1841 - John Lloyd Stephens
In Chichen Itza
In der Entfernung von 500 Fuß steigt das Castillo empor, das erste Gebäude, welches wir sahen, von jedem Gesichtspunkte aus der großartigste und am meisten hervortretende Gegenstand, der sich über die Ebene emportürmt. Jeden Sonntag besuchen es die Dorfbewohner von Pisté als eine Promenade, und nichts kann das malerische Ansehen dieses hohen Gebäudes übertreffen, wenn Frauenzimmer, in Weiß gekleidet, mit roten Schals, auf der Plattform sich herum bewegen und in den Türen aus und ein gehen. Dieser Hügel misst an der Basis der Nord- und Südseite einhundertsechsundneunzig Fuß zehn Zoll und all der West- und Ostseite zweihundertundzwei Fuß. Er steht den Cardinalpunkten nicht genau gegenüber, doch ist dies vielleicht Absicht gewesen; und bei allen Gebäuden weicht, wegen einer nicht anzugebenden Ursache, während das eine zehn Grad nach der einen Seite hin variiert, das unmittelbar anliegende zwölf bis dreizehn Grad nach einer anderen ab. Es ist, anscheinend massiv von der Ebene aus, zu einer Höhe von fünfundsiebzig Fuß erbaut. An der Westseite befindet sich eine siebenunddreißig Fuß breite Treppe; an der Nordseite ist die Treppe vierundvierzig Fuß breit und hat neunzig Stufen. Auf dem Boden des Fußes der Treppe, einen kühnen, erstaunenden und wohl aufgefassten Anfang zu dieser hohen Reihe bildend, befinden sich zwei riesige Schlangenköpfe, zehn Fuß lang, mit weit offenem Rachen und herausgestreckter Zunge. Ohne Zweifel waren sie Sinnbilder irgendeines religiösen Glaubens, und müssen im Geiste eines einbildungsreichen Volkes, das, um die Treppen zu ersteigen, zwischen ihnen hindurchging, ein schauerlich ehrfurchtsvolles Gefühl erregt haben.
Die Plattform oben auf dem Hügel misst einundsechzig Fuß von Norden nach Süden und vierundsechzig Fuß von Osten nach Westen, und das Gebäude in denselben Richtungen dreiundvierzig und neunundvierzig Fuß. Einzelne Türen gehen nach Osten, Süden und Westen, die massive Oberschwellen von Breiapfelbaumholz, mit ausgezeichnetem Schnitzwerk bedeckt, haben; und die Türpfosten sind mit skulptierten Figuren bedeckt. Die Skulptur ist sehr verwittert, der Kopfputz aber mit einem Federstutze verziert und Teile des reichen Anzuges sind noch übrig. Das Gesicht ist wohlerhalten und hat ein würdiges Ansehen. Es hat auch Ohrringe und die Nase durchbohrt, was nach den geschichtlichen Nachrichten ein so herrschender Gebrauch in Yucatan war, dass lange noch nach der Eroberung von den Spaniern Gesetze erlassen wurden, um ihn zu verbieten.
Alle anderen Pfosten sind mit Skulpturen von demselben allgemeinen Charakter verziert und alle öffnen sich in einen sechs Fuß breiten Korridor, der sich um die drei Seiten des Gebäudes erstreckt.
Die nach Norden hingehende Türe bietet ein großartigeres Aussehen; sie ist zwanzig Fuß breit und hat zwei kurze massive Säulen, acht Fuß acht Zoll hoch, mit zwei großen Ausläufern an der Basis, die ganz mit fleißig gearbeiteten Skulpturen bedeckt sind. Diese Tür gewährt zu einem vierzig Fuß langen, sechs Fuß vier Zolle breiten und siebzehn Fuß hohen Korridor Zutritt. In der Hintermauer dieses Korridors ist eine einzelne Tür mit skulptierten Pfosten, über welcher ein reichgeschnitzter Sapotabalken sich befindet, und man tritt durch sie in das Zimmer ein, welches neunzehn Fuß acht Zoll Länge, zwölf Fuß neun Zoll Breite und siebzehn Fuß Höhe hat. In diesem Zimmer befinden sich zwei viereckige Pfeiler, neun Fuß vier Zoll hoch und einen Fuß zehn Zoll an jeder Seite, die auf allen Seiten skulptierte Figuren haben und massive Sapotaholzbalken tragen, die mit ausgesuchtestem Schnitzwerke von merkwürdigen und verwickelten Dessins bedeckt sind, aber so entstellt und von der Zeit verwischt, dass bei der Dunkelheit des Zimmers, das nur durch eine Tür Licht erhielt, es außerordentlich schwer hielt, ausfindig zu machen, was es war. Der Eindruck, den dieses Zimmer beim Eintreten hervorbrachte, war vielleicht stärker als der, den irgendeines auf uns gemacht hatte. Wir brachten einen ganzen Tag darin zu, von Zeit zu Zeit auf die Plattform hinausgehend, um auf die zerstörten Gebäude der alten Stadt herabzusehen, und ein ungeheures Feld erstreckte sich nach allen Seiten darüber hinaus.
