1853 - Ida Pfeiffer
In Panama-Stadt
28. Dezember. Heute erschien wieder Land; es zeigte sich anfänglich in hohen Gebirgen, welche später großen Ebenen wichen. Auch hier gehörte die Vegetation nicht zu den üppigsten; die Flächen sahen sogar mitunter etwas nackt aus. Abends neun Uhr lagen wir vor Panama. Wir hatten 3.300 Meilen von San Francisco hierher (den Aufenthalt abgerechnet) in elf Tagen und neunzehn Stunden zurückgelegt.
29. Dezember. Schon um vier Uhr morgens begann das rege Leben auf unserem Wasserpalast. Alles wollte eilig ans Land, um die besten Maultiere zu dem Übergang über den Isthmus zu bekommen. Auch ich tat dies frühzeitig, obwohl ich nicht im Sinn hatte, den Isthmus zu passieren; aber Land bleibt Land: Man zieht festen Grund und Boden dem besten Schiff vor.
Ich war so glücklich, bei Dr. Autenrieth eine herzliche Aufnahme zu finden.
Mein erster Gang war nach dem Platze, wo ich die ganze Schiffsgesellschaft versammelt fand, sich zur Reise anschickend. Da ging es munter her, alles drängte durcheinander, der Platz war voll von Menschen, Maultieren, Pferden, Trägern und Gepäck. Die Bemittelten ritten, die kleineren Kinder wurden getragen, die Armen folgten zu Fuß nach, das Gepäck ward auf Maultiere geladen.
Die Breite des Isthmus beträgt etwas über hundert Meilen, von welchen man 23 zu Maultier, einige vierzig in Booten und den Rest auf der erst kürzlich begonnenen Eisenbahn zurücklegt. Diese kleine Reise, so wie alles in dieser Gegend, kommt sehr hoch zu stehen, da des starken Zudrangs wegen alles sehr teuer ist. So kostete zum Beispiel die kleine Fahrt von dem Dampfer an das Land (drei Meilen) per Kopf zwei Dollars; für das Tragen durch das Wasser von dem Boot, welches bei Ebbezeit nicht ganz an das Ufer gelangen kann, hatte man einen halben Dollar zu bezahlen, ebensoviel für das ans Land Schaffen des Koffers. Noch ärger ist es, wenn jemand an Bord eines Schiffes zu gehen hat, da begehren die Leute oft das Zwei- und Dreifache. Es ist ein großer Fehler, daß die Gesellschaft der Dampfschiffe nicht Anstalt trifft, die Reisenden vor diesen Plünderungen zu bewahren.
Die Miete eines Maultieres für die dreiundzwanzig Meilen betrug, weil es nicht sehr viele Reisende gab, achtzehn Taler; sind der Reisenden viele, dann steigt sie auf zwanzig und mehr. Ein Platz in dem Boot auf dem Fluß kostet fünf, die Eisenbahn acht Taler, das Gepäck zwanzig Cents per Pfund, so daß diese kleine Reise ohne Kost und Nachtlager auf nicht viel weniger als vierzig Taler kommt.
Die Lage Panamas ist schön, das Land ringsumher blühend. Kleine Eilande und Felsen, darunter Taboga, Taboguilla, steigen von allen Seiten aus dem Meer; eine Hügelkette, deren höchster Punkt der Ancon (500 Fuß), zieht sich bis nahe an das Seegestade. Die Gebirgskette von Mexiko und Neu-Granada ist hier schon sehr abgeflacht; man sieht sie in der Ferne.
Die Stadt zählt mit den Vorstädten und der nächsten Umgebung gegen 10.000 Seelen. Sie hat bedeutende Festungswerke, welche auf der Seeseite mit einem halben Dutzend Kanonen und einigen Bombenkesseln versehen sind. Von den drei Plätzen zeichnet sich der Hauptplatz durch Größe, Reinlichkeit und die Kathedrale mit einer hübschen Fassade aus. Einen angenehmen Eindruck machte es auf mich, die Straßen gesäubert zu sehen von alten Kleidungsstücken, Wäsche, Schuhwerk, toten Hunden, Katzen und Ratten und anderem Plunder, über welchen man in San Francisco bei jedem Schritt zu klettern hatte. Auch über die Wohnungen war ich entzückt, obwohl sie weder mit schönen Einrichtungen noch mit Teppichen und dergleichen prangten; die Zimmer waren hoch und groß, man konnte doch wieder frei atmen und sich bewegen.
