals zu fallen. Ich wollte auch Herrn Juárez danken, aber dieser war nicht zu Hause oder ließ sich verleugnen.
   Es wurde mir zwar gesagt, dass der Befehl des Aufschubes nach Quéretaro telegraphiert werden werde; aber trotzdem war ich ungeduldig, dorthin zurückzukehren, da Versehen so leicht stattfinden und ich die geschriebene Ordre in Händen hatte. Ich lehnte die Begleitung des schläfrigen Associés ab, nahm aber dankbar die eines anderen, lebendigeren, eines Herrn Daus, an, der sich als ein sehr brauchbarer und angenehmer Reisegefährte erwies. Da ihm der Kutscher nicht schnell genug fuhr, setzte er sich selbst auf dessen Sitz und nahm die Zügel.
   Die freundlichen Schwestern des Herrn Bahnsen hätten mir gern die ganze Haushaltung auf den Wagen gepackt und steckten für den Kaiser und andere Gefangene alles Mögliche hinein, was ihnen nützlich und angenehm sein konnte.
   Die Reise war sehr beschwerlich. Die Nächte waren so finster und die Wege halsbrecherisch, so dass wir oft Fackeln anzünden mussten, die aber vom herabströmenden Regen verlöscht wurden, bei dem wir stundenlang zu Fuß gehen mussten. Ich hatte nun ein Paar dünne Schuhe bei mir, und diese waren bald von den scharfen Steinen zerschnitten. Diese Reise und die damit verbundene Aufregung griffen mich sehr an, und als wir morgens zwischen zehn und elf Uhr in Quéretaro bei meinem Hotel anlangten, hätte ich mich gern erholt und etwas Toilette gemacht; aber ich erfuhr, dass dem Kaiser von einem Aufschub noch nichts bekannt war und hätte es daher für ein Verbrechen gehalten, auch nur eine Minute zu säumen. Ich eilte daher augenblicklich und wie ich war in das Kapuzinerkloster.
   Mein Mann hat meine Ankunft dort beschrieben und das enthebt mich der Mühe. Ich war todmüde; meine Schuhe waren in Fetzen und meine Füße wund, mein Haar in Unordnung und meine Hände und mein Gesicht ungewaschen - kurz, ich muss wie eine Vogelscheuche ausgesehen haben; aber ich war sehr glücklich und wohl auch ein wenig stolz auf meinen Erfolg.
   Der Kaiser war sehr gerührt und dankte mir mit den gütigsten Worten. Schon während meiner Abwesenheit hatte er mich mit dem von der Kaiserin gestifteten San Carlos Orden dekoriert. Die Dekoration besteht aus einem kleinen Kreuz von weißem Email mit Grün inwendig und der Inschrift »Humilitas« und wird an einer roten Schleife getragen.
   Der Aufschub war gewonnen; aber nun kam es darauf an, ihn zur Rettung des Kaisers zu benützen.
   
Salm-Salm, Felix Prinz zu
Quéretaro. Blätter aus meinem Tagebuch in Mexiko. Nebst einem Auszug aus dem Tagebuche der Prinzessin Agnes zu Salm-Salm
Band 2; Stuttgart 1868

Abgedruckt in:
Keller, Ulrike (Hg.)
Reisende in Mexiko
Wien 2003

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