Reiseliteratur weltweit

Geschichten rund um den Globus

1802 - Alexander von Humboldt
In der Stadt des Atahualpa
Cajamarca / Caxamarca, Peru

Kleine Porphyrkuppen (wahrscheinlich einst Inseln im alten, noch unabgelaufenen See) erheben sich in dem nördlichen Theile der Ebene und durchbrechen weit verbreitete Sandstein-Flöze. Wir genossen auf dem Gipfel einer dieser Porphyrkuppen, auf dem Cerro de Santa Polonia, eine anmuthige Aussicht. Die alte Residenz des Atahuallpa ist von dieser Seite mit Fruchtgärten und wiesenartig bewässerten Luzernfeldern (Medicago sativa, campos de alfalfa) umgeben. In der Ferne sieht man die Rauchsäulen der warmen Bäder von Pultamarca aufsteigen, die noch heute den Namen baños del Inca führen. Ich habe die Temperatur dieser Schwefelquellen 55,2° Reaumur [70 C] gefunden. Atahuallpa brachte einen Theil des Jahres in den Bädern zu, wo noch schwache Reste seines Palastes der Zerstörungswuth der Conquistadores widerstanden haben. Das große und tiefe Wasserbecken (el tragadero), in welchem der Tradition nach einer der goldenen Tragsessel soll versenkt und immer vergebens gesucht worden sein, schien mir, seiner regelmäßigen runden Form wegen, künstlich über einer der Quellenklüfte im Sandstein ausgehauen.
    Von der Burg und dem Palaste des Atahuallpa sind ebenfalls nur schwache Reste in der mit schönen Kirchen geschmückten Stadt übrig geblieben. Die Wuth, in der man, von Golddurst getrieben, schon vor dem Ende des 16ten Jahrhunderts, um nach tief liegenden Schätzen zu graben, Mauern umstürzte und die Fundamente aller Wohnungen unvorsichtig schwächte, hat die Zerstörung beschleunigt. Der Palast des Inca lag auf einem Porphyrhügel, welcher ursprünglich an der Oberfläche (d. i. am Ausgehenden der Gesteinschichten) dermaßen bebauen und ausgehöhlt worden war, daß er die Hauptwohnung fast mauerartig umzingelt. Ein Stadtgefängniß und das Gemeindehaus (la Casa del Cabildo) sind auf einem Theil der Trümmer aufgeführt. Diese Trümmer sind am ansehnlichsten noch, aber doch nur 13 bis 15 Fuß hoch, dem Kloster des heil. Franciscus gegenüber; sie bestehen, wie man in der Wohnung des Caciquen beobachten kann, aus schön behauenen Quadersteinen von 2 bis 3 Fuß Länge, ohne Cement auf einander gelegt, ganz wie an der Inca-Pilca oder festen Burg des Canar im Hochlande von Quito.
    In dem Porphyrfelsen ist ein Schacht abgeteuft, der einst in unterirdische Gemächer und in eine Gallerie (Stollen) führte, von der man behauptet, daß sie bis zu einer anderen, schon oben erwähnten, Porphyrkuppe, zu der von Santa Polonia, führt.
    Diese Vorrichtungen deuten auf Besorgnisse von Kriegszuständen und auf Sicherung der Flucht. Das Vergraben von Kostbarkeiten war übrigens eine alt-peruanische, sehr allgemein verbreitete Sitte. Unter vielen Privatwohnungen in Caxamarca findet man noch unterirdische Gemächer.
    Man zeigte uns im Felsen ausgehauene Treppen und das sogenannte Fußbad des Inca (el lavadero de los piés). Ein solches Fußwaschen des Herrschers war von lästigen Hofceremonien begleitet. Nebengebäude, die, der Tradition nach, für die Dienerschaft des Inca bestimmt waren, sind zum Theil ebenfalls von Quadersteinen aufgeführt und mit Giebeln versehen, zum Theil aber von wohlgeformten Ziegeln, die mit Kies-Cement abwechseln (muros y obra detapia). In denen der letztgenannten Construction kommen gewölbte Blenden (Wandvertiefungen) vor, an deren hohem Alter ich lange, aber wohl mit Unrecht, gezweifelt habe.
