Reiseliteratur weltweit

Geschichten rund um den Globus

1520 - Antonio Pigafetta
Mit Magellan bei den Patagoniern
St. Julian

Wir segelten bis zum 49 ½ Grad südlicher Breite, und weil es Winter war, mußten wir uns in dieser Gegend zwei Monate aufhalten; während dieser Zeit sahen wir keinen Menschen, ausgenommen eines Tages kam ein Mann von riesenmäßiger Größe springend und singend an den Hafen, und dann schien er sich Staub auf den Kopf zu streuen. Der Kapitän sandte hierauf einige von den Unsrigen an Land, die eben das als Zeichen des Friedens tun mußten. Sobald dies der Riese bemerkte, faßte er Zutrauen und ließ sich zum Kapitän auf eine kleine Insel führen. Als er vor ihn kam, bezeigte er große Verwunderung und hob den Finger in die Höhe, wodurch er zu verstehen zu geben schien, die Unsrigen wären vom Himmel gekommen.
    Er war so groß, dass wir ihm nur an den Gürtel reichten, dabei aber sehr wohlgestaltet. Sein Gesicht war groß und rundherum mit gelber Farbe gemalt, um seine Augen herum hatte er einen ähnlichen gelben Strich und auf den Wangen zwei herzförmige Flecke. Sein Haare waren weiß gefärbt und seine Kleider aus der Haut eines Tieres künstlich zusammengenäht. Dieses Tier hatte, wie es uns schien, den Kopf und die Ohren eines Maultieres, einen Hals und Leib wie ein Kamel und den Schweif eines Pferdes. An den Füßen trug der Riese eine Art Schuhe von dem nämlichen Fell; und in seiner Hand einen kurzen, dicken Bogen, dessen Sehne auch von diesem Tier genommen war, nebst einem Bündel langer, aus Rohr verfertigter Pfeile. Sie waren wie die Unsrigen gefiedert und an der Spitze statt des Eisens mit einem scharfen Stein von der Gattung der Feuersteine versehen. Der Kapitän ließ ihm zu essen und zu trinken geben und hielt ihm einen großen Spiegel von Stahl vor. Sobald er darin seine Gestalt erblickte, erschrak er sehr und sprang so schnell zurück, daß er drei oder vier der Unsrigen über den Haufen warf. Nachher gab man ihm Schellen, ein Spiegel, einen Kamm und Glaskorallen und schickte ihn nebst vier von unseren Leuten gut bewaffnet an Land. Als einer von seinen Landsleuten ihn mit den Unsrigen kommen sah, lief er hin, wo noch einige andere waren, die sich sogleich nackend auszogen und, als unsere Leute ankamen, anfingen zu springen und zu tanzen. Sie hielten einen Finger in die Höhe und zeigten ihnen ein weißes Pulver, das aus einer Wurzel gemacht ist und welches sie essen, weil sie nichts besseres haben. Die Unsrigen machten ihnen Zeichen, an Bord zu kommen, worauf sie bloß ihre Bogen nahmen und ihre Weiber auf gewisse Tieren, die Eseln ähnlich sahen, beiseite führten. Diese Leute waren nicht so groß wie der erste, aber doch sehr stark und untersetzt, und ihr Kopf beinahe eine halbe Elle lang; sie waren überall bemalt und nicht wie die anderen gekleidet, sondern trugen bloß ein Fell vor den Geschlechtsteilen. Gewöhnlich führen sie vier kleine Tiere an einem Strick bei sich, und wenn sie mehrere haben wollen, binden sie diese an einen Busch oder Baum und verstecken sich in der Nähe, dann kommen die großen Tiere, um mit den kleinen zu spielen, und werden bald von den Pfeilen der versteckten Wilden getötet. Diese hatten jetzt drei Männchen und drei Weibchen bei sich, weil sie einige große fangen wollten.
    Nach diesen sahen wir einen anderen Riesen, welcher größer und besser gestaltet war als die anderen; er trug einen Bogen und Pfeile und redete die Unsrigen an, indem er seinen Kopf berührte, sich umkehrte und die Hände gen Himmel hob; eben das taten auch die Unsrigen. Der Kapitän sandte ihm hierauf ein Boot, ihn nach einer kleinen Insel im Hafen zu führen. Dieser Wilde war sehr freundlich und gefällig, er tanzte und sprang, und zwar so stark, daß er immer eine Handbreit tief in die Erde hineindrang. Er blieb lange bei den Unsrigen, die ihm den Namen Johann beilegten, den er, wie auch die Worte Jesu, Paternoster, Ave Maria, sehr deutlich aussprach und völlig wie wir, nur mit einer sehr starken Stimme. Der Kapitän der ganzen Flotte gab ihm ein leinenes Hemd und eines von wollenem Zeug, eine Mütze, einen Spiegel, einen Kamm und andere Sachen, und schickte ihn zu den seinen zurück, wo er auch voller Freude hinging. Den andern Tag kam er wieder zu uns und brachte eines von den schon erwähnten Tieren, danach haben wir ihn aber nicht wieder gesehnen, woraus wir schlossen, seine Landsleute möchten ihn vielleicht wegen seines Umgangs mit uns umgebracht haben.