An Kirchen und Kapellen ist die Stadt überreich; man zählt mehr als ein Dutzend, die im Gebrauch sind, und eine ganze Menge, die in Ruinen liegen. Wenn Kirchen allein die Menschen gut machen, so müßte dies hier der Fall sein.
Die größte Kirche ist die Kathedrale, die am meisten ausgeschmückte die sogenannte "Negerkirche". An dieser ist sehr viel Silber angebracht, aber geschmacklos und ohne Wirkung. Die hölzernen Statuen der Heiligen sind gräßlich geschätzt und bemalt, mit Menschenhaaren verziert und in Seide, Samt Spitzen und dergleichen so barock gekleidet, daß man mit Erstaunen nach ihnen sieht.
Am Sonntag wurde bei der großen Messe viel musiziert und gesungen, aber so ohrenzerreißend, daß nach dieser musikalischen Aufführung mir die malaiische Musik sicher gefallen hätte und ich mein über letztere gefälltes strenges Urteil zurücknehmen muß. Die Melodien während der Wandlung klangen so munter, daß ich mich im Theater, und nicht in einer Kirche zu befinden wähnte.
Schon auf meinen früheren Reisen in Chile und Brasilien habe ich bemerkt, daß viele der dortigen Priester so tief an Bildung und nur zu häufig auch an Charakter stehen, daß man ihnen eher alles als den Gottesdienst und den Volksunterricht anvertrauen sollte. Nicht einmal bei den Eingeborenen, weder dort noch hier, stehen sie in Achtung oder Ansehen. Da gehe man nach Batavia oder Padang, dort gibt es Männer, die ihr Amt auf wahrhaft würdige Weise vertreten, dagegen auch bei Hohen und Niederen in unbestrittener Achtung stehen. - Wäre in den spanisch- oder portugiesisch-amerikanischen Ländern die Zahl der wackeren Priester nicht gar so gering, so würde es mit der Volkserziehung und Moralität nicht so schlecht stehen, wie es leider der Fall ist.
Unter den Ruinen sind die schönsten: das ehemalige Kollegium samt Kirche und die Santo Domingo-Kirche. Beide würden herrliche Skizzen zu Bildern geben. Sie sind noch nicht so sehr zerstört, daß man nicht teilweise ihre schönen Formen, kühnen Kuppelwölbungen, hohen Portiken sehen könnte. Zierliche Schlingpflanzen ranken sich an halb eingestürzten Wänden auf, Bananen, Strauchwerk, Blüten und Blumen decken den Boden und blicken aus den verfallenen Türmen und Fenstern. In der Ruine der Santo Domingo-Kirche zeichnet sich einer der gewölbten Bogen durch seine besondere Bauart aus und zieht die Aufmerksamkeit aller Sachverständigen in hohem Grade an. Seine Wölbung ist so gering, daß sie auf dreißig Fuß Länge kaum drei Fuß Höhe beträgt.
Das Volk in Panama besteht aus demselben Gemisch von Altspaniern, Indianern, Negern usw. wie in Acapulco. Unter den Mischlingen gibt es viele hübsche Leute mit schönen Augen, Haaren und Zähnen. Man rühmt auch ihre kleinen Hände und Füße. Dieselben sind wohl klein, aber selten schön; man sieht, wie bei den Malaien, zu viel Knochen, die runde Form fehlt, auch sind die Finger etwas zu lang.
Seit solche Massen von Reisenden den Isthmus hier durchziehen, gibt es soviel Verdienst, daß das Volk nicht den geringsten Mangel zu leiden hätte, wenn es arbeiten wollte; aber es ist träge, wie in allen heißen Ländern. Es zieht die Armut, die Unreinlichkeit der Arbeit vor. Seine Hauptnahrung besteht aus Reis und Früchten. Sehr gern essen die Leute frisches Schweine- und getrocknetes Ochsenfleisch. Letzteres wird meistens von Buenos Aires eingeführt. Es ist in lange, schmale Stücke geschnitten und wird nach der Elle verkauft.
