1573 - Philip Nichols
Mit Francis Drake auf der Landenge von Panama:
Der Baum, die zwei Meere und die verpasste Goldkarawane
Der König der Cimarrones [ehemalige Sklaven, der Gefangenschaft entflohen] lebt in einer Stadt 16 Leguas südöstlich von Panama. Er verfügt über 1.700 Kämpfer.
Alle empfahlen unserem Kapitän [Drake] sehr dringend, er solle zwei oder drei Tage bei ihnen bleiben, und versprachen ihm, dass sie in dieser Zeit seine Streitmacht verdoppeln könnten, wenn er das wolle. Aber er dankte ihnen für ihr Angebot und sagte ihnen, er könne nicht länger bleiben, denn es sei höchste Zeit, die Reise fortzusetzen. Was seine Kampfkraft anginge, so wünsche er nicht mehr als er habe, auch wenn er das Zwanzigfache gebrauchen könne. Das sahen sie nicht nur als Freundlichkeit, sondern auch als Großmut an und marschierten am Nachmittag mit viel gutem Willen los.
Die Marschordnung war so: Vier Cimarrones, die sich am besten mit dem Weg auskannten, marschierten eine Meile vorweg und brachen Zweige ab als Richtungszeichen für die Nachfolgenden. Das geschah in tiefem Schweigen, das auch wir halten mussten. Dann gab es 12 Cimarrones als Vorhut und 12 als Nachhut und wir gingen mit ihren zwei Anführern in der Mitte.
Auf dem ganzen Weg gab es dichten Wald, in dem es sehr kühl und angenehm war wegen der mächtigen und hohen Bäume, die dort so eng wachsen, dass man dort in der heißen Gegend im Kühleren reist als in den meisten Teilen von England im Sommer. Es ermutigte uns sehr, als wir hörten, es gäbe auf halbem Weg einen großen Baum, von dem wir gleichzeitig das Nordmeer, aus dem wir kamen, und die Südsee, in die wir wollten, sehen könnten.
Am vierten Tag gegen 10 Uhr kamen wir an den gewünschten Berg, einen sehr hohen Berg, der sich nach Osten und Westen erstreckte, wie ein Rücken zwischen den beiden Meeren. Da nahm der oberste Anführer der Cimarrones unseren Kapitän bei der Hand und bat ihn, ihm zu folgen, wenn er die beiden Meere zugleich sehen wolle. Das hatte er sich schon lange gewünscht.
Hier stand der starke, große und hohe Baum, in den Stufen eingehauen waren, so dass man fast bis in den Wipfel hinaufsteigen konnte, wo es eine Laube gab, in der zehn oder zwölf Männer bequem sitzen konnten. Und von dort konnten wir ohne Hindernisse auf den Atlantischen Ozean sehen, von dem wir kamen, und auf den südlichen Ozean, nach dem es uns so gelüstete. Auf der Nord- und Südseite dieses Baumes waren Bäume gefällt worden, damit man besser sah, und unter dem Baum gab es mehrere, vor langer Zeit auch von vorherigen Cimarrones gebaute, feste Häuser; sie bewohnen bestimmte Plätze in diesem weiten Land und kommen immer wieder hier vorbei.
Unser Kapitän stieg mit einem Führer der Cimarrones zu der Laube hinauf; wie es Gott gefiel, war der Tag wegen eines leichten Windes sehr klar. Und so konnte er das Meer sehen, von dem er so goldene Nachrichten hatte, und betete zu Gott, er möge ihm in seiner Güte Zeit und Gelegenheit gewähren, eines Tages mit einem englischen Schiff dieses Meer zu befahren. Und dann rief er alle unsere Leute hinauf und gab allen, insbesondere aber John Oxenham seine Absicht und seinen Wunsch bekannt, dass Gott ihm dieses Glück gewähren möge. Als der das hörte, versicherte er feierlich, dass er dem Kapitän mit Gottes Hilfe folgen würde, solange er nicht davongeprügelt würde.
Zufrieden mit dem Blick auf die Meere, stiegen wir wieder herab uns setzten unseren Marsch nach einer Mahlzeit fort. Zwei Tage ging es durch Wälder ohne große Abwechslung. Aber dann kamen wir in eine besondere Gegend, wo an vielen Stellen Gras wuchs, nicht nur so hoch wie Knöterich, sondern so hoch, dass die Bewohner es drei Mal im Jahr abbrennen müssen, damit ihr Vieh, wovon sie Tausende haben, Futter findet. Es ist nämlich ein Gras mit einem Stängel so groß wie eine große Weizenpflanze, an dessen Spitze ein Blatt wächst, dass jeden Tag höher wächst, obwohl die Tiere es abweiden, bis ein Ochse es nicht mehr erreichen kann. Dann setzen die Bewohner das Gras auf fünf oder sechs Meilen in Brand. Aber nach drei Tagen sprießt es wieder wie grünes Korn. So groß ist die Fruchtbarkeit des Bodens wegen der Gleichheit [der Temperatur ] von Tag und Nacht und des reichlichen Taus, der jeden Morgen fällt.
