Reiseliteratur weltweit

Geschichten rund um den Globus

1796 - Mungo Park
Endlich am Niger
Ségou, Mali

Mein Pferd, welches von Tag zu Tag schwächer wurde, war mir nur noch wenig nützlich, den größten Teil des Weges mußte ich es vor mir hertreiben und erreichte Geosorro erst um acht Uhr abends. Hier fand ich meine Gefährten in einem heftigen Streit mit dem Häuptling, der es rundweg abgeschlagen hatte, ihnen etwas zu verkaufen. Da wir seit vierundzwanzig Stunden nichts genossen hatten, waren wir nicht aufgelegt, noch einen Tag zu fasten. Da ich aber sah, daß alle Bitten vergeblich waren, und da ich sehr ermüdet war, so schlief ich ein, wurde jedoch um Mitternacht durch die frohe Nachricht „Kinna-nata" — es ist zu essen da — wieder aufgeweckt. Nun brachten wir den restlichen Teil der Nacht sehr lustig zu und traten am 19. Juli mit Tagesanbruch unsere Reise wieder an. Meine Gefährten, die bessere Pferde hatten als ich, waren mir bald aus dem Gesichtskreis entschwunden, denn ich mußte leider mein Pferd vor mir hertreiben und war überdies barfuß. Als ich nach Dulinkibu kam, hörte ich, daß meine Reisegefährten weitergegangen seien. Mein Pferd war aber so ermüdet, daß ich ihnen unmöglich folgen konnte. Der Dorfälteste gab mir, als ich ihn darum ansprach, einen Trunk Wasser. Da dies allgemein als das Unterpfand einer reichlichen Gastfreundschaft angesehen wird, so zweifelte ich nicht, daß ich mich für die Beschwerden des Tages an einer guten Mahlzeit und einem gesunden Schlaf erholen würde. Aber unglücklicherweise wurde mir keines von beiden zuteil. Die Nacht war regnerisch und stürmisch, und der Dorfälteste beschränkte seine Freigebigkeit auf jenen Trunk Wasser.
    Am folgenden Morgen bemühte ich mich erneut, etwas Speise zu erhalten, aber vergeblich. Ich bat sogar eine Sklavin, welche eben Korn am Brunnen wusch, um eine Kleinigkeit davon, und bekam auch hier zu meiner Kränkung eine abschlägige Antwort. Als der Älteste ins Feld gegangen war, sandte mir jedoch seine Frau eine Handvoll Mehl, welches ich mit Wasser vermischte und so zum Frühstück trank.
    Zwei Neger sollten von hier aus nach Sego gehen, und ich war sehr froh, in ihrer Gesellschaft zu sein. Wir machten uns sogleich auf den Weg. Um vier Uhr hielten wir bei einem kleinen Dorf, wo einer der Neger einen Bekannten antraf, der uns zu einer Art öffentlicher Lustbarkeit einlud, wobei es weit besser und ordentlicher als gewöhnlich herging. Ein aus saurer Milch und Mehl bereitetes Gericht und Bier, aus ihrem Korn gebraut, wurde mit großer Freigebigkeit ausgeteilt. Von da aus kamen wir durch verschiedene große Dörfer. Überall wurde ich für einen Mauren gehalten und mußte als Zielscheibe für den Spott der Bambarraner dienen, wenn sie mich so mein Pferd vor mir hertreiben sahen und sich über die ganze Gruppe von Herzen lustig machten. „Er ist in Mekka gewesen", sagte einer, „das könnt ihr an seiner Kleidung sehn." Ein anderer fragte mich, ob mein Pferd krank sei, ein dritter wollte es kaufen usw., so daß ich glaubte, die Sklaven selbst schämten sich, in meiner Gesellschaft getroffen zu werden. Gerade als es finster wurde, nahmen wir unser Nachtquartier in einem kleinen Dorfe, wo ich mir für den mäßigen Preis eines Knopfes Lebensmittel für mich und etwas Korn für mein Pferd verschaffte. Hier erfuhr ich auch, daß ich den Niger, den die Neger Joliba oder das Große Wasser nennen, am andern Tage schon früh zu Gesicht bekommen würde. Die Löwen sind hier sehr zahlreich, die Tore werden daher bald nach Sonnenuntergang geschlossen und niemand wird hinausgelassen. Der Gedanke, am nächsten Morgen den Niger zu sehen, und das fatale Summen der Moskitos ließen mich die ganze Nacht kein Auge zumachen. Schon vor Tage hatte ich mein Pferd gesattelt und war reisefertig, aber wegen der wilden Tiere mußten wir warten, bis die Leute lebendig wurden und man die Tore öffnete. Es war eben Markttag in Sego und die Straßen waren überall voll Menschen, welche verschiedene Artikel zum Verkauf brachten. Wir kamen durch vier große Dörfer, und um acht Uhr sahen wir den Rauch von Sego. Als wir uns der Stadt näherten, war ich so glücklich, die flüchtigen Kaartaner einzuholen, deren Güte ich auf meiner Reise durch Bambarra so viel zu verdanken hatte. Wir ritten durch ein Stück Marschland, und eben, als ich mich ängstlich nach dem Fluß umsah, rief einer von ihnen aus „Geo affili" — seht da, das Wasser! — Ich blickte vorwärts, und mit unendlichem Vergnügen sah ich den großen Gegenstand meiner Sendung, den majestätischen Niger, so breit wie die Themse bei Westminster, in der Morgensonne flimmern und langsam nach Osten fließen. Ich eilte an das Gestade, trank von dem Wasser, und mein glühender Dank strömte in Gebeten zu dem Lenker aller Dinge, der so weit wenigstens meine Bemühungen mit einem glücklichen Erfolg gekrönt hatte.

Park, Mungo
Reisen im Inneren von Afrika …
Berlin 1799

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