1860 - Charles Andersson
Am Okavango
Botswana
Während meine Leute die Vorbereitungen zum Nachtlager trafen, hatte ich mit dem Häuptling des Dorfes, einem hübschen, intelligenten jungen Manne, eine Unterredung. Er äußerte zuletzt mir gegenüber, daß wir, wenn wir tüchtig ausschreiten wollten, den gesuchten Fluß in anderthalb Tagen erreichen könnten. Dies war eine höchst erfreuliche Nachricht, besonders, als er versprach, uns selbst dorthin zu geleiten. Ich legte mich für diesmal mit größerer Ruhe und in weit heitererer Stimmung zum Schlafe nieder, als ich dies seit vielen, vielen Tagen getan.
Am nächsten Morgen waren wir früh auf dem Wege. Gegen Mittag erreichten wir einen Omuramba, Ombongo genannt, den ersten wirklich periodischen Wasserlauf, den wir seit den letzten 160 Meilen getroffen hatten. An dieser Stelle war sein Lauf beinahe gerade nördlich. Wir fanden in seinem Bett mehrere Vleys [Wasserlöcher] voll sehr guten Wassers nebst verschiedenen natürlichen Quellen, die ersten, seitdem wir den Kalktuffboden verlassen hatten. Nach etwa anderthalbstündiger Rast setzten wir unsere Reise bis Sonnenuntergang fort und schlugen dann unser Nachtlager auf.
Der folgende Tag sollte endlich die Lösung des Problems bringen, welches seit so langer Zeit all mein Denken, all mein Dichten und Trachten gefesselt hatte; eine Lösung, die einen wichtigen Wendepunkt nicht nur für meine jetzige Reise, sondern für mein ganzes Leben bilden sollte. Es war also natürlich, daß mich die Ungewißheit bezüglich der wirklichen Beschaffenheit des Flusses, den ich morgen entdecken sollte, heute, am Vorabend dieser vielleicht sehr folgenreichen Entdeckung, mit nicht geringer Bangigkeit erfüllte. Mehrere Buschmänner, mit denen wir auf unserer Wanderung zusammengekommen waren, hatten ihn positiv als einen bloßen Omuramba bezeichnet, d.h. als eine Art von tief eingesenktem Tal, in welchem eine Reihe von nur periodisch mit Wasser gefüllten Vleys vorhanden wäre, wogegen andere versicherten, es sei ein wirklich permanenter Fluß, welcher von den Eingeborenen mit Kanus befahren würde, und der von einer Menge von Flußpferden, Fischen und Alligatoren bevölkert sei. Stellte sich die erstere dieser Aussagen als richtig heraus, dann waren all die großen, auf die Entdeckung dieses Stromes verwendeten Kosten, die vielen Entbehrungen, der große Aufwand an Mühe und Zeit nutzlos und rein weggeworfen.
Mit Tagesanbruch waren wir marschfertig; da aber eine rauhe und scharfe Morgenluft wehte, so hatte ich erst einige Schwierigkeit, die Führer vorwärts zu bringen. Nach etwa sechsstündigem angestrengten Marsche machten diese Buschmänner ganz plötzlich halt; ein jeder von ihnen zog zwei oder drei Pfeile aus seinem Köcher und verbarg dieselben aufs sorgfältigste zwischen den Bäumen. Als ich sie um Erklärung dieses auffallenden Gebarens fragte, erzählten sie mir einfach, die Ovaquangaris, deren Gebiet wir binnen weniger Stunden erreichen würden, seien eine gewissenlose Sorte von Menschen, welche, wenn sie sich stark genug glaubten, sich alles dessen, was ihnen gefiele, gewaltsam zu bemächtigen suchten; die von ihnen versteckten Pfeile seien neu und für einen Buschmann von einigem Wert, deshalb müßten sie dieselben verbergen. Sie warnten mich auch, ich möge auf der Hut sein, da jene Eingeborenen, deren Dörfern wir uns jetzt näherten, ein sehr trotziges und wildes Volk seien. Dies hatte ich allerdings schon öfter gehört; indessen konnte ich, wenn ich die gut gemeinte Warnung nicht in den Wind schlug, mich doch des Gedankens nicht erwehren, daß unsere plötzliche und unerwartete Ankunft bei ihnen weit eher Bestürzung und Schreck verursachen als eine feindliche Demonstration gegen uns hervorrufen würde.