Und aus dieser großen Höhe sahen wir zum ersten Male Gruppen von kleinen Säulen, welche bei näherer Untersuchung bewiesen, dass sie zu den merkwürdigsten und unverständlichsten Überresten gehörten, welche wir bis dahin angetroffen hatten. Sie standen in Reihen von drei, vier und fünf nebeneinander, viele Reihen, in derselben Richtung fortgehend, dann änderten sie sie und nahmen eine andere an. Sie waren sehr niedrig, viele nur drei Fuß hoch, während die höchsten nur sechs Fuß hoch waren, und bestanden aus mehreren abgesonderten Stücken, wie Mühlsteine. Viele waren umgefallen, und an einigen Stellen liegen sie in Reihen umgeworfen, alle in derselben Richtung, gleich als ob sie absichtlich umgestürzt worden seien. Zum Abräumen hatte ich eine große Anzahl von Indianern und war bemüht, ihre Richtung bis zum Ende aufzusuchen. An einigen Stellen erstreckten sie sich bis an die Basis von großen Ruinenhügeln, auf denen sich Ruinen von Gebäuden und riesige Bruchstücke von Skulpturen befanden, während sie sich an anderen abzweigten und plötzlich endigten. Ich zählte dreihundert und achtzig, und es waren noch viel mehr; es waren aber so viele zerbrochen und sie lagen so unregelmäßig, dass ich es aufgab, sie zu zählen. Sie waren gänzlich zu niedrig, als dass sie hätten ein Dach tragen können, unter dem Personen hätten gehen können. Bisweilen kam uns die Idee von selbst ein, dass sie einem erhöhten Wandelgange von Mörtel zur Stütze gedient; es waren jedoch keine Spuren davon vorhanden. Sie schließen eine Grundfläche von beinahe vierhundert Geviertfuss ein, und unbegreiflich, wie sie in ihrem Gebrauche und Zwecke sind, vermehren sie das Interesse und die Verwunderung, welche mit diesen Ruinen verbunden sind, bedeutend.
Vom Castillo ausgehend, erstiegen wir in einiger Entfernung eine bewaldete Anhöhe, welche ein künstlicher Dammweg, der nach der Cenote führte, zu sein schien. Die Cenote war die größte und wildeste, welche wir gesehen hatten; sie lag in der Mitte eines dichten Waldes, ein ungeheures kreisrundes Loch mit zackigen, senkrechten Seiten, aus denen Bäume hervorwuchsen und über den Rand hinabhingen, und still als ob der Genius des Schweigens darin herrsche. Ein Habicht schwebte um sie herum, sah in das Wasser hinab, aber ohne ein einziges Mal mit den Flügeln zu schlagen. Das Wasser hatte ein grünliches Ansehen. Ein geheimer Einfluss schien es zu durchdringen, im Einklange mit der geschichtlichen Nachricht, dass der Brunnen von Chichen ein Ort war, nach dem Pilger hinzogen und dass Menschen zum Opfer hineingeworfen wurden. An einer Stelle, ganz am Rande, befanden sich die Überreste eines Steingebäudes, das wahrscheinlich mit den alten abergläubischen Gebräuchen in Verbindung stand; vielleicht der Ort, von dem aus die Opfer in den dunklen Brunnen hinunter geworfen wurden.
John L. Stephens
Begebenheiten auf einer Reise in Yucatan
Leipzig 1853