1855 - Emily Ruete (Salme von Muscat und Sansibar)
Arabische Prinzessin auf einer Nelkenplantage
Sansibar
Wir, das heißt, mein Vater, besaßen 45 Plantagen, die über die ganze Insel zerstreut lagen. Auf jeder befanden sich 50 bis 100, auf den großen bis 500 Sklaven als Arbeiter, welche unter einem arabischen Verwalter standen. Nur zwei von diesen Plantagen hatten zugleich wirkliche Paläste, sechs bis acht hatten größere Landhäuser, die übrigen enthielten bloß Beamten- und Wirtschaftsgebäude. Uns waren also zu längerem Aufenthalte nur die Ersteren zugänglich.
Bei Lebzeiten meines Vaters konnten wir nur selten und nur auf kurze Zeit allemal die Stadt verlassen; der Vater war zu sehr von Geschäften in Anspruch genommen und blieb deshalb lieber zu Hause. Für uns andere dagegen, Kinder und Erwachsene, war es immer eine große Freude, eine Plantage zu besuchen. Darum ließen denn meine älteren Geschwister dem gutmütigen Vater selten Ruhe, bis er die Erlaubnis erteilte, daß wir auch ohne ihn hinreiten durften.
Die Vorbereitungen zu solchen Ausflügen waren stets ziemlich umständlich. Für die Verpflegung einer solchen Menschenmenge in einer oft zwei Meilen entfernten Plantage, wohin alles von Negersklaven auf den Köpfen getragen wurde, ausgiebig zu sorgen, war keine Kleinigkeit. Drei Tage vorher schon stellten sich einige hundert Sklaven ein, um das Nötige abzuholen. Zum Ärger der Köche und der Eunuchenchefs, die für die gesamte Gesellschaft zu sorgen hatten, ging auf diesem Transport immer viel verloren und viel wurde verdorben, so daß man gezwungen war, regelmäßig doppelt so viel von allem mitzunehmen, als man eigentlich brauchte. Am besten standen sich dabei die Verwalter der besuchten Plantagen, die alles, was von den Mitgebrachten übrig blieb, in ihrem eigenen Nutzen verwenden durften.
Die Nacht vor dem Ausflug wurde von den meisten vor freudiger Erwartung schlaflos hingebracht. Am Abend schon hatte man die schneeweißen Reitesel, deren Schwänze eigens mit Henna rot gefärbt worden waren, inspiziert. Wer von den Damen (nämlich von den Sarari) keinen Reitesel besaß, borgte sich einen solchen bei seinen Bekannten und Freunden, oder er wurde von meinen Brüdern und den Eunuchen versorgt. Nicht selten aber mußte eine, die nicht rechtzeitig sich dieses Transportmittel verschafft hatte, ganz zu Hause zurückbleiben. Denn darum kümmerte sich der Vater nie; jeder blieb in dieser Beziehung auf sich selbst angewiesen.
Lag die Plantage, welche wir besuchen wollten, am Ufer des Meeres, dann gestaltete sich natürlich die Sache weit bequemer. Da brauchte niemals jemand aus Mangel an Transportgelegenheiten zu Hause zu bleiben; unsere Schiffe stellten dann immer eine hinreichende Zahl von Ruderbooten zu unserer Verfügung. Nicht minder kam der Wassertransport unserem Proviant zugute; ruhig im Boot gelagert, gelangte er natürlich besser ans Ziel, als wenn er an einer ganzen Anzahl von Ruhepunkten auf dem Landwege von den Sklaven rücksichtslos hin und her geworfen wurde.
Solche Ausflüge schienen nun ganz besonders bestimmt, der Liebe für allerlei Putz, welche die Orientalen einmal besitzen, Vorschub zu leisten. Da wurde alles aufgeboten, alles angewendet, damit man ja nicht hintereinander zurückbleibe. Und wenn einer Schönen das große Unglück passierte, daß die neue Garderobe, die sie für diesen Ausflug bestimmt hatte, nicht rechtzeitig fertig geworden war, dann zog sie es wohl vor, lieber einsam und allein sich von demselben ganz auszuschließen.
Halb sechs Uhr früh, unmittelbar nach dem Gebet, war in der Regel die bestimmte Zeit, zu der man aufbrach. Schon vorher konnte man in unserem Hofe ein wirres Durcheinander, ein tobendes Gemisch von Stimmen und Lärmen aller Art beobachten, die einen nervenschwachen Menschen hätten zur Verzweiflung bringen können. Zum Glück sind die Menschen dort mit selten kräftigen Nerven ausgestattet; die regelmäßige Lebensweise, die Freiheit von Sorgen und die herrliche Seeluft halten dieses Leiden von unseren Gestaden fern.