Nach diesem kurzen Aufenthalt marschierten wir weiter. Noch waren wir nicht weit gekommen, als ich an dem fernen Horizont ganz deutlich eine dunkelblaue Linie wahrnahm. »Aha«, rief ich für mich, »in dem Tale, dessen Rand diese Linie ohne Zweifel bildet, ist zuverlässig etwas mehr als ein bloßer periodischer Wasserlauf.« Eine Minuten später unterschied ich eine mächtig ausgedehnte, ferne Wasserfläche und sah meine Voraussetzung somit auf das glänzendste bestätigt. Bei diesem herrlichen Anblick entfuhr mit ein lauter Ruf der Freude und der Genugtuung. Zwanzig Minuten später erreichten wir die Ufer eines wahrhaft prächtigen Stromes, welcher an dieser Stelle wenigstens sechshundert Fuß Breite hatte. Aller Wahrscheinlichkeit nach war es der Mukuru Mukovanjy der Ovambos, welcher, wie uns dieses Volk versichert hatte, nach Westen fließt. Indem ich es für ausgemacht hielt, daß ihre Aussage in dieser Beziehung richtig sei, hatte ich einige Zeit an dem Wasser gestanden, ehe ich meinen Irrtum gewahr wurde. »Beim Himmel«, rief ich plötzlich, »das »Wasser fließt ja nach dem Inneren des Kontinents zu, statt sich in den Atlantischen Ozean zu ergießen!« Einen Augenblick war ich über diese Entdeckung ganz betroffen. »Nach Osten!« fuhr ich in meinem Selbstgespräch fort; »welcher Strom kann denn dies wohl sein, unter dieser Breite und Länge? Der Tionghe? Nein; dieser Kanal allein ist für den Abfluß eines so mächtigen Wassers doch zu klein. Es ist also wahrscheinlich einer von den Hauptzuflüssen des Chobe, jenes mächtigen Stromes!« Diese Ansicht fand in den Aussagen der Eingeborenen Bestätigung. Dieselben nannten den Fluß in ihrer Sprache Okavango und behaupteten, derselbe gable sich in der Nähe von Libebe in zwei Arme, deren einer den eben genannten Tonghe bilde, während der andere sich in den Chobe ergieße. Bei reifer Überlegung aber mußte ich die Richtigkeit meiner Ansicht als auch die Aussage der Eingeborenen stark in Zweifel ziehen.
Da alle Dörfer und bebauten Ländereien der Ovaquangaris am nördlichen Ufer des Stromes lagen, so konnte man zu denselben nur mittels Kanus gelangen. Auf diese mußten wir warten; inzwischen wurden die Eingeborenen unserer Ankunft gewahr, welche, wie ich richtig vorausgesetzt hatte, einen allgemeinen panischen Schrecken hervorrief. Weiber und Kinder erhoben ein Jammergeschrei, und die Männer rannten umher, wie Tollhäusler sich gebärdend. Jedes Dorf oder vielmehr jede Hofstätte lag in Rufweite von der benachbarten, so daß sich die Nachricht von unserer plötzlichen Ankunft durch die ganze Gegend mit beinahe derselben Schnelligkeit verbreitete, als ob die Botschaft durch ein Telegramm angelangt sei.
Bald hatte sich am entgegengesetzten Ufer eine Anzahl Männer versammelt, und nachdem diese mit den mich begleitenden Buschmännern zahlreiche Fragen und Antworten gewechselt hatten, kam ein Kanu ans diesseitige Ufer, um die letzteren hinüber zu holen, wo sie über die mit ihnen gekommenen Fremden sogleich gründlich ausgefragt wurden.
