Reiseliteratur weltweit

Geschichten rund um den Globus

1896 - Caecilie Seler-Sachs
In Copán
Honduras

Die Erfüllung eines Wunsches sieht bekanntlich oft ganz anders aus, als man erwartet. Und so wurden auch unserer Freude ein paar kleine Dämpfer aufgesetzt. Copán ist ein großes, aber ziemlich verwahrlostes, meist von Ladinos bewohntes Dorf. Das Gemeindehaus bot die einzige Möglichkeit zum Übernachten. Aber in dem großen Raum, dessen Fußboden die nackte Erde bildete, schliefen noch fünf andere Leute, auch zwei Indianer, die die nächtliche Wache hatten. Und auf der erhöhten Bühne, wo vermutlich die hohe Obrigkeit ihren Platz hat, spielte der Schreiber mit einem anderen Manne die halbe Nacht hindurch Karten. Dabei war es kalt, denn der Nordwind fegte Nebelschauer über das Tal. Aber als Stufe zu der erwähnten Erhöhung diente ein zierlicher, wohlerhaltener Hieroglyphenstein.
   Nachdem wir einen Mann gefunden, der uns zwischen den unendlich weit ausgedehnten Ruinen umherführen sollte, machten wir uns dorthin auf den Weg. Aber nun kam eine wirkliche Enttäuschung. Wir wußten, daß hier die Amerikaner jahrelang emsig gearbeitet hatten, wozu ihnen von der Regierung des Staates Honduras die alleinige Erlaubnis gegeben worden war. Wir kannten Abgüsse und Abbildungen und hatten uns deshalb der angenehmen Hoffnung hingegeben, wenigstens die Hauptstücke leicht zugänglich zu finden, aber weit gefehlt! Die wenigen Jahre, seit die Arbeiten aus verschiedenen Gründen ins Stocken geraten waren, hatten genügt, um auf den von Hochwald gereinigten weiten Flächen dichten Buschwald aufsprießen zu lassen, der das Aufsuchen unendlich erschwerte. Stundenlang krochen wir in dieser unordentlichen Wildnis umher, mühsam mit dem Waldmesser einen Weg bahnend. Zum Glück hatten wir den Plan aus dem Maudsleyschen Werke dabei, an dessen Hand es uns gelang, die bedeutendsten Stücke aufzufinden. Es ist fast unglaublich, welch eine Fülle von Stelen, flachen Steinen, skulptierten Blöcken sich hier zusammenfindet, aber leider ist die ganze Anlage infolge der üppigen Vegetation nicht zu übersehen. Am herrlichsten war es auf dem hohen Ufer des Flusses, auf dem die Ruinen eines mächtigen Bauwerks stehen. Das mit machtvollen Skulpturen geschmückte Eingangstor ist wahrhaft imposant, und die Lage stolz, hoch über dem hier noch jungen und stark strömenden Flusse. Auch stand hier noch ein Teil des schönen hochstämmigen Waldes, und der Blick schweifte über grünes Land. Auch in diesem Gebiet ist nicht ungestraft gearbeitet worden: Von den Männern, die hier im Dienste der Wissenschaft tätig waren, haben alle an ihrer Gesundheit Schaden gelitten. Ich habe oft an das denken müssen, was mir ein alter Mann auf unserer ersten Reise sagte, als wir tagelang im dichten Walde verirrt waren: Die Alten lieben nicht, daß man ihnen nachspürt.
   Auch im Dorfe selbst lagen überall die stummen Steine umher, die doch so gerne reden möchten, denn sie sind nicht nur mit Figuren, sondern auch mit Hieroglyphen verziert. Zwei herrliche, mächtige Steinwürfel lagen mitten auf dem Dorfplatz unter einer Ceiba; an verschiedenen Stellen fanden wir Bruchstücke eingemauert und auf der Wiese hinter dem Cabildo lagen sie verstreut umher.
   Nach einer zweiten Nacht brachen wir auf, und zwar hatten wir uns entschlossen, den kleinen Umweg über Esquipulas zu machen.

Seler-Sachs, Caecilie
Auf alten Wegen in Mexiko und Guatemala: Reiseerinnerungen aus den Jahren 1985 bis 1897
Wien 1992

Reiseliteratur weltweit - Geschichten rund um den Globus. Erlebtes und Überliefertes aus allen Teilen der Welt. Entdecker – Forscher – Abenteurer. Augenzeugenberichte aus drei Jahrtausenden. Die Sammlung wird laufend erweitert – Lesen Sie mal wieder rein!