Reiseliteratur weltweit

Geschichten rund um den Globus

146 v. Chr. - Polybios
Das Ende von Karthago

Als Hasdrubal, der Feldherr der Karthager, um Schutz flehend vor Scipio auf den Knien lag, sprach dieser zu den Anwesenden: „Hier könnt ihr sehen, wie das Schicksal an Toren ein warnendes Beispiel aufzustellen weiß. Das ist der Hasdrubal, der jüngst alle unseren milden Anerbietungen von sich wies mit der Erklärung, das schönste Grab sei die in Flammen aufgehende Vaterstadt. Jetzt ist er hier mit der Wollenbinde, bittet uns um sein Leben und setzt alle Hoffnungen auf uns. Wer sollte sich es bei einem solchen Anblick nicht zu Herzen nehmen, daß ein Mensch nichts Übermütiges sagen und tun darf?“ Nun traten einige Überläufer vorn an das Dach und baten die vordersten Kämpfer, ein wenig einzuhalten. Als Scipio hierzu Befehl erteilte, fluchten sie dem Hasdrubal, die einen wegen seines Meineids, da er ihnen hoch und teuer geschworen habe, sie nie zu verlassen, die andern wegen seiner Feigheit und seiner ganzen niederträchtigen Gesinnung. Dabei höhnten sie ihn und stießen gemeine und feindselige Schimpfreden aus. Zu dieser Zeit trat auch Hasdrubals Frau, als sie ihren Mann vorn bei dem Feldherrn sitzen sah, aus dem Kreis der Überläufer vor in edlem, prächtigem Gewande. Ihre Kinder in Röckchen zu beiden Seiten an der Hand. Anfangs redete sie den Hasdrubal mit Namen an, und als dieser schwieg und zu Boden blickte, rief sie zuerst die Götter an und sagte dem Feldherrn großen Dank, daß er das Seinige zu ihrer und ihrer Kinder Rettung getan habe; dann nach einer kleinen Weile fragte sie ihren Mann, wie er es habe über sich bringen können, nicht bloß vom Feldherrn sich den Lohn des Überläufers zu verschaffen, sondern auf die allerschmählichste Weise die Sache des Vaterlandes und die ihm vertrauenden Bürger im Stiche zu lassen und heimlich zu den Feinden zu entweichen, wie er sodann die Stirn haben könne, mit Ölzweigen in der Hand zu den Füßen derer zu sitzen, gegen die er oft geprahlt, es werde nie der Tag erscheinen, an dem Hasdrubal die Sonne und seine Vaterstadt in Flammen sehen werde.
    Als nun Scipio Karthago im äußersten Verderben zugrunde gehen sah, da vergoß er Tränen, wie man erzählt, und beweinte unverhohlen das Schicksal der Feinde. Nachdem er längere Zeit in Nachdenken versunken bei sich erwogen hatte, daß ganze Städte, Völker und Reiche wie einzelne Menschen den Wechsel des Glückes erfahren müssen, das gleiche Schicksal Ilios [Troja], einst eine so blühende Stadt, die Weltmonarchien der Assyrer, Meder und Perser und zuletzt das so glanzvolle Makedonische Reich betroffen habe, da sprach er, sei es mit Bewußtsein, sei es, daß ihm das Wort entschlüpfte:
    Einst wird kommen der Tag, da die heilige Ilios hinsinkt,
    Priamos auch und das Volk des lanzenkundigen Königs.
    (Homer, Ilias 6, 448)
    
    Als ihn Polybios, der sein Lehrer gewesen war, freimütig fragte, was er damit meinte, da sprach er, heißt es, offen und ohne Rückhalt den Namen seines Vaterlandes aus, für das er demnach im Hinblick auf die Vergänglichkeit des Irdischen in Furcht und Sorgen war. So schreibt Polybios als Ohrenzeuge.

Des Polybios Geschichte
Übersetzt von K. Kraz
39. Buch
Berlin und Stuttgart o. J.

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