1880 - August Heinrich Dietrich Behrens
Mit den Missionaren von Natal nach Transvaal
Die Missionare und Missionarsbräute, die mit mir von Deutschland gekommen waren und nach Transvaal mußten, wurden durch die Missionsleitung per Ochsenwagen nach Transvaal geschickt. Auch ich schloß mich diesem Zug an und fuhr mit. Ein Sohn von Superintendent Karl Hohls, er hieß Hermann, 22 Jahre alt, war der verantwortliche Leiter des Zuges. Der Zug bestand aus zwei Zeltwagen, mit je 14 Ochsen bespannt, und einem Bockwagen, mit 16 Ochsen bespannt. Letztere wurden durch Hermann selbst getrieben, die anderen beiden durch schwarze Jungen.
Auf den dritten Wagen waren große Kisten und alles Gepäck geladen, zum Teil sehr schwere Kisten mit Büchern und Möbeln, auch ein großes Harmonium. In dem einen Zeltwagen logierte Missionar Heuer mit seiner jungen Frau, in dem zweiten Zeltwagen die Braut von Missionar Grottherr, Sofie Loose, und Marie Johannes, Braut von Missionar Peters. Der junge Missionar Rodewaldt, Hermann Hohls, der Leiter des Zuges und ich, wir logierten auf der Erde unter dem Bockwagen. Wir waren also sieben Personen. Die Reise dauerte unter normalen Umständen etwa vier Wochen. Für diese Zeit berechnet bekamen wir Proviant mit von der Missionsleitung. Dieser Proviant bestand aus getrocknetem Brot, Maismehl, Kaffee, Zucker, getrockneten Pfirsichen und getrocknetem Fleisch. Am 20. Oktober fuhren wir von Hermannsburg ab. Wir haben gutes Wetter gehabt, und die Reise ging gut vonstatten. Dieses dauerte aber nur einige Tage, dann setzte die Regenzeit ein, der Weg wurde naß, und wir kamen nur langsam vorwärts. Der Bockwagen war schwer (mit 700 Pfund Gewicht) beladen und fiel oft weg in der nassen Erde. Wir haben den Wagen auf der Reise zweiundzwanzig Mal abladen müssen, um ihn wieder flott zu kriegen. Oft lag er bis an der »Buikplanke« im Dreck.
Als wir bei Standerton am Vaal-Fluß ankamen, war der Fluß voll und kein Wagen konnte durch. Dabei regnete es jede Nacht. Wir gruben Soden und machten uns davon eine Mauer, um das Wasser von unseren Wagen abzuhalten. Die in den Zeltwagen hatten es gut und trocken, aber wir drei Junggesellen unter dem Wagen hatten es recht feucht. Wir haben da zwei Wochen auf derselben Stelle liegen müssen, da der Fluß immer voll blieb. Unser auf vier Wochen berechneter Proviant nahm da ein Ende, und wir mußten den Bauchriemen sehr enge ziehen. Als der Hunger zu groß wurde, schwamm Hermann durch den Fluß. Er hatte das Glück, zwei Eimer Maismehl zu kaufen, und brachte uns diese auf dem Kopf festgebunden durch. Leider war in der ganzen Gegend kein Brennholz zu haben, um Essen gar machen zu können. Da habe ich mich drangemacht, die Leisten von den großen Bücher- und anderen Kisten abzuschlagen, damit wir einmal am Tage etwas Warmes zu essen bekamen. Wir haben aber immer unsern guten Humor behalten und die Sache als zugehörig zu einer Reise ins Innere Afrikas angesehen. Hermann, als geborener Afrikaner, wußte uns immer wieder aufzuheitern und Hoffnung auf bessere Tage zu machen. Wir Grünen, die eben von Muttern kamen, wären gerne wieder umgekehrt, aber das ging nicht. Wir mußten nur unsere Ansichten über Afrika umstellen und Mut haben, und es hat uns auch nicht geschadet. Nach zwei Wochen konnten wir endlich durch den Fluß. Hermann hatte zum Glück etwas Geld bei sich. So konnten wir in Standerton einiges an Eßwaren (Maismehl usw.) kaufen und setzten dann voll Mut unsere Reise fort. Es hatten sich über 40 mit Fracht beladene Wagen vor dem Fluß angesammelt, die alle durch wollten. Der Tüchtigkeit unseres Führers Hermann hatten wir es zu danken, daß wir bei den ersten waren, die durchkamen.