Nach zweistündiger Unterredung mit unseren Führern schienen die Ovaquangaris einigermaßen befriedigt zu sein; denn nach Verlauf dieser Zeit kamen mehrere mit Männern angefüllte Kanus aus dem Rohr hervor und hielten gerade auf uns zu. Nachdem sie etwas unterhalb unseres Lagers gelandet waren, näherten sie sich, bis an die Zähne bewaffnet, mit großer Behutsamkeit. Da die Anzahl meiner Leute gering und dem Haufen nicht gewachsen war, so forderte ich unsere neuen Bekannten, nachdem ich einige Worte mit ihnen gewechselt hatte, auf, ihre Waffen abzulegen, um friedlich miteinander reden zu können. Bei ihnen war der Häuptling der umliegenden Gehöfte, ein auffallend hübscher Wilder mit verständigen und intelligenten Zügen. Alle Männer waren groß und wohlgebaut, reichlich mit Fett und Ocker eingerieben und die wohlhabenderen über und über mit eisernen Zieraten und Glasperlen behangen.
Die Buschmänner hatten uns mitgeteilt, daß dieses Volk einen Dialekt der Ovahereros spreche; ich hatte daher gehofft, daß unser Verkehr leicht und angenehm sein würde; allein ich fand bald, daß ich mich hierin getäuscht; denn wenn auch viele von diesen Eingeborenen etwas von der Damarasprache verstanden, so war ihre Mundart doch offenbar mit der der Ovambos identisch. Ungeachtet dieses ungünstigen Umstandes konnten wir ihnen doch bald begreiflich machen, daß der Zweck unserer Reise einzig der sei, ihr Land zu sehen und zu erforschen und daß wir vor allem nur von friedlichen und wohlwollenden Absichten gegen sie erfüllt wären.
Nachdem unsere gebrochene Unterredung einige Male gestockt hatte, stand der Häuptling auf und sagte, er werde, da wir wohl hungrig wären, zu seinem Werfte zurückkehren und uns einige Nahrungsmittel senden. Diese Versprechen nahm ich mit bestem Dank an, denn unsere kärglichen Vorräte waren beinahe ganz erschöpft. Doch blieb der versprochene Proviant bis zum folgenden Tage aus, wo wir vier oder fünf kleine Körbe voll Mehl, einige frische reife Melonen, mehrere Kürbisse und eine Kuh erhielten. Besonders angenehm waren uns die Früchte; denn wir hatten wirklich in den letzten zwei Monaten hauptsächlich nur von trockenem Elefantenfleisch gelebt. Der vornehmste Häuptling, gewissermaßen das Oberhaupt des ganzen Volkes, unter dem wir jetzt waren, Chikongo mit Namen, wohnte in beträchtlicher Entfernung südlich von dem Punkt, an welchem ich den Fluß zuerst berührt. Gleich am Tage unserer Ankunft am Okavango war ein Bote an ihn abgesandt worden, um ihn von unserem Eintreffen auf seinem Gebiet zu benachrichtigen und zugleich meinen Wunsch auszudrücken, mit Sr. Hoheit eine Zusammenkunft zu haben. Am Nachmittag des dritten Tages kam die Antwort auf diese Botschaft. Der Häuptling teilte den Wunsch, mich zu sehen und mit mir in seinem Werfte selber zu sprechen, indem er, wie er mir sagen ließ, nicht imstande sei, mich persönlich zu besuchen. Da mir wirklich sehr viel daran gelegen war, den Mann zu sehen, so entschloß ich mich sofort, seinem Begehren nachzukommen; als ich aber nach den geeigneten Transportmitteln für mich und meine Leute fragte, entgegnete man mir ohne alle Umstände, daß ich zu Fuß gehen müsse. Dazu war ich aber durchaus nicht aufgelegt und sagte den Boten, daß ich keineswegs willens sei, vor ihrem Oberhaupte in so bettelhafter Weise zu erscheinen. »Gut, da sind Kanus für Euch«, war die Antwort. »Ganz wohl«, erwiderte ich, »wenn Ihr mich nicht in einer angemessenen Weise an meinen Bestimmungsort schaffen wollt, so kehre ich zugleich um, und dann wird Chikongo über ein solches Resultat meines Besuchs in seinem Land sehr aufgebracht sein.« Über letztere Bemerkung lachten sie geradezu und erklärten mir kurz und bündig, daß, wenn auch Chikongo das Oberhaupt des ganzen Volkes sei, doch jedermann Gebieter auf seinem eigenen Grund und Boden und unumschränkter Herrscher seines Eigentums sei. Sicherlich war diese Unabhängigkeit eine sehr schöne Sache, zeugte aber von wenig Respekt vor dem Fürsten, dessen Einfluß auf seinen Stamm ich natürlich nun etwas geringer anzuschlagen begann. So war die Sache übrigens auch wirklich, und ein solches Verhältnis findet sich bei fast allen Häuptern größerer Stämme im südlichen Afrika. Heißt es, der und der Häuptling sei sehr mächtig, so ist dies wohl in Folge der Hilfe und des Anhanges der hervorragendsten und bedeutendsten Männer seines Volksstammes wirklich der Fall; vernachlässigt er aber letztere, so wird er ohne weiteres seinem oft selbst verschuldeten Schicksale, das häufig Ermordung ist, überlassen.