    Einige Zeit nachher kamen vier dieser Riesen ganz ohne Waffen zu uns, sie hatten aber welche unter den Sträuchern versteckt. Der Kapitän behielt zwei von ihnen, die die jüngsten und wohlgebildesten waren, durch folgende List bei sich. Er schenkte ihnen Messer, Scheren, Spiegel, Schellen und gläserne Kugeln und Korallen, so daß sie beide Hände von diesen Sachen voll hatten, hierauf ließ er zwei eiserne Fesseln bringen und ihnen um die Füße legen, indem er ein Zeichen machte, dass er ihnen solche auch geben wollte, was sie gern sahen, da sie von Eisen waren; auch ließen sie sich solche ohne Umstände anlegen, weil sie nicht wußten wie sie alles wegbringen sollten und ihre Hände bereits voll hatten, die anderen beiden erboten sich zwar, ihnen tragen zu helfen, der Kapitän wollte es aber nicht erlauben. Als nun die Eisen, welche quer über die Beine gehen, geschlossen wurden, fingen sie an etwas zu argwöhnen, der Kapitän aber sprach ihnen wieder Mut ein, so daß sie stille hielten. Als sie endlich bemerkten, daß man sie hintergangen hätte, brüllten sie wie ein paar Stiere und riefen sehr laut, daß ihnen Setebos helfen möchte, sie wurden aber sogleich auf zwei verschiedene Schiffe gebracht. Die beiden andern konnte man nicht so leicht gefangen nehmen; nur mit großer Gewalt wurde einer von neun der Unsrigen zur Erde gerissen, wo man ihm die Hände band; er zerriß das Band aber augenblicklich und entfloh, und eben das taten auch die übrigen, die mit ihm gekommen waren. Die kleineren aber flohen noch schneller als die großen, und auf der Flucht schossen sie alle ihre Pfeile auf uns los, wodurch einer von unseren Leuten an der Lende verwundet wurde und davon starb. Man konnte sie niemals, weder mit der Büchse noch der Armbrust, treffen, weil sie zuweilen nach einer Seite, dann nach der anderen flohen. Diese Leute sind sehr eifersüchtig auf ihre Weiber. Sobald sie sich entfernt hatten, begruben wir unseren Toten.
    Wenn diesen Leuten übel wird, pflegen sie sich zwei Finger und nachher einen Pfeil in den Hals zu stecken, worauf sie grüne Galle mit Blut vermischt ausbrechen, und zwar letzteres, weil sie eine Art Disteln essen. Haben sie Kopfschmerzen, so machen sie sich einen Schnitt auf die Stirn, wie auch am Arm, am Bein oder anderen Teilen des Körpers, und ziehen sich auf diese Art eine Menge Blut ab. Eines Tages sagte der Riese, den wir gefangen hatten und der im Schiff war, daß das Blut, so er im Leibe hätte, nicht länger dort bleiben wolle und dass ihm dies Übelkeit mache.
    Sie tragen ihre Haare wie die Mönche geschnitten, nur etwas länger, und binden sie in einen Knoten mit einem baumwollenen Bande, und in diesen Knoten stecken sie ihre Pfeile, wenn sie auf die Jagd gehen. Wegen der großen Kälte, die sich zuweilen in dieser Gegend einstellt, pflegen sie sich mit Binden so fest einzuschnüren und einzuwickeln, daß sich das männliche Glied ganz im Leibe versteckt. Stirbt einer von ihnen, so sagen sie, erschienen zehn bis zwölf Geister, die um den Körper des Verstorbenen sprängen und tanzten, sie schienen über den ganzen Leib bemalt zu sein, einer aber wäre größer als die übrigen, dieser freue sich sehr und lache. Den großen nennen sie Setebos und die kleinen Cheleule. Derjenige Riese, den wir gefangen hatten, versicherte uns durch Zeichen, daß er auch die Geister gesehen habe; sie hätten zwei Hörner auf dem Kopf, lange Haare, bis auf die Füße herunter hängend, und sie spien Feuer von vorn und hinten.
    Unser Befehlshaber legte diesen Wilden den Namen Patagonier bei, die meisten bekleiden sich mit den Fellen des oft erwähnten Tieres. Sie haben keine festen Wohnplätze, sondern bloß Hütten aus eben den Fellen, die sie von einem Ort zu anderen bringen. Ihre Nahrung ist rohes Fleisch und eine süße Wurzel, die sie Capar nannten. Unser Patagonier aß auf einer Mahlzeit einen ganzen Korb Zwieback und trank einen halben Eimer Wasser auf einen Schluck.
    Wir blieben ungefähr fünf Monate in diesem Hafen, den wir St. Julian nannten, und gleich nach unserer Ankunft fassten die vier Kapitäne der anderen Schiffe: Johann von Cartagena, der Kassierer di Mendoza, Anton Cocco und Caspa Casedo, den Vorsatz, den Oberanführer Ferdinand Magelhan in verräterischer Weise umzubringen. Ihr Vorhaben wurde aber entdeckt, und der Kapitän ließ den Kassierer und Caspar Casedo vierteilen, aber Johann von Cartagena wurde nebst einem Geistlichen an Land gesetzt und den Patagonen überlassen.
    An diesem Ort sahen wir einige Ziegen, die einen langen Leib hatten und die man Missiliones nennt. Es waren auch kleine Austern hier, die aber nicht zu essen waren, wir sahen auch Straußvögel, Füchse und Kaninchen, aber kleiner als die Unsrigen.
    Wir errichteten hier ein großes hölzernes Kreuz auf der Spitze eines Berges zum Zeichen, das wir von diesem Lande für das Königreich Spanien Besitz genommen hatten, und nannten diesen Ort den Berg Christi.

Pigafetta, Antonio
Erste Reise um die Welt durch Ferdinand Magelhan
Übersetzt aus dem Italienischen
In: Beiträge zur Völker- und Länderkunde
Band 4, Leipzig 1784

Reiseliteratur weltweit - Geschichten rund um den Globus. Erlebtes und Überliefertes aus allen Teilen der Welt. Entdecker – Forscher – Abenteurer. Augenzeugenberichte aus drei Jahrtausenden. Die Sammlung wird laufend erweitert – Lesen Sie mal wieder rein!