Die Reise ging dann gut weiter, nur daß wir fast in jeder Vley den Bockwagen abladen mußten, es regnete immer wieder. Am 15. Dezember kamen wir alle gesund und hungrig auf Bethanien an. Es fehlte auch nicht an allerlei interessanten Erlebnissen auf der Reise. Eines guten Morgens hatten wir ausgespannt, die Ochsen weideten in der Nähe der Wagen, da hörten wir ein schreckliches Getöse und Brausen. Im nächsten Augenblick kam eine Herde Springböcke (rehgroße Antilopen), Tausende, auf uns zugestürmt und verschwand jenseits der Höhe. Als wir nach unseren Ochsen ausschauten, waren sie verschwunden. Die Herde Böcke hatte sie einfach mitgenommen. Erst nach Stunden kamen die Jungens mit den Ochsen an. Das Laufen war ihnen wohl etwas viel geworden, und sie waren zurückgeblieben. Der junge Missionar Heuer und Frau kamen aus Amerika und brachten amerikanische Anschauungen und überspannte Ansichten mit. Wenn wir ausspannten, stieg er von seinem Wagen, nahm zwei dicke Bücher (wir nannten sie die Kirchenväter) untern Arm und ging seitwärts ins Gras, um, wie er sagte, zu studieren. Die Frau stieg auch ab und ging ins Gras, aber an der entgegengesetzten Seite. Die beiden Bräute machten den Kaffee und bereiteten das Essen. Wunderbarerweise kamen die Herrschaften immer zur rechten Zeit zum Essen, ohne gerufen zu werden. Einen Sonnabendabend waren wir bis spät gefahren, spannten schließlich aus, ohne bei Wasser zu sein. Am nächsten Morgen stellte es sich heraus, daß in der Umgegend nirgends Wasser war. Hermann sagte: »Es ist zwar Sonntag, wo sonst nicht gefahren wird, aber wir, sowie die Ochsen, müssen heute Wasser haben. Deshalb spannen wir ein und fahren bis zum nächsten Wasser.« Als Heuer merkte, es wird eingespannt, sprang er vom Wagen runter und frug, was los wäre. Hermann erklärte ihm die Umstände. Er blieb aber dabei, es sei Sonntag, es werde heute auf keinen Fall gefahren, er sei durch Superintendent Hohls beauftragt, zu sehen, daß alles ordentlich und christlich auf der Reise zugehe. Darauf Hermann: »Ja, und ich bin von Superintendent Hohls beauftragt, dafür zu sorgen, daß die Ochsen ihr Recht kriegen, und die und auch wir müssen heute Wasser haben.« Als Heuer sah, daß doch gefahren wurde, rief er seine Frau vom Wagen. Sie stieg mit ein paar Kissen und Decken ab, und beide setzten sich ins Gras am Wege. Heuer sagte zu Hermann: »Wenn Du ein Sabbatschänder und ungehorsamer Sohn sein willst, ist es auf deine Verantwortung. Ich fahre nicht mit, bleibe hier.« Hermann sagte: »Ganz wie Sie wünschen. Auf Wiedersehn!« Damit fuhren wir ab. Nach einer kleinen Stunde kamen wir an Wasser, wir spannten aus, kochten uns Kaffee und aßen Frühstück. Nach etwa zwei Stunden kam das Ehepaar Heuer mit ihren Sachen unterm Arm auch zu Fuß an. Aber die Strafpredigt, die er uns da gehalten und die Titel, die er uns da gegeben hat, konnten für Heiden nicht stärker sein. Er war richtig wild in seinem Zorn auf uns alle. Frühstück haben die beiden an dem Sonntagmorgen nicht gekriegt, wäre ihnen sicher auf den Ärger auch nicht gut bekommen.
Ähnliche Auftritte hatten wir öfter auf der Reise. Zum Glück rauchte niemand von unserer Gesellschaft. Eine brennende Pfeife konnte Herrn Heuer in Zorn versetzen. Als wir unterwegs beim alten Missionar Kors einen Besuch machten, gingen wir im Garten spazieren. Heuer frug Kors, was das Grüne da auf dem Lande sei. Kors sagte: »Das ist Tabak, Heuer!« »Aber Bruder Kors, du willst doch nicht sagen, daß du selbst Tabak pflanzst.« Kors: »Aber sicher, ich rauche ihn doch selbst.« Heuer: »Aber da solltest du lieber die Ochsen reinjagen.« Kors: »Aber die Beester wüld dat man nich freeten.« Absolute Stille nach dieser Antwort; ich verbiß mir das Lachen. Ja, es war eine interessante Reise, sie dauerte gut sieben Wochen.
Behrens, August Heinrich Dietrich
Lebenserinnerungen
UNISA Library, Hesse Collection
Abdruck mit freundlicher Genehmigung der Bibliothek der University of South Africa, Pretoria
Abgedruckt in:
Keller, Ulrike (Hg.)
Reisende in Südafrika 1497 – 1990
Wien 2000