Doch ich kehre zu meiner Erzählung zurück. Meine entschiedene Sprache hatte dann endlich die Wirkung, daß mir zwei Kanus zugesagt wurden, welche am anderen Morgen ganz früh zu meiner Verfügung gestellt werden sollten. Ich war daher bei Tagesanbruch marschfertig, doch kamen weder Kanus noch Leute. Geduld ist eine Tugend, welche sich ganz besonders der Afrika-Reisende zu eigen machen sollte; diese wünschenswerte Eigenschaft fehlte mir aber im gegenwärtigen Augenblick, und voller Ärger schickte ich einen meiner Diener ab, die Männer zur Eile anzutreiben, mit der Drohung, daß ich, wenn sie mich zum besten hielten, wie schon erklärt, ganz entschieden ohne weiteres Warten sofort das Land verlassen würde. Um meinen Worten die Tat folgen zu lassen, befahl ich, die Ochsen herbeizuführen und die nötigen Vorbereitungen zur Rückreise zu machen. Da alle unsere Operationen vom andern Ufer deutlich wahrgenommen werden konnten, so hatte dies bald den gewünschten Erfolg. Rasch wurde eines von den versprochenen Kanus herbeigebracht, allerdings nur eines, und noch dazu ein schmutziges und enges, kleines Ding, welches höchstens meine wenigen Sachen, mich selbst und den Ruderer aufzunehmen vermochte. Ich war über die Unzuverlässigkeit der Eingeborenen sehr ärgerlich, da aber jeder Wortwechsel nur neue Verzögerung herbeiführen mußte, so machte ich möglichst gute Miene zum bösen Spiel und ging sofort »an Bord«. Der Bechuanenjunge Tom war mein einziger Begleiter; er schlug mit den Leuten des Häuptlings einen Weg über das Land ein, nachdem ein Punkt zu unserem Rendezvous verabredet worden war.
Mein Bootsmann war ein derber, handfester Bursche, aber ein eigensinniger Flegel. Der Fluß hatte einen ziemlich raschen Lauf, etwa zweieinhalb bis drei Meilen in der Stunde; wären wir also mit seinem Strom gefahren, so wären wir rasch vorwärts gekommen. Dies entsprach aber den Absichten des Bootsmannes nicht, sondern er führte, um, wie er sagte, die Flußpferde zu vermeiden, das Kanu durch Schilf und Untiefen und hielt an jedem Punkt, wo er einen Bekannten hatte, und rief die Bewohner von nah und fern laut herbei, den »weißen Mann« zu sehen. So kamen sehr häufig zwanzig bis dreißig Menschen von einem einzigen Gehöft herbei, um mich zu treffen, was mich lebhaft an eine Menagerie erinnerte, deren Besucher voller Neugier vor dem Käfig eines wilden Tieres stehenbleiben, um es anzustaunen. Dabei hatte ich günstige Gelegenheit, das schöne Geschlecht näher kennen zu lernen, fand aber die Frauen von ausnehmend häßlichem Äußeren, untersetzt, eckig, von plumper Gestalt, mit Bulldoggenlippen und breiten, platten Gesichtern. Selbst ohne den Firnis von Fett und Ocker, welcher nach Meinung aller Wilden den Körper so sehr ziert und verschönt, wären die meisten der Frauenzimmer vollkommen häßlich gewesen; mit ihren krausen, wolligen, in kleinen, wirren Flechten in die Höhe stehendem Haar würden sie bei etwas belebteren und ausdrucksvolleren Gesichtszügen treffliche Modelle für die Furien abgegeben haben.
