1768 - Louis-Antoine de Bougainville
Familienbesuch
Magellanstraße
Den 6. [Januar] ließ das Unwetter zeitweise nach, der Wind schien aus Südost zu kommen; kaum hatten wir aber unsere Anker gelichtet, so erhoben sich starke Windstöße aus Westnordwest, die uns nötigten, sie wieder fallen zu lassen.
Heute kamen einige Wilde an Bord. Früh ließen sich vier Pirogen an der Spitze des Kaps Galant sehen, drei ruderten hinten in die Bai, und eine kam auf die Fregatte zu. Nachdem sie eine Stunde Halt gemacht, näherte sie sich endlich unserem Schiff. Es saßen ein Mann und eine Frau mit zwei Kindern darin; sie schrien zu wiederholten Malen „Pecherais". Die Frau blieb zur Bewachung in der Piroge, und der Mann stieg allein mit einer beherzten und munteren Miene an Bord. Zwei andere Pirogen folgten diesem Beispiel, und die Männer brachten die Kinder mit.
Es schien ihnen zu gefallen. Wir ließen sie singen, tanzen und machten für sie Musik. Vornehmlich ließen sie sich das Essen gut schmecken, sie aßen alles, was ihnen vorkam, mit großem Appetit: Brot, gesalzenes Fleisch und Talg. Wir konnten die unbequemen Gäste gar nicht wieder loswerden; wir konnten sie erst bewegen, in ihre Pirogen zu gehen, als wir gesalzenes Fleisch vor ihren Augen hineinbringen ließen. Sie bezeugten weder über unsere Schiffe noch über das, was wir ihnen zeigten, Verwunderung. Weil sie gar keinen Begriff von Werken der Kunst hatten, konnten sie sich auch Geschmack daran finden. Sie haben ebenso wenig Kenntnis von den größten Kunststücken des menschlichen Verstandes wie von den Phänomenen der Natur. Der Haufe von Wilden brachte einige Tage im Hafen Galant zu, und während der Zeit sahen wir sie einige Mal an Bord und an Land.
Diese Wilden sind klein, hässlich, mager und haben einen unerträglichen Geruch an sich. Sie gehen fast nackend; ihre ganze Kleidung besteht aus schlechten Seewolfsfellen, die zu klein sind, um sie völlig zu bedecken. Von eben diesen Häuten machen sie die Dächer ihrer Hütten und die Segel der Pirogen. Sie haben auch einige Felle von Guanakos, aber in geringer Anzahl. Die Weiber sind hässlich, und die Männer scheinen sich nicht viel aus ihnen zu machen. Die Weiber fahren in den Pirogen und sorgen für deren Unterhaltung. Sie schwimmen, der Kälte ungeachtet, nach diesen Pirogen, welche statt im Hafen im Schilf liegen; sie leeren das Wasser aus, welches hineingelaufen ist. An Land lesen sie Holz und Muscheln, ohne dass die Männer Teil an allen diesen Arbeiten nehmen. Auch wenn die Weiber Kinder an der Brust haben, sind sie nicht frei davon; sie tragen die Kinder auf dem Rücken in einem Wolfsfell, das ihre ganze Bedeckung ausmacht.
Ihre Pirogen sind aus Baumrinden gemacht, die mit Schilf schlecht zusammengebunden und deren Fugen mit Moos verstopft werden. In der Mitte ist ein kleiner Herd aus Sand, in dem sie beständig ein Feuer unterhalten. Sie führen Bogen und Pfeile mit sich, welche beide aus Weißdorn gemacht sind, den man in der Meerenge häufig antrifft. Die Sehnen der Bogen sind von Därmen und die Spitzen der Pfeile von Stein, welche kunstvoll geschärft sind. Diese Waffen taugen bloß gegen Wild, aber gegen keinen Feind; sie sind ebenso schwach wie die Menschen, welche sie führen. Wir haben auch einen Fuß lange Knochen von Fischen bei ihnen gesehen, die an dem einen Ende zugespitzt und auf der Seite zackig waren. Anfangs hielten wir sie für Dolche, nachgehends aber für ein Gerät zum Fischfang. Sie befestigen sie an langen Stangen und werfen sie wie Harpunen. Diese Wilden wohnen alle in Durcheinander, Weiber, Männer und Kinder, und zwar in Hütten, in deren Mitte ein Feuer brennt. Ihre vornehmste Nahrung sind Muscheln; jedoch haben sie auch Hunde und Schlingen, von Walfischbein gemacht. Ich habe bei allen schlechte Zähne bemerkt, welches, wie ich vermute, daher kommt, dass sie die Muscheln brennend heiß verzehren, auch wenn sie noch halb roh sind.
Sie scheinen gutherzig zu sein, sind aber zugleich so einfältig, dass man ihnen für ihre Gutherzigkeit fast keinen Dank weiß. Wir hielten sie für abergläubisch und vermuteten, dass sie an gewisse Geister glauben, die Böses tun. Diejenigen, welche Geister beschwören können, sind zugleich ihre Ärzte und Priester. Unter allen Wilden, die ich in meinem Leben gesehen, leben die Pecherais am schlechtesten und wildesten, oder was man eigentlich den Naturzustand nennen kann. Wenn ein Mensch, der frei und sein eigener Herr ist, weder Pflichten noch Berufsgeschäfte kennt und mit dem zufrieden ist, was er hat, weil er es nicht besser weiß, beklagt zu werden verdient, so würde ich diese vorzüglich beklagen, da ihnen nicht nur alles fehlt, was zur Bequemlichkeit des menschlichen Lebens gehört, sondern da sie auch mit dem schrecklichsten Klima der Welt zu kämpfen haben.
Bougainville, Louis-Antoine de
Reise um die Welt …
Leipzig 1783