m 1860 - Alfred Tetens
Guano
Chincha-Inseln, Peru
Die Perseverantia lichtete abermals ihre Anker. Infolge einer in Callao geschlossenen Abmachung segelten wir, von günstigem Wind unterstützt, nach dem Chinchas-Inseln, um dort eine für Rotterdam bestimmte Ladung Guano einzunehmen. Eine außergewöhnlich große Anzahl von Handelsschiffen war in jenen Gewässern versammelt. Die Flaggen aller seefahrenden Nationen flatterten von den Masten. Allein die gleichzeitig dort postierten spanischen Fregatten verliehen dem friedlichen Bilde einen ziemlich ernsten Hintergrund. Die Anwesenheit der dräuenden Kriegsschiffe war durchaus keine zufällige. Spanien befand sich mal wieder mit Peru auf dem üblichen Kriegsfuße und hatte nach der einfachen dort herrschenden Kriegsweise von den Cinchas-Inseln Besitz genommen. Wir wurden von dieser militärischem Maßregel nur insofern berührt, als wir sofort unsere italienische Flagge hißten und Perus Banner sorgfältig versteckten.
Die spanischen Kriegsschiffe erhielten sogar meinen Überschuß ab Kohlen und Konserven. Ich glaube kaum, daß ich weder den hohen Kaufpreis noch die verbindlichen Dankesworte des spanischen Offiziers empfangen hätte, wenn an den Masten meines Schiffes die peruanische Flagge sichtbar gewesen wäre.
Leider konnten uns weder die Chichas-Inseln noch ihre Bewohner eine Unterhaltung bieten, wir unterhielten daher einen recht lebhaften Verkehr mit unseren schwimmenden Nachbarn.
Auf vielen Schiffen walteten die Frauen der Kapitäne mit echt weiblicher Geschicklichkeit, welche unseren gesellschaftlichen Zusammenkünften erhöhten Reiz verlieh und vor Einförmigkeit bewahrte. Das Mittagsmahl wurde in bestimmter Reihenfolge unserer Schiffe an Bord gemeinsam eingenommen, dann wurden Seelöwen und Seevögel geschossen, alle möglichen Spiele, für unsere Verhältnisse großartige Bälle, kurz alles arrangiert, woran ein seefahrendes Menschenkind Gefallen findet.
Viel Vergnügen bereiteten uns die regelmäßigen, auf den nahen Guanobergen stattfindenden Picknicks. Zunächst wurden große Tücher auf der Erde oder vielmehr auf der Guanodecke ausgebreitet und dann Speisen und Getränke, von Scherzreden begleitet, liegend oder sitzend eingenommen. Inmitten des größten Behagens löste sich dann sehr oft eine große Masse des erschütterten Guanolagers vom Felsen und kollerte in Begleitung seiner überraschten Belagerer zum ungeheuren Jubel der Sitzengebliebenen den Abhang hinunter. Solche Rutschpartien gaben Anlaß zu neuen Neckereien und hatten nur die Reinigung der Kleidung im Gefolge.
Wenngleich uns auf der Perseverantia keine weibliche Hand zur Verfügung stand, so ernteten wir doch regelmäßig die lobenden Anerkennung der uns beehrenden Damen für die zubereiteten Speisen; irgendeine kulinarische Überraschung hatte unser Koch doch jedes Mal in Bereitschaft, und da meine Leute noch außerdem äußerst geschickt servierten, zuvorkommend jede Gefälligkeit erwiesen, so ging es nach einstimmigem Urteil an Bord der Perseverantia am gemütlichsten her.
Auch die in Booten unternommene, sehr interessante Jagd auf Seelöwen bildete eine Hauptnummer im Programm unserer Unterhaltung. Trotz seiner anscheinenden Behäbigkeit, mit der der peruanische Seelöwe oft stundenlang auf dem Felsen verharrt, ist das interessante Tier doch äußerst wachsam, läßt sich nur selten überraschen und besitzt im Schwimmen eine erstaunliche Gewandtheit. Selbst der Schütze muß mit äußerster Vorsicht zu Werke gehen, wenn seine Kugel das Ziel erreichen soll.