Ungeachtet dieser kleinen Verdrießlichkeiten machte mir die Fahrt viel Vergnügen. Nachdem ich so manche Jahre die ewigen Steppen des Damara- und Namaqua-Landes durchstreift hatte, konnte mir der Anblick einer solchen Wassermasse nur sehr willkommen sein, und da ich in meinem Geburtsland von Kindheit an mich auf Flüssen und Seen erster Größe tüchtig herumgetummelt hatte, so war eine Ruderfahrt auf diesem wahrhaft schönen Strome ein hoher Genuß für mich. Sein Lauf war an diesem Punkt auffallend gerade, nur hier und da von kurzen Windungen unterbrochen, während seine Breite nicht viel unter neunhundert Fuß betrug. An manchen Stellen tauchten kleine Inseln - die Lieblingsstellen von Flußpferden und Alligatoren - aus seinen Fluten empor, welche sämtlich von einem wenigstens dreihundert Fuß breiten Kanal von klarem, tiefem Wasser an der einen oder der anderen Seite eingesäumt waren. Die anliegende Landschaft war nicht gerade entzückend, aber im ganzen recht hübsch und sehr heiter; manche Punkte präsentierten sich selbst ganz pittoresk. Die oberen Partien der Talwände waren mit hohen, dunkel belaubten Waldbäumen besetzt, welche von der heller gefärbten Vegetation der unteren Abhänge angenehm abstachen, indem ausgedehnte, hier und da von mächtigen wilden Fruchtbäumen, Gruppen von Akazien etc. unterbrochenen Kornfelder sich lachend ausbreiteten. Mit sehr wenigen Ausnahmen zeigte sich nur das nördliche Stromufer bebaut, obschon, wie ich glaube, nicht geringere Bodenfruchtbarkeit, vielmehr Furcht vor feindlichen Einfallen Veranlassung ist, daß das andere Ufer weniger Anbau zeigt. Der Untergrund war stark eisenschüssiger Kalktuff, welcher indes nur an wenigen Punkten hart am Ufer zutage trat, wo das anstehende Gestein durch das Wasser in größerer oder geringerer Mächtigkeit entblößt schien. Diese Klippen waren überall von üppig wuchernden Wasserpflanzen bedeckt, welche in anmutigen Gewinden über dem die Felswände unterwaschenden Strom hingen, der sie mit leisem Geplätscher bespülte. Größeren Reiz noch erhielten viele Stellen des Ufers durch große Mengen von Wasservögeln, namentlich von wilden Enten und Gänsen; eine Art der letzeren fiel mir wegen ihrer außerordentlichen Größe auf, indem sie, aufrecht stehend, soviel ich in der Entfernung beurteilen konnte, wenigstens vier Fuß hoch waren, während ihr Leib so groß wie der eines tüchtigen Terrierhundes erschien. Auch an Fischen ist der Strom sehr reich, zu deren Fang die Eingeborenen sich verschiedener Mittel bedienen. Die Ähnlichkeit der von ihnen angewendeten Fischerkünste mit denen, welche den nordeuropäischen Fischern eigentümlich sind, überraschte mich sehr.
Spät nachmittags landeten wir und schlugen unser Nachtlager unter einer schönen Sykomore auf, welche, in fünf Fuß Höhe über dem Erdboden gemessen, fünfundzwanzig Fuß im Umfang hatte. Eine schlechtere Stelle für das Biwak hätten wir nicht wählen können, obgleich in diesem Fall von einer Wahl eigentlich nicht die Rede sein konnte; denn wenn uns der Stamm einigen Schutz gab, so wirbelte doch der Wind in dieser kalten, stürmischen Nacht widerwärtig um den Baum herum, so daß ein Luftstrom an unseren Rücken nieder und ein anderer an unseren Beinen in die Höhe fuhr. Um unsere unbehagliche Lage noch unangenehmer zu machen, gelang es uns nicht, auch nur ein Stückchen Brennholz zu erlangen, und unser schuftiger Bootsmann regte keinen Finger, uns zu helfen, bis ich ihn mit Gewalt dazu nötigte. Etwas grobes Mehl und warme Suppe, welche uns die Bewohner eines nahe liegenden Dorfes brachten, bildeten unser Abendbrot, nach dessen Genuß wir uns sogleich schlafen legten.