Der Verkehr auf unseren beiden Treppen stockt fortwährend; man ruft nach unten, man ruft nach oben, man schreit, man stößt sich nach Kräften. Unter den Sklaven werden derbe Schimpfwörter, schließlich hörbare Ohrfeigen gewechselt. Die seit einer Stunde schon gesattelten Tiere sind unruhig geworden und beginnen ihre angenehmen Eselsstimmen mit in dem allgemeinen Lärm ertönen zu lassen. Dazu bemühen sie sich ernstlich, einer Lieblingsneigung sich hinzugeben, nämlich ohne Rücksicht auf ihren reichen Schmuck und auf das reizende Sattelzeug sich auf der Erde zu wälzen; die sie beaufsichtigenden Sklaven haben alle Hände voll zu tun, um sie davon abzuhalten. Ungeduldige sind inzwischen auch schon aufgesessen.
Nachdem jeder sein Reittier im Hofe besichtigt hat, werden dieselben über die hohe Schwelle auf die Straße geführt und hier von dem Eigentümer bestiegen. Die zarten, schwächlichen Eunuchen sind ebenfalls beritten, während die stämmigeren Negersklaven zu Fuß nebenher laufen müssen. So beginnt denn der amüsanteste Ritt, den man sich nur denken kann. Tolle, aber meist harmlose Streiche werden unter sprudelndem Witz verübt, so daß man manches Mal vor Lachen Mühe hat, sich im Sattel zu halten.
Die schneeweißen Esel mit ihrem reichen Behang von Gold- und Silberplättchen, die bei jeder Bewegung angenehm aneinander klingen, mit den ziemlich hoch auf kostbaren Schabracken sich erhebenden Sätteln gewähren einen höchst malerischen Anblick. Nicht weniger heben sich unsere Fußläufer hervor mit ihren ausnehmend blank geputzten Waffen und ihren sauberen weißen Gewändern. Steigt die Sonne höher, dann hat jede vornehmere Dame einen solchen schwarzen Schnelläufer zur Seite, der neben ihrem Tier dahineilend mit einem großen aufgespannten Schirm seine Herrin gegen die zu große Sonnenglut zu schützen sucht. Andere Sklaven traben mit kleinen Kindern, welche rittlings auf ihren Schultern sitzen, dahin; etwas ältere Kinder, die aber doch noch nicht selbständig reiten können, werden je einem Eunuchen mit auf sein Pferd gegeben.
Die Stadt selbst mußten wir noch in der Dämmerung passieren und so lange hielt die ganze Gesellschaft sich immer eng beisammen. Aber sobald man sich im Freien befand, hörte jeglicher Zwang auf und jeder ritt nach seinem Belieben vorwärts. Umsonst bemühten sich die Eunuchen einen geschlossenen Zug herzustellen. Wer ein feuriges Tier unter sich fühlte, blieb immer nur ungern der Gesellschaft halber zurück und ließ die Eunuchen mit ihren feinen Stimmen rufen und schreien, soviel sie wollten. War man gemeinschaftlich in großer Schar, gerade wie auf Kommando, aufgebrochen, so traf man in verschiedenen größeren und kleineren Gruppen getrennt am Ziele ein.
Dort wurden wir von dem ersten und ältesten unserer Sklaven und, wenn der arabische Verwalter verheiratet war, von dessen Familie empfangen. Er selbst durfte sich als gesitteter Mann während der ganzen Dauer unserer Anwesenheit nicht sehen lassen.
Ganz nüchtern ritt man bei solchen Ausflügen immer von Hause weg und konnte sich nun nach der Ankunft sofort mit um so größerem Appetit an den bereitstehenden zahllosen schönen Früchten erquicken. Unmittelbar daran schloß sich die erste opulente Hauptmahlzeit, welche die Gesellschaft ganz wie zu Hause, je nach dem Range, in verschiedenen Gruppen einnahm. Nach dem Essen gingen alle nach Belieben auseinander und amüsierten sich nach Herzenslust; denn hier, wo man keine Zuschauer zu scheuen hatte, wo unter den herrlichen Bäumen höchstens das liebe Vieh sich tummelte, hier war man völlig unbeschränkt und es konnte jeder treiben, was ihm behagte. Nur zu den Stunden der Mahlzeiten und der Gebete sammelte sich die gesamte Gesellschaft wieder. Bei jedem Gebet ist ja eine Waschung nötig, und da man nicht überall Wasser auf der Insel fand, so mußte man schon deshalb nach Hause kommen.
