1912 - John Foster Fraser
Baustellenbesichtigung am Panamakanal
Hier umgibt uns ohrenbetäubender Lärm. Unzählige Signale ertönen. Fauchende Lokomotiven führen ganze Züge mit ausgeschachteten Erdmassen dröhnend vorüber und schaffen Material zur Konstruktion von Dämmen oder Landzungen hinüber zur Küste des Stillen Ozeans. Fels und Erde sind vulkanisch, teils grau, teils rot in wirrem Durcheinander. Mit donnerähnlichem Getöse explodieren die Sprengstoffe und reißen tiefe Wunden in den Leib der riesigen Felsen.
Ein Ungeheuer von Löffelbaggerkran, unförmig und fast unheimlich in seinen Bewegungen, kommt über den holprigen Boden dahergetaumelt, beugt seinen Kopf herab und steckt die Schnauze in die Trümmer. Lautes Gepolter, mit einem Ruck wirft es den Schädel zurück und in seinem Rachen verschwinden vier Tonnen des geborstenen Gesteins. Dann wendet es sich seitwärts und aus einer Öffnung seines Kinns stürzt die Last in einen der bereitstehenden Wagen. Unaufhörlich wiederholt sich dasselbe Schauspiel. Diese Wagen sind abgenützt und beschädigt und haben nur auf der dem Bagger abgekehrten Seite ein Geländer. Untereinander sind die Wagen durch Stahlplatten verbunden, so daß der Zug wie ein langes Band aussieht. Wenn das Ungeheuer seine Last ausgespien hat, gibt einer der sonnengebräunten Arbeiter, dessen blaue Bluse die gewölbte Brust freiläßt, einen Wink mit einer gelben Flagge, und der Lokomotivführer fährt einige Meter weiter, damit der nächste Wagen gefüllt werden kann. Unter ungeheurem Lärm setzt sich dieses eigenartige Schauspiel fort, bis der letzte Wagen beladen ist und der Zug davonrollt. Diese Schutt- und Erdmassen dienen zur Errichtung von Dämmen und zum Nivellieren des Bodens. Zum Abladen sind nicht etwa Hunderte von Händen nötig. Am Ende jedes einzelnen Wagens befindet sich eine schräggestellte Stahlschaufel. Die Schaufeln aller Wagen stehen durch ein Drahtseil miteinander in Verbindung. Sobald eine Maschine anzieht, setzen sich auf einen Ruck sämtliche Schaufeln in Bewegung und schieben den Inhalt der Wagen nach einer Seite herab. Die Erdmassen liegen dann gleich in einem langen Walle neben den Waggons. Nun setzt sich der Zug wieder in Bewegung, um neue Frachten aufzunehmen. Noch enthalten die abgeladenen Schuttmassen unförmliche Klumpen, zu deren Zerkleinerung eine besondere Maschine dient, die wie ein einarmiger Riese über die verschiedenen Erdhaufen dahinfährt und alle größeren Stücke zertrümmert.
Dies ist eins der mannigfachen Bilder, das der Kanalbau zeigt. Es ist auffällig und für die moderne Arbeitsweise charakteristisch, wie entbehrlich die Arbeitskraft des einzelnen angesichts der gewaltigen Maschinen geworden ist, die vieler Hände Werk in kürzester Zeit verrichten. Ein weiteres Beispiel hierfür liefert uns auch die in ihrer Wirkung geradezu verblüffende Gleishebemaschine. Wenn nämlich der Löffelbagger an einer Stelle seine Aufgabe erfüllt hat und sich einer anderen zuwendet, so entfernt er sich naturgemäß von den Waggons, welche die Erdmassen aufnehmen. Um nun jeden Zeitverlust zu vermeiden, tritt die Gleishebemaschine in Aktion und trägt mit ihren Riesenarmen ein Stück der Gleisanlage weg, um es in unmittelbarer Nähe des Löffelbaggers wieder niederzusetzen. Die Wagen fahren heran und werden neu beladen. Dieser sinnreiche Apparat mit seinen metallenen Greifarmen arbeitet fast wie ein lebendes Wesen.
Wie das Zirpen einer tropischen Grille hört es sich an, wenn die Wasserkraftbohrer in den steinichten Felsen dringen. Wir befinden uns auf der Sohle des "Grabens" und blicken hügelaufwärts, wo die Franzosen vor dreißig Jahren den Stich begonnen hatten. Seinerzeit war ein Erdrutsch eingetreten, und das in die Vertiefungen eingedrungene Wasser wird jetzt durch emsig arbeitende Pumpwerke nach und nach entfernt.
Hier kommt ein Zug mit Zement angefahren, dort eine anderer mit zerkleinertem Gestein vom Anconhügel bei Panama, wieder ein anderer mit weißem Sand von der Küste des Stillen Ozeans. All dies Material ist für den Bau der 304 Meter langen Doppelschleuse bestimmt. Ein nacktes Eisengerüst steht in der Mitte des Kanals, mit einem langen Stahlhebel, der bis zu den Kanalseiten hinübergreift. Unter diesem Hebel befindet sich eine Art Kabine, in der ein Arbeiter Platz nimmt. Er fährt auf seinem Führersitz bis zum Ende des Arms, läßt dort einen großen Schöpflöffel in das Zement-, Sand- oder Steinpulver hinab, zieht ihn gefüllt wieder empor und führt ihn durch eine Drehung der Maschine dorthin, wo die Mischung für die Betonplatten zur Bekleidung der Schleusenmauern hergestellt wird. Hier werden auch die schweren stählernen Schleusentore vernietet, und die Luft erdröhnt von dem ohrenbetäubenden Hämmern.
Alles noch unfertig und in wirrem Durcheinander! Die Atmosphäre ist schwer und drückend, und Modergeruch entsteigt dem sumpfigen Boden. Wie in einem Bienenschwarm sind die Arbeiter hier aneinandergepfercht, und doch kennt ein jeder in diesem scheinbaren Wirrwarr seinen Platz und weiß, wie und wo er Hand anzulegen hat.
Da sieht man bewegliche, tabakkauende, glattrasierte, helläugige Amerikaner, denen die ehrliche Freude über das Werk, an dem sie mithelfen, aus den Augen strahlt; dann träge Spanier, noch trägere Kreolen, die nur durch barsche Zurufe des Werkmeisters zur Arbeit angetrieben werden können, grinsende Neger aus der britischen Insel Barbados, Italiener, Skandinavier, Chinesen und selbst schlanke leichtfüßige Hindus, mit edlen Gesichtszügen, den Kopf von einem mächtigen Turban umhüllt. Alle Völkerschaften stellen Hilfskräfte zu diesem internationalen Bau.
Und doch nicht die ganze Welt, denn die Franzosen fehlen. Es würde für sie zu schmerzlich sein, an dem von ihnen einst begonnenen Kanal mitzuarbeiten. Wie viele Tausende französischer Familien wurden durch den Zusammenbruch des von Lesseps ins Leben gerufenen Unternehmens ruiniert! Trotzdem war es nur ein finanzieller Fehlschlag, denn die Franzosen haben vorbildliche Arbeit geleistet, und viele der gegenwärtigen Grabungen sind nur eine Fortsetzung französischen Fleißes.
John Foster Fraser
Der Panamakanal - Seine Entstehung und Bedeutung
Berlin - Leipzig - Wien - Stuttgart 1912