Am folgenden Morgen waren wir früh auf; man machte uns aber die ganz unerwartete Mitteilung, daß wir erst Chikongos Erlaubnis einholen müßten, um Weiterreisen zu können. Da nun dessen Residenz noch weit entfernt war, so eiferte ich heftig gegen dies Hindernis, und es gelang mir auch, nach etwa anderthalbstündigem Aufenthalt unseren Weitermarsch antreten zu können.
Zwischen zehn und elf Uhr vormittags erreichten wir unseren Bestimmungsplatz; doch wurde uns die Erlaubnis, am Dorfe zu landen, vorläufig versagt. Während wir auf nähere Nachrichten warteten, bereitete ich mit Toms Beihilfe ein leichtes Frühstück, welches wir kaum genossen hatten, als wir die Weisung erhielten, vor dem Häuptling zu erscheinen. Nach einem Wege von etwa fünf Minuten kamen wir zu dem Dorf, einem äußerst schmutzigen, armselig und elend aussehenden Neste, welches aus einer Menge niedriger, bienenkorbähnlicher, auf einem engen Raum zusammengedrängter Hütten bestand; eine jede dieser letzteren war rings durch vertikale, aus dünn gespaltenem Holz angefertigte Matten umgeben und von der Hütte des Nachbarn getrennt. Diese Matten waren ganz von derselben Art, wie sie die Landleute im nördlichen Schweden anfertigen, um Körbe daraus zu machen. Auch die zu Beratschlagungen und Versammlungen bestimmten Plätze waren auf dieselbe Weise eingezäunt und voneinander getrennt. Das ganze Dorf war von einem festen Palisadenzaun umgeben. Überall wucherten fettes Unkraut und hohes Gras, und ein für meine Aufnahme bestimmter Platz war soeben erst von dieser üppigen Vegetation befreit und bei meiner Ankunft schon von der in großer Anzahl versammelten Elite der Bewohner in dichtem Gedränge umgeben.
Nachdem wir einige Minuten gewartet hatten, kam ein großer, ziemlich hagerer, jedoch einnehmend aussehender Mann auf uns zu: dies war Chikongo, der Häuptling. Weniger mit Flitterstaat behangen als die meisten seines Gefolges, hatte er eine mächtige Schnur schöner Glasperlen um den Hals, den gewöhnlichen Schmuck der wohlhabenderen Klasse seiner Landsleute, welcher durch das beständige Einreihen des Körpers mit Fett und Eisenocker zu einer festen, kompakten Masse geworden war Um die Oberarme trug er aus der von Reisenden häufig erwähnten wertvollen Muschel angefertigte Armringe; an seinem Gürtel hingen mehrere hübsche Dolchmesser von einheimischer Arbeit, während sein ganzer Körper von Ocker und Fett tropfte. Einer der mir von Chikongo gesandten Männer sprach die Betschuanensprache fließend, und da mein Diener Tom ein geborener Betschuane war, so bestand keine besondere Schwierigkeit, Chikongo den Zweck meiner Reise zu erklären und ihm meine Bedürfnisse mitzuteilen. Er hörte mich geduldig an und machte nur wenig Gegenbemerkungen; als die Unterhaltung einige Augenblicke ins Stocken geraten war, brach er plötzlich ab und sagte: »Jetzt seid Ihr wahrscheinlich hungrig und müßt essen; nachher können wir ausführlicher miteinander reden. Es tut mir von Herzen leid, daß ich Euch nicht so aufnehmen kann, als ich wohl möchte. Ehe die Makolos kamen und mir mein Vieh raubten, war ich reich und lebte gut; jetzt kann ich Euch nur als ein armer Buschmann willkommen heißen.« Dies war nur zu wahr.