Während dieser drei Tage des Marsches durch das Grasland konnten wir, wenn wir Hügel überquerten, Panama fünf oder sechs Mal am Tag sehen, und am letzten Tag sahen wir Schiffe auf der Reede liegen.
Nachdem wir bis auf einem Tagesmarsch an Panama herangekommen waren, hörte unser Kapitän von den Cimarrones, dass die Damen von Panama immer wieder Jäger und Vogelfänger ausschicken, um die delikaten Tiere heimzubringen, die dieses Land bietet. Wenn wir nicht sehr vorsichtig marschierten, könnten wir entdeckt werden. Deshalb verließen wir den gewöhnlichen Weg, und zwar so schnell, still und im Verborgenen wie möglich, zu einem Wäldchen, auf das man sich vier Tage vorher geeinigt hatte. Wir lagen innerhalb einer Meile vor Panama sicher und unentdeckt neben der Straße, die von Panama nach Nombre de Dios führt.
Dann schickten wir einen bestimmten Cimarron, der mal einem Herrn in Panama gedient hatte, in der Kleidung der Schwarzen von Panama in die Stadt, um herauszufinden, in welcher Nacht und zu welcher Zeit der Schatz aus dem königlichen Schatzhaus nach Nombre de Dios abgehen würde.
Die sechs Meilen von Panama nach Venta Cruz legen sie nämlich immer bei Nacht zurück, weil es durch Grasland geht, wo es tagsüber sehr heiß ist. Aber von Ventra Cruz nach Nombre de Dios reisen sie über Land immer bei Tag und nicht bei Nacht, weil der ganze Weg durch Wald geht und es dort sehr frisch und kühl ist, es sei denn, ein paar vergnügte Cimarrones treffen mit ihnen zusammen und lassen sie vor Angst schwitzen; das ist schon öfter vorgekommen. Deshalb lassen sie gern ihre Maultierkarawanen auf dieser Strecke von Soldaten bewachen.
An diesem letzten Tag beobachtete unser Kapitän den größten Teil der schönen Stadt und erkannte die breite Straße, die vom Meer ins Innere, von Süden nach Norden führt. Um drei Uhr nachmittags kamen wir in das Wäldchen, nachdem wir aus Vorsicht ein fast trockenes Flussbett entlang gezogen waren.
Wir richteten uns dort ein und schickten unseren Spion eine Stunde vor Anbruch der Nacht los, damit er vor dem Schließen der Tore in der Stadt sein konnte. Und das gelang ihm. Er kam wieder und brachte uns freudige Nachrichten von seinen alten Kameraden: Der Schatzmeister von Lima beabsichtige, mit dem ersten Adviso (einem Schiff von 350 Tonnen und sehr schnellem Segler) nach Spanien zu fahren. Er wolle in der Nacht mit seiner Tochter und anderen Familienmitgliedern nach Nombre de Dios aufbrechen; er reise mit 14 Maultieren, von denen acht mit Gold und eines mit Edelsteinen beladen seien. Und dann gäbe es noch zwei weitere Karawanen von je 50 Maultieren, die meisten mit Lebensmitteln beladen, aber auch mit ein bisschen Silber, die der anderen in der Nacht folgen sollten.
Von diesen Karawanen gibt es 28; zu der größten gehören 70 Maultiere, zu den kleineren 50, es sei denn, ein Mann beschäftigte auf eigene Kosten 10, 20 oder 30, je nach Bedarf.
Nachdem wir die Neuigkeiten gehört hatten, marschierten wir vier Meilen weit bis zwei Meilen vor Venta Cruz. Während dieses Marsches brachten uns zwei Cimarrones, die als Vorhut vorausgeschickt worden waren, einen Spanier. Dessen Feuer hatten sie gerochen und dann sein Schnarchen gehört. Und weil er nur einer war, fielen sie über ihn her, knebelten ihn, löschten sein Feuer und banden ihn so, dass er fast stranguliert bei uns ankam. Als wir ihn ausfragten, stellte sich heraus, dass alles, was der Spion für uns erfahren hatte, seine Richtigkeit hatte und er einer der Soldaten war, die zu der Mannschaft der Schatzkarawane des Schatzmeisters gehörten und sie auf dem Weg von Nombre de Dios nach Venta Cruz begleiteten.
Nachdem der Soldat erfahren hatte, wer unser Kapitän war, fasste er sich ein Herz und war dreist genug, ihm zwei Dinge zu vorzuschlagen. Erstens, dass er den Cimarrones, die die Spanier und insbesondere die Soldaten aus tiefster Seele hassten, befehlen möge, sein Leben zu schonen, was sie auf seinen Befehl sicherlich täten. Zweitens könne er als Soldat dafür sorgen, dass sie in der kommenden Nacht mehr Gold, Edelsteine und Perlen von großem Wert erbeuten könnten, als sie alle miteinander fortzuschaffen im Stande wären. Wenn dem nicht so wäre, könne der Kapitän mit ihm verfahren wie er wolle, aber wenn er recht hätte, möge doch unser Kapitän so gut sein, ihm so viel abzugeben, dass er mit seiner Frau davon leben könne; er habe gehört, dass der Kapitän in verschiedenen anderen Fällen so verfahren habe. Dafür würde er seinen Namen rühmen wie die anderen, die diese Gnade erhalten hätten.
