1892 - Oskar Baumann
Ein Marschtag im Massailand
Schon lange vor Tagesanbruch kam in die schlummernde Karawane Leben. Es waren die Eseljungen, die vom diensthabenden Unteroffizier geweckt wurden, um das mühsame und langwierige Geschäft der Bepackung der widerhaarigen Thiere zu besorgen. Unter dem wahnsinnigen Geschrei ihres Aufsehers, Mabruki Wadudu, eines alten Bekannten von der Meyer'sehen Expedition, fingen sie die Thiere ein, legten ihnen die mit Bananenlaub gefüllten Polster und die nach Massaiart genähten ledernen Tragsättel mit den Lasten auf. Sobald ein zartrother Streif sich am östlichen Himmel zeigte, schlug der Trommler die Tagwache und Mzimba begann die Lasten zu vertheilen. Während ich eine Tasse Cacao und einen kleinen Imbiss zu mir nahm, wurde mein Zelt abgebrochen, dann gab ich durch einen schrillen Pfiff das Zeichen zum Abmarsch.
Den Vortrab bildete Mkamba mit 12 Askari, stets denselben Leuten. Bei ihm befand sich der eingeborene Wegweiser, der manchmal freiwillig, öfter gezwungen und nicht selten an der Kette marschirte. Denn ich konnte, besonders in weglosen, wasserarmen Gegenden, das Wohl und Wehe meiner Karawane nicht von den Launen eines Wilden abhängig machen der, wenn er schliesslich nach einigen Tagen beschenkt wurde, vergnügt nach Hause zurückkehrte. Mkamba wurde stets von mir über die einzuschlagende Richtung aufgeklärt, die Details des Weges überliess ich seinem Ermessen. Er hatte ferner auf etwaige Feindseligkeiten der Eingeborenen scharf zu achten und war für Beseitigung von Marschhindernissen, wie Dorngestrüpp u. s. w., verantwortlich. Seine Leute waren mit Beilen und Waldmessern ausgerüstet.
Etwa 100 Schritt hinter dem Vortrab folgte die Karawane, deren Spitze der Fahnenträger Askari Kipishi bildete, ein vielgereister Mann aus Mtangata, der sein keineswegs leichtes Amt mit besonderem Geschick versah. Von ihm hing es nämlich ab, ob die Karawane geschlossen oder lose marschirte; lief er zu sehr, so kamen die Leute hinten nicht nach, ging er zu langsam, so trat ein schleppendes Tempo ein, welches für Träger sehr ermüdend ist. Diese folgten, so ziemlich stets in derselben Reihenfolge in langer Linie dem Fahnenträger, zwischen ihnen einzelne Askari, welche für die Marschdisziplin sorgten. Ich hielt nämlich strenge darauf, dass die Karawane immer geschlossen marschirte; Niemand durfte in der Eintheilung stehen bleiben oder sich gar zur Rast niederlassen, dazu waren zwei Ruhepausen da, die während jedes Marsches gehalten wurden. Der Marschdisziplin war alles, Männlein und Weiblein, deren es, wie wir sehen werden, meist gar nicht wenige in der Karawane gab, unterworfen und Zuwiderhandelnde erhielten unfehlbar Hiebe.
Am Ende der Karawane folgte ich mit meinem »Stabe«, d. i. den Leuten, welche die wissenschaftlichen Instrumente trugen, den Boys, Köchen und dem Eseljungen des Reitesels, den ich stellenweise benutzte. Selbstverständlich war ich ununterbrochen mit topographischen Aufnahmen beschäftigt, die ich nach langjähriger Uebung halb unbewusst ausführe. Hinter mir schwankte das eine Kameel das mir noch geblieben - zwei waren in Tanga gestorben - und tönte das wilde Geschrei der Eseltreiber und das noch tollere Wiehern der Grauthiere. Den Schluss bildete Mzimba mit 15 Askari, ebenfalls stets denselben Leuten. Er war verantwortlich, dass Niemand, der zur Karawane gehörte, zurückblieb. Auch er musste die Augen tüchtig offen halten, denn vielfach und besonders später als wir Rindvieh mittrieben, waren die Angriffe der Eingeborenen gegen das Ende der Karawane gerichtet. Das war auch mit ein Grund, warum ich selbst mich näher an demselben aufhielt.
Sobald die Sonne nahe am Zenith war, begann Mkamba sich nach einem Lagerplatz umzusehen. In Steppen und unbewohnten Gegenden handelt es sich vor Allem um genügendes Wasser und Brennholz, waren diese gefunden, so konnte ein Platz leicht bestimmt werden. In bewohnten Ländern lagerten wir meist in Dörfern.
