Reiseliteratur weltweit

Geschichten rund um den Globus

1883 - Joseph Thomson
Wie macht man den Massai einen kleinen weißen Jungen?

In Ngare Kidenoi musste ich unaufhörlich als grosser Leibon oder Medizinmann auftreten, welcher Gewalt über Leben und Tod besitzt; diese Stellung bewahrte mich vor mancher Störung und Unruhe, wenn ich auch noch immer genug davon zu leiden hatte. Oft setzte mich dieser Ruf einer lächerlichen Verlegenheit aus. Eines Tages z. B. erschien ein reicher alter Massai-Herr bei mir mit einem jungen und sehr hübschen Weibchen. Mir zuwinkend (nach Massai-Art) teilte er mir mit, er heisse Sadi und habe mir etwas Wichtiges zu sagen. Neugierig was denn wohl los sei, lud ich ihn höflichst in mein Zelt und verschloss die Tür. Der alte Herr sah ganz wichtig aus, die junge Dame verschämt und zimperlich, Sadi lächelte und mich überkam ein ungemütliches Gefühl, ob wohl der Massai daran denke, mir seine Frau überlassen zu wollen. Er erzählte mir sodann, dass er von meiner persönlichen Erscheinung ganz ausnehmend entzückt, von meiner Farbe aber hingerissen sei und dass er von seiner Frau auch gestehen dürfe, dass sie einfach in mich verliebt sei. Hier darf man sich vorstellen, dass wir beide erröteten, als unsere Blicke sich begegneten. Da sie keine Geheimnisse voreinander hätten, so hätten sie sich gegenseitig ihre Bewunderung meiner Person eingestanden und dass es doch gar zu schön sein würde, einen kleinen weissen Jungen zu besitzen, der mein Ebenbild wäre. Daraufhin seien sie zu dem Schluss gekommen, dass, weil ich ein grosser Leibon sei, der alles vermöge, es für mich ein Leichtes sein würde, ihnen eine Medizin zu geben, welche zu dem gewünschten Resultat führe.
   Man kann sich vorstellen, wie es mich bei diesem aussergewöhnlichen Anliegen prickelte, indessen gelang es mir doch, meine Haltung zu bewahren und dem alten Herrn mit aller schuldigen Würde zu antworten. Ich erklärte ihm also, dass ich über solche Dinge keine Gewalt besässe, dass dieselben ganz in der Hand von "Ngai" lägen und dass er zu ihm beten müsse um einen solchen Segen wie ein kleines weisses Kind. Der alte Herr sah dies nicht recht ein, als er aber zweifelnd drein schaute und die Dame mit vielem Interesse ihre Zehen musterte, wurde ich unruhig. Sie antworteten, mein Vorschlag sei ja ganz gut, aber in einem Falle dieser Art hätten sie mehr Vertrauen zu mir. Sie hätten Rinder und Esel, welche sie mir schenken wollten, wenn ich ihnen zu willen wäre; wenn ich es aber nicht täte, so würden sie mich für einen schlechten Menschen halten, und seine Frau würde mir das sicherlich nie vergeben. Die Sachlage wurde allmählich zu lächerlich und so willigte ich zuletzt ein, sie anzuspucken, und tat dies um so kräftiger und freigebiger, als sie meinem Speichel königliche Tugenden beilegten. Ganz entzückt und geehrt über diese besondere "Salbung", strahlten ihre Gesichter vor Freude, verrieten aber doch noch das Verlangen nach einer besondern Medizin. Zuletzt langweilte mich ihre Hartnäckigkeit, und da mir selber gar nicht wohl dabei zumute war, so braute ich ihnen ein Brausepulver von Eno als ein spezifisches untrügliches Mittel. Sie schlürften das aufbrausende Getränk in gespannter Erwartung, jedoch mit Furcht und Zittern, hatten aber immer noch geheime Zweifel, ob das verheissene Resultat auch zur Gewissheit würde. Unglücklicherweise hatte ich kein Exemplar von Eno's Prospekten zur Hand, sonst würde ich ihnen zu ihrer vollständigen Befriedigung bewiesen haben, dass sein Getränk niemals selbst bei noch erstaunlichere Proben versagt habe, wie dies ja durch die verschiedensten Zeugnisse klar belegt würde. Nachdem ich sie dann noch einmal zum Zeichen meines guten Willens über und über bespuckt hatte, zeigte ich ihnen höflich die Tür, nicht ohne meiner lieblichen Freundin zuvor einige niedliche Perlen als Unterpfand für den zu erwartenden kleinen weissen Jungen zu verehren. Dann sagte ich ihnen Lebewohl, trat in mein Zelt zurück und gab meiner überquellenden Laune etwas Luft durch einige schottische Tänze und herzliches Gelächter, worüber schliesslich Songoro, im Glauben ich sei närrisch geworden, ganz unruhig wurde.

Thomson, Joseph
Durch Massai-Land - Forschungsreise in Ostafrika
Leipzig 1885

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