1519 - Antonio Pigafetta
Mit Magellan in Brasilien
22° Süd
Sobald wir über die Linie gekommen waren, verloren wir den Polarstern aus dem Gesicht und segelten nach Südwesten bis an ein Land, welches Brasilien heißt und im 22. Grad südlicher Breite liegt. Dieses Land ist eine Fortsetzung des Vorgebirges Sankt Augustin, welches acht Grad von der Linie entfernt ist.
Hier wurden wir mit vielen Früchten erfrischt, und unter anderen waren auch Bataten, die an Geschmack unseren Kastanien gleichen und eine längliche Gestalt wie Rüben haben, auch hatten wir eine andere Art, die wir Ananas nannten und die sehr wohlschmeckend waren. Wir aßen auch das Fleisch eines Tieres, welches Anta heißt und einer Kuh ähnlich ist. Noch fanden wir hier Zuckerrohr und eine Menge anderer Dinge, die ich der Kürze wegen nicht erwähne.
Wir langten im Hafen am Tag St. Lucia an. Die Sonne befand sich damals gerade über unserem Scheitel, so daß wir mehr Hitze als unter der Linie ausstehen mußten.
Das Land Brasilien ist größer als Portugal, Spanien, Frankreich und Italien zusammen und hat einen Überfluß an allen Dingen. Die Einwohner haben keinen Gottesdienst und leben ganz im Stande der Natur, sie werden 125 bis 140 Jahre alt. Die Männer und Weiber gehen nackend und wohnen in länglichen Häusern, die sie Boi nennen. Ihre Betten sind ein großes, aus Baumwolle gefertigtes Netz, welches an großen Balken befestigt wird und von einem Ende der Wohnung bis zum anderen hängt. Zuweilen, wenn es kalt ist, machen sie ein Feuer unter dem Netz. In jedem von diesen Betten schlafen gewöhnlich 10 bis 12 Männer nebst ihren Weibern und Kindern, und man hört sie darin sehr lärmen. Ihre Kähne, welche sie Kanoes nennen, bestehen aus einem einzigen Stück Holz und werden mit spitzen Steinen ausgehöhlt, die so hart sind, daß sie statt des Eisens, welches ihnen fehlt, gebraucht werden können. Diese Boote sind groß genug, um 30 bis 40 Mann zu fassen, und ihre Ruder haben die Gestalt einer Schaufel.
Die Einwohner des Landes sind schwärzlich, aber dabei wohl gebildet und sehr geschmeidig; sie haben den Gebrauch, Menschenfleisch zu essen, üben aber diese Grausamkeit nur gegen ihre Feinde aus und sagen, diese Gewohnheit habe ihren Anfang durch eine Frau genommen, deren einziger Sohn ermordet worden war, und als man verschiedene Täter gefangen zu der Alten führte, wäre sie wie ein wütender Hund auf einen von ihnen gestürzt und hätte ihm einen Teil der Schulter abgefressen. Dieser wäre dann zu den Seinen entflohen und hätte ihnen seine Schulter gewiesen, worauf sie alle angefangen hätten, das Fleisch ihrer Feinde zu verzehren. Doch essen sie solches nicht auf einmal, sondern scheiden es in Stücke und hängen es in den Rauch, und einen Tag essen sie ein Stück gekocht und den anderen gebraten zum Andenken an ihre Feinde. Die Weiber wie die Männer bemalen ihren ganzen Leib auf eine sonderbare Weise, sie sengen sich auch alle Haare ab, so dass die Männer keinen Bart und die Weiber keine Haare auf dem Leib behalten.
Ihre Kleider sind aus Papageienfedern verfertigt und hinten mit einem großen Schweif geziert, was uns sehr lächerlich vorkam. Alle Männer, Weiber und Kinder haben in der Unterlippe drei Löcher, in die sie gewisse runde Steine, ungefähr einen Finger lang, hängen. Die Farbe ihrer Haut ist weder weiß noch schwarz, sondern olivenfarbig und beide, Männer und Weiber, haben die Geschlechtsteile ganz bloß ohne Haare.
Sie nennen ihr Oberhaupt Kacique. Er hatte eine sehr große Menge Papageien und schenkte uns 10 oder 12 davon für einen Spiegel. Sie haben auch kleine, sehr schöne Meerkatzen, welche gegessen werden, ihr Brot ist weiß und rund und wird aus dem Mark eines Baumes zubereitet, hat aber keinen besonderen Geschmack. Wir bemerkten auch einige Vögel bei ihnen, die einen großen, wie einen Löffel gestalteten Schnabel und keine Zunge hatten. Für ein Beil verkauften sie eins oder zwei ihrer Kinder als Sklaven, ihre Weiber aber hätten sie um keinen Preis weggegeben, auch konnte man diese nicht bereden, ihren Männern untreu zu werden, sie leiden auch nicht, daß die Männer des Tages bei ihnen schlafen, sondern bloß bei Nacht. Diesen tragen sie das Essen in Körben nach den Bergen oder wo sie sonst hingehen und verlassen sie niemals. Sie führen auch einen Köcher von Brasilien- oder schwarzem Palmenholz, und darin ein Bund Pfeile, aus Rohr gefertigt. Ihre Kinder tragen sie in einem Netz aus Baumwolle, das um den Hals befestigt ist.
Wir blieben in diesem Land zwei Monate, während welcher Zeit es nicht regnete. Einige von den Unsrigen schickten wir in das Land hinein, wo sie eine Menge Brasilienholz fällten, aus welchem wir ein Haus verfertigten. Zufälligerweise traf es sich, daß es eben regnete, als unsere Leute zum Haus zurückkamen, worauf die Eingeborenen sagten, die Unsrigen wären vom Himmel gekommen und hätten ihnen den Regen mitgebracht. Diese Leute sind sehr gutmütig und es würde leicht sein, sie zum christlichen Glauben zu bekehren.
Pigafetta, Antonio
Erste Reise um die Welt durch Ferdinand Magelhan
Übersetzt aus dem Italienischen
In: Beiträge zur Völker- und Länderkunde
Band 4, Leipzig 1784