Im Laufe der Tage sind bereits einige Einladungen von den benachbarten Gütern eingelaufen, und andere Nachbarinnen haben ihren Besuch angesagt. Einladungen wie Besuche galten immer unserer ganzen Familie; indes wurden die fremden Gäste ausschließlich von meinen älteren Geschwistern empfangen, und den Einladungen folgte, wer Lust hatte.
Wie man im schönen Süden leicht und allen Umständen abhold zu leben versteht, das beweisen diese unsere Massenausflüge. Unmöglich waren die nötigen Betten zu beschaffen; jeder, gleichviel ob hoch oder niedrig, legte sich einfach auf die vielen Decken seines Sattels zur Ruhe, und als Ersatz für die Kopfkissen (welche bei uns immer rund sind, ähnlich den französischen) schob er den Arm unter den Kopf.
Was bei solchen Gelegenheiten konsumiert wurde, spottet jeder Beschreibung. Ich habe schon von den Unmengen von Proviant gesprochen, welche Hunderte von Sklaven seit mehreren Tagen hinausgeschafft hatten. Nicht genug damit; unsere liebenswürdige Nachbarschaft ließ es sich nicht nehmen, alltäglich Gekochtes und Ungekochtes massenweise uns als Beweis ihrer guten Gesinnung zuzuschicken. In der Regel machten sich dann auch nachher allerlei Leiden bemerkbar, ähnlich den Weihnachtskrankheiten hier [in Deutschland].
Der alte gute Ledda, der Generalpächter unserer Zölle, bewies, obgleich er ein Banjan war, eine seltene Treue und persönliche Anhänglichkeit für unser gesamtes Haus; namentlich uns kleinen Kindern bereitete der grauköpfige Sternanbeter Freude und Vergnügen, wo es ihm nur möglich war. Immer zu seinen wie zu unseren Festtagen trug er Sorge, uns mit allerlei angenehmen und wunderbaren Dingen aus seiner indischen Heimat zu beschenken, vor allem schickte er stets allerlei Süßigkeiten und mehrere Körbe voll Feuerwerk (fetak). Sobald er nun erfuhr, daß wir aufs Land zu gehen beabsichtigten, beglückte er uns ganz besonders mit derartigen Gaben. Allabendlich hatten wir dann die Freude, die verschiedenartigsten Werke der geschickten indischen Pyrotechniker abbrennen zu können.
Sonst wurden die Abende durch das Anschauen der Spiele und Tänze der Neger, die im Garten und unter freiem Himmel stattfanden, ausgefüllt. Die Negertänze sind bei weitem nicht so häßlich und unschön, wie sie mancher Afrikareisende in seinen Büchern beurteilt; umgekehrt wollte auch mir anfänglich der europäische Tanz gar nicht gefallen und das ewige Drehen der Paare verursachte mir, selbst wenn ich ruhig auf meinem Stuhle saß, Schwindel.
Hindustanische Tänzer und Tänzerinnen wurden ebenfalls nicht selten auf die Plantagen hinausgenommen und mußten dann an den Abenden ihre Künste produzieren. Dieselben sind in ihrem Fache außerordentlich geschickt und werden, wenn sie auch nicht gerade so glänzend wie in Europa honoriert werden, ungeachtet ihres Aufwandes bei uns sehr bald wohlhabende Leute, so daß sie vergnügt nach ihrer Heimat zurückkehren können. Indessen stehen sie nur in geringer Achtung bei uns.
Solche Abende im Orient sind höchst romantisch. Man denke sich eine zahlreiche Gesellschaft, welche die verschiedensten Gesichtsfarben nebeneinander zeigt, elegant, aber höchst bunt und phantastisch gekleidet, in großem Kreise umherstehend, sitzend oder hockend, unter der die Ungezwungenheit der Südländer in herzlichem Lachen und harmlosem Witz sich laut äußert, und das alles im lauschigen Grün unter den herrlichsten Bäumen, von dem intensiven Lichte des Mondes der Tropengegenden bestrahlt. Man muß das selbst erlebt haben, sonst kann man sich kein Bild davon machen. Spät erst ging man auseinander und bestiegen die fremden Damen ihre Esel, um nach Hause zu reiten.
Eine drollige kleine Französin namens Claire, nebst ihren beiden wilden Brüdern im Alter von vierzehn oder fünfzehn Jahren, die Kinder eines französischen Konsulatsarztes, welche sehr gut Suahilisch sprachen, wurden häufig auf solchen Ausflügen mitgenommen und verstanden uns dann oft mit ihrem Gesang zu erheitern. Allgemeines Gelächter verursachte Claire eines Abends, als sie zum ersten Male bei uns schlief und sich uns nach europäischer Sitte im weißen Nachthemd zeigte. So etwas kennt man im Orient eben nicht, da man ganz so zu Bett geht, wie man am Tage angezogen ist, natürlich aber nur in Waschkleidern, nicht etwa auch in den schweren Gewändern von Samt oder Goldbrokat.