    Man zeigt in dem Hauptgebäude noch das Zimmer, in welchem der unglückliche Atahuallpa vom Monat November 1532 an neun Monate lang gefangen gehalten wurde; man zeigt auch den Reisenden die Mauer, an der er das Zeichen machte, bis zu welcher Höhe er das Zimmer mit Gold füllen wolle, wenn man ihn frei ließe. Xerez in der Conquista del Peru, die uns Barcia aufbewahrt hat, Hernando Pizarro in seinen Briefen, und andere Schriftsteller jener Zeit geben diese Höhe sehr verschieden an. Der gequälte Fürst sagte: »das Gold in Barren, Platten und Gefäßen solle so hoch aufgethürmt werden, als er mit der Hand reichen könne.« Das Zimmer selbst giebt Xerez zu 22 Fuß Länge und 17 Fuß Breite an. Was von den Schätzen der Sonnentempel von Cuzco, Huaylas, Huamachuco und Pachacamac bis zu dem verhängnißvollen 29 August 1533 (dem Todestage des Inca) zusammengebracht wurde, schätzt Garcilaso de la Vega, der Peru schon 1560, in seinem 20ten Jahre, verließ, auf 3.838.000 Ducados de Oro.
    In der Capelle des Stadtgefängnisses, das, wie ich schon oben erwähnte, auf den Ruinen des Inca-Palastes gebaut ist, wird Leichtgläubigen mit Schauder der Stein gezeigt, auf dem »unauslöschliche Blutflecke« zu sehen sind. Es ist eine 12 Fuß lange, sehr dünne Platte, die vor dem Altar liegt, wahrscheinlich dem Porphyr oder Trachyt der Umgegend entnommen. Eine genaue Untersuchung durch Abschlagen wird nicht gestattet. Die berufenen drei oder vier Flecken scheinen hornblend- oder pyroxen-reiche Zusammenziehungen in der Grundmasse der Gebirgsart zu sein. Der Licentiat Fernando Montesinos, ob er gleich kaum hundert Jahre nach der Einnahme von Caxamarca Peru besuchte, verbreitet schon die Fabel: Atahuallpa sei in dem Gefängniß enthauptet worden, und man sehe noch Blutspuren auf einem Steine, auf dem die Hinrichtung geschehen sei. Unbestreitbar ist es und durch viele Augenzeugen bewährt, daß der betrogene Inca sich willig, unter dem Namen Juan de Atahuallpa, von seinem schändlichen, fanatischen Verfolger (dem Dominicaner-Mönch Vicente de Valverde) taufen ließ, um nicht lebendig verbrannt zu werden. Strangulation (el garrote) machte seinem Leben ein Ende, öffentlich unter freiem Himmel. Eine andere Sage giebt vor, man habe eine Capelle auf dem Stein errichtet, wo die Strangulation vorgefallen sei, und Atahuallpa's Körper ruhe unter dem Steine. Die vermeintlichen Blutflecke blieben dann freilich unerklärt. Der Leichnam hat aber nie unter diesem Steine gelegen; er wurde nach einer Todten-messe und einer feierlichen Beerdigung, bei welcher die Gebrüder Pizarro in Trauerkleidern (!) zugegen waren, zuerst auf den Kirchhof des Convento de San Francisco und später nach Quito, Atahuallpa's Geburtsstadt, gebracht. Die letztere Translation geschah nach dem ausdrücklichen Wunsche des sterbenden Inca. Sein persönlicher Feind, der verschlagene Rumiñavi (das steinerne Auge genannt, wegen der Entstellung des einen Auges durch eine Warze; rumi Stein, ñaui Auge im Qquechhua), veranstaltete in Quito, aus List und politischen Absichten, eine feierliche Beerdigung.
