1767 - Louis-Antoine de Bougainville
Zusammentreffen mit Einheimischen
Magellanstraße
Wir ließen in Boucaultsbai die Anker fallen. Gleich darauf befahl ich, von der Fregatte und der „Etoile“ je ein Boot ins Meer zu lassen. Wir stiegen, zehn Offiziere an der Zahl, mit Flinten bewaffnet, hinein und landeten im Hintergrund der Bai, jedoch mit der Vorsicht, dass die Boote flott und die Matrosen darin blieben. Kaum waren wir ausgestiegen, als sechs Amerikaner in vollem Galopp auf uns zugesprengt kamen. Sie stiegen in einer Entfernung von 15 Schritt ab und kamen mit dem Schrei „chaua" zu uns, gaben uns die Hände, umarmten uns und schrien aus vollem Halse beständig „chaua, chaua", welches wir ihnen gleichfalls zuriefen. Sie schienen sich über unsere Ankunft zu freuen. Zwei von ihnen zitterten anfangs vor Furcht, fassten sich aber bald ein Herz. Nach vielen gegenseitigen Freundschaftsbezeigungen ließ ich ihnen Kuchen und frisches Brot austeilen, welches ihnen sehr wohl schmeckte. Ihre Anzahl vermehrte sich beständig. In kurzer Zeit waren ihrer 30 beisammen; unter ihnen befanden sich junge Leute und ein Kind von zehn Jahren. Alle kamen mit einem gewissen Zutrauen zu uns und bewillkommneten uns ebenso freundlich wie die ersten. Unsere Ankunft schien sie gar nicht zu befremden. Sie machten mit der Stimme den Knall einer Flinte nach und zeigten dadurch an, dass sie unser Feuergewehr kannten.
Überhaupt sah man deutlich, dass sie gerne tun wollten was uns gefiel. Einige von uns suchten Pflanzen: gleich fingen etliche Patagonier an, auch dergleichen zu suchen und diejenigen zu bringen, welche unsere Offiziere abgepflückt hatten. Ein Wilder zeigte dem Chevalier du Bouchage sein schlimmes Auge und gab ihm durch Zeichen zu verstehen, dass er ihm eine Pflanze anzeigen solle, den Schaden zu heilen. Folglich müssen sie einen Begriff von der Heilkraft der Kräuter haben. Dies ist dieselbe Kunst, welche Machaon, den die Fabel zum Arzt der Götter macht, ausübte. Vermutlich gibt es solche Machaons auch unter den Wilden.
Wir tauschten gegen allerhand in ihren Augen kostbare Kleinigkeiten Häute von Guanakos und Vikunjen ein. Sie verlangten durch Zeichen Rauchtabak. Die rote Farbe gefiel ihnen; wenn sie etwas Rotes an uns entdeckten, so strichen sie mit der Hand darüber und bezeigten ein Verlangen danach. Sooft man ihnen etwas gab oder sie liebkoste, betäubten sie uns mit dem Schrei „chaua". Wir gaben ihnen einen Schluck Branntwein zu trinken; sobald sie ihn hinuntergeschluckt hatten, schlugen sie sich mit der Hand auf die Brust und gaben einen zitternden, kaum vernehmbaren Ton von sich. Sie taten dieses einer nach dem anderen und verschafften uns dadurch ein sonderbares Spektakel.
Der Tag war inzwischen bald verstrichen, so dass es Zeit war, wieder an Bord zurückzukehren. Als sie unsere Absicht bemerkten, schienen sie nicht damit zufrieden zu sein. Sie gaben uns durch Zeichen zu verstehen, dass noch mehrere von ihrer Nation kommen würden, und wir versprachen ebenfalls durch Zeichen, dass wir morgen wiederkommen und, was sie verlangten, mitbringen wollten. Es schien, als hätten sie lieber gewünscht, wir wären an Land geblieben. Als sie aber sahen, dass wir wirklich fort gingen, begleiteten sie uns bis ans Ufer, und ein Patagonier sang während der Zeit. Einige wateten bis an die Knie ins Wasser, um uns desto länger zu folgen. Wir mussten auf unsere Boote genau Acht geben, weil sie sich alles aneigneten, was ihnen in die Augen fiel. Einer hatte eine Sichel genommen, gab sie aber gutwillig wieder her. Ehe wir uns entfernten, sahen wir noch mehrere von ihnen im vollen Galopp herbeieilen. Bei der Trennung ermangelten wir nicht, ein lautes „chaua" anzustimmen, so dass die ganze Küste widerhallte.