Wie schon bemerkt, ist der Okavango an Fischen der mannigfaltigsten Art außerordentlich reich. Während meines im ganzen doch sehr kurzen Aufenthaltes an seinen Ufern sammelte ich zwanzig verschiedene Spezies und würde, obgleich mir die geeigneten Mittel zu ihrer Konservierung nur in beschränktem Maßstab zu Gebote standen, jedenfalls die doppelte Zahl hätte sammeln können, wenn ich genügend Zeit gehabt hätte. Sämtliche von mir entdeckten Fischarten sind nicht nur eßbar, sondern im hohen Grade schmackhaft; einige von ihnen würden den Gaumen selbst des verwöhntesten Feinschmeckers vollständig befriedigen. Zahlreiche Eingeborene beschäftigen sich eifrigst mit dem Fischfang und wenden verschiedene einfache, aber sinnreiche und äußerst wirksame Vorkehrungen dazu an. Indessen werden nur wenig Fische im Strome selbst gefangen; die größten Züge werden in den unmittelbar an seinen Ufern befindlichen, durch sein jährliches Austrocknen gebildeten Untiefen und Lagunen gemacht. Die beste Jahreszeit zum Fischfang beginnt nämlich um die Zeit, zu welcher der Okavango seinen höchsten Wasserstand erreicht, d. h., sobald er aufgehört hat zu ebben und die früher erwähnten temporären Lagunen oder Ufersümpfe zu verschwinden beginnen. Die Ovaquangaris bedienen sich, soweit ich weiß, zum Fischfang nicht der Netze, sondern sie wenden verschiedenartige Fallen, besonders aber eine Einrichtung an, welche man nicht unpassend »Fischgärten« nennen kann. Diese Fisch- oder Wassergärten sind gewisse, für den Fischfang besonders günstige Stellen im Wasser, welche in folgender Weise eingeschlossen oder umzäunt werden: Man sammelt Rohr- oder Schilfstengel von einer der Wassertiefe an der ausgewählten Stelle entsprechenden Länge, bindet sie zu Bündeln zusammen und schneidet sie an beiden Enden gerade ab, legt sie dann in einzelnen Lagen flach auf den Boden und heftet oder näht sie wie gewöhnliche Matten, doch weniger sorgfältig, zusammen. Auf die Länge oder vielmehr Breite dieser Matten kommt es nicht an, da sie sich nach Bedürfnis leicht verlängern oder verkürzen lassen. Ist der Platz für den Fischfang ausgewählt, so bringt man dort eine Anzahl dieser Matten in vertikaler Stellung ins Wasser und stellt sie in Form eines Kreises oder Halbkreises oder aber einer geraden Linie zusammen, wie es die Umrisse der einzuschließenden Untiefe oder Lagune erfordern. In bestimmten Zwischenräumen spart man drei bis vier Fuß weite Öffnungen aus, welche die aus bienenkorb- oder reusenähnlich zusammengeflochtenem Rohr bestehenden eigentlichen Fallen enthalten. Der Durchmesser der letzteren an ihrer Mündung richtet sich nach der Tiefe, bis zu der sie versenkt werden sollen; sie werden mit ihrer unteren Seite auf dem Grund des Wassers gehörig befestigt, während ihre obere Seite gewöhnlich auf gleichem Niveau mit dem Wasserspiegel liegt oder etwas über denselben hervorragt. Schließlich werden diese sinnreichen Fallen durch Gras, Moos und Wasserpflanzen, die man über und unter ihnen anbringt, nachlässig versteckt.
Auch Alligatoren und Flußpferde sind in diesem Strom häufig; doch sind die Tiere infolge des lebhaften, ununterbrochenen Verkehrs auf demselben sehr vorsichtig und außerordentlich scheu, folglich sehr schwierig zu beschleichen. Mitunter gelingt es den Eingeborenen, ein Hippopotamus mittels ihrer Wurfspeere zu töten; doch sind sie nichts weniger als kühne Jäger, denn sie weichen diesen allerdings furchtbaren Tieren im Wasser gern aus. Ebenso kommen auch Fischotter im Okavango vor, doch, wie ich glaube, nur eine Spezies.
Andersson, Charles John
Der Okavango-Strom; Entdeckungsreisen und Jagdabenteuer in Südwest-Afrika Leipzig 1863
Abgedruckt in:
Keller, Ulrike (Hg.)
Reisende in Südafrika 1497 – 1990
Wien 2000