1883 - Joseph Thomson
Zusammentreffen mit den Massai
Wir waren jetzt voller Erwartung, zu hören, welchen Empfang die Massai uns bereiten wollten, doch erst am Ende des dritten Tages verlautete etwas Sicheres darüber.
Einige Massai-Frauen, welche zu Kibonoto Lebensmittel von den Wadjagga eingekauft hatten, kamen bei ihrer Rückkehr in unser Lager. Sie betraten es in einem affektierten tanzartigen Schritte, unter eigentümlichen Körperbewegungen, immerfort eine Begrüssungsformel singend. Jede trug ein Bündel Gras zum Zeichen der friedlichen, wohlwollenden Gesinnung in der Hand. Beim Anblick Sadi's mit seinem ehrwürdigen Äussern und gewinnenden Betragen hüpften sie zu ihm heran, ergriffen seine Hand und sangen weiter, ihren Körper in seltsamer Bewegung hin- und herwiegend. Die Leute hatten sich versammelt, um dieses für sie neue und ungewohnte Schauspiel zu sehen und zu hören und brüllten förmlich vor Lachen über meine Verlegenheit, als die Weiber Beschlag auf mich legten, nachdem sie gehört hatten, dass ich in der Karawane die "erste Violine spiele". Nach beendigtem Gesang erfuhren wir, dass nach vielem Überlegen und Streiten die Massai beschlossen hätten, morgen eine Gesandtschaft zur persönlichen Besprechung zu mir abzusenden. Wir waren demnach andern Tags aufgeregt und ängstlich genug, zu erfahren, was unser Schicksal sein würde. Am Nachmittag stieg diese Erwartung aufs höchste, als wir aus dem geheimnisvollen umgebenden Wald einen schönen musikalischen Gesang erschallen hörten. Jedermann flüsterte seinem Nachbarn zu: die Massai kommen. Das Gewehr in der einen, ein Grasbündel in der andern Hand zum Zeichen, dass wir auf den Kampf gerüstet seien, aber Frieden wünschten, rückten wir vor das Lager, unser Schicksal zu vernehmen. Bald hafteten unsere Augen auf den durch den Wald daher schreitenden gefürchteten Kriegern, welche so lange den Gegenstand meiner wachen Träume gebildet hatten, und wir mussten unwillkürlich ausrufen, "was für prächtige Jungen", als wir eine Anzahl Vertreter der eigentümlichsten aller Rassen Afrikas vor uns erblickten.
Nach einer sehr förmlichen, mit grosser Gesetztheit und aristokratischen Würde vollzogenen Begrüssung steckten sie ihre schaufelartigen Speere in den Boden, lehnten die Rindsfell-Schilde dagegen neben sich, und darauf nahmen die mit Öl und Lehm beschmierten Krieger eine sitzende Stellung ein, indem sie ihre Knie zum Kinn heraufzogen und sich in ihre kleinen niedlichen Mäntel aus Ziegenfell hüllten. Wir setzten uns ihnen gegenüber mit den Flinten in der Hand. Ich sass natürlich, meiner Würde angemessen, auf einem Feldstuhl.
Nach einigen leise untereinander gesprochenen Worten erhob sich ein Sprecher, nahm gemächlich einen Speer in die Linke, um sich auf ihn zu stützen, und eine Keule als Rednerstab fassend trat er vor, um uns seine Botschaft mit der ganzen Bequemlichkeit eines Gewohnheitsredners zu verkünden. Unter tiefem Staunen beobachtete ich diesen Sohn der Wüste, wie er da vor mir stand und mit einem natürlichen Fluss und Anstand, einem gewissen Gefühl des Ernstes und der Wichtigkeit seiner Stellung und in einer würdevollen Haltung redete, die alles Lob verdiente. Unter vielen Umschweifen schilderte er die Geschichte von Fischer's Ankunft, das Gefecht, dessen Ursachen und Folgen, wobei er grosses Gewicht auf den Umstand legte, dass eine Frau getötet wurde, was ein unerhörtes Ereignis in den Annalen ihrer Kriege mit den Ladjombe oder Suaheli sei. Weiter erzählte er, wie die Nachricht von unserer Ankunft sie erreicht hätte und welche Aufregung dadurch hervorgerufen sei; dass eine Versammlung der verheirateten Männer und der EI-Moran oder Krieger berufen sei, um die Art unseres Empfanges zu beraten, und dass sie endlich nicht ohne Gegenrede zu dem Beschluss gekommen seien, uns in Frieden durchmarschieren zu lassen, infolge welcher Entscheidung er mit seinen Gefährten geschickt sei, uns willkommen zu heissen und nach ihren Kraals zu geleiten. Während dieser Ansprache war der Streitkolben nicht müssig, sondern diente mit vielem rednerischen Erfolge, seinen Ansichten Nachdruck zu geben.
Dann ergriff unsererseits Sadi auch eine Keule, liess die Hand auf seiner Flinte ruhen und trat vor, um zu antworten, und erzählte mit der ihm eigenen unübertrefflichen Kenntnis der Sprache und Redegewohnheiten der Massai und einer angeborenen Rednergabe nach meinen Andeutungen unsere Geschichte. Nach ihm sprachen noch zwei oder drei Massai mit derselben Wirkung wie ihr Vorredner - ohne dass sie jedoch sich auf einmal erhoben oder, wenn es geschah, dass sie nach ein paar Worten unter sich ausmachten, wem das Ohr der Versammlung gehören solle - und während der ganzen Zeit äusserten die Übrigen nichts als unbestimmte Ausdrücke der Zustimmung oder des Mißfallens.
Bis zum Schluss dieser förmlichen Anreden sass jeder da, ohne seine Gesichtszüge zu verändern, oder durch Wort oder Zeichen Kunde davon zu geben, dass der zweite weisse Mann, den sie im Leben sahen, vor ihnen sitze. Als diese notwendigen Vorbereitungen aber beendet waren, milderten sich Ihre ernsten Züge und sie gestatteten ihnen, so viel Neugierde zu verraten, als sich mit ihrer Würde als Massai el-Moran (Krieger) vertrug.
Wir begaben uns jetzt in voller Eintracht zum Lager, in welchem sie jedoch trotz allen Vergnügens, welches sie an gewissen Dingen fanden, ihr aristokratisches Wesen beibehielten. Nichts von der störenden gemeinen Neugierde oder aufdringlichen Unverschämtheit, welche dem Reisenden das Leben unter andern eingeborenen Stämmen zur Last machen! Natürlich wurde ihnen ein Geschenk gegeben, auch blieben sie die ganze Nacht im Lager.
Thomson, Joseph
Durch Massai-Land - Forschungsreise in Ostafrika
Leipzig 1885