1800 - Alexander von Humboldt
Über die Eingeborenen und ihre Bemalung
Venezuela
Ist in Europa von einem Eingeborenen von Guyana die Rede, so stellt man sich einen Menschen vor, der an Kopf und Gürtel mit schönen Arras-, Tucan-, Tangaras- und Kolibrifedern geschmückt ist. Von jeher gilt bei unseren Malern und Bildhauern solcher Putz für das charakteristische Merkmal eines Amerikaners. Zu unserer Überraschung sahen wir in den Missionen der Chaymas, in den Lagern von Uruana und Pararuma, je beinahe am ganzen Orinoco und Cassiquiare nirgends jene schönen Federbüsche, jene Federschürzen, wie sie die Reisenden so oft aus Cayenne und Demerary heimbringen. Die meisten Völkerscharen in Guyana, selbst die, deren Geisteskräfte ziemlich entwickelt sind, die Ackerbau treiben und Baumwollenzeug weben, sind so nackt, so arm, so schmucklos wie die Neuholländer. Bei der ungeheuren Hitze, beim starken Schweiß, der den Körper den ganzen Tag über und zum Teil auch bei Nacht bedeckt, ist jede Bekleidung unerträglich. Die Putzsachen, namentlich die Federbüsche werden nur bei Tanz und Festlichkeit gebraucht. Die Federbüsche der Guaypuñaves sind wegen der Auswahl der schönen Manakin- und Papageienfedern die berühmtesten.
Die Indianer bleiben nicht immer bei einem einfachen Farbenüberzug stehen; zuweilen ahmen sie mit ihrer Hautmalerei in der wunderlichsten Weise den Schnitt europäischer Kleidungsstücke nach. Wir sahen in Pararuma welche, die sich blaue Jacken mit schwarzen Knöpfen malen ließen. Die Missionare erzählten uns sogar, die Guaynaves am Rio Caura färbten sich mit Onoto und machten sich den Körper entlang breite Querstreifen, auf die sie silberfarbige Glimmerblättchen klebten. Von weitem sieht es aus, als trügen die nackten Menschen mit Tressen besetzte Kleider. Wären die bemalten Völker so scharf beobachtet worden wie die bekleideten, so wäre man zum Schlusse gelangt, dass beim Bemalen so gut wie bei der Bekleidung der Brauch von großer Fruchtbarkeit der Einbildungskraft und starkem Wechsel der Laune erzeugt wird.
Alexander von Humboldt's Reise in die Aequinoctial-Gegenden des neuen Continents
In deutscher Bearbeitung von Hermann Hauff
(Einzige von A.v.H. anerkannte Ausgabe in deutscher Sprache)
Band 4
Stuttgart 1861