    In den traurigen architectonischen Resten dahin geschwundener alter Herrlichkeit wohnen in Caxamarca Abkömmlinge des Monarchen. Es ist die Familie des indischen Caciquen, nach dem Qquechhua-Idiom des Curaca, Astorpilco. Sie lebt in großer Dürftigkeit doch genügsam, ohne Klage, voll Ergebung in ein hartes, unverschuldetes Verhängniß. Ihre Abkunft von Atahuallpa durch die weibliche Linie wird in Caxamarca nirgends geläugnet, aber Spuren des Bartes deuten vielleicht auf einige Vermischung mit spanischem Blute. Beide vor dem Einfall der Spanier regierenden Söhne des großen, aber für einen Sonnensohn etwas freigeisterischen Huayna Capac, Huascar und Atahuallpa, hinterließen keine anerkannten Söhne. Huascar wurde Atahuallpa's Gefangener in den Ebenen von Quipaypan, und auf dessen heimlichen Befehl bald darauf ermordet. Auch von den beiden übrigen Brüdern des Atahuallpa, von dem unbedeutenden jungen Toparca, welchen Pizarro (Herbst 1533) als Inca krönen ließ, und von dem unternehmenderen, ebenfalls gekrönten, aber dann wieder rebellischen Manco Capac, sind keine männlichen Nachkommen bekannt. Atahuallpa hinterließ einen Sohn, als Christ Don Francisco genannt, der sehr jung starb; und eine Tochter, Doña Angelina, mit welcher Francisco Pizarro in wildem Kriegsleben einen, von ihm sehr geliebten Sohn, des hingerichteten Herrschers Enkel, zeugte. Außer der Familie des Astorpilco, mit der ich in Gaxamarca verkehrte, wurden zu meiner Zeit noch die Carguaraicos und Titu-Buscamayta als Verwandte der Inca-Dynastie bezeichnet. Das Geschlecht Buscamayta ist aber jetzt ausgestorben.
    Der Sohn des Caciquen Astorpilco, ein freundlicher junger Mensch von 17 Jahren, der mich durch die Ruinen seiner Heimath, des alten Palastes, begleitete, hatte in großer Dürftigkeit seine Einbildungskraft mit Bildern angefüllt von der unterirdischen Herrlichkeit und den Goldschätzen, welche die Schutthaufen bedecken, auf denen wir wandelten. Er erzählte, wie einer seiner Altväter einst der Gattin die Augen verbunden und sie durch viele Irrgänge, die in den Felsen ausgehauen waren, in den unterirdischen Garten des Inca hinabgeführt habe. Die Frau sah dort kunstreich nachgebildet im reinsten Golde Bäume mit Laub und Früchten, Vögel auf den Zweigen sitzend, und den vielgesuchten goldenen Tragsessel (una de las andas) des Atahuallpa. Der Mann gebot seiner Frau, nichts von diesem Zauberwerke zu berühren, weil die längst verkündigte Zeit (die Wiederherstellung des Inca-Reichs) noch nicht gekommen sei. Wer früher sich davon aneigne, müsse sterben in derselben Nacht. Solche goldenen Träume und Phantasien des Knaben gründeten sich auf Erinnerungen und Traditionen der Vorzeit. Der Luxus künstlicher goldener Gärten (Jardines ó Huertas de oro) ist von Augenzeugen vielfach beschrieben: von Cieza de Leon, Sarmiento, Garcilaso und anderen frühen Geschichtsschreibern der Conquista. Man fand sie unter dem Sonnentempel von Cuzco, in Caxamarca, in dem anmuthigen Thale von Yucay, einem Lieblingssitze der Herrscherfamilie. Da, wo die goldenen Huertas nicht unterirdisch waren, standen lebend vegetirende Pflanzen neben den künstlich nachgebildeten. Unter den letzteren nennt man immer die hohen Mais-Stauden, und Mais-Früchte in Kolben (mazorcas) als besonders gelungen.