Der Fahnenträger stiess seine Flagge an der Stelle in die Erde, wo das Lagerzelt errichtet werden sollte. Trommler und Hornist liessen ihre Klänge ertönen und alles athmete erleichtert auf: für heute war's wieder überstanden. Ein Theil der Askari schlug rasch mein Zelt auf oder erbaute, falls keine Negerhütte Schatten bot, in aller Eile eine »Kibanda«, eine Zweighütte mit Grasdach, die einen weit angenehmeren Aufenthalt während des Tages bot als das Zelt. Die übrigen Askari schichteten die Lasten, Munitionskisten, Blechbüchsen mit Pulver, Tauschwaaren und Provisionskisten sorgfältig auf und schlugen das Lastenzelt.
Die Jungen hatten inzwischen das Zelt in Ordnung gebracht und in der Kibanda den Tisch gedeckt, der Koch den Mittagsimbiss fertig gestellt. Bei dieser, wie bei allen Mahlzeiten hielt ich darauf, dass die Hilfsquellen, welche das Land bot, möglichst vollständig ausgenutzt, und auch möglichst gut gekocht wurde, da ich der Ansicht huldige, dass eine gute Mahlzeit sicherer vor Fieber schützt als eine Dosis Chinin oder Arsenik. Dafür, dass Reinlichkeit und Ordnung in der Küche herrschte, sorgte die brave Kibibi, die dortselbst als Alleinherrscherin regierte.
Die Träger hatten sich inzwischen ebenfalls Laubhütten gebaut und begannen ihre Lebensmittel abzukochen. Dies geschah nach Lagergenossenschaften, Kambis, deren jede einen Aeltesten, den Mkubwa ya Kambi, hatte. Die verschiedenen Landsleute, die Manyema, Wadigo, Wabondei, Wasegua, Wassegeju,Wasaraino und Wanyamwesi, die Leute von Tanga, Mtangata, Pangani, Bweni und Bagamoyo, die Sansibariten und Sudanesen sondern sich da von einander ab, und bilden kleine geschlossene Kreise.
Während ich Nachmittags damit beschäftigt war, meine Aufnahmen zu ordnen und zu ergänzen, sowie ethnographische, linguistische und andere Studien zu machen, waren die Askari darauf bedacht, das Lager gegen einen nächtlichen Angriff zu befestigen.
In einem Dorf war das verhältnissmässig einfach, da mittelafrikanische Siedelungen sehr häufig ohnehin mit Dornverhauen oder anderen Schutzwehren umgeben sind. Im Busch musste jedoch stets die »Boma«, der Stachelzaun, errichtet werden. Alle Mann hackten dann Zweige von den dornigen Akazien und thürmten dieselben im Kreise um das Lager so hoch auf, dass ein Darüberspringen unmöglich war. Solche Massregeln mögen übertrieben und unnütz erscheinen, aber Sorglosigkeit hat in Deutsch-Ostafrika, wie ich glaube, gerade genug schwere Niederlagen bereitet, sodass ein wenig zuviel Vorsicht nichts schaden kann.
Gegen 5 Uhr Nachmittags versammeln sich die Kambi-Aeltesten bei Mzimba und erhalten »Poscho«, Proviant. Die mitgebrachten oder von den Eingeborenen erworbenen Nahrungsmittel hat dieser vor sich aufgehäuft und giesst jedem Aeltesten mit der Kibaba, einer Holzschüssel, soviel Portionen, als er Leute vertritt, in ein ausgebreitetes Tuch. Dieses sogenannte »Kibaba-system wird von Arabern und Swahili stets ausgeübt und war auch bei älteren Reisenden üblich, während jetzt Europäer fast stets das »Mikonosystem« verfolgen, d. h. den Leuten so und so viel Armlängen (Mikono) Baumwollenzeug geben, mit welchen sie eine bestimmte Anzahl Tage ausreichen müssen.