Dies waren dieselben Amerikaner, welche die Matrosen der Etoile im Jahre 1766 angetroffen hatten. Einer von unseren Leuten erinnerte sich sehr genau daran, den einen von den Wilden auf der ersten Reise gesehen zu haben. Die Männer sind wohl gewachsen, keiner von denen, die zu uns kamen, war unter 5 Fuß und 5 bis 6 Zoll, aber auch nicht über 5 Fuß und 10 Zoll groß. Auf der ersten Reise hatten unsere Leute einige über 6 Fuß hoch bemerkt. Ihr außerordentlich breiter Rücken, ihr großer Kopf und ihre plumpen Glieder geben ihnen ein riesenmäßiges Aussehen. Sie sind stark, wohlbeleibt, haben festes Fleisch und starke Nerven. Man sieht, dass es Menschen sind, die nach der simplen Natur leben, nahrhafte Speisen genießen und dadurch den höchsten Grad des Wachstums und der Stärke, deren der menschliche Körper fähig ist, erreicht haben. Ihre Gestalt ist nicht unangenehm, mehrere sahen gut aus; ihr Gesicht ist von runder Form und etwas platt; die Augen sind lebhaft, die Zähne ungemein weiß, aber sehr breit. Ihre langen schwarzen Haare binden sie auf dem Kopf zusammen. Einige trugen lange, dünne Schnurrbärte. Ihre Hautfarbe ist braungelb wie durchgehend bei allen Amerikanern, sowohl in den heißen als auch in dem gemäßigten Erdstrich. Einige hatten rot gemalte Backen. Ihre Sprache schien uns ganz sanft, überhaupt hatten sie in ihrem Charakter nichts Wildes. Von ihren Weibern bekamen wir keine zu Gesicht. Vielleicht ließen sie sie holen, weil sie darauf drangen, dass wir warten sollten; sie hatten auch einen Boten nach einem großen Feuer, eine Meile von uns entfernt, abgeschickt, wo ihr Lager zu sein schien, und zeigten uns, dass jemand von dort herkäme.
Die Patagonier gehen wie die Indianer am Rio de la Plata gekleidet. Sie tragen ein bloßes Fell, das ihre Scham bedeckt, und einen großen Mantel aus Fellen der Guanakos oder Surillos, der mit einem Gürtel um den Leib gebunden ist und bis auf die Füße hinabhängt. Sie lassen aber insgemein das Stück, welches die Schultern bedecken soll, herunterhängen und gehen, des rauen Klimas ungeachtet, mit dem Oberleib beständig nackend. Die Gewohnheit machte sie ohne Zweifel gegen die Kälte unempfindlich. Ob wir gleich in den hiesigen Sommermonaten hier waren, so stieg des Reaumurische Thermometer nur erst einen Tag auf 10° [13° C] über dem Gefrierpunkt. Sie tragen eine Art Halbstiefel aus Pferdefellen, die hinten offen sind. Ein paar hatten an den Knien kupferne Ringe, zwei Daumen breit.
Ihre Waffen bestanden in zwei runden Kieselsteinen, die an den beiden Enden eines gedrehten Darmes befestigt sind; dergleichen haben wir bereits beschrieben. Sie sind in diesem ganzen Strich von Amerika üblich. Sie hatten auch kleine eiserne Messer, die ein bis zwei Zoll breit und englisches Fabrikat waren. Vermutlich rührten sie von dem Kommodore Byron her. Ihre Pferde waren klein, mager und nach der Art der Einwohner am Rio de la Plata gesattelt und gezäumt. Ein Patagonier hatte an seinem Sattel vergoldete Nägel, hölzerne Steigbügel, mit Kupferblech beschlagen, einen Zaum von Leder, mit einem Wort: ein ganzes spanisches Reitzeug. Ihre vornehmste Nahrung scheint das Fleisch und Mark von den Guanakos und Vikunjen zu sein. Einige hatten ganze Viertel davon an den Pferden hängen, wovon sie roh speisten. Sie führten auch einige kleine garstige Hunde bei sich, welche wie die Pferde Seewasser saufen, weil das süße Wasser an dieser Küste und selbst tiefer im Lande selten ist.
Keiner unter ihnen schien vornehmer zu sein als der andere; sie bezeigten auch nicht mehr Achtung gegen ein paar alte Männer, die unter ihnen waren. Wir bemerkten, dass einige die spanischen Wörter „mañana, muchacho, bueno chico, capitan" aussprachen. Vermutlich lebt dieses Volk wie die Tartaren und streift in den ungeheuren Ebenen des südlichen Amerikas umher. Männer, Weiber und Kinder sind beständig zu Pferde und verfolgen das Wild und Rindvieh, woran ein großer Überfluss ist. Sie kleiden sich in Felle und machen ihre Wohnungen davon. Vielleicht haben sie auch darin eine Ähnlichkeit mit den Tartaren, dass sie die Karawanen der Reisenden plündern. Am Schluss dieser Nachricht will ich nur noch vermerken, dass wir in der Folge auf unserer Fahrt im Südmeer eine Nation antrafen, welche die Patagonier an Größe übertrifft.
Bougainville, Louis-Antoine de
Reise um die Welt …
Leipzig 1783