Am verabredeten Platz lagen der Kapitän und die Hälfte seiner Männer fünfzig Schritt vom Weg entfernt im Gras, John Oxenham, der Führer der Cimarrones und die andere Hälfte in der gleichen Entfernung auf der anderen Seite, aber so weit weg, dass die Gruppe des Kapitäns die ersten Maultiere und die andere die hinteren Tiere bei den Köpfen nehmen konnten; denn die Maultiere laufen hintereinander und sind aneinander gebunden. Und wenn es zu Waffengewalt kam, würde die eine Gruppe die andere nicht in Gefahr bringen.
Wir hatten noch nicht eine Stunde im Hinterhalt gelegen, als wir die Karawanen von Panama nach Venta Cruz und von Venta Cruz nach Panama kommen hörten; denn wenn die Flotten da sind, gibt es viel Verkehr. Wir konnten sie hören, weil die Spanier Freude daran haben, den Tieren tief klingende Glocken umzuhängen, die man in der stillen Nacht weit hören kann.
Es war strikter Befehl gegeben worden, dass von unseren Leuten sich keiner rührte oder zeigte und alles von Venta Cruz nach Panama ruhig passieren ließe, auch die Karawane, weil wir wussten, das die nichts als Handelsgüter mit sich trug. Aber einer von unseren Leuten, Robert Pike mit Namen, hatte zu viel unverdünnten Schnaps getrunken und vergaß sich, bewegte sich, zog einen Cimarron mit sich und wollte sich eifrig an die vorderen Maultiere machen. Und als ein Herr aus Ventra Cruz auf seinem Pferd und mit einem Pagen, der an einem Steigbügel ging, vorbeikam, stand er auf, um zu sehen, wer er denn war. Der Cimarron wusste aber Besseres zu tun, zog ihn zu Boden und warf sich auf ihn, damit sie nicht entdeckt würden. Aber der Herr hatte jemanden ganz in Weiß gesehen. Wir hatten nämlich unsere weißen Hemden über die andere Kleidung gezogen, um unsere eigenen Leute im Durcheinander der Nacht erkennen zu können. Der Herr gab nun seinem Pferd die Sporen und galoppierte davon, um sich von dieser möglicherweise bedenklichen Angelegenheit zu entfernen und andere zu warnen.
Unser Kapitän, der gehört und gesehen hatte (weil der Grund hart war und die Nacht ruhig), dass der Herr vom Trott in den Galopp gefallen war, fürchtete, dass er entdeckt war, konnte sich aber nicht vorstellen, durch wessen Fehler das passiert war. Er hatte auch keine Zeit, das herauszufinden. Er meinte, vielleicht sei diese Stelle allgemein als gefährlich bekannt. Also lagen wir still in Erwartung des Schatzmeisters, der jetzt auf dem Weg zu uns etwa eine halbe Meile entfernt war. Wie wir später von den anderen Karawanen hörten, berichtete ihm der Reiter, was er gerade gesehen hatte, was er schon von Francis Drake gehört hatte, und was er für das Wahrscheinlichste hielt: das nämlich dieser Francis Drake oder jemand von dessen Leuten aus enttäuschter Hoffnung auf Schätze in Nombre de Dios und anderen Orten irgendwie über Land und unentdeckt durch die Wälder bis hierher gekommen sei, um sein Ziel doch noch zu erreichen. Damit überzeugte er den Schatzmeister, seine Karawane vom Weg abzuziehen und die anderen vorbeimarschieren zu lassen, die hauptsächlich Lebensmittel geladen hatten. Deren Verlust wäre weit geringer, wenn das Schlimmste einträte, aber sie würden im günstigen Fall dazu dienen, uns zu entdecken.
So wurden wir durch den Leichtsinn eines unserer Leute und die Vorsicht dieses Reisenden um eine ungeheure Beute gebracht. Man sollte denken, Gott habe sie uns nicht zugedacht, denn der Schatzmeister hatte sie wohl rechtmäßig in Besitz.
Bald kamen die Karawanen in unserer Reichweite, wurden angehalten und ausgeplündert. Einer der Treiber, ein sehr vernünftiger Mann, erzählte unserem Kapitän, wie wir entdeckt worden waren, und riet uns, uns beizeiten davonzumachen, es sei denn, wir könnten es mit der vereinten Streitmacht von Stadt und Land aufnehmen, die noch vor Tagesanbruch über uns kommen würde.
Es freute uns wenig, dass uns unsere goldene Karawane entgangen war und nicht mehr als zwei Ladungen Silber blieben.
Nichols, Philip
Sir Francis Drake Reuiued
London 1626
Übersetzung: U Keller