Der peruanische Seelöwe ist nicht so groß wie sein nordischer Stammesgenosse und trotz seines löwenartigen Aussehens ein feiges, schreckhaftes Tier; ist ihm aber kein Rückweg geblieben, so stellt er sich sogar dem Menschen kampfbereit gegenüber, wirft seinen Kopf in den Nacken und brüllt aus Leibeskräften. Ohne sichere Waffe möchte ich niemandem zum Zweikampf mit dem Seelöwen raten, die scharfen Nägel an den Vorder- und Hinterflossen bilden eine nicht zu unterschätzende Wehr. Ebenso wenig ist es ratsam, die Seelöwen im Wasser anzugreifen. Die in großer Anzahl zusammengeballten Tiere besitzen eine enorme Kraft und bringen das Boot mit Leichtigkeit zum Kentern. In diesen Fall ist der Jäger, wie ein Vorfall auf den Chinchas-Inseln beweist, unrettbar verloren. Sämtliche Insassen eines Fahrzeugs wurden von den Seelöwen stückweise zernagt und verschlungen.
Manche Fleischstücke des frisch erlegten Seelöwen schmecken vorzüglich und bieten nicht nur dem Gaumen eine angenehme Abwechslung, sondern auch dem Koch eine Gelegenheit, seine Kunstfertigkeit zu beweisen. Obschon wir unter den Tieren während unserer zahlreichen Jagden tüchtig aufräumten, ließen sie sich doch von ihren Lieblingsplätzen nicht allzu fern vertreiben; dennoch dürfte eine geschäftsmäßige Ausbeute des Seelöwenfanges auf den Chinchas-Inseln nicht genügend lohnen.
Wir haben unsere erbeuteten Felle den Frauen der amerikanischen Kapitäne zum Geschenk gemacht; jene Damen hofften damit im kommenden Winter eine neue Pelzmode in New York einzuführen.
Selbstverständlich wurde unsere geschäftliche Tätigkeit durch keinerlei Vergnügen oder gestört oder gar außer Acht gelassen. Vielmehr nahm die Einnahme des Guanos einen geregelten Fortgang.
Der Guano besteht zum großen Teil aus den seit Jahrtausenden angesammelten Exkrementen von Seevögeln, ist je nach Lage und Alter der Fundorte in seinen Bestandteilen und Werten verschieden und seit mehr als 700 Jahren als vorzügliches Düngemittel bekannt. In den mittleren und unteren Schichten der Guanolager befinden sich außer Leichen der Seevögel auch Knochenreste von Seelöwen und sonstigen Meeresbewohnern.
Der Guano der Chinchas-Inseln gehört zum besten und wertvollsten allen Guanos, weil er vorzugsweise aus Exkrementen von Seevögeln gebildet wird und daher den höchsten Gehalt an Stickstoff und Phosphorsäure enthält. Diese Eigenschaft ist auf die überaus günstige Lage der Chinchas zurückzuführen; da es in dem ganzen Küstenstriche in Folge der hohen Adenkette niemals regnet, so können die im Guano befindlichen wertvollen Salze vom Wassern nicht zersetzt werden, müssen vielmehr in der braunen, krümeligen Pulvermasse, wie sich dieser Guano zeigt, zurückbleiben.
Außer diesen klimatischen Verhältnissen war die Vorbedingung für die wohl Jahrtausende erforderlich gewesene Anhäufung dieser großen Massen von Guano auf den Chinchas-Inseln besonders der große Fischreichtum der See sowie die günstigen Winkel und Buchten für die Rast- und Brutstätten der unzähligen grauen Guanovögel.
Auf den drei kleinen, schroffen Chinchas-Inseln zeigten die vorgefundenen Lager eine Stärke bis zu 80 Fuß. In unmittelbarer Nähe der Guanostätte gewöhnt man sich erst nach Stunden an den intensiven, dem menschlichen Organismus nicht schädlichen Ammoniak-Geruch. Eigroße Stücke Ammoniak findet man sehr oft in den mittleren Schichten. Der günstige Prozentsatz des Chinchas-Guanos an Stickstoff und Phosphorsäure wird auch nicht annähernd von anderen Qualitäten erreicht.
Tetens, Alfred
Vom Schiffsjungen zum Wasserschout
Hamburg 1889