Wurde unser Aufenthalt etwas länger ausgedehnt, so kam auch unser Vater ab und zu, um uns zu besuchen, kehrte jedoch immer noch am Abend in die Stadt zurück. Reiter wurden dabei fortwährend im Gange erhalten, um eine ununterbrochene Verbindung zwischen uns und der Stadt herzustellen, also eine Art Post zu bilden.
Zur Erntezeit vermied man gern solche Ausflüge zu unternehmen, weil man dadurch die Sklaven zu sehr in ihrer Arbeit gestört haben würde. Denn die Gewürznelkenernte bricht so plötzlich und schnell herein, daß man Mühe hat, den ganzen Segen in der kurzen Frist, welche dazu gegeben ist, in gutem Zustande einzuheimsen. Auch die Reisernte muß immer schnell beendet werden, wogegen bei Zuckerrohr, Kokosnüssen, süßen Kartoffeln und den anderen Landesprodukten eine Verzögerung nicht so gefährlich ist. Das Vieh wird nie im Dienste der Landwirtschaft verwendet; landwirtschaftliche Geräte existieren fast gar nicht, nicht einmal der einfachste Pflug ist bekannt. Alles erfordert Handarbeit. Zum Umgraben des Bodens hat man Spaten; die Ähren des Reis werden mühselig mit gewöhnlichen, kleinen, geraden Messern büschelweis abgeschnitten. Der Herr oder die Herrin beteiligen sich in der Nelkenernte nicht selten an der Arbeit inmitten ihrer Sklaven, um dieselben dadurch zu höherem Eifer anzuspornen. Der Neger ist bekanntlich sehr arbeitsscheu und man muß ihn sehr scharf und beständig beaufsichtigen, wenn er wirklich etwas leisten soll. Eine solche fortwährende Kontrolle ist aber gerade bei der Nelkenernte vollkommen unmöglich. Da hilft man sich denn damit, daß man von jedem Sklaven täglich, je nach seinem Alter und nach seinen Kräften, ein gewisses Quantum Nelken verlangt. Wer mehr einbringt, erhält dafür besonderen Lohn; der Arbeitsscheuen, die ihre Pflichten vernachlässigen, wartet eine angemessene Bestrafung. Nur das Einbringen der Ernte verursacht also Mühe; daß man überhaupt einer Ernte entgegensehen kann, dafür braucht der Mensch sich nur wenig zu sorgen. Der Boden ist so außerordentlich fruchtbar, daß man keinerlei Düngung nötig hat; nur unbewußt bewahrt man denselben vor Aussaugung, indem man das Stroh auf dem Felde verbrennt.
Die Dauer unseres Aufenthalts auf einer Plantage wurde vom Vater genau festgesetzt; er bestimmte den Tag, an welchem wir Abends zwischen halb sieben und halb acht Uhr, also nach Einbruch der Nacht, uns wieder in der Stadt einzufinden hatten. Bei unserem Aufbruche erhielt die Familie des Verwalters passende Geschenke, die der Vater ausgewählt hatte, und unsere nächsten Nachbarinnen gaben uns gewöhnlich noch eine Strecke das Geleit. Zu unserer Begleitung schickte der Vater immer hundert bis hundertfünfzig Soldaten heraus, die neben dem langen Zug herliefen. Trotz ihrer Last an Waffen (alle trugen stets Gewehr, Schild, Lanze, Säbel und Dolch) vermochten sie doch mit unseren Reittieren gleichen Schritt zu halten.
Auch bei dieser Gelegenheit durfte das um 6 Uhr anbefohlene Abendgebet nicht verabsäumt werden. So machte die gesamte Gesellschaft irgendwo, gewöhnlich in Ngambo oder Mnasimodja (beide Orte liegen dicht vor der Stadt) Halt und ließ sich zum Gebet nieder. Jeder führte eine kleine, besonders rein gehaltene Matte mit sich, auf welcher er sein Gebet unter freiem Himmel verrichtete. War, wie es häufig geschah, durch Nachlässigkeit der Bedienten die Matte unterwegs verloren gegangen oder wohl gar zu Hause gelassen worden, dann ließ man sich als Ersatz eines der Riesenblätter des Moz-Baumes (Banane) holen; denn nur auf Pflanzenstoff darf man beten.
Endlich brach schnell die Dunkelheit herein; die große Menge von kolossalen Laternen wurden angezündet, wir bestiegen die Esel und zogen in fast märchenhaftem Glänze in die Stadt ein.
Emily Ruete
Memoiren einer arabischen Prinzessin
Band 1, Berlin 1886