Die Tracht des Volkes ist europäisch. Der Mann hat das europäische Beinkleid, die Jacke an, das Weib ein die Straße fegendes, langes Kleid, welches sehr weit ausgeschnitten und mit einer oder zwei so breiten Falben (Rüschen) versehen ist, daß solche bis tief unter die Brust fallen. Wäre dieser Anzug rein und nett gehalten, so stände er ziemlich gut; allein das Kleid hängt so lose, daß es von der einen Schulter gewöhnlich hinabgleitet und Brust und Schulter entblößt, während es auf der andern beinahe bis an den Hals reicht. Sie wischen mit den breiten Falben den Schweiß vom Gesicht, bedienen sich derselben statt der Taschentücher und putzen den Staub und dergleichen überall damit ab. Beide Geschlechter tragen runde, kleine Strohhüte, die sie sehr schön zu flechten verstehen. Dem weiblichen Geschlechte lassen sie nicht gut, da sie zu klein sind und kaum auf dem dickgeflochtenen Haar sitzen. Weiber und Mädchen tragen sehr gern Blumen im Haar; in Ermangelung frischer ersetzen sie selbe durch künstliche. Das Rauchen von Zigarren ist eine Hauptleidenschaft beider Geschlechter: Man sieht schon zehnjährige Kinder mit der Zigarre im Munde. Eigentümlich ist es, daß die Leute, vorzüglich wenn sie mit Arbeiten beschäftigt sind, den brennenden Teil der Zigarre in den Mund stecken, wodurch sie länger währt. Ich würde diese Sonderbarkeit wohl nicht beobachtet haben, hätte Dr. Autenrieth mich nicht darauf aufmerksam gemacht.
Die beliebteste Unterhaltung des Volkes sollen Hahnenkämpfe sein; doch scheint die Leidenschaft dafür nicht gar so groß zu sein, da ich weder Streithähne noch Gefechte sah.
Von den öffentlichen Anstalten Panamas besuchte ich nur die Spitäler, deren es zwei gibt, das eine für das Volk, das andere für Fremdlinge. Ersteres ist von der Regierung, letzteres von den Europäern gegründet. Das Volkshospital ist unter aller Kritik. Es besteht eigentlich bloß aus einem langen, breiten, auf einer Seite ganz offenen Gang, in welchem der von ansteckender Krankheit Befallene neben dem leicht Erkrankten liegt. Unreinlichkeit und Armseligkeit sind die Haupteigenschaften dieses Ortes, der mehr einem Gefängnis als einer Heilanstalt gleicht. Jeden andern als den im tiefsten Schmutz und Elend aufgewachsenen Eingeborenen müßte schon sein Anblick töten. Ich sah da ein Dutzend Menschen, meistens mit bösen Augen, abscheulichen Geschwüren und Hautkrankheiten behaftet, in den ekelhaftesten, schmutzigsten Verbänden auf dem ungedielten Boden kauern.
Einen ganz andern Anblick gewährt das Fremden-Hospital. Man hat zwar nur ein abgetakeltes Schiff dazu verwendet; aber alles ist schön, rein und wohlgeordnet, und der Kranke sehr gut gepflegt.
Unter den nahen Ausflügen Panamas fand ich einen Spaziergang nach dem Berge Ancon höchst lohnend. Man kann mit größter Bequemlichkeit in einer Stunde auf seine Spitze gelangen und genießt eine der reizendsten Aussichten Stundenlang möchte man da sitzen und schauen. Man überblickt die ganze Stadt, von welcher ein Teil weit in die See vordringt, in deren Hintergrunde sich ein großes, höchst fruchtbares, üppiges Tal anschließt, von einem Fluß durchschnitten. Leider deckt noch Wald und Gebüsch den größten Teil des Grundes. Der weite Ozean mit vielen Inseln und Eilanden auf der einen Seite, Reihen von Hügeln und Bergketten auf der andern rahmen das liebliche und zugleich großartige Bild ein. Kein ähnlicher Naturgenuß ward mir in Kalifornien zuteil, obwohl ich durch bedeutende Strecken jenes Landes reiste.
Schade, daß Panama so ungesund und das Klima so heiß ist. Der Fremde wird leicht und schnell von dem hartnäckigen, bösartigen Panamafieber befallen, und häufig bringt dies ihm sogar den Tod. Die Ursache soll in der geringen Kultur des Bodens liegen, und das große, schöne Tal ist zum großen Teil sumpfiger Grund.
Pfeiffer, Ida
Reise in die Neue Welt; Amerika im Jahre 1853
Hg. von Gabriele Habinger
Wien 1994