    Die krankhafte Zuversicht, mit welcher der junge Astorpilco aussprach, daß unter mir, etwas zur Rechten der Stelle, wo ich eben stand, ein großblüthiger Datura-Baum, ein Guanto von Golddraht und Goldblech künstlich geformt, den Ruhesitz des Inca mit seinen Zweigen bedecke, machte einen tiefen, aber trüben Eindruck auf mich. Luftbilder und Täuschung sind hier wiederum Trost für große Entbehrung und irdische Leiden. »Fühlest Du und Deine Eltern«, fragte ich den Knaben, »da Ihr so fest an das Dasein dieser Gärten glaubt, nicht bisweilen ein Gelüste in Eurer Dürftigkeit nach den nahen Schätzen zu graben?« Die Antwort des Knaben war so einfach, so ganz der Ausdruck der stillen Resignation, welche der Race der Urbewohner des Landes eigenthümlich ist, daß ich sie spanisch in meinem Tagebuche aufgezeichnet habe: »Solch ein Gelüste (tal antojo) kommt uns nicht; der Vater sagt, daß es sündlich wäre (que fueso pecado). Hätten wir die goldenen Zweige sammt allen ihren goldenen Früchten, so würden die weißen Nachbarn uns hassen und schaden. Wir besitzen ein kleines Feld und guten Weizen (buen trigo).« Wenige meiner Leser, glaube ich, werden es tadeln, daß ich der Worte des jungen Astorpilco und seiner goldenen Traumbilder hier gedenke.
    Der unter den Eingebornen so weit verbreitete Glaube, daß es strafbar sei und Unglück über ein ganzes Geschlecht bringe, wenn man sich vergrabener Schätze, die den Incas gehört haben können, bemächtige, hängt mit einem anderen, besonders im 16ten und 17ten Jahrhunderte herrschenden Glauben, mit dem an die Wiederherstellung eines Inca-Reichs, zusammen. Jede unterdrückte Nationalität hofft Befreiung, eine Erneuerung des alten Regiments. Die Flucht von Manco Inca, dem Bruder des Atahuallpa, in die Wälder von Vilcapampa am Abhänge der östlichen Cordillere, der Aufenthalt von Sayri Tupac und Inca Tupac Amura in jenen Wildnissen haben bleibende Erinnerungen zurückgelassen. Man glaubte, daß zwischen den Flüssen Apurimac und Beni oder noch östlicher in der Guyana Nachkommen der entthronten Dynastie angesiedelt wären. Die von Westen nach Osten wandernde Mythe des Dorado und der goldenen Stadt Manoa vermehrte solche Träume. Ralegh's Einbildungskraft war so davon entflammt, »daß er eine Expedition auf die Hoffnung gründete, die Inselstadt (imperial and golden city) zu erobern, eine Garnison von drei- bis viertausend Engländern hineinzulegen und dem Emperor of Guiana, der von Huayna Capac abstammt und sein Hoflager mit derselben Pracht hält, einen jährlichen Tribut von 300.000 Pfund Sterling aufzulegen, als Preis für die verheißene Restauration in Guzco und Caxamarca.« Spuren von solchen Erwartungen einer wiederkehrenden Inca-Herrschaft haben sich, so weit die peruanische Quechhua-Sprache verbreitet ist, in den Köpfen vieler der vaterländischen Geschichte etwas kundigen Eingeborenen erhalten.
    Wir blieben fünf Tage in der Stadt des Inca Atahuallpa, die damals kaum noch sieben- bis achttausend Einwohner zählte.

Humboldt, Alexander von
Ansichten der Natur
Erstausgabe Berlin 1807

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