Schon auf der Usambara-Expedition habe ich mit Erfolg das Kibabasystem benutzt, welches ungleich billiger und praktischer ist. Bei der Massai-Reise, wo ich oft auf Monate Proviant für die Mannschaften mitnehmen musste, wäre das Mikonosystem geradezu ein Unding gewesen. Dasselbe verdankt seinen Ursprung hauptsächlich der Abneigung vieler Europäer, für die Verpflegung ihrer Leute zu sorgen. Sie geben denselben ihre Mikono und überlassen es ihnen, sich Nahrung einzukaufen. Auf grossen Karawanenstrassen mag dies ja ganz bequem sein, bei Forschungs-Expeditionen hat es jedoch seine sehr grossen Nachtheile. Vor Allem haben viele Leute garnicht genug Einsicht, um mit ihren Tauschwaaren sparsam umzugehen. Sie verprassen die erhaltenen Mikono gleich nach Empfang und müssen dann bis zum nächsten Poscho-Tage hungern oder bei den Eingeborenen mausen. Dabei kann der Reisende seinen Leuten nicht verbieten, das Lager zu verlassen und unter den Vorwand Nahrung einzukaufen, weit abseits umherzuschweifen, was auf die Disziplin schädlich einwirkt und in feindlichen Gegenden geradezu verhängnissvoll werden kann. Ferner ist das Mikonosystem eine Quelle fortwährender Unzufriedenheit. Denn weiter im Innern ist das Baumwollzeug mehr werth, und der Reisende sieht sich veranlasst, die Zahl der Mikono herabzusetzen, was stets Stürme der Entrüstung, nicht selten Desertionen veranlasst. Der Mann dagegen, der vom ersten bis zum letzten Reisetag seine Kibaba, Lebensmittel, erhält, an welchen er sich satt essen kann, ist stets zufrieden und kümmert sich wenig darum, ob der Expeditionsleiter, der für ihn eine Art Vorsehung ist, sie billig oder theuer erworben hat. Jagd- und Kriegsbeute, sowie die reichen Geschenke der Inlandhäuptlinge, kommen direkt der Expedition zu Gute, während sie beim Mikonosystem oft geradezu schädlich wirken. Denn wenn der Mann auch im Ueberfluss schwelgt, so wird er doch seine gewohnten Mikono verlangen und diese auf zwecklose Weise durchbringen, was zu vielfachem Unfug Veranlassung giebt.
Zur Poschozeit werden auch die Kranken von dem dazu bestimmten Askari vorgeführt und so gut als möglich von mir behandelt. Vor Sonnenuntergang, kurz bevor ich mein Nachtmahl einnehme, treten die Askari an und machen etwa eine halbe Stunde Gewehrgriffe. Dann wird die Wache für die Nacht abgetheilt. Während der ganzen Reise stellte ich allnächtlich vier Wachtposten auf, die unter kriegerischen Verhältnissen auf sechs und acht verstärkt wurden. Ununterbrochen riefen dieselben mit lauter Stimme die arabischen Zahlen, das beste Mittel, um sich wach zu erhalten. Wenn das Wasser entfernt liegt, so ziehen schon während der Wachabtheilung kleine Trupps von Leuten mit Gefässen aus, um für die Nacht und den nächsten Morgen Wasser zu schöpfen. Denn sowie es dunkel geworden, schlägt der Trommler den Zapfenstreich und ruft die Befehle für den nächsten Tag, vor Allem ob marschirt wird oder nicht, aus. Dann darf Niemand mehr hinaus und das Lager verstummt allmählich.
Eine Weile noch flüstern einzelne Gruppen bei den glühenden Lagerfeuern, doch bald sinkt alles in tiefen Schlaf. Eintönig erschallen die Rufe der Wachtposten um das Lager, draussen jedoch werden die Stimmen der Wildniss laut. Die Hyänen heulen und lachen in widerlicher Weise, manchmal ertönt ein mächtiger Ruf: das Gebrüll des Löwen. Doch trotz allem Lärm schläft man schliesslich ein, bis das Rasseln der Trommel am nächsten Morgen zu neuer Thätigkeit ruft.
Man darf allerdings nicht glauben, dass solch regelmässiger Dienstgang gleich von Anfang an durchführbar ist. Erst herrscht unglaubliche Unordnung, die ungeübten Leute marschiren schlecht und sind nicht vom Fleck zu bringen, im Lager entwickelt sich ein unendlicher Wirrwar. Die beiden Hauptmittel des Expeditions-Chefs: Geduld und Kurbatsch bringen täglich mehr Ordnung in das Chaos, doch braucht es immerhin fast einen Monat bis Alles im Gange ist und Jeder seine Thätigkeit genau kennt. Der eigentliche Lohn für die Mühen der ersten Zeit tritt aber nach mehreren Monaten ein: dann geht alles wie geölt, so dass die Leute selbst ihre Freude daran haben und der Kurbatsch, welcher anfangs täglich viel zu thun hatte, verlässt nur selten mehr seinen Ehrenplatz im Gürtel Mzimba's.
Baumann, Oskar
Durch Massailand zur Nilquelle
Berlin 1894